Kompetenzunterschiede zwischen Männern und Frauen erklären kaum den Gender Pay Gap

DIW Wochenbericht 10 / 2025, S. 139-146

Jonas Jessen, Lavinia Kinne, Frauke Witthöft

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  • Der Gender Pay Gap hängt mit Unterschieden in Arbeitszeit, Berufswahl und Kompetenzen zusammen
  • PIAAC-Daten zeigen: Frauen haben meist höhere Lese-, Männer höhere Rechenkompetenzen
  • Höhere Grundkompetenzen in Lesen und Rechnen korrelieren mit höheren Stundenlöhnen
  • Kompetenzunterschiede erklären jedoch nur einen geringen Teil der Lohnunterschiede zwischen Geschlechtern
  • Frühzeitige, geschlechtergerechte Förderung in Schulen könnte stereotype Berufs- und Studienwahl aufbrechen

„Um echte Chancengleichheit zu erreichen, müssen wir bereits in der Schule ansetzen und Stereotype in der Berufswahl aufbrechen – etwa durch eine gezielte Förderung von Mädchen in MINT-Fächern und von Jungen in sprachlichen Bereichen“ Lavinia Kinne

Der Gender Pay Gap ist gut dokumentiert und steht oft im Zusammenhang mit Unterschieden in Arbeitszeit und Berufswahl. Jedoch hat bereits die Wahl von Schulfächern, Ausbildungsberufen oder Studiengängen große Auswirkungen auf die Entwicklung von berufsrelevanten Kompetenzen. In diesem Bericht werden mithilfe von Daten des Programme for the International Assessment of Adult Competencies (PIAAC) geschlechtsspezifische Unterschiede in Lese- und Rechenkompetenzen und deren Zusammenhang mit Stundenlöhnen untersucht. In Deutschland, wie in den meisten anderen europäischen Ländern, weisen Frauen im Durchschnitt mittlerweile eine höhere Lesekompetenz als Männer auf. Männer schneiden hingegen nach wie vor besser bei Rechenkompetenzen ab – und das über alle Altersgruppen hinweg. Höhere Grundkompetenzen in Lesen und Rechnen gehen jeweils mit höheren Stundenlöhnen einher. In einer Analyse des Gender Pay Gaps zeigt sich jedoch, dass die dokumentierten Lohnunterschiede nur in einem sehr geringen Maß durch unterschiedliche Kompetenzen zu erklären sind. Da Unterschiede bereits früh auftreten und diese auch die Ausbildungs-, Studienfach- und Berufswahl beeinflussen, sollten Jungen und Mädchen schon in der Schule gleichermaßen gefördert werden. So könnte etwa eine stereotype Berufswahl durch eine verstärkte Förderung von Mädchen in MINT-Fächern und Jungen in sprachlichen Fächern aufgebrochen werden.

Zahlreiche Studien belegen geschlechtsspezifische Unterschiede auf dem Arbeitsmarkt, insbesondere in Bezug auf Gehalt und Arbeitszeit.infoVgl. dazu in dieser Ausgabe des DIW Wochenberichts Fiona Herrmann und Katharina Wrohlich (2025): Gender Pay Gap steigt in allen Bildungsgruppen mit dem Alter stark an. DIW Wochenbericht Nr. 10, 131–137. (online verfügbar); Annekatrin Schrenker und Aline Zucco (2020): Gender Pay Gap steigt ab dem Alter von 30 Jahren stark an. DIW Wochenbericht Nr. 10, 137–145 (online verfügbar); Patricia Gallego Granados, Rebecca Olthaus und Katharina Wrohlich (2019): Teilzeiterwerbstätigkeit: Überwiegend weiblich und im Durchschnitt schlechter bezahlt. DIW Wochenbericht Nr. 46, 846–850 (online verfügbar); Boryana Ilieva und Katharina Wrohlich (2022): Gender Gaps in Employment, Working Hours and Wages in Germany: Trends and Developments Over the Last 35 Years. CESifo Forum, 23, 17–19 (online verfügbar, abgerufen am 21. Februar 2025. Dies gilt für alle Online-Quellen des Berichts, sofern nicht anders vermerkt). Diese sogenannten Gender Gaps stehen oft in Zusammenhang mit verschiedenen Berufen: Frauen arbeiten häufiger in Branchen mit geringer Bezahlung wie der Pflege und anderen sozialen Berufen, wohingegen Männer verstärkt in der Industrie und in Führungspositionen vertreten sind.infoVgl. Virginia Sondergeld, Katharina Wrohlich und Anja Kirsch (2025): Immer mehr Vorständinnen und Aufsichtsrätinnen, aber nach wie vor ein weiter Weg bis zur Geschlechterparität. DIW Wochenbericht Nr. 3, 22–33 (online verfügbar). Zudem ist belegt, dass Frauen einen Großteil der unbezahlten Sorgearbeit innerhalb der Familie übernehmen, während sie gleichzeitig die Stunden bezahlter Arbeit reduzieren.infoClara Schäper, Annekatrin Schrenker und Katharina Wrohlich (2023): Gender Pay Gap und Gender Care Gap steigen bis zur Mitte des Lebens stark an. DIW Wochenbericht Nr. 9, 99–105 (online verfügbar).

