Kognitive Fähigkeiten können durch regelmäßige Anwendung im Alter erhalten bleiben

DIW Wochenbericht 20 / 2025, S. 289-294

Eric A. Hanushek, Lavinia Kinne, Frauke Witthöft, Ludger Wößmann

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  • Abbau kognitiver Fähigkeiten im Alter ist eine zentrale gesellschaftliche Herausforderung
  • Kognitive Kompetenzen steigen bis ins mittlere Erwachsenenalter und nehmen danach schrittweise ab – aber später als in früheren Studien angenommen
  • Lesefähigkeiten nehmen erst ab Mitte 40 ab, Rechenkompetenzen ab Anfang 40
  • Aktive Nutzung im Alltag und im Beruf schützt vor altersbedingtem Kompetenzverlust
  • Fokus der Politik sollte nicht nur auf Bildung im Kindes- und Jugendalter liegen, sondern auch lebenslanges Lernen und Kompetenznutzung im höheren Alter fördern

„Kognitive Fähigkeiten entwickeln sich bis ins mittlere Erwachsenenalter weiter, bevor sie allmählich abnehmen. Eine regelmäßige Nutzung dieser Fähigkeiten im Alltag sowie im Beruf kann dem kognitiven Abbau entgegenwirken.“ Lavinia Kinne

Bisherige Studien gehen davon aus, dass kognitive Fähigkeiten spätestens ab dem 30. Lebensjahr nachlassen. Die Annahme beruht jedoch weitgehend auf Querschnittsdaten, die nicht zwischen Alters- und Kohorteneffekten unterscheiden können. Einzigartige deutsche Längsschnittdaten zu Kompetenzen zeigen ein anderes Bild: Kognitive Fähigkeiten nehmen im Durchschnitt bis in die Vierzigerjahre stark zu, bevor sie in den Bereichen Lesen und Schreiben leicht und beim Rechnen stärker abnehmen. Darüber hinaus gehen sie im höheren Alter nur bei Personen zurück, die ihre Kompetenzen wenig nutzen. Das zeigt klar, wie sich Kompetenzverluste vermeiden lassen. Maßnahmen zum Erhalt von kognitiven Fähigkeiten, wie lebenslanges Lernen auch am Arbeitsplatz, sollten daher in Politik, Wirtschaft und Bevölkerung besondere Beachtung finden.infoDiese Studie erscheint zeitgleich im ifo Schnelldienst.

Viele Forschungsdisziplinen befassen sich mit der Alterung des Gehirns und dem kognitiven Abbau. Studien aus der Psychologie und den Neurowissenschaften zeigen, dass das Altern mit diversen Komponenten der Kognition zusammenhängt.infoRichard Desjardins und Arne Jonas Warnke (2012): Ageing and Skills: A Review and Analysis of Skill Gain and Skill Loss over the Lifespan and over Time. OECD Education Working Paper 72 (online verfügbar, abgerufen am 16. April 2025. Dies gilt für alle Online-Quellen des Berichts, sofern nicht anders vermerkt); Richard J. Haier, Roberto Colom und Earl Hunt (2024): The Science of Human Intelligence, Second Edition. Cambridge University Press; Macarena Sánchez-Izquierdo und Rocío Fernández-Ballesteros (2021): Cognition in Healthy Aging. International Journal of Environmental Research and Public Health 18(3), 962 (online verfügbar). Während Kompetenzen, die nicht in Bezug zu bisherigem Lernen stehen, ab dem frühen Erwachsenenalter zurückgehen, nehmen kognitive Fähigkeiten, die auf vorhandenem Wissen beruhen, häufig bis zum Alter von 50 Jahren zu und stagnieren danach.infoUrsula M. Staudinger (2020): The Positive Plasticity of Adult Development: Potential for the 21st Century. American Psychologist 75(4), 540–553 (online verfügbar); Jan Oltmanns et al. (2017): Don’t Lose Your Brain at Work – the Role of Recurrent Novelty at Work in Cognitive and Brain Aging. Frontiers in Psychology 8, 117 (online verfügbar); Timothy A. Salthouse (2004): What and When of Cognitive Aging. Current Directions in Psychological Science 13(4), 140–144 (online verfügbar). Diese Muster stehen in Zusammenhang mit neurologischen Veränderungen in verschiedenen Teilen des alternden Gehirns,infoIan M. McDonough, Sara A. Nolin und Kristina M. Visscher (2022): 25 Years of Neurocognitive Aging Theories: What Have We Learned? Frontiers in Aging Neuroscience 14, 1002096 (online verfügbar); Melissa Dexter und Ori Ossmy (2023): The Effects of Typical Ageing on Cognitive Control: Recent Advances and Future Directions. Frontiers in Aging Neuroscience 15, 1231410 (online verfügbar); Deena Ebaid und Sheila G. Crewther (2020). Time for a Systems Biological Approach to Cognitive Aging? A Critical Review. Frontiers in Aging Neuroscience 12, 114 (online verfügbar). insbesondere dem Schwund der grauen und weißen Hirnsubstanz.infoOltmanns et al. (2017), a.a.O.; Anna M Hedman et al. (2012): Human Brain Changes across the Life Span: A Review of 56 Longitudinal Magnetic Resonance Imaging Studies. Human Brain Mapping 33(8), 1987–2002. David V. C Brit et al. (2023): Assessing Cognitive Decline in the Aging Brain: Lessons from Rodent and Human Studies. npj Aging 9(1), 23 (online verfügbar).

