DIW Wochenbericht 25 / 2025, S. 395-402
Stefan Bach, Hermann Buslei, Johannes Geyer, Peter Haan, Joris Pieper
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„Den Selbstständigen wird man die Aktivrente nicht vorenthalten können. Dann entstehen höhere Mitnahmeeffekte. Selbstständige arbeiten häufig im Alter weiter. Dabei lässt sich schwer unterscheiden, ob das aktive Einkünfte von Leuten sind, die im Betrieb arbeiten, oder nur passive Gewinnentnahmen.“ Stefan Bach
Mit der Aktivrente plant die neue Regierungskoalition eine kräftige steuerliche Begünstigung von erwerbstätigen Rentner*innen. Diese sollen bis zu 2000 Euro im Monat steuerfrei hinzuverdienen können. Die Regierung erhofft sich, damit mehr Rentner*innen zum Weiterarbeiten zu motivieren und so dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Mikrosimulationsanalysen auf Basis des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) zeigen, dass zunächst rund 230000 Rentner*innen von der Regelung profitieren würden, vor allem Besserverdienende. Dies würde jährliche Steuermindereinnahmen von 800 Millionen Euro bedeuten. Die Beschäftigungseffekte sind unsicher. Sollten 75 000 zusätzliche Rentner*innen erwerbstätig werden, dürften die Mindereinnahmen durch zusätzliche Steuer- und Beitragseinnahmen kompensiert werden. Die Einbeziehung von Selbstständigen in die Aktivrente würde höhere Mitnahmeeffekte auslösen, dürfte aber aus Gleichbehandlungsgründen notwendig sein.
Die neue Regierungskoalition will eine sogenannte Aktivrente einführen, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken.Verantwortung für Deutschland. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD. 21. Legislaturperiode, 20 (online verfügbar). Der Vorschlag kommt von der Union: CDU, CSU (2025): Politikwechsel für Deutschland. Wahlprogramm von CDU und CSU, 33 (online verfügbar, abgerufen am 5. Juni 2025. Dies gilt auch für alle anderen Onlinequellen dieses Berichts, sofern nicht anders vermerkt). Im Koalitionsvertrag heißt es: „Wer das gesetzliche Rentenalter erreicht und freiwillig weiterarbeitet, bekommt sein Gehalt bis zu 2000 Euro im Monat steuerfrei.“ Damit sollen die Anreize für freiwilliges längeres Arbeiten verbessert und der Übergang in den Ruhestand flexibler gestaltet werden. Da die Rente inzwischen weitgehend besteuert wird, zahlen Rentner*innen eine vergleichsweise hohe Grenzbelastung auf ihre Zusatzverdienste, da durch den progressiven Steuertarif die Steuersätze bei unteren und mittleren Einkommen schnell ansteigen. Die Steuerbefreiung soll unabhängig davon gelten, ob die Silver Worker bereits Altersrente beziehen. Ferner will die Koalition die abhängige Beschäftigung jenseits der Regelaltersgrenze arbeitsrechtlich erleichtern und befristete Weiterarbeit bei bestehenden Arbeitsverhältnissen vereinfachen. Auch die Hinzuverdienstmöglichkeiten bei der Hinterbliebenenrente sollen verbessert werden.Zudem soll geprüft werden, ob die Anrechnungsvorschriften von eigenem Einkommen beim Bezug von Grundsicherung im Alter flexibler gestaltet werden können, so dass die Anreize für Erwerbstätigkeit verbessert werden.
