DIW Wochenbericht 10 / 2020, S. 137-145
Annekatrin Schrenker, Aline Zucco
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„Die Politik muss Anreize setzen, damit sich die Wochenarbeitszeit von Frauen und Männern angleicht. Dies würde auch den Gender Pay Gap reduzieren.“ Annekatrin Schrenker, Studienautorin
Die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen nimmt mit steigendem Lebensalter zu. Bei Beschäftigten unter 30 Jahren beträgt der Abstand im durchschnittlichen Bruttostundenlohn neun Prozent, bis zum Alter von 50 Jahren verdreifacht sich die Verdienstlücke auf 28 Prozent. Grund für den Anstieg sind Unterschiede im Erwerbsverhalten: Während Frauen ab 30 häufig familienbedingt ihre Arbeitszeit reduzieren und in Teilzeit arbeiten, weiten Männer ihre Stundenzahl im selben Lebensabschnitt eher noch aus. Da Teilzeitarbeit im Schnitt pro Stunde schlechter bezahlt ist und Teilzeitbeschäftigte seltener Führungspositionen bekleiden, bleiben die mittleren Löhne von Frauen zwischen 30 und 50 nahezu konstant, wohingegen sie bei Männern über das Alter weiter steigen. Um dieser Lohnschere in Zukunft entgegenzuwirken, sind politische Anreize zur Förderung einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf wichtig. Beispiele wären neue Arbeitszeitmodelle wie „Top-Sharing“, also das Aufteilen einer Führungsposition auf zwei Teilzeitkräfte, sowie eine Ausweitung der Partnermonate beim Elterngeldbezug.
Anlässlich des Frauentages am 8. März rücken Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern wieder in den Fokus der politischen Diskussion. So erhalten Frauen im Durchschnitt 21 Prozent niedrigere Löhne als Männer.Statistisches Bundesamt (2019): Verdienstunterschied zwischen Frauen und Männern 2018 unverändert bei 21 Prozent. Pressemitteilung Nr. 0098 vom 14. März 2019 (online verfügbar) Gender Gaps zeigen sich nicht nur in den tatsächlichen Löhnen, sondern auch beim Gerechtigkeitsempfinden mit Blick auf LöhneVgl. dazu in dieser Ausgabe des DIW Wochenberichts Jule Adriaans, Carsten Sauer und Katharina Wrohlich (2020): Gender Pay Gap in den Köpfen: Männer und Frauen bewerten niedrigere Löhne für Frauen als gerecht. DIW Wochenbericht Nr. 10, 147–152 (online verfügbar). und in den Lohnerwartungen.Vgl. dazu in dieser Ausgabe des DIW Wochenberichts Christoph Breunig, Iuliia Grabova, Peter Haan, Felix Weinhardt und Georg Weizsäcker (2020): Gender Gap in Lohnerwartungen. DIW Wochenbericht Nr. 10, 153–158 (online verfügbar). Der Unterschied im durchschnittlichen Bruttostundenlohn zwischen Männern und Frauen wird auch als unbereinigter Gender Pay GapBei den Begriffen Lohnlücke, Verdienstlücke und Verdienstabstand bezieht sich dieser Bericht wenn nicht anders ausgewiesen auf den unbereinigten Gender Pay Gap. In der Literatur wird zwischen dem unbereinigten und dem angepassten beziehungsweise bereinigten Gender Pay Gap unterschieden. Der Glossareintrag „Gender Pay Gap“ des DIW Berlin bietet weitere Informationen zu den verschiedenen Definitionen des Gender Pay Gaps (online verfügbar). bezeichnet.
