Wie der Wohnungsmangel behoben werden kann

Blog Marcel Fratzscher vom 28. Februar 2020

In Deutschland fehlt allerorten bezahlbarer Wohnraum. Das Problem wäre durchaus lösbar. Aber in der Politik mangelt es an Durchsetzungskraft.

Die Debatte um die Wohnungsmarktentwicklung hat – ausgelöst durch starke Mietsteigerungen – erheblich an Fahrt gewonnen. Gerade in Berlin wird die Frage nach dem Wohnungsmarkt mehr und mehr zum Klassenkampf: Auf der einen Seite demonstrieren regelmäßig Tausende Menschen gegen den "Mietenwahnsinn", die sich mit Forderungen wie mehr sozialem Wohnungsbau, der Enteignung großer Wohnungsbaugesellschaften, Spekulationsverboten und Mietendeckel sehr gut anfreunden können. Auf der anderen Seite stehen internationale Investoren, die in Berlin Geld anlegen, Neubauprojekte anschieben und Flächen entwickeln wollen. Nicht selten hört man aus diesen Kreisen Klagen über die überbordende Bürokratie, fehlendes Bauland und das allgemein investorenfeindliche Umfeld, gerade in Berlin. Beide Seiten haben in einigen ihrer Punkte recht, in ihrer einseitigen Betrachtungsweise jedoch unrecht: Eine kluge Wohnungsbaupolitik muss und kann die Brücke zwischen beiden Positionen schlagen.

Dieser Beitrag ist am 28. Februar 2020 in der ZEIT ONLINE–Kolumne Fratzschers Verteilungsfragen erschienen. Hier finden Sie alle Beiträge von Marcel Fratzscher.

Ähnlich hitzig wird die Debatte im Bundestag geführt. Auf der einen Seite stehen konservative VertreterInnen mit ihrer Forderung nach "bauen, bauen, bauen!" – anders sei der Wohnungsknappheit nicht zu begegnen. Gefordert werden weitreichende Deregulierungen und Vereinfachungen des Baurechts, die beschleunigte Ausweisung von Bauflächen, die steuerliche Förderung des Mietwohnungsbaus sowie eine ablehnende Haltung gegenüber sozialem Wohnungsbau und Mietregulierungen – derartige Eingriffe wären Gift für das Investitionsklima. Immerhin werden jährlich 250 Milliarden Euro für die Sanierung und den Neubau von Wohnungen investiert.

Auf der anderen Seite stehen soziale Argumente, die vor allem die kurzfristigen Folgen für die Bevölkerung in den Blick nehmen. Der Anstieg der Wohnkosten führe zu sozialen Härten. Haushalte würden zu stark belastet und an den Stadtrand verdrängt. Gefordert werden in erster Linie strengere Mieterschutzgesetze: Regelungen wie die Mietpreisbremse, der Mietendeckel, Zweckentfremdungsverbote und Baugebote auf brachliegenden Flächen, um die Spekulation mit Bauland zu verhindern. Zudem wird der Wunsch laut, öffentliche, zumindest aber gemeinwohlorientierte Investoren wie Wohnungsbaugenossenschaften zu stärken.

Die skizzierten Positionen scheinen zunächst sehr unversöhnlich. Allerdings sind sie nüchtern betrachtet weniger widersprüchlich. Klar ist, dass Wohnungsmarktzyklen erhebliche Auswirkungen auf die Teilhabe ganzer Bevölkerungsschichten am gesellschaftlichen Leben haben. Ähnlich wie bei einem "Schweinezyklus" werden Wohnungen erst mit großer zeitlicher Verzögerung neu am Markt angeboten. Steigt die Nachfrage stark an, schießen die Mieten erheblich in die Höhe und über das Maß hinaus, das sich langfristig einstellen würde. Da die Folgen dieser Entwicklungen weit über die reine Zuteilung von Wohnraum hinausgehen, ist es auch eine sozialpolitische Aufgabe, die zyklischen Schwankungen auf dem Wohnungsmarkt zu stabilisieren.

Eine zentrale Aufgabe der öffentlichen Hand ist es, für hinreichend große Flexibilität auf der Angebotsseite zu sorgen: Kommunen müssen vorausschauend Bauflächen bereithalten, entwickeln und dem Wohnungsmarkt zur Verfügung stellen. Baurechtliche Anforderungen und Genehmigungsprozesse müssen so gestaltet sein, dass auf Nachfragetrends zeitnah reagiert werden kann. Hierzu gehört neben einheitlichen Baustandards und vereinfachten Genehmigungsverfahren auch eine entsprechende personelle Ausstattung in den Bauämtern. In all diesen Bereichen gibt es in Deutschland Nachholbedarf. Die Hausaufgaben für die Politik sind klar: Bauen attraktiver zu machen und Prozesse zu beschleunigen. Ihre Wirkung entfalten entsprechende Änderungen aber erst mittelfristig.