24000 Euro steuerfreies Erwerbseinkommen im Jahr bedeuten eine beträchtliche steuerliche Entlastung für ältere Arbeitnehmende. Zum Vergleich: Geringverdienende in Vollzeit verdienen oft nur wenig mehr.Vollzeiterwerbstätige Arbeitnehmer*innen mit Mindestlohn (12,82 Euro brutto je Stunde 2025) verdienen bei 2000 bezahlten Arbeitsstunden im Jahr 25640 Euro. Der mittlere Bruttojahreslohn (Median) von Vollzeitbeschäftigten lag 2024 in Deutschland bei 52159 Euro, der durchschnittliche Bruttolohn bei 62235 Euro. Statistisches Bundesamt (2025): Pressemitteilung Nr. 134 vom 8. April 2025 (online verfügbar). Mit dieser Begünstigung betritt die schwarz-rote Koalition steuerpolitisches und -rechtliches Neuland. International gibt es kaum vergleichbare Modelle – und wenn, dann fallen die Begünstigungen deutlich geringer aus.Ein Beispiel für eine ähnliche Politik bietet Schweden. Dort wurde ab 2007 die Besteuerung von Arbeitseinkommen deutlich gesenkt, insbesondere für Personen ab 65 Jahren, durch einen „Earned income tax credit“. Die Höhe dieses Abzugsbetrags von der Steuer hängt von den erzielten Einkommen ab und führt zu einer spürbaren Entlastung. Zusätzlich wurden die Sozialbeiträge auf Arbeitseinkommen von Älteren reduziert, um die Arbeitsnachfrage zu erhöhen. Der Arbeitgeberbeitragssatz zu den Sozialversicherungen beträgt derzeit für Jüngere 31,4 Prozent und für Ältere 10,2 Prozent. Die entsprechende Entlastung bei der Beschäftigung Älterer in Deutschland fällt durch den alleinigen Wegfall der eigenen Beiträge der Beschäftigten zur Renten- und Arbeitslosenversicherung deutlich geringer aus. Siehe Lisa Laun (2017): The effect of age-targeted tax credits on labor force participation of older workers. Journal of Public Economics, 152, 102–118 (online verfügbar) und OECD (2024): Tax and benefit policy descriptions for Sweden 2024. OECD descriptions of tax and benefit systems. September 2024 (online verfügbar). In Deutschland ist das Arbeiten über die Regelaltersgrenze hinaus bisher eher die Ausnahme und findet meist in Form geringfügiger Beschäftigung statt. Daher fehlen Erkenntnisse zu möglichen Arbeitsangebotseffekten solcher Reformen bei älteren Personen.
Wie stark sich Beschäftigung, Wachstum und Staatsfinanzen durch die Aktivrente verändern, ist daher höchst unsicher. Die Bundesregierung hofft, mehr Rentner*innen zum Weiterarbeiten zu motivieren. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann sprach im Wahlkampf von mindestens 50000 zusätzlichen Arbeitskräften und perspektivisch Hunderttausenden, die dem Arbeitsmarkt erhalten bleiben.Manfred Schäfers (2024): Was bringt ein Steuerfreibetrag für Rentner? FAZ vom 25. November (online verfügbar).
Zunächst senkt die Aktivrente die Steuerlast für jene, die bereits im Rentenalter arbeiten, was zu unmittelbaren Mindereinnahmen bei der Einkommensteuer führt – also Mitnahmeeffekten. Zusätzliche Beschäftigung im Alter kompensiert dies, sofern die Verdienste über die steuerfreien 2000 Euro im Monat hinausgehen. Ferner fallen zusätzliche Sozialbeiträge, indirekte Steuern und Unternehmenssteuern an, wenn das Bruttoinlandsprodukt steigt und keine bestehende Beschäftigung und Wertschöpfung verdrängt wird.
In diesem Beitrag werden die möglichen Effekte der Aktivrente geschätzt. Mithilfe eines Mikrosimulationsmodells werden die Aufkommens- und Verteilungswirkungen auf Basis der SOEP-Daten von 2022 analysiert.Das Steuer-Transfer-Mikrosimulationsmodell (STSM) enthält komplexe Simulationsmodule zu Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Sozialbeiträgen sowie zu den wesentlichen Sozialleistungen. Viktor Steiner et al.(2012): Documentation of the Tax-Benefit Microsimulation Model STSM. Version 2012. DIW Berlin Data Documentation 63 (online verfügbar). Dafür werden alle wesentlichen Einkunftsarten auf das Jahr 2025 fortgeschrieben. Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Sozialbeiträge werden nach dem geltendem Recht 2025 simuliert.