Die Wirtschaftswissenschaften interessieren sich ebenfalls zunehmend für die Kompetenzentwicklung, wenn auch aus einem anderen Blickwinkel.infoJascha Dräger und Thorsten Schneider (2025): Sprach- und Mathekompetenzen hängen in Deutschland bei Schulstart stärker von sozialer Herkunft ab als in anderen Ländern. DIW Wochenbericht Nr. 14, 209–215 (online verfügbar); Jonas Jessen, Lavinia Kinne und Frauke Witthöft (2025): Kompetenzunterschiede zwischen Männern und Frauen erklären kaum den Gender Pay Gap. DIW Wochenbericht Nr. 10, 139–146 (online verfügbar); Sarah Gust et al. (2024): Globale Bildungsdefizite: Wie fehlende Grundkompetenzen Entwicklungschancen hemmen. Ifo Schnelldienst Nr. 77(01), 31–34 (online verfügbar); Ludovica Gambaro, Tobias Linberg und Frauke Peter (2019): Sprachkompetenz von Kindern: Unterschied nach Bildung der Eltern im unteren Leistungsbereich besonders groß. DIW Wochenbericht Nr. 16/17, 285–292 (online verfügbar). Kognitive Fähigkeiten wie Lese-, Schreib- und Rechenkenntnisse beeinflussen das individuelle EinkommeninfoEric A. Hanushek et al. (2015): Returns to Skills around the World: Evidence from PIAAC. European Economic Review 73, 103–130 (online verfügbar); Eric A. Hanushek et al. (2017): Coping with Change: International Differences in the Returns to Skills. Economics Letters 153, 15–19 (online verfügbar); Franziska Hampf, Simon Wiederhold und Ludger Wößmann (2017): Skills, Earnings, and Employment: Exploring Causality in the Estimation of Returns to Skills. Large-scale Assessments in Education 5(12), 1–30 (online verfügbar); Christina Langer, Jakob Peiffer und Simon Wiederhold (2023): Durch eine Ausbildung erworbene Kompetenzen zahlen sich auf dem Arbeitsmarkt aus. ifo Schnelldienst 76(07), 32–36 (online verfügbar). und nationale Wachstumsraten.infoEric A. Hanushek und Ludger Wößmann (2008): The Role of Cognitive Skills in Economic Development. Journal of Economic Literature 46(3), 607–668 (online verfügbar); Eric A. Hanushek und Ludger Wößmann (2015): The Knowledge Capital of Nations: Education and the Economics of Growth. MIT Press. Der demografische Wandel mit seinen stetigen und substanziellen Veränderungen der Alterszusammensetzung von GesellschafteninfoDavid E. Bloom und Leo M. Zucker (2023): Aging is the Real Population Bomb. Finance and Development 60(2), 58–61 (online verfügbar). hat damit direkte Auswirkungen auf das wirtschaftliche Wohlergehen von Staaten.infoKarin Haist et al. (2023): Demografischer Wandel – bekannte Herausforderungen, neue Gestaltungsmöglichkeiten. ifo Schnelldienst 76(11), 03–32 (online verfügbar).

In diesem Wochenbericht werden einzigartige deutsche Längsschnittdaten verwendet, um robuste Altersmuster kognitiver Fähigkeiten aufzuzeigen.infoEric A. Hanushek et al. (2025): Age and Cognitive Skills: Use It or Lose It. Science Advances 11(10) (online verfügbar). Mit diesen Daten kann überzeugend zwischen Alters- und Kohorteneffekten unterschieden werden. Zusätzlich werden die Berechnungen um Messfehler bereinigt, die bei wiederholten Tests entstehen.