Diese Verdienstlücke ergibt sich zum Beispiel dadurch, dass Frauen in BerufenKatharina Wrohlich und Aline Zucco (2017): Gender Pay Gap innerhalb von Berufen variiert erheblich. DIW Wochenbericht Nr. 43, 955–961 (online verfügbar). und BetriebenClaudia Finke, Florian Dumpert und Martin Beck (2017): Verdienstunterschiede zwischen Männern und Frauen. WISTA: Wirtschaft und Statistik. Nr. 2, 43–62. Corinna Frodermann, Alexandra Schmucker und Dana Müller (2018): Entgeltgleichheit zwischen Frauen und Männern in mittleren und großen Betrieben. IAB Forschungsbericht Nr. 3/2018 (online verfügbar). mit geringerem Lohnniveau arbeiten und seltener in höheren beruflichen Positionen vertreten sind als Männer.Dieser Zusammenhang wird auch „Gender Leadership Gap“ genannt, weitere Informationen zu diesem Thema sind dem Glossareintrag des DIW Berlin zu entnehmen (online verfügbar). Auch institutionelle Rahmenbedingungen spielen eine Rolle. So variiert der Gender Pay Gap zum Beispiel je nach RegionMichaela Fuchs, Anja Rossen, Antje Weyh und Gabriele Wydra-Somaggio (2019): Unterschiede in der Lohnlücke erklären sich vor allem durch die Betriebslandschaft vor Ort. IAB-Kurzbericht Nr. 10 (online verfügbar). sowie zwischen Berufen mit geringer und mit hoher Tarifbindung.Aline Zucco (2019): Große Gender Pay Gaps in einzelnen Berufen hängen stark mit der überproportionalen Entlohnung von langen Arbeitszeiten zusammen. DIW Wochenbericht Nr. 10, 127–136.(online verfügbar).
Vor allem aber lassen sich die Verdienstlücken durch unterschiedliche Erwerbsbiografien erklären. Frauen haben im Schnitt längere familienbedingte Erwerbsunterbrechungen und arbeiten häufiger in Teilzeit.Finke et al. (2017), a.a.O. Somit stellt sich die Frage, inwieweit das Erwerbsleben von Frauen und Männern mit der Geburt von Kindern in Zusammenhang steht und ob damit eine Veränderung des Gender Pay Gaps über den Lebensverlauf einhergeht. In dieser Studie wird deshalb der Gender Pay Gap mit Daten der Verdienststrukturerhebung (Kasten 1) für verschiedene Altersgruppen untersucht. Zudem werden in diesem Kontext mögliche Determinanten, wie beispielsweise die unter Frauen stärker verbreitete Teilzeiterwerbstätigkeit, analysiert. Neben Alterseffekten spielen zusätzlich auch Kohorteneffekte eine Rolle (Kasten 2). Die vorliegende Analyse differenziert nicht zwischen Alters- und Kohorten-Effekten, so dass bei einem Vergleich jüngerer und älterer Beschäftigter stets beide Effekte eine Rolle spielen.
Die Analyse basiert auf den Daten der Verdienststrukturerhebung (VSE) für das Jahr 2014. Bei der VSE handelt es sich um verknüpfte Befragungsdaten von Arbeitgebern und ArbeitnehmerInnen, die alle vier Jahre vom Statistischen Bundesamt erhoben werden. Der Datensatz enthält neben Angaben über ArbeitnehmerInnen (z.B. Bruttolohn, Arbeitsstunden, Geschlecht und Bildung) und Arbeitgeber (z.B. Unternehmensgröße und privates oder öffentliches Unternehmen) auch Informationen über die berufliche Tätigkeit (z.B. Leistungsgruppe, Schichtarbeit oder Überstunden). Der Datensatz umfasst abhängig Beschäftigte in Haupt- und Nebenbeschäftigungen aber keine Selbstständigen. Insgesamt umfasst die letzte Welle 2014 Daten zu mehr als einer Million ArbeitnehmerInnen in mehr als 60000 Betrieben.