Die Mikrosimulation bildet die Aktivrente ab, indem für Steuerpflichtige oberhalb der Regelaltersgrenze Arbeitseinkommen bis 24000 Euro im Jahr steuerfrei bleiben. Die übrigen steuerpflichtigen Einkünfte, also vor allem die Alterseinkünfte wie Renten und Pensionen sowie Selbstständigen- und Unternehmenseinkünfte oder Vermögenseinkommen bleiben steuerpflichtig wie bisher. In einem alternativen Szenario wird auch eine Einbeziehung der Selbstständigeneinkünfte in die Aktivrente betrachtet. Für die Sozialversicherungsbeiträge sieht die Aktivrente keine Änderungen vor. Hierzu wird angenommen, dass die aktiven Rentner*innen auf ihre Lohneinkommen nur Arbeitnehmerbeiträge für Kranken- und Pflegekasse bezahlen. Bei den Arbeitgeberbeiträgen fallen gemäß dem geltenden Recht zusätzlich Renten- und Arbeitslosenbeiträge sowie Unfallversicherung und die Umlagen U1 bis U3 (zur Finanzierung der Entgeltfortzahlungen bei Krankheit, Mutterschaft und Insolvenzgeld) an.Personen, die ihre bereits laufende Rente in den Folgejahren noch erhöhen wollen, können auf die Versicherungsfreiheit verzichten und neben den Arbeitgeberbeträgen eigene Beiträge zur Rentenversicherung leisten. Im Jahr 2022 erreichten Teile der Jahrgänge 1956/57 ihre Regelaltersgrenze von 65 Jahren und zehn beziehungsweise elf Monaten. Da das SOEP im Frühjahr erhoben wird, dürften die meisten 66-Jährigen in diesem Jahr das Rentenalter erreicht haben. Daher werden im Folgenden die Beschäftigten ab 66 Jahren, deren steuerpflichtige Arbeitseinkommen jenseits von Minijobs von der Aktivrente profitieren würden, betrachtet.
Im Jahr 2022 arbeiteten laut SOEP-Daten 313000 Menschen ab 66 Jahren sozialversicherungspflichtig, meist in Teilzeit mit gut 20 Wochenstunden (Tabelle 1). Zudem hatten 645000 Personen einen Minijob. Insgesamt waren also 958000 Personen abhängig beschäftigt (Abbildung 1).Diese Zahlen passen gut zur Beschäftigungsstatistik der Bundesagentur für Arbeit, die Mitte 2021 rund 217000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte und 835000 Minijobber*innen ab 67 Jahren angibt. In den letzten zehn Jahren sind die Zahlen gestiegen: 2010 waren es nur 84000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte und 601000 Minijobber*innen. Dazu Deutscher Bundestag, Drucksache 20/1679, 86ff. (online verfügbar). Auch Analysen mit dem Mikrozensus bestätigen die SOEP-Ergebnisse: Demnach gab es 2022 322000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte ab 66 Jahren, die durchschnittlich 27 Wochenstunden arbeiteten, sowie 519000 Minijobber*innen. Forschungsdatenzentrum (FDZ) der Statistischen der Ämter des Bundes und der Länder, Scientific Use File Mikrozensus 2022 (online verfügbar), eigene Berechnungen..
Arbeitnehmer*innen | Selbstständige | Insgesamt | |||
---|---|---|---|---|---|
Sozialversicherungspflichtig | Minijob | Insgesamt | |||
1000 | |||||
Nach Quintilen des äquivalenzgewichteten1 Nettoeinkommens | |||||
1. Quintil | 23 | 98 | 121 | 31 | 151 |
2. Quintil | 68 | 192 | 259 | 63 | 323 |
3. Quintil | 67 | 153 | 220 | 55 | 274 |
4. Quintil | 56 | 136 | 192 | 43 | 235 |
5. Quintil | 100 | 67 | 167 | 80 | 247 |
Insgesamt | 313 | 645 | 958 | 272 | 1230 |
Nach Geschlecht | |||||
Männer | 206 | 305 | 511 | 149 | 660 |
Frauen | 107 | 340 | 447 | 123 | 570 |
Insgesamt | 313 | 645 | 958 | 272 | 1230 |
Nach Altersgruppen, in Jahren | |||||
66 bis 69 | 156 | 337 | 493 | 135 | 629 |
70 bis 74 | 104 | 221 | 324 | 86 | 410 |
75 und älter | 54 | 87 | 141 | 51 | 191 |
Insgesamt | 313 | 645 | 958 | 272 | 1230 |
1 Äquivalenzgewichtet mit modifizierter OECD-Skala, bezogen auf alle Haushalte.
Quelle: Berechnungen des DIW Berlin auf Basis des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP v39).
Die SOEP-Daten zeigen, dass Selbstständige unter den älteren Erwerbstätigen mit 272000 Personen deutlich überrepräsentiert sind. Während sie 2022 laut der Erwerbstätigenrechnung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) beziehungsweise der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (VGR) nur knapp neun Prozent aller Erwerbstätigen ausmachen, lag ihr Anteil im Rentenalter bei 22 Prozent. Der Mikrozensus 2022 nennt sogar 450000 aktive Selbstständige ab 66 Jahren, was 35 Prozent der Erwerbstägigen dieser Altersgruppe entspricht.Vergleiche Fußnote 8. Dies könnte dadurch erklärt werden, dass Selbstständige und Unternehmer*innen häufiger bis ins höhere Alter erwerbstätig sind – sie haben keine feste Altersgrenze, verbinden ihre Arbeit häufig eng mit ihrem Lebensinhalt oder haben teilweise nur geringe Altersversorgungsansprüche aufgebaut.