Während das Gehalt und die Arbeitszeit vergleichsweise leicht zu erfassen sind, ist es deutlich schwieriger, Kompetenzen im Erwachsenenalter zu messen. Diese Faktoren können jedoch entscheidend zusammenhängen: Unterschiedliche Berufe erfordern verschiedene Arten und Intensitäten von Kompetenzen. Bereits die Wahl der Schul-, Ausbildungs- und Studienfächer führt zwangsläufig zur Spezialisierung und Entwicklung bestimmter berufsrelevanter Kompetenzen. Ebenso können Lebensereignisse wie Elternschaft oder Erkrankungen beeinflussen, wie sich Kompetenzen entwickeln und ob sie erhalten bleiben.infoJérôme Adda, Christian Dustmann und Katrien Stevens (2017): The Career Costs of Children. Journal of Political Economy, 125(2) (online verfügbar). Die geschlechtsspezifische Schulfach-, Ausbildungs- und Berufswahl sowie die Aufteilung von bezahlter und unbezahlter (Sorge-)Arbeit können daher zu Unterschieden im Erwerb, Erhalt und der Förderung berufsrelevanter Kompetenzen führen.

Frauen mit höheren Lesekompetenzen als Männer, aber mit geringeren Rechenkompetenzen

Mithilfe von Daten des Programme for the International Assessment of Adult Competencies (PIAAC) können vergleichbare und repräsentative Maße für Grundkompetenzen von Erwachsenen ausgewertet werden (Kasten). Die internationale Datenerhebung wurde zwischen 2011 und 2018 (erster Zyklus) sowie zwischen 2022 und 2023 (zweiter Zyklus)infoDer Einfachheit halber werden in diesem Wochenbericht für den ersten und zweiten Zyklus die Jahre 2012 und 2023 verwendet, da in diesen Jahren die meisten Erhebungen stattfanden. von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) durchgeführt und misst bei Erwachsenen im Alter von 16 bis 65 Jahren grundlegende und weiterführende Kompetenzen für eine erfolgreiche Teilnahme am gesellschaftlichen Leben sowie am Arbeitsplatz.infoOECD (2019): The Survey of Adult Skills: Reader’s Companion (online verfügbar). Die ermittelten Kompetenzmaße basieren auf den Antworten der Befragten zu verschiedenen Aufgaben wie dem Identifizieren von relevanten Informationen in einem Text (Lesekompetenz) oder Flächenberechnungen (Rechenkompetenz).infoBeispielfragen können auf der Website von PIAAC eingesehen werden (online verfügbar).

Datengrundlagen

Die Analysen beruhen auf dem Programme for the International Assessment of Adult Competencies (PIAAC, auf deutsch Internationale Studie zur Untersuchung von Alltagsfähigkeiten Erwachsener), durchgeführt von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Die erste Welle (genannt PIAAC 2012) fand zwischen 2011 und 2018 in drei Runden und insgesamt 39 Ländern statt, die zweite Welle (PIAAC 2023) in den Jahren 2022/2023 in bisher 31 Ländern, wobei Europa und Nordamerika sehr gut, Länder aus anderen Regionen jedoch kaum abgedeckt sind.

PIAAC richtet sich an Personen im Alter von 16 bis 65 Jahren, die ihren Wohnsitz im entsprechenden Land haben und in einem Privathaushalt leben. Für diese Grundgesamtheit wird eine repräsentative Stichprobe von circa 5000 Personen pro Land erhoben. In Deutschland haben in der ersten Welle 5379 und in der zweiten Welle 4793 Personen teilgenommen.