Basierend auf der VSE wird der geschlechts- und altersspezifische Bruttostundenlohn berechnet. Dieser ergibt sich als Quotient aus dem Bruttomonatslohn und den 4,3-fachen Wochenstunden. Der Gender Pay Gap stellt den relativen Lohnunterschied zwischen dem Stundenlohn der Männer und den Frauen dar. Der sich in diesem Bericht angegebene Teilzeit anteil beruht auf der Angabe des Betriebs und bezieht sich auf eine Abweichung von der betriebsüblichen Vollzeit arbeitszeit.
Um das durchschnittliche Alter bei der Geburt des ersten Kindes zu berechnen, wird auf die Mikrozensuswellen der Jahre 2014 bis 2016 zurückgegriffen. Diese Kennziffer gibt an, wie alt Mütter und Väter waren, die 2014 ihr erstes Kind geboren haben. Beim Mikrozensus handelt es sich um eine jährliche Haushaltsbefragung von über 800000 Personen in mehr als 350000 Haushalten. Somit umfasst dieser Querschnitts datensatz knapp ein Prozent der deutschen Bevölkerung.
Zur Berechnung der Lohnentwicklung von kinderlosen Beschäftigten und solchen mit Kindern werden zusätzlich Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) herangezogen. Im SOEP werden jährlich dieselben Personen befragt, so dass man über den Lebenszyklus verfolgen kann, welche Frauen kinderlos geblieben sind. In die Berechnungen fließen alle abhängig beschäftigten Frauen und Männer zwischen 25 und 40 Jahren (ohne Selbstständige). Grundlage für die Analyse sind die Befragungswellen 2014–2017, wobei die Stunden löhne aller Jahre zwecks Vergleichbarkeit anhand des Verbraucherpreisindexes in 2014 Preise umgerechnet wurden. Außerdem wurden die SOEP-Gewichtungsfaktoren verwendet, um repräsentative Aussagen für die Gesamtbevölkerung treffen zu können.
Die vorliegende Analyse differenziert nicht zwischen Alters- und Kohorteneffekten, da die Daten der Verdienststrukturerhebung dies nicht zulassen. Das bedeutet für diese Analyse, dass die Unterschiede zwischen jüngeren und älteren ArbeitnehmerInnen auf zwei Effekte zurückzuführen sind: auf altersbedingte Verhaltensänderungen und auf Unterschiede in der Zusammensetzung jüngerer und älterer Geburtskohorten, also den Geburtsjahrgängen. So verfügen jüngere Kohorten auf Grund der Bildungsexpansion über durchschnittlich höhere Bildungsabschlüsse und damit verbunden auch höhere Einkommen. Da Frauen davon stärker profitieren als Männer, unterscheiden sich jüngere Geburtsjahrgänge hinsichtlich ihrer Bildung im Durchschnitt weniger als Frauen und Männer älterer Jahrgänge. Neben ungleichen Erwerbsverläufen tragen diese Kohorteneffekte ebenfalls zu Unterschieden im Gender Pay Gap über verschiedene Altersgruppen hinweg bei.
Bei der Betrachtung des Gender Pay Gaps über das Alter kann man gut erkennen, dass die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen nicht konstant ist, sondern mit dem Alter ansteigt (Abbildung 1). Während die Lohnlücke in Deutschland zwischen Männern und Frauen bei den 25- bis 30- Jährigen noch bei etwa neun Prozent liegt, steigt sie danach kontinuierlich bis zum Alter von 49 Jahren an und pendelt sich bei 28 Prozent ein. Dies entspricht in etwa einer Verdreifachung des Gender Pay Gaps. Weiterhin lässt sich erkennen, dass der gesamtdeutsche Trend insbesondere durch die Entwicklung in Westdeutschland geprägt ist. In Ostdeutschland steigt der Gender Pay Gap zwar ebenfalls mit dem Alter, jedoch verläuft der Anstieg deutlich moderater: Die Verdienstlücke bei den unter 30-Jährigen liegt bei sechs Prozent, steigt daraufhin bis zum Alter von 42 Jahren auf 15 Prozent an und stabilisiert sich dann bei zwölf Prozent. Dies entspricht immerhin noch einer Verdopplung des Gender Pay Gaps im Alter zwischen 25 und 55 Jahren.
