Zukunft können wir uns gerade nicht leisten

Blog Marcel Fratzscher vom 20. Januar 2025

Selten war ein Wahlkampf so von einer Umverteilung von Jung nach Alt geprägt wie dieser. Die Jugend soll für die Absicherung der Alten zahlen, egal, wie teuer es wird.

Wir können uns die Zukunft gerade nicht leisten – so lautet die zentrale Botschaft der Wahlprogramme und der Kommunikation fast aller Parteien im Bundestagswahlkampf. Die Parteien versprechen vor allem eines: eine Umverteilung in Bezug von Geld, Freiheit und Chancen von Jung zu Alt. Die jungen und zukünftigen Generationen sind die Hauptleidtragenden eines Wahlkampfes, der vor allem auf die Bewahrung von Besitzständen und alten Strukturen ausgerichtet ist.

Die meisten Parteien haben inzwischen ihre Wahlprogramme vorgelegt, bleiben aber bei vielen Themen bewusst vage und konkrete Vorschläge und Antworten schuldig. Sie versprechen den Wählerinnen und Wählern das Blaue vom Himmel – Mehrausgaben, Steuersenkungen, mehr Wohlstand und Wachstum. Nun mag man einwenden, das sei doch nichts Neues und gehöre in einer Demokratie zum Wahlkampf dazu. Aber selten hat die Politik dem Souverän so wenig Ehrlichkeit zugemutet.

Diese Kolumne von Marcel Fratzscher erschien am 17. Januar 2025 auf ZEIT ONLINE in der Reihe Fratzschers Verteilungsfragen.

Ungewöhnlicher als die unrealistischen Versprechungen ist die Härte des Verteilungskampfes bei dieser Wahl. Es geht kaum darum, wie Deutschland und seine Gesellschaft durch Kooperation und Solidarität vorankommen und die Probleme unserer Zeit lösen können. Jede Partei hat ihre bevorzugte Zielgruppe, die profitieren soll. Aber niemand sagt offen, wer die Leidtragenden sind: Es ist die junge Generation, die einen hohen Preis zahlen wird für eine Politik der Wahrung von Besitzständen und alten Strukturen. Die Besitzstände der Alten sollen gewahrt werden.

In diesem Wahlkampf geht es vor allem um die Wirtschaftspolitik. Die Frage ist, wie Deutschland wieder wettbewerbsfähig werden soll. Gute Arbeitsplätze sollen in Deutschland bleiben und innovative Unternehmen erfolgreich sein. Fast alle Parteien versprechen Steuersenkungen für Unternehmen und Spitzenverdiener. Bei der SPD und den Grünen sind es 30 bzw. 48 Milliarden Euro jährlich, bei der Union 90 Milliarden Euro, bei der FDP 138 Milliarden Euro. Die AfD will noch mehr ausgeben. Bei der Union und der FDP soll knapp ein Drittel der Gelder den oberen 10 Prozent zugutekommen, während die untere Hälfte größtenteils leer ausgeht. Steuererhöhungen an anderer Stelle, um diese Versprechen zu finanzieren, werden von manchen kategorisch ausgeschlossen.

Die junge Generation geht leer aus

Die Grünen und die SPD setzen dagegen auf direkte Subventionen und Hilfen für bestimmte Unternehmen und Branchen. Das Ziel der Parteien auch hier: Die Babyboomer entlasten und finanziell stärker unterstützen.

Ein zweiter Bereich sind Jobs und der Arbeitsmarkt. Lautstark wird die mangelnde Arbeitsmoral der jungen Generation beklagt, sie sei faul, wolle nur Teilzeit arbeiten und lasse sich ständig krankschreiben. Vollzeitbeschäftigte sollten gefälligst mehr Überstunden machen und auf Lohn und Flexibilität verzichten. Die Frage, was Unternehmen und der Staat tun können, um die Arbeitsproduktivität zu verbessern, wird dagegen kaum gestellt.

Investitionen in Bildung sind unverzichtbar für deutsche Wettbewerbsfähigkeit

Dabei sind deutlich höhere Investitionen in Bildung, Qualifizierung und Innovation unverzichtbar, wenn die deutsche Wirtschaft wieder wettbewerbsfähig werden und gute Arbeitsplätze langfristig gesichert werden sollen. Eine Diskussion über die Verbesserung des Bildungssystems, die Verringerung der Zahl der Schulabbrecherinnen und Schulabbrecher oder über Weiterbildung und lebenslanges Lernen fehlt im Wahlkampf weitgehend. Die Botschaft der meisten Parteien lautet: Junge Menschen sollen sich mehr anstrengen, mehr Steuern und Abgaben für die ältere Generation zahlen und mehr aus den vorhandenen Bildungs- und Qualifizierungsangeboten machen. Und: Die ältere Generation ist nicht bereit, mehr in die junge Generation zu investieren.