Betrachtet man die Einkommensquintile des bedarfsgewichtetenVergleiche den Eintrag zum Äquivalenzeinkommen im DIW Glossar (online verfügbar). Haushaltsnettoeinkommens, zeigt sich: Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte im Rentenalter sind überdurchschnittlich oft in der obersten Einkommensgruppe vertreten (Abbildung 2).Das SOEP erlaubt Analysen nach Einkommensgruppen und weiteren sozioökonomischen Merkmalen, allerdings begrenzen die geringen Fallzahlen die Aussagekraft. Bei Minijobber*innen dominieren dagegen die unteren und mittleren Einkommensgruppen im zweiten und dritten Quintil. Männer stellen knapp zwei Drittel der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Rentenalter, während bei den Minijobber*innen das Geschlechterverhältnis ausgeglichen ist (Abbildung 3). Ferner zeigen die Daten, dass sozialversicherungspflichtige Beschäftigte im Rentenalter häufiger höhere Bildungsabschlüsse haben.
Die Mikrosimulation ergibt: Bleibt die Erwerbstätigkeit im Rentenalter wie bisher, profitieren 234000 Steuerpflichtige von der Aktivrente (Tabelle 2). Da geringfügig Beschäftigte keine individuelle Lohnsteuer zahlen und daher nicht begünstigt werden, sind dies im Wesentlichen die sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Diese arbeiten durchschnittlich 22 Stunden pro Woche; über die Einkommensgruppen hinweg gibt es dabei kaum Unterschiede. Vor allem profitieren aktive Rentner*innen mit hohen Gesamteinkommen, deren Lohneinkommen hohen Grenzsteuersätzen unterliegen – in Kombination mit den Alterseinkünften, die inzwischen weitgehend steuerpflichtig sind,Im Rahmen des langfristigen Übergangs zur nachgelagerten Besteuerung der Alterseinkünfte seit 2005 sind die Alterseinkünfte von jüngeren Rentner*innen inzwischen weitgehend steuerpflichtig (§ 22 Nr. 1 a) aa) EStG). Neurentner*innen des Jahres 2025 müssen 83,5 Prozent ihrer Leibrenten versteuern. Für Neurentner*innen des Jahres 2021 waren es 81 Prozent, 2017 waren es 74 Prozent, wobei die jährlichen Rentenanpassungen voll steuerpflichtig sind. sowie mit Vermögenseinkommen und sonstigen Einkünften.
Abhängig beschäftigte Arbeitnehmer*innen ab 66 Jahren
Quintile des äquivalenzgewichteten1 Nettoeinkommens | Steuerpflichtige Personen | Durchschnittliche Wochenstunden | Lohneinkommen | Veränderung Lohn-/Einkommensteuer | ||
---|---|---|---|---|---|---|
1000 | Mio. Euro | Prozent insgesamt | Mio. Euro | Prozent insgesamt | ||
Erstrundeneffekt ohne Beschäftigungswirkungen | ||||||
1. Quintil | 10 | 15 | 61 | 1,1 | −4 | 0,6 |
2. Quintil | 64 | 23 | 171 | 3,0 | −4 | 0,5 |
3. Quintil | 53 | 19 | 524 | 9,1 | −93 | 12,0 |
4. Quintil | 35 | 24 | 741 | 12,9 | −109 | 14,1 |
5. Quintil | 72 | 23 | 4252 | 74,0 | −563 | 72,8 |
Insgesamt | 234 | 22 | 5749 | 100,0 | −774 | 100,0 |
Erhöhung der Beschäftigung um 75000 Personen (41000 Vollzeitäquivalente) | ||||||
1. Quintil | 13 | 15 | 80 | 1,1 | −4 | 0,8 |
2. Quintil | 84 | 23 | 225 | 3,0 | 3 | −0,7 |
3. Quintil | 70 | 19 | 691 | 9,1 | −87 | 19,9 |
4. Quintil | 47 | 24 | 978 | 12,9 | −82 | 18,7 |
5. Quintil | 95 | 23 | 5613 | 74,0 | −268 | 61,3 |
Insgesamt | 309 | 22 | 7588 | 100,0 | −438 | 100,0 |
Erhöhung der Beschäftigung um 150000 Personen (82000 Vollzeitäquivalente) | ||||||
1. Quintil | 16 | 15 | 100 | 1,1 | −3 | 0,7 |
2. Quintil | 105 | 23 | 280 | 3,0 | 10 | −2,4 |
3. Quintil | 88 | 19 | 859 | 9,1 | −82 | 18,7 |
4. Quintil | 58 | 24 | 1215 | 12,9 | −55 | 12,5 |
5. Quintil | 118 | 23 | 6973 | 74,0 | 26 | −6,0 |
Insgesamt | 384 | 22 | 9427 | 100,0 | −103 | 23,5 |
1 Äquivalenzgewichtet mit modifizierter OECD-Skala, bezogen auf alle Haushalte.