Um die Gründe für diesen Anstieg der Verdienstlücke zu verstehen, lohnt es sich, die Entwicklung der Stundenlöhne von Männern und Frauen getrennt zu betrachten (Abbildung 2). Für Gesamtdeutschland lässt sich erkennen, dass der starke Anstieg des Gender Pay Gaps im Lebensverlauf daher rührt, dass sich ab dem Alter von 30 Jahren Männer- und Frauenlöhne anders entwickeln. Während sowohl Männer als auch Frauen zwischen 25 und 30 noch ähnliche Lohnzuwächse erzielen, ändert sich dies ab einem Alter von 30 Jahren: Männerlöhne steigen bis zum Alter von 49 Jahren weiter bis auf durchschnittlich 23 Euro pro Stunde, das entspricht einem jährlichen Lohnzuwachs von etwa 1,8 Prozent. Dagegen bleibt der Durchschnitt der Frauenlöhne zwischen 30 und 49 Jahren konstant zwischen 15 und 16 Euro, der jährliche Zuwachs beträgt lediglich 0,4 Prozent. Betrachtet man nur Westdeutschland, zeigt sich ein ähnliches Bild. In Ostdeutschland hingegen entwickeln sich die Löhne von Männern und Frauen über den Lebensverlauf relativ ähnlich. Somit ist der Anstieg des Gender Pay Gaps über das Alter in (West-)Deutschland im Wesentlichen auf zwei Punkte zurückzuführen: Erstens auf die stark ansteigenden Männerlöhne und zweitens auf die nahezu konstanten Frauenlöhne. Die Befunde dieser Analyse bestätigen die Ergebnisse einer aktuellen Studie, die zeigt, dass der Gender Pay Gap vornehmlich in wirtschaftsstarken westdeutschen Regionen mit hohen Männerlöhnen sehr ausgeprägt ist, während er in Regionen mit geringeren Männerlöhnen relativ klein ausfällt.Michaela Fuchs, Anja Rossen, Antje Weyh, Gabriele Wydra-Somaggio (2019): Why do women earn more than men in some regions? Explaining regional differences in the gender pay gap in Germany. IAB-Discussion Paper Nr. 11. Fuchs et al. (2019), a.a.O.
Die unterschiedliche Lohnentwicklung von Männern und Frauen ab 30 Jahren hängt unter anderem mit der ungleichen Wochenarbeitszeit zusammen (Abbildung 3). Hierbei wird zunächst offensichtlich, dass Frauen bereits in jungen Jahren deutlich häufiger in TeilzeitIm Folgenden bezieht sich die Definition von Teilzeit darauf, ob der oder die Beschäftigte weniger als die betriebsübliche Wochenarbeitszeit arbeitet. arbeiten als Männer, sich diese ungleichen Erwerbsverläufe ab einem Alter von etwa 30 Jahren aber zudem erheblich verstärken. So arbeiten im Alter zwischen 25 und 27 Jahren knapp 20 Prozent der Männer in Teilzeit, bei den Frauen sind es gut 30 Prozent. Während Männer ihre Arbeitszeit dann tendenziell erhöhen und im Alter von 40 Jahren zu fast 90 Prozent in Vollzeit arbeiten, zeichnet sich für Frauen ein entgegengesetztes Bild. Ab etwa 30 Jahren steigt der Teilzeitanteil unter Frauen kontinuierlich an, so dass im Alter von 40 Jahren 62 Prozent der Frauen in Teilzeit arbeiten, die Vollzeitquote sinkt entsprechend auf 38 Prozent. Die starke Veränderung in den Erwerbsverläufen von Männern und Frauen fällt dabei zeitlich in etwa mit der Geburt des ersten Kindes zusammen. Das durchschnittliche Alter der Mütter bei der Geburt des ersten Kindes betrug zuletzt 30 Jahre. Dies entspricht in etwa dem Zeitpunkt, ab dem die Lohnentwicklung für Frauen erkennbar abflacht und Frauen gleichzeitig vermehrt in Teilzeitjobs arbeiten. Für Väter ist ein solcher Zusammenhang hingegen nicht erkennbar. Ungeachtet dessen, dass Männer Väter werden – im Durchschnitt erstmalig im Alter von 33,5 Jahren – scheint dies weder ihr Erwerbsverhalten noch ihre Lohnentwicklung spürbar zu beeinflussen.
