Die Corona-Krise darf nicht mit der Befeuerung der Klimakrise bezahlt werden

Bericht vom 5. Mai 2020

Ein Gastbeitrag in Makronom – Online-Magazin für Wirtschaftspolitik von Claudia Kemfert, Dorothea Schäfer und Willi Semmler.

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Die Corona-Krise darf kein Alibi für die Nichteinhaltung der Klimaschutzziele sein. Vielmehr müssen längerfristige staatliche Konjunkturhilfen auch die grüne Transformation anschieben.

Dass Europa nach der Corona-Krise ein Wiederaufbau-Programm braucht, ist unter Ökonomen weitestgehend Konsens. Umstritten ist allerdings, welchen Umfang ein solches Programm haben und wie es finanziert werden soll – und wenn überhaupt wird nur am Rande erwähnt, im Zuge des Wiederaufbaus auch die notwendige klimagerechte Transformation voranzutreiben.

In diesem Beitrag wollen wir den Zusammenhang von Wiederaufbau und Klimaschutz weiter ausführen. Besonders wichtig ist dabei, jene Fehler zu vermeiden, die bei der Lösung der Finanzmarkt- und Staatsschuldenkrise gemacht wurden. Zwei Lehren sollten unbedingt befolgt werden: Erstens darf die Corona-Krise kein Alibi für die Nichteinhaltung der Klimaschutzziele sein. Längerfristige Hilfen des Staates zur Ankurbelung der Wirtschaft müssen die grüne Transformation anschieben und sie nicht behindern. Zweitens müssen die Politikerinnen und Politiker den Euroraum als Ganzes im Blick haben.

Was die Umsetzung dieser beiden zentralen Lehren im Einzelnen bedeutet, führen wir nun genauer aus.

Corono-Aufbauprogramm muss den Übergang zum grünen Wirtschaftssystem anschieben

Dass die Pandemie die Weltwirtschaft hart treffen und eine Rezession historischen Ausmaßes verursachen wird, ist unter Konjunkturprognostikern weitestgehend Konsens. Dabei hat die Corona-Krise viele Mitgliedsländer des Euroraums ziemlich unvorbereitet getroffen. Speziell das Gesundheitssystem steht vieler Orts am Rande des Zusammenbruchs. Große Kosteneinsparungsrunden nach den Privatisierungen der 1990er Jahre haben Gesundheitssysteme ohne Reserven zur Abfederung von Schocks hinterlassen. Die fiskalpolitische Austeritätspolitik nach der Finanzkrise 2008-2009 hat auch die öffentlich finanzierten Systeme und Systembereiche ausgezehrt, vor allem in Italien und Spanien.

Klar ist: Wissenschaft und Forschung, das Gesundheits- und Sozialwesen müssen gestärkt werden, damit wir vergleichbare Krisen besser bewältigen können. Klar sollte aber auch sein: Die Rettungsschirme müssen so aufgespannt werden, dass sie der Umstellung der Wirtschaft auf zukunftsfähige Technologien Vorschub leisten.

Was heißt das konkret?

1. Investitionen sollten den Umbau der Energieversorgung hin zu erneuerbaren Energien und Energieeinsparung fördern.

Staatliche Fördermittel sollten daran gekoppelt sein, dass Unternehmen von der Nutzung fossiler Energie auf klimaschonende Energiequellen und Technologien umsteigen. Die aus einem Staatsfonds finanzierten möglichen Beteiligungen an Unternehmen sollten nach strengen Kriterien erfolgen, die sich an Systemrelevanz und Klimaschutz orientieren. Abwrackprämien für Ölheizungen sollten gekoppelt werden mit Aufbauprogrammen für klimaschonende Gebäudeenergie, zum Beispiel dem Einsatz von Wärmepumpen oder der Nutzung erneuerbarer Energien. Programme für Green Hospitals sollten gestärkt werden, die zum Ziel haben, die Energieversorgung in Krankenhäusern flächendeckend effizient und klimaschonend zu gewährleisten und die dabei die Abfallvermeidung und das Recycling mit einbeziehen.

2. Den „Neustart“ nach der Pandemie sollten wir dazu nutzen, Verkehr dauerhaft zu vermeiden, zu verlagern und zu verbessern.