Quelle: Berechnungen des DIW Berlin mit dem Steuer-Transfer-Mikrosimulationsmodell STSM auf Grundlage des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP v39).
Die Aktivrente führt nach den Simulationen zunächst zu Mindereinnahmen von 770 Millionen Euro jährlich. Diese Mitnahmeeffekte betreffen Rentner*innen, die bereits über Minijobs hinaus arbeiten.Diese Werte liegen deutlich unter den Schätzungen von Eduard Brüll, Friedhelm Pfeiffer und Nicolas Ziebarth (2024): Analyse der Einkommens- und Beschäftigungswirkungen einer Einführung des CDU-Konzepts der „Aktiv-Rente“. Perspektiven der Wirtschaftspolitik 25 (3–4), 227–232 (online verfügbar). Sie nehmen bei ihren Simulationen an, dass die Aktivrente bereits ab dem Alter von 63 eingeführt würde, und simulieren dadurch auch Mitnahmeeffekte von Personen, die nicht von der Aktivrente profitieren.
Ziel der Aktivrente ist es, die Beschäftigung im Alter zu fördern und den Übergang zwischen Beschäftigung und Rente flexibler zu gestalten. Wie stark die Beschäftigung tatsächlich steigt, ist schwer zu prognostizieren. Das hängt von vielen Faktoren ab: Wie stark können und wollen ältere Menschen auf finanzielle Anreize reagieren? Wie hoch ist die Arbeitsnachfrage? Bisher arbeiten nur wenige Rentner*innen jenseits von Minijobs in höherer Teilzeit oder sogar Vollzeit. Auch international gibt es nur wenig Erfahrungen, die auch nur begrenzt auf Deutschland übertragen werden können. Daher hängt die Schätzung der Beschäftigungseffekte stark von den getroffenen Annahmen ab.
Das erklärt auch, warum bisherige Simulationen zur Aktivrente zu so unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Forschende am ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung übertragen in einer Studie einschlägige Verhaltensanpassungen für jüngere Erwerbstätige aus der Literatur auf die bisher im Rentenalter Erwerbstätigen und kommen damit auf maximal 15000 zusätzliche Beschäftigte.Brüll, Pfeiffer und Ziebarth (2024): a.a.O. Zwei weitere Studien orientieren sich an einer Analyse der Beschäftigungspotenziale Älterer, die das DIW Berlin im Auftrag der Bertelsmann Stiftung erstellt hat.Hermann Buslei, Johannes Geyer und Peter Haan (2024): Beschäftigungspotenziale Älterer – Umfang und Realisierungschancen bis 2035. Gütersloh: Bertelsmann Stiftung (online verfügbar). An dieser Potenzialschätzung anknüpfend simuliert Prognos Szenarien, die zwischen 50000 und 300000 zusätzlichen Beschäftigten schwanken, ohne genau zu spezifizieren, welche Maßnahmen dafür umgesetzt werden müssten.Die Aktivrente ist eine der möglichen Maßnahmen, um das Potenzial zu aktivieren. Hauke Toborg, Stefan Moog und Oliver Ehrentraut (2024): Aktiv in Rente. Volkswirtschaftliche Effekte steigender Erwerbsquoten von Menschen im Rentenbezug. Prognos Studie im Auftrag der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) (online verfügbar). Auch die Berechnungen des Dezernat Zukunft knüpfen an die Studie des DIW Berlin an.Sven von Wangenheim, Saskia Gottschalk und Florian Schuster-Johnson (2025): Wie viel Potenzialwachstum steckt im Koalitionsvertrag? Und was das für den Bundeshaushalt bedeutet. Dezernat Zukunft Policy Paper (online verfügbar) Dort wird Schweden als Orientierungspunkt genutzt, da Erwerbsquoten und Arbeitszeit Älterer in Schweden deutlich höher liegen als in Deutschland. Sie schätzen, dass durch die Aktivrente und andere Maßnahmen des Koalitionsvertrags 75 Prozent des Abstands im Erwerbsvolumen gegenüber Schweden reduziert werden könnten. In Zahlen ausgedrückt bedeutet das einen Anstieg auf 25500 Vollzeitäquivalente pro Jahr und damit 255000 Vollzeitäquivalente bis 2034.