Betrachtet man die Entwicklung von Teilzeitarbeit um den Zeitpunkt der ersten Geburt getrennt für West- und Ostdeutschland, lassen sich zwei Befunde ableiten (Abbildung 4): Erstens bestätigt sich sowohl für West- als auch für Ostdeutschland, dass eine familienbedingte Reduzierung der Arbeitszeit eher „Frauensache“ zu sein scheint. Der Teilzeitanteil unter Männern Mitte 30 ist in Ost- und Westdeutschland nahezu konstant, während er für Frauen deutlich ansteigt, so dass mit 35 Jahren über die Hälfte aller Frauen in Ost (54 Prozent) und West (51 Prozent) in Teilzeit arbeitet. Zweitens ist erkennbar, dass sich diese Entwicklung des Teilzeitanteils unter Frauen in Westdeutschland in der zweiten Lebenshälfte fortsetzt, während sie in Ostdeutschland wieder rückläufig ist. So steigt der Teilzeitanteil unter westdeutschen Frauen zwischen 35 und 40 weiter auf 64 Prozent an und verharrt dann bei etwa 60 Prozent. Im Osten hingegen verbleibt der Teilzeitanteil bis zum Alter von 40 Jahren nahezu konstant bei 54 Prozent und sinkt anschließend wieder. In Ostdeutschland arbeiten somit knapp 60 Prozent aller 50-jährigen Frauen wieder in Vollzeit. Diese Ergebnisse legen nahe, dass neben regionalen Unterschieden im Anstieg der Männerlöhne auch das unterschiedliche Erwerbsverhalten von Frauen in den alten und neuen Bundesländern dazu beiträgt, dass der Gender Pay Gap in Ostdeutschland weniger stark mit dem Alter zunimmt als in Westdeutschland.
Doch führt eine familienbedingte Reduzierung der Arbeitszeit tatsächlich zu einem niedrigeren Lohnwachstum der Frauen? Dazu kann man die Lohnprofile von kinderlosen Frauen, die in Vollzeit arbeiten, hinzuziehen, da sich diese in ihren Erwerbsverläufen am wenigsten von Männern unterscheiden (Abbildung 5). Es zeigt sich, dass sich die Löhne von Frauen ohne familienbedingte Teilzeitarbeit zwischen 25 und 40 Jahren fast identisch zu den Männerlöhnen entwickeln. Dies deutet darauf hin, dass Unterschiede im Lohnwachstum von Männern und Frauen zumindest teilweise auf die vermehrte Teilzeiterwerbstätigkeit von Frauen zurückzuführen sind. So haben bereits frühere Studien des DIW Berlin ein Lohngefälle zwischen Teilzeit- und Vollzeitarbeitskräften dokumentiert.Patricia Gallego Granados, Rebecca Olthaus und Katharina Wrohlich (2019): Teilzeiterwerbs tätigkeit: Überwiegend weiblich und im Durchschnitt schlechter bezahlt. DIW Wochenbericht Nr. 46, 845–850. Die durchschnittliche Stundenlohnlücke zwischen teilzeit- und vollzeitbeschäftigten Frauen betrug im Jahr 2017 rund 17 Prozent. Jedoch können kinderlose Frauen, die in Vollzeit arbeiten, nur bedingt als Vergleichsgruppe hinzugezogen werden, da auch Selektionseffekte eine Rolle spielen. Das bedeutet, dass Frauen mit besonders hohen Verdienstaussichten auch mit höherer Wahrscheinlichkeit kinderlos bleiben, da sie entweder bewusst auf Kinder verzichten oder die Entscheidung, ein Kind zu bekommen, vergleichsweise länger aufschieben.