Ehrlichkeit und mutige Reformen

Das Ungleichgewicht im Verteilungskampf zwischen Jung und Alt zeigt sich auch in der Debatte um die Sozialsysteme. Während Union, AfD und FDP mehr auf die Umverteilung von Arm zu Reich setzen, geht es SPD und Grünen mehr um die Umverteilung von Jung zu Alt. Sie wollen die Sozialsysteme bei Rente, Pflege und Gesundheit stärken, wie das nicht umgesetzte Rentenpaket II zeigt. Die Besitzstände der Babyboomer sollen im Alter gesichert werden, zahlen soll die junge Generation, und das wird in den nächsten 20 Jahren extrem teuer.

FDP und Union wollen dagegen vehement bei den Sozialausgaben kürzen. Sie planen Kürzungen beim Bürgergeld, bei jungen Menschen und Geflüchteten. Das Thema Kinder- und Jugendarmut kommt in der Debatte kaum vor, obwohl Armut und mangelnde soziale Teilhabe die Hauptursachen für fehlende Bildungschancen und spätere Arbeitslosigkeit und Abhängigkeit vom Sozialstaat im Erwachsenenalter sind. Für alle ist es lediglich ein Lippenbekenntnis, dass Investitionen in junge Menschen die besten Investitionen sind, die eine Gesellschaft tätigen kann. Taten folgen jedoch kaum, Kinderarmut wird als Versagen der Eltern und nicht der Gesellschaft dargestellt.

Ein Konzept für die Zukunft fehlt

Ein viertes Thema ist der Klima- und Umweltschutz, der vor vier Jahren im Wahlkampf eine große Rolle gespielt hat und nun von den meisten Parteien als lästig angesehen wird. Die Parteien können den menschengemachten Klimawandel und die enormen Kosten nicht mehr leugnen, wollen aber auch keine Konsequenzen ziehen. Im Gegenteil: Union und FDP versprechen eine weitere Aufweichung der Klimaschutzziele und die Abschaffung einiger Regeln, wie das Ende des Verbrennungsmotors 2035. Es ist gelungen, Klima- und Umweltschutz als wirtschaftliche Belastung darzustellen.

Auch beim Ausbau der erneuerbaren Energien hat die Ampelregierung zwar Fortschritte erzielt, aber immer wieder wichtige Ziele aufgeweicht und Reformen rückgängig gemacht. Dabei zeigen alle Fakten und wissenschaftlichen Studien, dass eine kluge Politik zum Schutz von Klima und Umwelt nicht nur überlebensnotwendig, sondern auch für die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen unverzichtbar ist.

Was passiert, wenn Unternehmen die grüne Transformation verschlafen, zeigt die deutsche Automobilindustrie. Dennoch ist es gelungen, das Narrativ zu verfestigen, dass Deutschland diese Transformation zu schnell und nicht zu langsam angeht.

Zementieren statt Visionen für die junge Generation

Selten gab es in Deutschland einen Wahlkampf, der so stark von Verteilungskämpfen und dem Versuch, Besitzstände zu wahren und alte Strukturen zu zementieren, geprägt war. Mit den Versprechungen der Parteien wird Deutschland seine Zukunftsfähigkeit nicht zurückgewinnen, sondern verlieren. Die Leidtragenden sind die jungen und zukünftigen Generationen. Den Parteien fehlt meist ein Konzept und eine Vision, wie Deutschland in zehn oder in dreißig Jahren aussehen soll – es fehlt ein Angebot für die junge Generation. Die Zukunft hat aktuell keine Mehrheit. Investitionen in die Zukunft können wir uns gerade nicht leisten, so die Botschaft der Parteien.

Wir dürfen uns also nicht wundern, wenn viele junge Menschen am 23. Februar 2025 aus Protest nicht wählen gehen oder nicht demokratisch wählen. Es bleibt zu hoffen, dass die Parteien umdenken und Bereitschaft zeigen, in die Zukunft zu investieren.

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