PIAAC untersucht die Kompetenzen von Erwachsenen im erwerbsfähigen Alter in den Bereichen Lesen, Alltagsmathematik und technologiebasiertes Problemlösen. Von diesen Kompetenzen wird angenommen, dass sie zentral für eine erfolgreiche Teilhabe an der Gesellschaft, dem Berufsleben und dem Aufbau weiterer spezifischer Kompetenzen sind.

Unter Lesekompetenz fällt das Verstehen, Nutzen und Interpretieren von Texten, von einfachen Textnachrichten bis zu komplizierteren Artikeln und Berichten. Alltagsmathematische Kompetenz bezieht sich auf das Abrufen, Verwenden und Interpretieren von mathematischen Informationen, zum Beispiel die Bewertung von Rabatten oder die Berechnung von Mittelwerten. Technologiebasiertes Problemlösen beschreibt die Verwendung von digitalen Technologien zur Suche, Vermittlung und Interpretation von Informationen, zum Beispiel Emails verschicken, Formulare bearbeiten oder die Vertrauenswürdigkeit von Internetseiten beurteilen. Die Kompetenzwerte der Befragten werden auf einer Skala von 500 Punkten angeordnet.

Die Tests dauern im Schnitt 60 bis 75 Minuten und werden von Befragten zuhause am Computer oder auf Papier und unter Anwesenheit eines Interviewers oder einer Interviewerin durchgeführt. Zusätzlich werden die Teilnehmenden noch 40 bis 50 Minuten zu demographischen Daten, Bildung, Erwerbsstatus und der Verwendung von Kompetenzen im Alltag und bei der Arbeit befragt. PIAAC erhebt auch detaillierte Einkommensdaten zum Beispiel zu Stundenlöhnen, allerdings sind diese auf Individualebene nicht öffentlich verfügbar. Stattdessen enthält der frei zugängliche PIAAC-Datensatz Informationen zu Stundenlöhnen in Dezilen. Im ersten Dezil befinden sich jene zehn Prozent der Befragten, die am wenigsten pro Stunde verdienen, im zweiten Dezil jene zehn Prozent, die am zweitwenigsten verdienen und im zehnten Dezil wiederum jene zehn Prozent der Befragten mit dem höchsten Stundenlohn.infoMehr Informationen zu PIAAC 2012 finden sich in Rammstedt et al. (2013): PIAAC 2012. Die wichtigsten Ergebnisse im Überblick. Waxmann, Münster (online verfügbar), sowie zu PIAAC 2023 in Rammstedt et al. (2024): PIAAC 2023. Grundlegende Kompetenzen Erwachsener im internationalen Vergleich. Waxmann, Münster (online verfügbar).

Methodische Vorgehensweise

Der unbereinigte Gender Gap in den Kompetenzen ergibt sich aus der Differenz der durchschnittlichen Kompetenzwerte von Männern und Frauen innerhalb der PIAAC-Wellen und des jeweiligen Landes unter Einbezug von Gewichten, damit die PIAAC-Stichprobe repräsentativ für die Bevölkerung des jeweiligen Landes im Alter von 16 bis 65 Jahren ist. Der Gender Gap nach Altersgruppen ergibt sich wiederum aus der Differenz der durchschnittlichen Kompetenzwerte von Männern und Frauen innerhalb der jeweiligen Altersgruppe (zum Beispiel 16 bis 19 Jahre, 20 bis 24 Jahre und 25 bis 29 Jahre).

Für die Dekompositionsanalyse beginnen wir mit dem unbereinigten Gender Gap in den Kompetenzen. Dieser ist gleichwertig mit dem Koeffizienten von Geschlecht in einer Regression, bei der die Rechen- beziehungsweise Lesekompetenz auf das Geschlecht regressiert wird.