Trennung von Alters- und Kohorteneffekten und Korrektur von Messfehlern

Querschnittsdaten deuten auf einen Rückgang kognitiver Fähigkeiten im Alter von 30 Jahren oder früher hin. Im Zeitraum von 2011 bis 2012 wurden im Rahmen des von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) durchgeführten Programme for the International Assessment of Adult Competencies (PIAAC) die Rechen- und Lesefähigkeiten von Erwachsenen im Alter von 16 bis 65 Jahren in zahlreichen Ländern getestet, unter anderem auch in Deutschland (Kasten). Die Fähigkeiten unterscheiden sich je nach Alter der Befragten deutlich (Abbildung 1): Sowohl Lese- und Schreibfähigkeiten als auch Rechenfähigkeiten scheinen bei Befragten bereits in ihren späten Zwanzigern oder frühen Dreißigern abzunehmen. Es bestehen aber in dieser Darstellung nicht nur Alters-, sondern auch Kohorteneffekte, beispielsweise durch die Bildungsexpansion seit den 1950er-Jahren, durch die der Anteil an Schüler*innen, die ein Gymnasium besuchen, deutlich angestiegen ist.infoVgl. Rainer Geißler (2014): Bildungsexpansion und Bildungschancen. Bundeszentrale für politische Bildung (online verfügbar). Um die Auswirkungen einer alternden Gesellschaft und die damit verbundenen wirtschaftlichen Probleme richtig zu verstehen, ist es aber entscheidend, den reinen Alterseffekt zu isolieren.

Datengrundlagen

Die Analysen beruhen auf dem Programme for the International Assessment of Adult Competencies (PIAAC, auf Deutsch Internationale Studie zur Untersuchung von Alltagsfähigkeiten Erwachsener), durchgeführt von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Die erste Befragungswelle fand ab 2012 in insgesamt 39 Ländern statt. Diese Studie verwendet dabei die individuelle Längsschnitterhebung in Deutschland zwischen PIAAC 2012 und PIAAC-L 2015, in der die gleichen Teilnehmenden wiederholt getestet wurden.

PIAAC richtet sich an Personen im Alter von 16 bis 65 Jahren, die ihren Wohnsitz in Deutschland haben und in einem Privathaushalt leben. In der ersten Welle von 2012 haben 5379 Personen teilgenommen, von denen 3263 im Jahr 2015 nochmals getestet wurden. Betrachtet wird also die Kompetenzveränderung dieser 3263 Befragten über ungefähr dreieinhalb Jahre.

PIAAC untersucht die Kompetenzen unter anderem in den Bereichen Lesen und Alltagsmathematik. Von diesen Kompetenzen wird angenommen, dass sie zentral für eine erfolgreiche Teilhabe an der Gesellschaft und den Aufbau weiterer spezifischer Kompetenzen sind.

Unter Lesekompetenz fällt das Verstehen, Nutzen und Interpretieren von Texten, von einfachen Textnachrichten bis zu komplizierteren Artikeln und Berichten. Alltagsmathematische Kompetenz bezieht sich auf das Abrufen, Verwenden und Interpretieren von mathematischen Informationen, zum Beispiel die Bewertung von Rabatten oder die Berechnung von Mittelwerten.

Die Tests dauern im Schnitt 60 bis 75 Minuten und werden von Befragten unter Anwesenheit einer*s Interviewer*in zuhause am Computer oder auf Papier ausgeführt. Daraufhin werden die Teilnehmenden zusätzlich noch 40 bis 50 Minuten zu Informationen wie Demografie, Bildung, Erwerbsstatus und der Verwendung von Kompetenzen im Alltag und bei der Arbeit befragt.infoMehr Informationen zu PIAAC 2012 finden sich in Beatrice Rammstedt et al. (2013): PIAAC 2012. Die wichtigsten Ergebnisse im Überblick. Waxmann, Münster (online verfügbar), sowie zu PIAAC-L in Beatrice Rammstedt el al. (2017): The PIAAC longitudinal study in Germany: Rationale and design. Large-scale Assessments in Education 5(4) (online verfügbar) und Anouk Zabal, Silke Martin und Beatrice Rammstedt (2017): PIAAC-L data collection 2015: Technical report. GESIS Papers 2017(29) (online verfügbar).