Da diese Annahmen empirisch nur schwer zu begründen sind, wird in diesem Wochenbericht simuliert, wie viele zusätzliche Beschäftigte notwendig wären, um die jährlichen Mindereinnahmen bei der Einkommensteuer von 770 Millionen Euro auszugleichen. Ein Zuwachs von 75000 Personen (41000 Vollzeitäquivalenten) würde die Mindereinnahmen auf 440 Millionen Euro senken – vorausgesetzt, die zusätzlich beschäftigten Rentner*innen verdrängen keine jüngeren Beschäftigten (Abbildung 4).Bei der Simulation werden die steuerpflichtigen Beschäftigten ab 66 Jahren um 75000 Personen nach oben gewichtet. Das ist nicht ganz präzise, da sich die zusätzlichen beschäftigten Rentner*innen vermutlich vor allem aus den bisherigen Minijobber*innen sowie der stillen Reserve rekrutieren. Insoweit letztere vermutlich niedrigere Stundenlöhne und auch Arbeitszeiten haben, werden insoweit die fiskalischen Effekte leicht überschätzt. Gleichzeitig entstünden Mehreinnahmen für den Staat: 640 Million Euro bei Sozialbeiträgen und vorsichtig geschätzte 320 Millionen Euro bei Unternehmenssteuern und indirekten Steuern, das Bruttoinlandsprodukt (BIP) würde um schätzungsweise drei Milliarden Euro oder 0,07 Prozent steigen.Dabei wurde auf Grundlage der aktuellen Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (VGR) eine durchschnittliche Relation der gesamten Wertschöpfung auf den zusätzlichen Arbeitskräfteeinsatz angenommen. Angenommen wird ferner, dass der Kapitalstock nicht ausgeweitet wird und keine weiteren gesamtwirtschaftlichen Multiplikator- und Wachstumseffekte entstehen. Insgesamt könnte der Staat so jährliche Mehreinnahmen von gut 520 Millionen Euro erzielen. Die Mitnahmeeffekte wären damit mehr als ausgeglichen.
Würde die Beschäftigung um 150000 Personen (82000 Vollzeitäquivalente) steigen, sänken die Mindereinnahmen bei der Einkommensteuer auf 100 Millionen Euro. Die Mehreinnahmen bei Sozialbeiträgen stiegen auf 1,3 Milliarden Euro, bei Unternehmenssteuern und indirekten Steuern auf 640 Millionen Euro. Der Staat würde dann jährliche Mehreinnahmen von 1,8 Milliarden Euro erzielen. Das BIP würde um schätzungsweise sechs Milliarden Euro oder 0,14 Prozent wachsen.
Soweit aus Koalitionsvertrag und programmatischen Aussagen der Politik ersichtlich, soll die Aktivrente grundsätzlich nur für Einkommen aus abhängiger Beschäftigung gelten – also für Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit nach § 19 EStG, ohne Versorgungsbezüge wie Pensionen und ähnliche Einkünfte gemäß § 19 Abs. 2 Satz EStG. Damit wären Selbstständige und Unternehmer*innen, die Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb oder selbstständiger Arbeit (zumeist freiberuflicher Tätigkeit) erzielen, ausgeschlossen.
Fraglich ist, ob man Selbstständigen und Unternehmer*innen diese Begünstigung vorenthalten kann. Sie arbeiten häufiger im Rentenalter weiter. Aus verfassungsrechtlicher Perspektive bedeutet das eine erhebliche Ungleichbesteuerung von Einkünften, die man steuer- und wirtschaftspolitisch kaum begründen kann.Vgl. aber Gregor Kirchhof (2023): Aktivrente. Grundgesetzliche Leitlinien einer möglichen Umsetzung. Verfassungsrechtliche Stellungnahme im Auftrag der CDU Deutschlands. September 2023 (online verfügbar). Zudem verschärft sich der Fach- und Arbeitskräftemangel auch im Handwerk und in vielen Dienstleistungsbranchen mit Freiberufler*innen und anderen Selbstständigen. Unternehmen finden immer öfter keine Nachfolger*innen und werden häufig sogar aufgegeben.