Beim bereinigten Gender Gap werden weitere Variablen in die Regression aufgenommen, die Kompetenzunterschiede zwischen Männern und Frauen erklären könnten:

  • Demografische Charakteristika: Alter und Anzahl der Kinder
  • Bildungsabschluss in sechs Kategorien
  • Berufsfeld und Erwerbstatus: erwerbstätig versus nicht erwerbstätig; im Falle von Erwerbstätigkeit: Berufsfeld auf der ISCO-08- Skala, welche Berufe anhand von Tätigkeiten und Anforderungen in zehn Kategorien klassifiziert (wie Führungskräfte, Techniker*innen, Hilfsarbeitskräfte)
  • Fachrichtung des höchsten Bildungsabschlusses, zum Beispiel Allgemeine Bildungsgänge, Lehramt, Geisteswissenschaften, Naturwissenschaften, Ingenieurwesen, Agrarwissenschaften, Gesundheit, Dienstleistungen

Der Koeffizient für Geschlecht, und damit der bereinigte Gender Gap, spiegelt jetzt Kompetenzunterschiede zwischen Männern und Frauen wider, die in allen anderen berücksichtigten Merkmalen keine Unterschiede aufweisen, also in demselben Berufsfeld arbeiten oder denselben Bildungsabschluss haben.

Die Dekompositionsanalyse für den Gender Gap in den Lohndezilen geht analog zur Dekompositionsanalyse des Gender Gaps in den Kompetenzen vor: Der unbereinigte Gender Gap entspricht dem Koeffizienten von Geschlecht in einer Regression von Lohndezilen auf das Geschlecht. Danach wird diese Regression zunächst um andere Merkmalsunterschiede zwischen Männern und Frauen (demografische Charakteristika, Bildungsabschluss, Berufsfeld, Fachrichtung) und dann zusätzlich um Unterschiede in den Lese- und Rechenkompetenzen ergänzt.

Um die Korrelation von Stundenlöhnen mit Kompetenzen zu zeigen, werden zunächst alle Befragten anhand ihrer Rechen- und Lesekompetenzen in zehn Dezile eingeteilt, wobei die zehn Prozent der Befragten mit den niedrigsten Kompetenzwerten im ersten Dezil sind. Der öffentliche PIAAC-2012- Datensatz enthält ebenfalls Angaben zum Stundenlohndezil der Befragten. Somit lässt sich das durchschnittliche Stundenlohn-Dezil für alle Befragten aus demselben Kompetenzdezil berechnen, jeweils für Lese- und Rechenkompetenzen.

Im Durchschnitt haben Frauen in fast allen der in den PIAAC-Daten ausgewerteten europäischen Länder höhere Lesekompetenzen als Männer. Dies gilt insbesondere für die aktuelle Erhebung von 2023 (Abbildung 1): Nur in Spanien und dem Vereinigten Königreich ist es aktuell umgekehrt. Der Abstand zwischen Frauen und Männern beträgt bis zu elf Punkte in Estland, im europäischen Durchschnitt liegt der Unterschied bei 1,8 Punkten (Frauen haben durchschnittlich 258,5 und Männer 256,7 Punkte, die maximal mögliche Punktzahl beträgt dabei 500). In Deutschland hat zwischen der ersten Erhebung 2012 und der zweiten Erhebung 2023 eine Verschiebung des Gender Gaps in den Lesekompetenzen stattgefunden: Während Frauen im Durchschnitt zunächst ungefähr fünf PIAAC-Punkte hinter den Männern lagen, haben sie in der neuen Erhebung eine im Schnitt um vier Punkte höhere Lesekompetenz.

Bei den Rechenkompetenzen ergibt sich ein gegenteiliges Bild, das sich im Zeitverlauf kaum verändert hat. Männer schneiden hier in allen Ländern der PIAAC-Erhebung besser ab als Frauen, der Abstand betrug im Jahr 2023 bis zu 16 Punkte (Vereinigtes Königreich, Abbildung 1). Deutschland weist hierbei im internationalen Vergleich relativ große Geschlechterunterschiede (14 Punkte) auf, hat aber gleichzeitig über die PIAAC-Zyklen hinweg mit einer Reduzierung des Gender Gaps um vier Punkte eine der größten Bewegungen hin zu ähnlicheren Kompetenzniveaus gemacht. Im europäischen Durchschnitt hingegen sind die großen Unterschiede in den Rechenkompetenzen über die Zeit kaum zurückgegangen.

Geschlechtsspezifische Unterschiede in Rechenkompetenz in allen Altersgruppen

Um den Ursachen für die Kompetenzunterschiede zwischen Männern und Frauen auf den Grund zu gehen, werden im Folgenden die durchschnittlichen Kompetenzpunkte in verschiedenen Altersgruppen betrachtet. So lässt sich feststellen, ob diese Unterschiede erst im Verlauf des Erwerbslebens entstehen – etwa durch unterschiedliche Arbeitszeiten von Männern und FraueninfoVgl. dazu Denise Barth, Jonas Jessen, C. Katharina Spiess und Katharina Wrohlich (2020): Mütter in Ost und West: Angleichung bei Erwerbstätigenquoten und Einstellungen, nicht bei Vollzeiterwerbstätigkeit. DIW Wochenbericht Nr. 38, 700-706 (online verfügbar). – oder ob sie bereits beim Eintritt in den Arbeitsmarkt sichtbar sind.