Teilzeitarbeit wirkt sich jedoch nicht in allen Berufen nachteilig auf die Lohnentwicklung aus.Siehe für Deutschland Zucco (2019), a.a.O. und für die USA Claudia Goldin (2014): A Grand Gender Convergence: Its last Chapter. American Economic Review, 104 (4), 1091–1119. So führt Teilzeit vor allem in Berufen mit einer sogenannten nichtlinearen Entlohnung zu geringeren Stundenlöhnen. Gemeint sind Berufe, in denen der Lohn mit der Anzahl der Arbeitsstunden überproportional ansteigt.
Zu diesen Berufen mit nichtlinearer Entlohnung, in denen Vollzeitarbeit besonders stark entlohnt wird, zählt beispielsweise der Versicherungs- und Finanzdienstleistungsberuf. Hier zeigt sich das Teilzeit-Lohn-Gefälle besonders stark, analog weist dieser Beruf auch große Gender Pay Gaps auf: So besteht im Versicherungs- und Finanzdienstleistungsberuf auch über den Lebensverlauf ein klarer Zusammenhang zwischen familienbedingter Arbeitszeitreduzierung von Seiten der Frauen und der wachsenden Lohnschere zwischen den Geschlechtern (Abbildung 6). Bei Berufseinstieg – im Alter zwischen 25 und 27 Jahren – arbeiten über 90 Prozent der Frauen und Männer im Versicherungs- und Finanzdienstleistungssektor in Vollzeit, auch gibt es keine geschlechtsspezifische Verdienstlücke. Dies ändert sich deutlich um den durchschnittlichen Zeitpunkt der Geburt des ersten Kindes. Bis zum Alter von 34 Jahren arbeitet bereits ein Drittel der Frauen in Teilzeit, der Gender Pay Gap klettert auf knapp 25 Prozent. Männer in diesem Berufsfeld bekommen einerseits deutlich später ihr erstes Kind als Frauen, im Durchschnitt erst mit 36 Jahren, andererseits reduzieren Männer auch danach nicht merklich ihre Arbeitszeit, der Teilzeitanteil bleibt bis ins Alter nahezu unverändert bei unter sieben Prozent. Dies spiegelt sich deutlich in der Lohnentwicklung wider. Im Alter von 40 Jahren verdienen Männer im Versicherungs- und Finanzdienstleitungssektor bereits 31 Prozent mehr pro Stunde als ihre gleichaltrigen Kolleginnen, von denen mittlerweile knapp 60 Prozent in Teilzeit arbeiten. Zwischen 30 und 50 Jahren beträgt das jährliche Lohnwachstum rund zwei Prozent für Männer, für Frauen hingegen nur 0,6 Prozent. Eine 50-jährige Beschäftigte im Versicherungs- und Finanzdienstleistungsberuf verdient somit im Durchschnitt denselben Stundenlohn (23 Euro) wie ein 30-jähriger Beschäftigter. Dies lässt darauf schließen, dass für diese Berufsgruppe Vollzeitarbeit überproportional entlohnt wird.