Durch Covid-19 ist aktuell fast die gesamte Mobilität zum Erliegen gekommen. Auf fossilen Energien basierende Mobilität muss reduziert und auf erneuerbare Energien umgestellt werden. Um die Pariser Klimaziele zu erfüllen, brauchen wir nicht mehr, sondern sehr viel weniger Fahrzeuge mit fossilem Verbrennungsmotor. Werden sie heute gekauft, produzieren sie über 15 Jahre klimagefährliche Emissionen, Stickoxid und Feinstaub.

Die Bilanz der Abwrackprämie aus dem Jahr 2009 ist verheerend. Mit fünf Milliarden Euro war sie nicht nur enorm teuer, sie führte auch zu Vorzieh- und Mitnahmeeffekten. Die konjunkturelle Wirkung hielt sich in Grenzen, da die deutschen Autobauer die Fahrzeuge zu weit überwiegenden Teilen im Ausland verkauften. Und sie erwies sich auch als sozial ungerecht: Zwei Millionen Autokäufer bekamen 2.500 Euro geschenkt, finanziert von 27 Millionen Steuerzahlern. Ein Drittel der Bevölkerung in Deutschland kann sich gar kein Auto leisten. Die Abwrackprämie war und ist das Sinnbild der sozialen Ungerechtigkeit gepaart mit klimapolitischer Unsinnigkeit.

Staatliche Hilfsgelder sollten dem Schienenverkehr und im Öffentlichen Personennahverkehr zugutekommen, und dabei an die Bedingung geknüpft sein, dass Ökostrom zum Einsatz kommt und vermehrt Elektrofahrzeuge eingesetzt werden. Zwingend ist zudem, dass auch der Schiffs-, Flug- und Schwerlastverkehr auf klimaschonende Antriebe umgestellt werden. Kurzstreckenflüge sollten komplett abgeschafft und stattdessen Zugschnellfahrstrecken ausgebaut werden. Die Investitionen in die Schieneninfrastruktur sollten mindestens verdreifacht werden.

3. Alle Wirtschaftsbereiche müssen der Ressourcenschonung und dem Klimaschutz Priorität einräumen.

Winter- und Sommertourismus-Wirtschaft müssen ihre Defizite im Klimaschutz beseitigen. Auch die Landwirtschaft kann klimaneutral gestaltet werden. Dafür gibt es eine Vielzahl an sinnvollen Detailmaßnahmen, die im Zuge der Bewilligung von Fördergeldern dringend eingefordert werden müssen.

4. Kriselnde Eurostaaten müssen bei der Umsetzung klimafreundlicher Politiken unterstützt werden.

Die Forderung, die Corona-Krise durch einen Europäischen Solidarfond oder ähnliche Konstruktionen abzufangen, steht seit Beginn der Krise in der Debatte. Anknüpfend an frühere Vorschläge zu Euro-Bonds soll der Solidarfonds durch Corona-Bonds finanziert werden. Diese Forderung geht insbesondere von den EU-Ländern aus, die von der Finanzkrise stark betroffen waren und daher ohnehin bereits eine hohe Staatsverschuldung aufweisen. Deren finanzieller Spielraum ist für die notwendigen weitreichenden Aufbauprogramme zu klein – und die Versuchung, den klimafreundlichen Umbau der Volkswirtschaften auf die lange Bank zu schieben, somit umso größer.

Zur Unterstützung dieser Länder hat die EU-Staatengemeinschaft bereits einige Maßnahmen auf den Weg gebracht,  die jedoch weithin als zu kurz gegriffen angesehen werden. Die Diskussion um Alternativen und Unterfütterung dieser Maßnahmen ist mittlerweile unter Ökonomen voll entbrannt. Die diskutierten Optionen reichen von einer direkten Finanzierung der Staaten durch die Europäische Zentralbank bis hin zur Ausgabe von gemeinsamen Anleihen („Corona-Bonds“ oder „European Recovery Bonds“). Aus unserer Sicht spricht eine Reihe von Gründen für die gemeinsame Anleihefinanzierung.

