Sondervermögen für Wahlgeschenke? „Koalitionsvertrag lässt viele Fragen offen“

Blog Marcel Fratzscher vom 11. April 2025

Der Koalitionsvertrag ist ein Kompromiss, der am Status quo wenig ändern wird und in Teilen eine Fortsetzung des Kurses der Ampel-Regierung ist. Er enthält viele richtige und kluge Elemente, lässt aber einen klaren Kompass für den notwendigen Kurswechsel in zentralen Zukunftsfragen vermissen.

Das Sondervermögen für Infrastruktur von 500 Milliarden Euro und die Reform der Schuldenbremse in Bezug auf Verteidigungsausgaben waren kluge Schritte und gaben Anlass zur Hoffnung, dass die deutsche Politik nun die Weichen für eine deutlich bessere Sicherheit und Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands stellt. 

Dieser Gastbeitrag von Marcel Fratzscher erschien am 11. April 2025 auf Focus Online.

Der Koalitionsvertrag lässt jedoch Zweifel aufkommen, ob die versprochenen Gelder tatsächlich für Infrastruktur und Verteidigung ausgegeben werden oder ob nicht ein erheblicher Teil für Wahlgeschenke und konsumtive Ausgaben verwendet wird. Der Koalitionsvertrag lässt viele Fragen offen, wie insbesondere die Vorhaben in den Bereichen Infrastruktur und Verteidigung in den kommenden Jahren umgesetzt werden sollen – zumal der Großteil der öffentlichen Investitionen von den Kommunen getätigt wird.

Sind die Versprechen im Koalitionsvertrag finanzierbar?

Es ist fraglich, ob die Versprechen im Koalitionsvertrag finanzierbar sind. Es werden zusätzliche Ausgaben, vor allem für Unternehmen, Besserverdienende und Babyboomer, versprochen. Dem stehen jedoch kaum Einsparungen gegenüber; systematische Steuererhöhungen und eine notwendige Steuerreform wurden ausgeschlossen. 

Der künftigen Bundesregierung dürfte daher nichts anderes übrig bleiben, als einen Teil der öffentlichen Investitionen und Verteidigungsausgaben aus dem regulären Haushalt in den Sonderfonds zu verlagern. Die Haushaltsplanung ist auf Kante genäht, eine schlechtere wirtschaftliche Entwicklung – wie sie durch den Handelskonflikt wahrscheinlich wird – oder neuer zusätzlicher Ausgabenbedarf wird den Bundeshaushalt schnell wieder in Schieflage bringen.

Wahrung der Besitzstände der Babyboomer

Der Koalitionsvertrag setzt in der Klima- und Energiepolitik die richtigen Prioritäten, indem er den bisherigen Kurs weitgehend fortsetzt. Allerdings muss die neue Bundesregierung die Umsetzung vieler Versprechen beschleunigen und verbessern. Eine der wichtigsten Fragen in fast allen Bereichen wird sein, ob der im Koalitionsvertrag versprochene Abbau von Regulierung und Bürokratie schnell und gut gelingt.

Auch in der Sozialpolitik setzen Union und SPD auf den Erhalt des Status quo und die Wahrung der Besitzstände der Babyboomer. Die Rentengarantie wird die Umverteilung von Jung zu Alt und von Arm zu Reich verschärfen. Auch bei Pflege und Gesundheit hätte der Koalitionsvertrag ambitionierter sein können und müssen. Beim Bürgergeld wird sich – entgegen den Behauptungen der Union – wenig ändern.

Künftige Bundesregierung wird Migration-Problem nicht lösen

Ein wichtiges Element sind die Veränderungen in der Migrationspolitik. Der Koalitionsvertrag legt einen Schwerpunkt auf die Steuerung der Zuwanderung. Es ist zweifelhaft, ob Union und SPD damit die unerwünschte Zuwanderung wirksam begrenzen können. 

Der Koalitionsvertrag bleibt die Antwort schuldig, wie eine deutlich stärkere Zuwanderung von hochqualifizierten Fachkräften und insbesondere eine bessere Integration der über 3 Millionen Schutzsuchenden, die bereits in Deutschland sind, künftig besser gelingen soll. Damit wird die nächste Bundesregierung keines der mit der Migration verbundenen Probleme nachhaltig lösen können.

Keine Lösung für das zunehmende Arbeitskräfteproblem

Eine Lösung für das zunehmende Arbeitskräfteproblem in Deutschland bleibt der Koalitionsvertrag schuldig. Die Anhebung des Mindestlohns ist richtig und zielführend. Es fehlen aber Reformen bei den Minijobs, beim Ehegattensplitting und in vielen anderen Bereichen, um das enorme Fachkräftepotenzial in Deutschland besser zu nutzen.

Der Koalitionsvertrag enthält richtige und ambitionierte Ziele für Digitalisierung und Innovation. Es wird sich zeigen müssen, ob die finanziellen Mittel und die Kompetenzen ausreichen, um der deutschen Wirtschaft den richtigen Impuls für eine Modernisierung zu geben.

Wie soll Handlungsfähigkeit Europas verbessert werden?

Der Koalitionsvertrag räumt Europa und Deutschlands Verantwortung für Europa und die Welt zu wenig Priorität ein. Angesichts der großen Krisen – von der Klima- und Umweltpolitik, über die Migration bis hin zum Krieg in der Ukraine und dem Handelskonflikt mit den USA – bleibt die Koalition die Antwort schuldig, wie sich die nächste Bundesregierung in Europa einbringen und die Handlungsfähigkeit Europas verbessern will.

Die Erfahrung zeigt, dass Demokratien meist erst dann zu grundlegenden Reformen in der Lage sind, wenn sie sich in einer tiefen Krise befinden und tiefgreifende Veränderungen unausweichlich sind. Der vorliegende Koalitionsvertrag zeigt, dass Union und SPD diese Dringlichkeit noch nicht erkannt haben. Er geht vor allem zu Lasten der jungen und zukünftigen Generationen und verbessert die Generationengerechtigkeit nicht.

Deutschland kann sich politische Lähmung nicht leisten

Die Krisen und Bedrohungen für Sicherheit, Wettbewerbsfähigkeit und Wohlstand in Deutschland könnten in den kommenden Jahren zunehmen. Es bleibt zu hoffen, dass Union und SPD dann schnell und pragmatisch genug reagieren werden, um Kurskorrekturen vorzunehmen. Weitere vier Jahre mit einer zerstrittenen Bundesregierung und politischen Lähmung kann sich Deutschland nicht mehr leisten.

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