Dagegen zählt der Erziehungs- und Sozialarbeitsberuf zu den Berufen mit einer relativ linearen Entlohnung, in dem sich die Stundenlöhne von Voll- und Teilzeitbeschäftigten kaum unterscheiden. Für diesen Beruf zeigt sich, dass sowohl der Stundenlohn als auch der Teilzeitanteil über alle Altersgruppen hinweg für Frauen nahezu konstant ist (Abbildung 6). Auch für Männer zeigt sich in diesem Beruf bis zum Alter von 43 Jahren ein relativ konstantes Lohnniveau, das nur geringfügig über dem der Frauen liegt, obwohl auch in diesem Beruf Männer überwiegend in Vollzeit arbeiten.In diesem Beruf ist die Anzahl der Männer in den höheren Altersklassen zu gering, um eindeutige Schlüsse zwischen dem Zusammenhang von Teilzeitarbeit und Lohnentwicklung zu ziehen. Damit wird die lineare Beziehung zwischen Arbeitsstunden und Löhnen deutlich, denn der höhere Teilzeitanteil von Frauen im Vergleich zu Männern spiegelt sich nicht generell in einem geringeren Lohnniveau für Frauen wider. Tatsächlich verdienen Frauen im Erziehungs- und Sozialarbeiterberuf unter Kontrolle beobachtbarer VariablenDie Verdienstlücke unter Kontrolle beobachtbarer Unterschiede wird auch bereinigter oder angepasster Gender Pay Gap genannt. Kontrolliert wird hierbei auf Alter, Betriebszugehörigkeit, Befristung, Führungsposition, Betriebsgröße und Bildung. im Schnitt sogar zwei Prozent mehr als Männer.Werte zur Linearität der Entlohnung und dem bereinigten oder angepassten Gender Pay Gap basieren auf Zucco (2019), a.a.O.
Die erheblichen Unterschiede zwischen diesen beiden exemplarischen Berufen unterstreichen, dass das Teilzeit-Lohn-Gefälle stark zwischen den Berufen schwankt. Dies lässt sich unter anderem dadurch erklären, dass Teilzeitbeschäftigte in Berufen mit nichtlinearer Entlohnung seltener Führungspositionen bekleiden als Vollzeitbeschäftigte.In Branchen, die tendenziell linearer entlohnen, ist zum Beispiel die Führung in Teilzeit eher möglich, siehe Susanne Kohaut und Iris Möller (2016): Führungspositionen in der Privatwirtschaft: Im Osten sind Frauen öfter an der Spitze. IAB-Kurzbericht Nr. 2/2016.
Die vorliegende Untersuchung hat aufgezeigt, dass der Gender Pay Gap ab dem Alter von 30 Jahren, dem typischen Alter der Frauen bei Geburt des ersten Kindes, deutlich ansteigt. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass dies an die unterschiedliche Entwicklung von Teilzeitarbeit gekoppelt ist. Während sich der Anteil teilzeitbeschäftigter Männer über das Alter hinweg kaum ändert, steigt der Teilzeitanteil der Frauen ab 30 Jahren bedeutend an und bleibt bis zum Alter auf einem konstant hohen Niveau. Die Geburt von Kindern hängt somit stark mit der beruflichen Entwicklung von Frauen zusammen. Hingegen scheint sie den Karriereverlauf von Männern kaum zu berühren. Da Teilzeitarbeit im Durchschnitt schlechter bezahlt ist, trägt diese Diskrepanz dazu bei, dass sich bestehende Lohnungleichheiten über das Alter weiter verstärken, was sich letztendlich in einer Verdreifachung des Gender Pay Gaps zwischen 30 und 50 Jahren niederschlägt. Dies hat auch bedeutende Implikationen für die geschlechtsspezifische Rentenlücke, den „Gender Pension Gap“, da geringere Lebenseinkommen gleichzeitig die Rentenanwartschaften reduzieren, womit sich Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt bis ins Rentenalter zementieren.Anna Hammerschmid und Carla Rowold (2019): Gender Pension Gaps in Europa hängen eindeutiger mit Arbeitsmärkten als mit Rentensystemen zusammen. DIW Wochenbericht Nr. 25, 439–447.