Erstens kann die Gemeinschaftsanleihe direkt von der EZB aufgekauft werden. Ein Teil der Bonds könnte ausdrücklich als gemeinsame Greenbonds ausgegeben werden, deren Einnahmen nur für klimaschonende Investitionen verwendet werden dürfen. Das Ziel der Staaten, nach der Überwindung der Gesundheitskrise ihre Volkswirtschaften wieder anzuschieben, würde so effektiv mit dem Klimaschutz verbunden. Gleichzeitig würde eine Risikominderung (de-risking) von Staatsanleihen vorgenommen. Der EU-Raum und einzelne EU-Staaten würden dadurch bei dem zu erwartenden Anstieg der Staatsschulden weniger unter Kapitalflucht leiden und von Schuldenkrisen bedroht werden – die gemeinsamen Anleihen wären dem Risiko der spekulativen Attacken nicht ausgesetzt. Sie würden nicht mehr von ausländischen Investoren gehalten, sondern von der eigenen Zentralbank.

Eine solche Finanzpolitik wird seit mehr als einem Jahrzehnt in Japan verfolgt. Das Risiko von Kapitalflucht ist so enorm reduziert worden. Die japanische Zentralbank kauft die Anleihen auf, und bringt so die Risikoprämien (und Zinsspannen) unter Kontrolle. Dieses Verfahren der Risikominderung wird von einer Reihe von international bekannten Ökonomen als gangbarer Weg auch für Italien angesehen.

Die Fehler der Staatsschuldenkrise der Jahre 2010-15 sollten unter keinen Umständen wiederholt werden. Nach der Überwindung der Corona-Krise darf es nicht erneut zu einer erzwungenen Austeritätspolitik kommen. Bei individueller Kreditaufnahme wird die Asymmetrie in den Schuldenständen der Euroländer weiter zunehmen. Man muss kein Prophet sein um vorherzusagen, dass allen jetzigen Solidaritätsbekundungen zum Trotz für die weniger verschuldeten Länder ex post die Versuchung groß sein wird, den stark verschuldeten Ländern erneut den „Schwarzen Schulden-Peter“ zuzuschieben.  Diese Zeitinkonsistenz ist es, die hinter dem Misstrauen gegenüber den Vorschlägen der europäischen Finanzminister zur individuellen Kreditaufnahme steckt, und lässt sich nur nachhaltig durch eine gemeinsame Schuldenaufnahme für die Bewältigung der Corona-Krise aufheben.

Nach den kurzfristigen europäischen Rettungsprogrammen gegen die Pandemie muss ein langfristiges Aufbau- und Transformationsprogramm hin zu einem europäischen grünen Wirtschaftssystem kommen.  Beides, kurzfristiges Pandemie- und langfristiges grünes Transformationsprogramm, sollten mit gemeinsamen Anleihen finanziert werden.

Fazit

Zur Überwindung der Krise braucht es lenkende Impulse und entschlossene Investitionsbereitschaft vom Staat. Das war schon in der Finanzkrise 2008/2009 so und gilt auch in der Corona-Krise. Ob Steuerstundung, Kurzarbeitsgeld oder zinslose Darlehen – staatliche Unterstützung kann langfristig ökonomische Risiken reduzieren und wirtschaftliche Chancen eröffnen. Auch in der Klimakrise sind Investitionen und Staatshilfen für den notwendigen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft notwendig und sinnvoll. Deswegen ist es angebracht, schon jetzt – also noch inmitten der aktuellen Corona-Krise – mitzudenken, wie wir die drohende Klimakrise verhindern oder zumindest abmildern können. Sonst machen wir den Fehler von 2009 ein zweites Mal: In der Finanzkrise hatte man Konjunkturprogramme angeschoben und Finanzhilfen gegeben, die die Weiterverwendung einer bereits zu diesem Zeitpunkt veralteten und klimaschädigenden Technik befördert haben. Die Rechnung haben wir zehn Jahre später in Form von nicht erreichten Klimazielen massiven Stickoxid-Problemen in den Städten erhalten.

Wir wären klug beraten, diesmal nicht erneut den „Reset“-Knopf zu drücken, wenn die Pandemie abflaut und die Betriebe wieder ihr Geschäft aufnehmen. Im Klimaschutz kann es nicht einfach so weitergehen, als wenn nichts passiert wäre. Sonst bezahlen wir die Rettung aus der Corona-Krise mit der Befeuerung der Klimakrise.

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