Aber selbst wenn die Flexibilität seitens der Angebote relativ hoch wäre, dürfte es zu erheblichen Preisschwankungen kommen, wenn ein unerwartet starker Zuzug in bestimmte Regionen stattfindet. Davon profitieren VermieterInnen, ohne dass sie an den Kosten der Entwicklung beteiligt werden. Diese Gewinne könnte man einfach besteuern und die Einnahmen für neue Wohnungsbauprojekte verwenden. Die Hauszinssteuer in der Weimarer Republik beispielsweise wurde verwendet, um experimentelle Wohnkonzepte wie die des Bauhaus zu finanzieren. In solchen Situationen können aber auch regulierende Eingriffe in den Wohnungsmarkt sinnvoll sein, weil sie kurzfristige Preisübertreibungen unterbinden. Allerdings sind sie nur dann eine Option, wenn sie die Attraktivität von Neubauinvestitionen nicht schmälern.

Mietpreisbremse als Beispiel für einen ausgewogenen Eingriff

Gefragt sind ausgewogene Interventionen, die einerseits zyklische Preisspitzen entschärfen und andererseits Investitionen attraktiv halten. Die Mietpreisbremse ist dafür ein gutes Beispiel. Sie gilt für Bestandswohnungen und nicht für neu errichtete Gebäude. Sollten in regulierten Wohnungen Modernisierungen anstehen, dann sind entsprechende Mietsteigerungen möglich. Und auch den steigenden Kosten der Instandhaltung wird Rechnung getragen, da die Mietobergrenze nicht ein Preisniveau festschreibt, sondern an die Entwicklung der ortsüblichen Vergleichsmiete geknüpft ist. Die Evaluierung der Mietpreisbremse hat gezeigt, dass das Instrument sehr wohl in der Lage ist, die Mietenentwicklung leicht zu dämpfen, und gleichzeitig Investitionen begünstigt. Wissenschaftliche Studien kommen zu dem Ergebnis, dass mit Einführung der Mietpreisbremse die Attraktivität von Neubauinvestitionen tendenziell zugenommen hat und die Haushalte in den unteren Einkommensgruppen tendenziell von der Regulierung profitieren. Regulierungen sind also nicht per se nicht schädlich. Im Gegenteil, sie können im Mix einzelner Maßnahmen einen Beitrag zur Lösung des Wohnungsmarktproblems leisten.

Ebenso falsch wie eine grundlegende Ablehnung regulierender Eingriffe ist es, sich allein auf diese Politik zu verlassen. Auch wenn neu gebaut wird und Mieten reguliert sind, stellt sich für viele Haushalte mit geringen Einkommen nach wie vor die grundlegende Frage des Marktzugangs. Ausländisch klingende Nachnamen, untypische familiäre Konstellationen oder prekäre Arbeitsverhältnisse: Haushalte, die nicht dem Ideal oder schlimmer noch der Norm entsprechen, haben es ungleich schwerer, eine Wohnung zu finden. Die Wohnraumversorgung auch für diese Bevölkerungsgruppen zu sichern ist eine wichtige staatliche Aufgabe. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich der Staat allerdings massiv aus dem sozialen Wohnungsbau zurückgezogen, was sich immer deutlicher als Fehler erweist. Zusätzliches Wohnraumangebot für Personen mit Problemen im Marktzugang muss aber nicht zwingend allein staatlich organisiert werden. Neben zusätzlichen öffentlichen Investitionen können auch gemeinwohlorientierte Investoren eine stabilisierende Rolle ausfüllen, wie beispielsweise Wohnungsbaugenossenschaften. Wichtig ist, dass Kommunen diese Aspekte in ihren Planungs- und Genehmigungsprozessen berücksichtigen.

Alles in allem gibt es nicht die eine Patentlösung für die aktuellen Entwicklungen auf dem Wohnungsmarkt. Der Mix aus regulierenden Eingriffen wie Mietpreisbremse und sozialem Wohnungsbau und langfristig investitionsbelebenden Maßnahmen macht‘s. Viel wäre gewonnen, wenn sich dies auch in der politischen Debatte niederschlagen würde und die teils hysterisch-konfrontative Aufregung einer nüchterneren, pragmatischeren Betrachtung weichen würde. Die Mieter- und die Investorenseite würden es der Politik gleichermaßen danken. Die richtigen Lösungen liegen auf der Hand, es mangelt aber offensichtlich am politischen Durchsetzungswillen und der Unterstützung der Zivilgesellschaft.

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