Der Boomer-Soli ist keine Zumutung, sondern gelebte Solidarität

Blog Marcel Fratzscher vom 28. Juli 2025

Unser Vorschlag zum Boomer-Soli hat eine kontroverse und verzerrte Debatte ausgelöst. In diesen vier Punkten liegen die Kritiker*innen falsch.

"Die Rente ist sicher" – dieses Versprechen hat der damalige Bundessozialminister Norbert Blüm vor 40 Jahren auf dem Bonner Marktplatz plakatiert. Es hat sich fest in das ikonografische Gedächtnis der alten Bundesrepublik eingebrannt. Heute kann unsere Gesellschaft dieses Versprechen nicht mehr erfüllen. Dass es zur demografischen Schieflage kommen wird, wenn die geburtenstarken Babyboomer-Jahrgänge in Rente gehen, ist schon seit Langem absehbar. Dazu reiche "Volksschule Sauerland", kommentierte das ein anderer Sozialminister schon vor 20 Jahren lakonisch: Franz Müntefering.

Diese Kolumne von Marcel Fratzscher erschien am 25. Juli 2025 auf ZEIT ONLINE in der Reihe Fratzschers Verteilungsfragen.

Jetzt kommen die Einschläge bedrohlich näher, und die neue schwarz-rote Koalition duckt sich weg. Sie will die Belastungen vor allem bei den Jüngeren und Erwerbstätigen abladen, indem sie die Rentenbeiträge und den Bundeszuschuss zur Rente kräftig erhöht. Zwar will sie längeres Arbeiten im Alter mit der Aktivrente fördern. Aber zugleich traut sie sich nicht, die abschlagsfreie "Rente mit 63" für sehr langjährig Versicherte zu streichen oder Abschläge für die übrigen Frührentner zu erhöhen. Und auch das würde der Rentenkasse nur wenig helfen. Spätestens ab Mitte der 2030er-Jahre wird das Renteneintrittsalter wohl weiter erhöht werden müssen. Dies wird die Belastungen nur mildern, nicht beseitigen.

Steigende Kosten und schwindende Sicherheit

Wenn man die Belastungen gleichmäßiger auf Erwerbstätige und Ruheständler*innen verteilen will, muss man auch das Rentenniveau kürzen. Das wird viele enttäuschen, vor allem bekommen das Menschen mit geringen Alterseinkünften zu spüren. Das Armutsrisiko unter Rentner*innen ist schon überdurchschnittlich hoch geworden in den vergangenen Jahren. Es wird weiter steigen.

Da liegt es nahe, in der älteren Generation umzuverteilen und die finanziellen Kosten der Alterung nicht nur auf die junge Generation abzuwälzen. Dazu haben wir im DIW Berlin die Einführung eines Boomer-Solis vorgeschlagen. Diese Studie hat eine kontroverse und auch verzerrte Debatte ausgelöst.

Belastet würde nur das einkommensstärkste Fünftel

Die Kernaussage: Der Boomer-Soli ist ein effektives, zielgenaues und flexibles Instrument, um zwei zentrale gesellschaftspolitische Ziele zu erreichen: die Renten bei Geringverdienenden und Mittelschichten zu stärken, Altersarmut zu verringern und gleichzeitig die Kosten dafür nicht durch eine noch stärkere Umverteilung von Jung zu Alt zu finanzieren.

Er sieht vor, sämtliche Einkommen im Alter – also Renten, Beamtenpensionen, Betriebs- und Privatrenten und auch Vermögenseinkommen – oberhalb eines Freibetrags mit beispielsweise zehn Prozent zu besteuern. Diese Einnahmen sollen ausschließlich dazu verwendet werden, geringe Alterseinkünfte aufzustocken. Die etwa 40 Prozent der Rentner*innen mit geringen Einkommen könnten so netto mehr Rente erhalten. In den unteren Mittelschichten würden keine Rentenkürzungen drohen. Moderat belastet, in Höhe von unter dem Strich maximal drei bis vier Prozent, würde in erster Linie das einkommensstärkste Fünftel.

Es geht um Umverteilung, keine Mehrbelastung

Ein erster Kritikpunkt lautet, der Boomer-Soli belaste Rentner*innen zusätzlich. Das ist offensichtlich falsch: Die Babyboomer-Generation wird als Ganzes nicht stärker belastet. Es wird umverteilt innerhalb der älteren Generation – von Reich zu Arm.

Kein Bruch mit Rentenversprechen

Eine zweite häufig geäußerte Kritik lautet, der Boomer-Soli sei ein Bruch mit Rentenversprechen. Das stimmt so pauschal jedoch nicht. Mit der Abschaffung des Nachhaltigkeitsfaktors verlässt die Bundesregierung das Grundprinzip des Umlageverfahrens, wonach das Rentenniveau angesichts der demografischen Entwicklung sinken müsste. Der eigentliche Bruch mit dem Versprechen findet also zulasten der Jungen statt, nicht zulasten der Babyboomer. Das gilt auch in Bezug auf notwendige Steuererhöhungen zur Finanzierung des höheren Bundeszuschusses, mit denen man steigende Beitragslasten der Erwerbstätigen vermeiden will – etwa bei der Mehrwertsteuer oder bei den Vermögensteuern.