Betrachtet man sowohl die Erhebungen von 2012 als auch von 2023, haben Männer in Deutschland in allen Altersgruppen höhere Rechenkompetenzen als Frauen (Abbildung 2). Bei Lesekompetenzen gibt es hingegen in keiner Altersgruppe einen statistisch signifikanten Unterschied. Die Ursache liegt darin, dass sich die Unterschiede zugunsten von Männern im Jahr 2012 und Frauen im Jahr 2023 nahezu vollständig ausgleichen.

Diese Analyse deutet darauf hin, dass in der Schulzeit erworbene Kompetenzen die weitere Kompetenzentwicklung von Erwachsenen entscheidend prägen. Andere Lebensereignisse wie Arbeitslosigkeit oder Familiengründung scheinen hingegen bei der Entwicklung der Kompetenzen eine geringere Rolle zu spielen. Dies wird in einer Studie bestätigt, die die Kompetenzentwicklung von Männern und Frauen rund um die Geburt ihres ersten Kindes untersucht. Sie zeigt, dass die Geburt des ersten Kindes keinen geschlechtsspezifischen Einfluss auf die Grundkompetenzen der Eltern hat.infoJonas Jessen, Lavinia Kinne und Michele Battisti (2024): Child Penalties in Labour Market Skills. DIW Discussion Paper 2099 (online verfügbar). Dies widerspricht dem typischen Bild vieler anderer Studien: Frauen erleben nach der Geburt einen erheblichen Rückgang des Gehalts, während es bei Männern unverändert bleibt.infoHenrik Kleven, Camille Landais und Gabriel Leite-Mariante (2024): The Child Penalty Atlas. The Review of Economic Studies. Im Erscheinen (online verfügbar) Patricia Cortés und Jessica Pan (2023): Children and the Remaining Gender Gaps in the Labor Market. Journal of Economic Literature 61(4) (online verfügbar).

Dass Kompetenzunterschiede bereits in der Schulzeit entstehen, wird auch von der mit PIAAC verwandten PISA-Studie gedeckt. Letztere wird seit 2000 alle drei Jahre von der OECD durchgeführt und erfasst die Kompetenzen in Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften von 15-Jährigen. Die letzte Erhebung von 2022 zeigt in Deutschland im Durchschnitt einen Vorteil von elf Punkten für Jungen in Mathematik. Ebenso ist die Lesekompetenz von Mädchen um durchschnittlich 19 Punkte höher als die von Jungen.infoOECD (2023): PISA 2022 Results (Volume I): The State of Learning and Equity in Education, PISA, OECD Publishing (online verfügbar). Sehr früh zeigen sich Geschlechterstereotype: Mädchen unterschätzen – oft grundlos und zum Teil durch Einflüsse ihrer Lehrkräfte – bereits in der 5. Klasse ihre Fähigkeiten in Mathematik im Vergleich zu ihren tatsächlichen Noten, was sich im Laufe ihrer Schullaufbahn noch verfestigt.infoVgl. beispielsweise Michela Carlana (2019): Implicit Stereotypes: Evidence from Teachers’ Gender Bias. Quarterly Journal of Economics, 134(3) (online verfügbar); Felix Weinhardt (2017): Ursache für Frauenmangel in MINT-Berufen? Mädchen unterschätzen schon in der fünften Klasse ihre Fähigkeiten in Mathematik. DIW Wochenbericht Nr. 45, 1009–1014 (online verfügbar). Ebenso entscheiden sich Mädchen noch immer seltener für MINT-Studienfächer. So waren 2022 in Deutschland nur 35 Prozent der Studienanfänger*innen in diesen Fächern Frauen.infoStatistisches Bundesamt (2024): Mehr als ein Drittel der Studienanfängerinnen und -anfänger im MINT-Bereich sind Frauen (online verfügbar).