Praktisch entstehen eklatante Ungleichbehandlungen und fragwürdige Anreize, wenn Selbstständige von der Aktivrente ausgeschlossen bleiben. Das wird an diesem Beispiel deutlich:
Eine angestellte Ingenieurin arbeitet nach Renteneintritt 20 Stunden pro Woche zum Stundenlohn von 35 Euro weiter. Daraus erzielt sie neben der Rente einen Zusatzverdienst von 35000 Euro brutto im Jahr. Dank der Aktivrente bleiben 24000 Euro steuerfrei.
Ihre gleichaltrige Studienfreundin arbeitet als freiberufliche Ingenieurin ebenfalls in ähnlichem Umfang weiter und erzielt unter Berücksichtigung der Vorsorgeaufwendungen ein ähnliches Honorar, das sie mangels Aktivrente voll versteuern muss. Bei einem Grenzsteuersatz von 35 Prozent zahlt sie auf den Zusatzverdienst 8400 Euro mehr Einkommensteuer als die angestellte Kollegin mit Aktivrente.
Diese Ungleichbehandlung betrifft vor allem Freiberufler*innen und Einzelunternehmer*innen sowie Personengesellschafter*innen. Um von der Aktivrente zu profitieren, müssten sie sich von ihren Auftraggeber*innen anstellen lassen, was zumindest bei kleineren Werkverträgen bürokratisch aufwendig ist.Zudem kann das Nachteile oder Probleme bei der Kranken- und Pflegeversicherung oder Altersvorsorge auslösen, die geregelt werden müssten. Aktive Teilhaber*innen von GmbHs, AGs oder sonstigen Kapitalgesellschaften profitieren hingegen oft direkt, da sie zumeist Arbeitsverträge mit ihrer Firma haben. Hier drohen streitanfällige und kontrollintensive Gestaltungsmöglichkeiten, wenn ältere Teilhaber*innen gemessen an ihrer tatsächlichen Arbeitsleistung ein überhöhtes Gehalt bekommen.
Bezieht man die Unternehmenseinkünfte vollständig in die Aktivrente ein, entstünde ein weiteres Problem: Passive Einkünfte, etwa aus Beteiligungen an Personengesellschaften, würden ebenfalls begünstigt. Dies käme zumeist wohlhabenden Anleger*innen zugute, die an geschlossenen Investmentfonds oder Anlagegesellschaften beteiligt sind. Begünstigt würden ferner Partner*innen von Personengesellschaften, die nicht mehr in der Firma aktiv sind, aber auf ihre Kapitaleinlage Gewinnanteile bekommen.Nach der letzten verfügbaren Einkommensteuerstatistik für das Veranlagungsjahr 2021 (online verfügbar) gab es 4,7 Millionen Steuerpflichtige mit Einkünften aus Gewerbebetrieb, 2,1 Millionen mit Einkünften aus selbstständiger Arbeit und 0,6 Millionen aus Land- und Forstwirtschaft, insgesamt also 7,4 Millionen Steuerpflichtige (dabei werden zusammen veranlagte Paare als ein Steuerpflichtiger gezählt). Nach der Erwerbstätigenrechnung der VGR gab es 2021 nur knapp vier Millionen Selbstständige, die nach dem Schwerpunkt ihrer Erwerbstätigkeit eingestuft werden. Dies deutet an, dass es im erheblichen Umfang Fälle mit passiven Unternehmenseinkünften gibt. Dies würde auch Anreize für entsprechende Engagements setzen. Diese passiven Einkünfte von der Aktivrente auszuschließen würde erheblichen bürokratischen Aufwand bedeuten, da das Finanzamt dann die tatsächliche Arbeitsleistung für die Firma kontrollieren müsste.
Bezieht man die Selbstständigen in die Aktivrente ein, würde das zu deutlich höheren Mitnahmeeffekten und Mindereinnahmen führen. Simulationen ergäben dann Mindereinnahmen bei der Einkommensteuer von 1,5 Milliarden Euro im Jahr. Diese sind aber vermutlich deutlich unterschätzt, da im SOEP die Einkommen der Selbstständigen eher unterrepräsentiert sind und die Beteiligungen an Personengesellschaften nicht präzise erfasst sind. Die Beschäftigungseffekte wären wohl deutlich niedriger als bei den Arbeitnehmer*innen, da Selbstständige ohnehin häufig bis ins hohe Alter arbeiten. Dennoch könnte der Staat durch Mehreinnahmen bei Sozialbeiträgen, Unternehmenssteuern und indirekten Steuern insgesamt ein ausgeglichenes Ergebnis erzielen.