Um der Lohnlücke in Zukunft entgegenzuwirken, müssten Männer und Frauen ihre Arbeitsstunden insbesondere in den karriererelevanten Jahren zwischen 30 und 40 deutlich angleichen. Tatsächlich entspricht dies schon heute dem Wunsch vieler ArbeitnehmerInnen. So möchten viele Teilzeitbeschäftigte gern ihre Arbeitszeit ausweiten, Vollzeitbeschäftigte lieber reduzieren.Max Harnisch, Kai-Uwe Müller und Michael Neumann (2018): Teilzeitbeschäftigte würden gerne mehr Stunden arbeiten, Vollzeitbeschäftigte lieber reduzieren. DIW Wochenbericht Nr. 38, 837–846.
Einerseits könnten deutliche politische Impulse für eine gleichberechtigte Aufteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit gesetzt werden. Dies könnte beispielsweise durch eine Ausweitung der Partnermonate beim Elterngeld erreicht werden. Eine aktuelle Studie zeigt, dass Väter, die Elternzeit nehmen, längerfristig mehr Sorgearbeit leisten.Marcus Tamm (2019): Fathers’ parental leave-taking, childcare involvement and labor market participation. Labour Economics 59, 184–197. Auch ein Ausbau der Ganztagsschulbetreuung könnte in erheblichem Maße dazu beitragen, den Arbeitsumfang von Frauen mit schulpflichtigen Kindern zu erhöhen. Eine weitere politische Stellschraube wäre eine Reform des Ehegattensplittings, das in seiner jetzigen Form eine ungleiche Aufteilung der Arbeitsstunden zwischen Mann und Frau durch größtmögliche Steuerentlastung belohnt.Stefan Bach, Johannes Geyer, Peter Haan und Katharina Wrohlich (2019): Reform des Ehegattensplittings: Nur eine reine Individualbesteuerung erhöht die Erwerbsanreize deutlich. DIW Wochenbericht Nr. 41, 13–19. Allerdings hat sich in der Vergangenheit gezeigt, dass es für solche Reformvorschläge bisher keine gesellschaftliche und politische Mehrheit gibt, obwohl Forschungsarbeiten nunmehr seit Jahrzehnten auf die negativen Arbeitsanreize des Ehegattensplittings für Zweitverdiener hinweisen.
Darüber hinaus können auch Arbeitgeber durch flexible Arbeitszeitmodelle zu einer Angleichung des Erwerbsumfangs von Männern und Frauen beitragen. Konzepte wie das sogenannte Top-Sharing, also das Aufteilen einer Führungsposition auf zwei Teilzeitkräfte, wird oft als Instrument zur Frauenförderung diskutiert. Von der Möglichkeit, auch in Teilzeit verantwortungsvolle Führungsaufgaben zu übernehmen, profitieren jedoch auch Männer, die bei einer partnerschaftlichen Aufteilung von Sorgearbeiten bisher berufliche Nachteile befürchten mussten.
Nicht zuletzt ist es jedoch auch Aufgabe der ArbeitnehmerInnen selbst, sich für eine Angleichung der Arbeitsstunden von Frauen und Männern einzusetzen, anstatt in traditionelle Verhaltensmuster zu verfallen. Eine Veränderung der Arbeitsorganisation mittels Top-Sharing setzt die Bereitschaft der ArbeitnehmerInnen voraus, Arbeit an KollegInnen abzutreten und sich verzichtbar zu machen. Im Gegenzug erfordert ein stärkeres Engagement von Vätern bei der Kinderbetreuung, dass auch Frauen Verantwortung abgeben.
Ob die heute 30-jährigen Frauen im Alter von 50 Jahren auch 28 Prozent weniger verdienen oder ob sich die Erwerbsverläufe von Männern und Frauen bis dahin angleichen, bleibt somit in der Hand von allen: Politik, Arbeitgebern und ArbeitnehmerInnen.
Themen: Verteilung, Ungleichheit, Gender, Arbeit und Beschäftigung
JEL-Classification: J16;J31;J13;J11
Keywords: Gender Pay Gap, part-time employment
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2020-10-2
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/219351