Verschiedene demografische Merkmale sowie Bildungsabschlüsse erklären nur einen kleinen Teil der Gender Gaps in Alltagskompetenzen

Im Erwachsenenalter erklären beobachtbare Merkmale nur einen kleinen Teil der Kompetenzunterschiede zwischen Männern und Frauen. Im Jahr 2012 betrug die geschlechtsbezogene Differenz bei Lesekompetenzen aller in Deutschland befragten PIAAC-Teilnehmer*innen im Durchschnitt 5,11 Punkte (–4,20 im Jahr 2023, das heißt Frauen schneiden besser ab), in der Kategorie Rechnen lag sie 2012 bei 17,28 Punkten (13,63 im Jahr 2023, jeweils zugunsten der Männer, Abbildung 1).

Diese Unterschiede in den Kompetenzen werden im nächsten Schritt um Unterschiede in Charakteristika wie Bildung, Berufswahl, Kinder oder dem Erwerbsstatus bereinigt. Da die neuesten Daten von 2023 nicht all diese Informationen enthalten, stützt sich diese Analyse auf die erste Befragung aus dem Jahr 2012, die einen Vorteil in den Lese- und Rechenkompetenzen für Männer aufweist.

Die Differenz in den Rechenkompetenzen zwischen Männern und Frauen schrumpft dabei um lediglich 2,4 Punkte (14 Prozent vom Gesamtunterschied), wenn man Geschlechterunterschiede in Bildungsabschlüssen und deren Fachrichtungen sowie Erwerbsstatus, Berufsfeld, Kinder und Altersstruktur statistisch berücksichtigt (ein Rückgang von 17,28 auf 14,88 Punkte, Abbildung 3). Das Alter und die Zahl der Kinder von Männern und Frauen tragen kaum zu diesem Rückgang bei, während Unterschiede im Erwerbsstatus, Berufsfeld und im Bildungsabschluss den größten Anteil ausmachen.

Die deutlich geringere Differenz bei den Lesekompetenzen im Jahr 2012 von 5,11 Punkten zugunsten von Männern lässt sich kaum durch Merkmalsunterschiede erklären. Werden alle Merkmale berücksichtigt, müsste der Unterschied sogar leicht größer ausfallen (um 0,63 Punkte, Abbildung 3). Diese kleine Veränderung ergibt sich aus entgegengesetzten Einflüssen der verschiedenen Kategorien.

Die insgesamt geringe Bedeutung von arbeitsmarktrelevanten Kriterien wie Erwerbsstatus oder Fachrichtung des höchsten Bildungsabschlusses für die Erklärung von Geschlechterunterschieden in Rechen- und Lesekompetenzen unterstreicht die vermutlich hohe Relevanz von früheren Umständen wie Schule und familiärer Prägung. Letztere spielen in Deutschland immer noch eine besondere Rolle für Bildungserfolge und daraus resultierende Arbeitsmarktergebnisse.infoVgl. beispielsweise Ludger Wößmann et al. (2023): Der ifo-„Ein Herz für Kinder“- Chancenmonitor: Wie (un-)gerecht sind die Bildungschancen von Kindern aus verschiedenen Familien in Deutschland verteilt? Ifo Schnelldienst 76(4) (online verfügbar).

Lese- und Rechenkompetenzen mit Gehalt verbunden – Kompetenzunterschiede erklären Gender Pay Gap jedoch kaum

Erwerbstätige mit höheren Bildungsabschlüssen verdienen im Durchschnitt mehr – das belegen zahlreiche Studien. Ebenso können berufsrelevante Kompetenzen in Zusammenhang mit dem Gehalt betrachtet werden. Die öffentlich verfügbaren PIAAC-Daten erlauben aus Datenschutzgründen keine Analyse von Stundenlöhnen, sondern geben für alle Teilnehmenden lediglich die Position in der Lohnverteilung des Landes an (Kasten). Diese Verteilung gliedert sich in absteigender Reihenfolge in zehn Dezile. Wer im zehnten Dezil liegt, verdient am meisten, wer im ersten Dezil liegt, am wenigsten. Ein Dezil zeigt stets, dass alle Personen darunter einen geringeren Stundenlohn haben. So gilt also beispielsweise für alle im siebten Dezil, dass mindestens 60 Prozent der Bevölkerung weniger verdienen.