Methodische Vorgehensweise

Die Kompetenzmaße aus der PIAAC-Befragung werden zunächst standardisiert, so dass der Durchschnitt 0 beträgt und die Standardabweichung 1. Ebenso bietet PIAAC anhand von Item Response Theory (IRT) jeweils zehn sogenannte Plausible Values pro Person und Kompetenz an, die sicherstellen, dass solche Tests nur mit einer gewissen Unsicherheit den tatsächlichen Wissensstand der Befragten abbilden. Diese Studie verwendet stets alle zehn Plausible Values und gruppiert die Standardfehler auf individueller Ebene.

Zur Korrektur des Messfehlers bei wiederholter Testung von Kompetenzen verwendet diese Studie eine Methode aus der Literatur, die die sogenannte Regression zur Mitte ausgleicht.infoBerry et al. (1984), a.a.O.

Die Nutzung individueller Längsschnitterhebungen zu Kompetenzen für eine repräsentative Stichprobe von Erwachsenen ermöglicht es, den Einfluss von Alters- und Kohorteneffekten zu trennen und Alters-Kompetenz-Profile zu schätzen. Deutschland hat als einziges der teilnehmenden Länder ein sogenanntes Panel aus der PIAAC-Stichprobe gebildet, in dem dieselben Teilnehmenden drei bis vier Jahre nach der ursprünglichen Erhebung erneut befragt und getestet wurden. In dieser Studie wird die Paneldimension der deutschen PIAAC-Daten genutzt, um die tatsächlichen Kompetenzveränderungen der Erwachsenen über das gesamte Altersspektrum hinweg zu schätzen. Dabei werden die durchschnittlichen jährlichen Veränderungen separat für jedes beobachtete Alter geschätzt und dann über Individuen verschiedenen Alters hinweg verknüpft, sodass bereinigte Alters-Kompetenz-Profile für die Altersspanne von 16 bis 65 entstehen.

Darüber hinaus korrigiert diese Analyse die Verzerrung durch Messfehler, die unweigerlich mit dem wiederholten Testen von Fähigkeiten über die Zeit einhergeht. Testergebnisse enthalten immer eine Kombination aus echten Fähigkeiten und Messfehlern. Intuitiv ist es wahrscheinlicher, dass niedrige Testergebnisse negative Messfehler enthalten. Wenn eine Person mit anfänglich niedriger Punktzahl den Test erneut absolviert, ist es unwahrscheinlich, dass der Messfehler wieder so negativ ausfällt wie beim ersten Mal. Dies bedeutet, dass für Personen mit ursprünglich niedriger Punktzahl die Veränderung zwischen dem ersten und dem zweiten Testergebnis oft günstiger erscheint, als sie tatsächlich ist. Bei Personen, die zuerst eine hohe Punktzahl erreicht haben, ist das Gegenteil der Fall. Dieses sogenannte Phänomen der Regression zur Mitte verzerrt den Zusammenhang zwischen Alter und Kompetenzen, wenn die Fähigkeiten nach Alter variieren. In diesem Bericht wird diese Verzerrung korrigiert, um bereinigte Alters-Kompetenz-Profile zu schätzen.infoDonald A. Berry et al. (1984): Assessing Differential Drug Effect. Biometrics 40(4), 1109–1115.

Rückgang der Fähigkeiten setzt deutlich später ein als bisher angenommen

Die Veränderungen in den tatsächlichen Rechen- und Lesefähigkeiten von Einzelpersonen im Laufe der Zeit zeigen ein ganz anderes Muster, als es die Querschnittsdaten nahelegen. Stellt man die jährlichen Veränderungen der Testergebnisse, korrigiert um die Regression zur Mitte, dar (Abbildung 2), zeigt sich, dass die Fähigkeiten der deutschen Bevölkerung im Lesen und Schreiben bis zum Alter von 45 Jahren und im Rechnen bis zum Alter von 40 Jahren zunehmen. Danach werden die Kompetenzveränderungen negativ, wobei der Rückgang im Rechnen deutlich stärker ausfällt als im Lesen und Schreiben.

Daraus ergeben sich kumulative Alters-Kompetenz-Profile (Abbildung 2). Lese- und Schreibfähigkeiten nehmen in den Zwanzigern und Dreißigern stark zu, bevor sie sich in den späten Dreißigern stabilisieren. Der Höchststand wird im Alter von 46 Jahren erreicht. Danach gehen die Kompetenzen nur langsam zurück. Auch die Rechenfähigkeiten nehmen in jungen Jahren stark zu, erreichen ihren Höhepunkt jedoch bereits im Alter von 41 Jahren und nehmen in späteren Jahren deutlich ab. Dennoch liegen die bereinigten Werte im Alter von 65 Jahren (dem höchsten Alter in den PIAAC-Daten) immer noch über den Werten aus den frühen Zwanzigern.