Altersarmut könnte um ein Viertel sinken

Der Boomer-Soli erfüllt hingegen ein zentrales Versprechen der sozialen Sicherung: Menschen im Alter ein auskömmliches Einkommen zu gewährleisten und vor allem vor Armut zu schützen. Die Altersarmut könnte deutlich sinken, um rund ein Viertel. Der Boomer-Soli ist kein Bruch, sondern eine Möglichkeit, zentrale gesellschaftliche Versprechen besser einzulösen.

Grundsicherung und Wohngeld wirken nur begrenzt

Dass die demografischen Probleme kommen werden, wissen wir schon seit Jahrzehnten. Sinnvoll wäre es gewesen, vor 40 Jahren zu beginnen, für die großen Babyboomer-Kohorten Rückstellungen zu bilden, wie das jeder ordentliche Kaufmann gemacht hätte. Aber diese Chance ist vertan. Jetzt muss man mit den Folgen leben.

Natürlich gibt es die Grundsicherung im Alter und das Wohngeld, um die Armut zu reduzieren. Aber beides wirkt nur begrenzt. Etwa die Hälfte der älteren Menschen nimmt sie nicht in Anspruch – aus Unkenntnis, Scham oder Angst vor dem Rückgriff auf Angehörige, oder auch, weil die Beantragung kompliziert ist und viele überfordert sind.

Die Besserverdienenden leben länger

Was auch nicht zur Kenntnis genommen wird: Besserverdiener*innen haben eine höhere Lebenserwartung. Daher findet in den Alterssicherungssystemen eine beträchtliche Umverteilung zulasten der Armen statt. Insoweit kann man eine moderate Umverteilung zulasten der gut versorgten Ruheständler*innen auch versicherungsmathematisch gut begründen. 

Nur ein kleiner Teil würde den Soli bezahlen

Ein dritter Kritikpunkt richtet sich gegen mögliche Fehlanreize: Der Boomer-Soli setze falsche Anreize und benachteilige Vorsorgebewusste. Das ist nicht ganz falsch. Aber auch hier ist wichtig: Nur ein kleiner Teil der sehr gut versorgten Babyboomer wäre überhaupt nennenswert vom Soli betroffen. Die unteren 40 Prozent würden profitieren. Die Belastung für Spitzenverdienende wäre vergleichsweise moderat und dürfte Anreize zur privaten Vorsorge kaum reduzieren. Über Details der Belastungshöhe könnte man reden, etwa wenn es um ergänzende Alterssicherung oder private Vermögen und deren Erträge geht.

Haushalts- und Familienzusammenhang müsste einbezogen werden

Viertens wird angeführt, es gäbe bessere Alternativen, etwa den Grundrentenzuschlag. Dieser existiert bereits seit 2021 und erreicht etwa 1,3 Millionen Menschen, die durchschnittlich 92 Euro im Monat erhalten. Der Boomer-Soli hingegen würde achtmal mehr Rentner*innen mit niedrigen bis mittleren Einkommen unterstützen. Zudem verstärkt der Grundrentenzuschlag die Umverteilung von Jung zu Alt, da er steuerfinanziert ist. Auch hier trägt die junge Generation die Hauptlast. Analog zur Grundrente müsste man bei der Umverteilung auf Grundlage des Boomer-Solis auch den Haushalts- und Familienzusammenhang berücksichtigen. Dies würde das Umverteilungsvolumen begrenzen und den Zuschlag analog auf Fälle begrenzen, die tatsächlich bedürftig und von Altersarmut bedroht sind.

Ergänzung zur Reform

Viele fordern zu Recht grundlegende Reformen der Rentenpolitik. Doch auch hier gilt: Der Boomer-Soli ist kein Ersatz, sondern eine sinnvolle Ergänzung – etwa zu einem späteren Renteneintrittsalter oder der Förderung guter Löhne oder besserer Beschäftigungsmöglichkeiten im Alter. Viele dieser Reformen, sei es bei der Kapitaldeckung, bei der ergänzenden privaten Vorsorge oder beim Äquivalenzprinzip, wirken jedoch erst sehr langfristig – über eine Generation. Der Soli dagegen würde unmittelbar wirken.

Schnell und bürokratiearm

Der Boomer-Soli hat Stärken, die keine andere Maßnahme oder Rentenreform hat: Er wirkt sofort, er ist zielgenau, weil er alle Einkommen berücksichtigt. Er ist flexibel und kann an zukünftige Anforderungen angepasst werden. Er ist realistisch, auch im Vergleich zu komplexeren Reformvorschlägen wie der Einbeziehung von Beamten oder Selbstständigen in die gesetzliche Rente – beim Boomer-Soli würden sie unmittelbar einbezogen. Er ist rechtlich umsetzbar, da er, im Gegensatz zu strukturellen Änderungen am Äquivalenzprinzip, nicht an den Grundfesten der gesetzlichen Rentenversicherung rüttelt. Und er ist schnell und bürokratiearm zu realisieren, da er an der Veranlagung zur Einkommensteuer anknüpfen kann, bei der höhere Alterseinkünfte bereits vollständig erfasst werden.

Jüngere würden nicht weiter belastet

Der Boomer-Soli ist ökonomisch sinnvoll, weil er dazu beiträgt, die Belastungen für Jüngere und Beschäftigte zu begrenzen, und damit Raum für mehr wirtschaftliche Dynamik und Wohlstand schafft. Und schließlich stärkt er die soziale Marktwirtschaft, indem er Solidarität fördert und die Lasten der sozialen Sicherung weniger ungleich verteilt – und dadurch auch wieder mehr den impliziten Generationenvertrag unserer Gesellschaft erfüllt.

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