Die demografische Alterung wirft drohende Schatten voraus. Der Renteneintritt geburtenstarker Jahrgänge führt in den nächsten Jahren zu einer erheblichen und kontinuierlichen Abnahme der Erwerbspersonen, die junge Generationen nur teilweise ersetzen können. Die Zuwanderung aus dem Ausland bleibt konstant hoch, kann aber das Defizit nicht vollständig ausgleichen. Daher sollen auch Rentner*innen verstärkt für den Arbeitsmarkt mobilisiert werden. Angesichts der hohen Grenzsteuersätze ist eine Erwerbstätigkeit über die Minijob-Grenze hinaus für sie aktuell nur wenig attraktiv. Denn die gesetzliche Rente ist inzwischen zu einem hohen Anteil steuerpflichtig und weitere Renteneinkünfte wie die Riester-Rente ebenfalls werden besteuert. Daher wundert es nicht, dass es bisher nur wenige Silver Worker gibt, also Ältere, die eine Erwerbstätigkeit nach dem Renteneintrittsalter ausüben.
Die Aktivrente kann helfen, die Beschäftigung auch jenseits des Rentenalters zu fördern. Ihre Beschäftigungseffekte können jedoch nur mit großer Unsicherheit geschätzt werden – und selbst bei optimistischer Schätzung fällt ihr Beitrag gegen den Fachkräftemangel gering aus. Zudem drohen Mitnahmeeffekte, vor allem bei Selbstständigen, denen man die Aktivrente kaum vorenthalten kann.
Die Aktivrente ist kein Ersatz für notwendige Maßnahmen zur besseren Qualifikation und Weiterbildung aller Erwerbspersonen, zum Ausbau der Kinderbetreuung und Pflegeinfrastruktur, zur Verbesserung der Arbeitsanreize durch eine Reform des Ehegattensplittings und zur gezielteren Steuerung der Zuwanderung in den Arbeitsmarkt. Gleichzeitig wird der vorzeitige Erwerbsaustritt weiterhin gefördert, so etwa durch die abschlagsfreie Altersrente nach 45 Beitragsjahren oder durch steuer- und abgabenfreie Aufstockungen bei der Altersteilzeit.Aufstockungen bei der Altersteilzeit sind Arbeitgeberzuschüsse, die das reduzierte Gehalt auf bis zu 70 Prozent des früheren Nettolohns anheben – ohne dass darauf Lohnsteuer oder Sozialabgaben anfallen. Dies passt nicht zu den Zielen der Aktivrente.
Bei den finanziellen Anreizen könnte man noch weiter gehen. So wäre eine direkte Auszahlung der Arbeitgeberbeiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung an die Arbeitnehmer*innen denkbar. Da in diesen Fällen keine Leistungsansprüche erworben werden, könnte dies die Arbeitsanreize stärken und zugleich Mitnahmeeffekte bei Selbstständigen vermeiden. Allerdings würde dies die Sozialversicherungen finanziell schwächen, was jedoch durch einen Steuerausgleich kompensiert werden könnte.
Bei der Kombination von Erwerbstätigkeit und Rente sollte man auch die potenziell steigende Ungleichheit im Blick behalten. Viele Menschen jenseits der Regelaltersgrenze sind aus gesundheitlichen Gründen oder durch die Betreuung von Angehörigen nicht in der Lage weiterzuarbeiten. Zudem muss ihre Qualifikation nachgefragt sein. Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, dass vor allem höherqualifizierte und zumeist gut versorgte Menschen profitieren. Dies deuten auch die hier vorgelegten Analysen an. Die Begünstigung von passiven Gewinneinkommen bei der Einbeziehung von Unternehmenseinkünften verstärkt diese Effekte und bedeutet reine Mitnahmeeffekte – ist aber nur mit hohem Bürokratieaufwand zu vermeiden. Nicht zuletzt kann es das Betriebsklima belasten, wenn gut versorgte Rentner*innen kaum Steuern und auch Sozialbeiträge auf ihre Löhne zahlen, während jüngere Beschäftigte mit mittleren Einkommen weiterhin stark belastet werden, so dass bei ihnen deutlich weniger netto vom brutto bleibt.
JEL-Classification: H24;J26;D31
Keywords: Tax benefits for older employees, incentives to work, revenue and distribution effects
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2025-25-1