Häufige Nutzung erhält Fähigkeiten

Die durchschnittlichen Alters-Kompetenz-Profile verdecken jedoch große gruppenspezifische Unterschiede. In früheren Analysen wurde untersucht, ob individuelle Charakteristiken wie Bildung und Beruf die Entwicklung von Kompetenzen mit dem Alter beeinflussen. Dabei wurde oft angenommen, dass verschiedene Gruppen ihre Fähigkeiten unterschiedlich intensiv nutzen, doch fehlten bisher Daten über die tatsächliche Nutzung von Fähigkeiten. Die PIAAC-Erhebung fragt detailliert nach der Häufigkeit und Art der Nutzung von Fähigkeiten am Arbeitsplatz und zu Hause, wodurch Unterschiede in den Alters-Kompetenz-Profilen basierend auf der tatsächlichen Nutzung von Fähigkeiten untersucht werden können.

Dafür wurde für jeden Kompetenzbereich ein Index berechnet, der auf der Häufigkeit der angegebenen Aktivitäten im Zusammenhang mit Lesen beziehungsweise Rechnen bei der Arbeit und im Alltag basiert, beispielsweise „Briefe, Memos oder E-Mails lesen“ für Lesen oder „Preise, Kosten oder Budgets berechnen“ für Rechnen. Daraus lässt sich der Mittelwert (Median) der Kompetenznutzung aller Befragten bei der Arbeit und zu Hause ableiten: Die eine Hälfte der Befragten nutzt ihre Kompetenzen weniger als diesen Mittelwert und die andere Hälfte der Befragten mehr.

Diejenigen, die ihre Fähigkeiten im Mittel überdurchschnittlich häufig verwenden, verlieren im beobachteten Altersbereich im Durchschnitt keine Fähigkeiten (Abbildung 3). Ihre Kompetenzen steigen bis in die Fünfziger deutlich an und flachen dann ab, ohne dass es Anzeichen für einen Rückgang gibt. Bei denjenigen, deren Nutzung unter dem Mittelwert liegt, beginnt der Kompetenzrückgang dagegen bereits in der Mitte der Dreißiger.

Im Gegensatz zum aggregierten Muster sind die nutzungsspezifischen Muster bei den Lese- und Rechenkompetenzen recht ähnlich. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Nutzung von Fähigkeiten eine entscheidende Rolle dabei spielt, ob Kompetenzen im Laufe der Zeit hinzugewonnen, beibehalten oder verloren werden.

Fazit: Erhalt der kognitiven Fähigkeiten in alternden Bevölkerungen essenziell

Kognitive Fähigkeiten wie Lese-, Schreib- und Rechenkenntnisse sind nicht nur für das individuelle Einkommen, sondern auch für das Wirtschaftswachstum von Bedeutung. Daher stellt die Alterung der Bevölkerung ein wirtschaftliches Problem dar, wenn kognitive Fähigkeiten mit dem Alter abnehmen. Bei der Analyse ist die Betrachtung von Längsschnittdaten für individuelle Lese-, Schreib- und Rechenfähigkeiten einer repräsentativen Erwachsenenstichprobe wichtig, da nur so Alters-Kompetenz-Profile erstellt werden können, die glaubhaft zwischen Alters- und Kohorteneffekten unterscheiden.

Der in dieser Studie beschriebene reine Alterseffekt zeigt, dass die Fähigkeiten später abnehmen als bisher angenommen. Darüber hinaus ist ein Rückgang der Fähigkeiten nur bei denjenigen festzustellen, die ihre Kompetenzen bei der Arbeit oder zu Hause wenig einsetzen. Insgesamt widerlegen die Ergebnisse die landläufige Annahme, dass die kognitiven Fähigkeiten mit dem Alter zwangsläufig zurückgehen. Verhaltensanpassungen können natürliche biologische Veränderungen überwinden. Daher ist es für den Einzelnen und die Gesellschaft von entscheidender Bedeutung, Kompetenzen zu erhalten, indem sie häufig genutzt werden.

Die Ergebnisse machen aber auch deutlich, wie wichtig es ist, dass Politik, Wirtschaft und Bevölkerung nicht nur auf die Aneignung von Fähigkeiten zum Beispiel in der Schule achten, sondern auch auf deren Erhalt durch Kompetenznutzung und lebenslanges Lernen.

Lavinia Kinne

Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Staat



JEL-Classification: J24;I21;J10
Keywords: adult skills, aging, skill use, work, PIAAC
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2025-20-3

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