Eine höhere Rechen- und Lesekompetenz ist in Deutschland stark mit einem höheren Stundenlohn korreliert (Abbildung 4). Vergleicht man Personen am oberen Ende der Kompetenzskala (zehntes Dezil) mit denjenigen in der Mitte (fünftes Dezil), so haben diese Personen auch einen im Durchschnitt um zwei Dezile höheren Stundenlohn (siebtes Dezil statt fünftes Dezil). Deutschland hat im internationalen Vergleich eine der stärksten positiven Korrelationen zwischen Kompetenzen und Gehalt.infoEric A. Hanushek et al. (2015): Returns to Skills around the World: Evidence from PIAAC. European Economic Review, 73 (online verfügbar).

Die Betrachtung der Stundenlöhne nach Dezilen zeigt einen deutlichen Gender Gap. Männer befinden sich durchschnittlich ein Lohndezil höher als Frauen in der gemeinsamen Lohnverteilung (Abbildung 5). Das bedeutet: Zwischen den durchschnittlichen Stundenlöhnen von Frauen und Männern liegen die Stundenlöhne von circa zehn Prozent der Bevölkerung. Berücksichtigt man wiederum die schon zuvor verwendeten beobachteten Merkmale, reduziert sich der Unterschied um 0,08 Dezile. Insgesamt sind Unterschiede im Berufsfeld dabei für den größten Teil der Differenz verantwortlich: Dies zeigt noch einmal den bekannten Befund, dass Frauen in weniger gut bezahlten Branchen arbeiten, was einen Teil von Lohnunterschieden zwischen Männern und Frauen erklärt. Werden Rechen- und Lesekompetenzen zusätzlich berücksichtigt, verringern sich die Unterschiede in den Lohndezilen um weitere 0,09 Prozentpunkte, was knapp 9,3 Prozent des Gesamtunterschieds darstellt. Die Verringerung des Unterschieds ist nahezu komplett durch Unterschiede in den Rechenkompetenzen zu erklären. Insgesamt zeigt sich, dass Differenzen in den beiden gemessenen Kompetenzen nicht die entscheidende Erklärung für den Gender Pay Gap in Deutschland sind, der 2024 16 Prozent betrug.

Fazit: Unterschiedliche Entwicklung von Kompetenzen sollten bereits in der Schule adressiert werden

In Deutschland unterscheiden sich die Grundkompetenzen von Männern und Frauen teils erheblich. Während Männer oft bei Rechenkompetenzen besser abschneiden, sind Frauen bei Lesekompetenzen überlegen oder gleichauf. Die Differenzen in den Rechenkompetenzen treten in Deutschland in allen Altersgruppen über 16 Jahren auf und lassen sich kaum durch beobachtbare Merkmale wie Berufsfeld oder Ausbildung erklären. Dies deutet darauf hin, dass bereits im Schulalter die Basis für die Kompetenzunterschiede gelegt wird und sich diese dann im Berufsleben fortsetzen.

Obwohl Grundkompetenzen im Lesen und Rechnen stark mit dem Gehalt zusammenhängen, können Kompetenzunterschiede von Männern und Frauen kaum den Gender Pay Gap erklären. 2024 verdienten Frauen pro Stunde 16 Prozent weniger als Männer. Unterschiede in den Lese- und Rechenkompetenzen erklären dabei nur einen geringen Teil der Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen, sodass die Kompetenzunterschiede als Haupterklärung für den weiterhin hohen Gender Pay Gap nicht geeignet sind.

Dass Kompetenzunterschiede von Männern und Frauen schon bei sehr jungen Erwachsenen auftreten, wirft die Frage nach den Ursachen auf. Es bleibt wichtig, Mädchen und Jungen bereits im Schulalter gleich zu fördern: Trotz gleicher Lehrinhalte begleiten das Lernen in der Schule noch immer stereotypisierte Zuschreibungen, die erhebliche Kompetenzunterschiede nach sich ziehen können. Dies sorgt auch dafür, dass nach wie vor Männer deutlich häufiger technische Ausbildungsberufe und Studiengänge wählen, wodurch sich diese Unterschiede noch verstärken können. Zudem könnten die weiterhin großen Lohnunterschiede mehr mit berufs- oder sogar firmenspezifischen Kompetenzen zusammenhängen. Die Erfassung solcher spezifischen Kompetenzen sollte daher in zukünftigen Datenerhebungen eine ebenso große Rolle spielen.

Lavinia Kinne

Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Staat



JEL-Classification: I24;J16;J24
Keywords: cognitive skills, gender inequality, PIAAC
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2025-10-3

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