Blog Marcel Fratzscher vom 23. Juni 2025
Die Koalition will Rentner per steuerfreiem Zuverdienst zum Arbeiten bewegen. Klingt gut, doch es dürfte die Altersungleichheit verschärfen. Es gibt bessere Alternativen.
Der Fachkräftemangel bedroht zunehmend die Existenz vieler Unternehmen und belastet die deutsche Wirtschaft. Ein enormes Potenzial, um dem entgegenzuwirken, liegt in der Erwerbstätigkeit nach dem Renteneintritt. Die Bundesregierung hat dies erkannt und will mit der Aktivrente Anreize schaffen: Wer weiter arbeitet, soll bis zu 2.000 Euro von seinem Monatslohn steuerfrei behalten dürfen. Das klingt zunächst verlockend. Die Aktivrente greift jedoch zu kurz, da sie zu erheblichen Mitnahmeeffekten führen kann, ohne die Beschäftigung deutlich zu erhöhen. Gleichzeitig verschärft sie die Ungleichheit im Alter.
Derzeit sind 1,25 Millionen Rentner*innen nach dem Renteneintritt weiterhin berufstätig. Mit 645.000 arbeitet mehr als die Hälfte von ihnen in Minijobs mit geringer Stundenanzahl, um keine Steuern und Abgaben auf das zusätzliche Einkommen zahlen zu müssen. Etwas mehr als 310.000 sind sozialversicherungspflichtig beschäftigt, weitere 270.000 arbeiten selbstständig.
Über die Motive für Erwerbsarbeit im Alter wissen wir bislang nur wenig. Häufig handelt es sich um Menschen mit hohem Lebenseinkommen, einer soliden gesetzlichen und privaten Altersabsicherung sowie überdurchschnittlichen Löhnen, die im Alter sozialversicherungspflichtig weiterarbeiten. Menschen mit geringem Einkommen hingegen sind im Alter deutlich seltener erwerbstätig – oftmals, weil sie gesundheitlich eingeschränkt sind oder weil sie mangels Infrastruktur familiäre Pflege- oder Betreuungsaufgaben übernehmen müssen.
Diese Kolumne von Marcel Fratzscher erschien am 20. Juni 2025 auf ZEIT ONLINE in der Reihe Fratzschers Verteilungsfragen.
Die Steuerbefreiung von bis zu 2.000 Euro monatlichem Arbeitseinkommen durch die Aktivrente soll zusätzliche Beschäftigung ermöglichen. Die Idee klingt zunächst überzeugend, weist jedoch vier wesentliche Schwächen auf:
Erstens führt die Aktivrente in Teilen zu Mitnahmeeffekten. Einer aktuellen Studie des DIW Berlin zufolge belaufen sich diese ohne zusätzliche Beschäftigung auf knapp 800 Millionen Euro im Jahr – keine geringe Summe in Zeiten angespannter Haushaltslage.
Zweitens bleibt unklar, wie viele zusätzliche Jobs durch die Aktivrente tatsächlich entstehen. Internationale Vergleiche fehlen weitgehend. Schätzungen reichen von lediglich 15.000 zusätzlichen Erwerbstätigen bis hin zu deutlich höheren Zahlen. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass die Aktivrente nur geringe Beschäftigungseffekte haben wird – zumal Arbeitseinkommen im Alter bereits heute besteuert wird.
Drittens verstärkt die Aktivrente die soziale Ungleichheit: Vor allem Besserverdienende profitieren von der Aktivrente, da sie häufiger sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind. Menschen mit niedrigen Einkommen hingegen arbeiten im Alter – wenn überhaupt – meist in Minijobs und profitieren kaum. Das verschärft die soziale Ungleichheit im Alter weiter, ebenso wie die Ungleichheit zwischen Männern und Frauen, da Männer im Alter häufiger regulär beschäftigt sind. Zudem vertieft sich die Kluft zwischen Jung und Alt: Jüngere Beschäftigte müssen nicht nur höhere Beiträge zur Rentenversicherung leisten, um die Rentengarantie zu finanzieren, sondern über ihre Steuern auch noch die Aktivrente.
Viertens bleiben selbstständig tätige Rentner*innen außen vor. Es gibt keinen sachlichen Grund, warum sie gegenüber Angestellten benachteiligt werden sollten. Eine Einbeziehung wäre jedoch teuer und administrativ aufwendig.
Gleichzeitig gibt es bessere Alternativen: Die Bundesregierung sollte Arbeitsverträge im Alter flexibler gestalten, damit ältere Beschäftigte beim bisherigen Arbeitgeber und in vertrauten Tätigkeiten weiterarbeiten können. Hierzu müsste etwa das Kündigungsrecht im Alter reformiert werden, um Weiterbeschäftigung zu erleichtern.
Auch sollten Sonderregelungen, wie die abschlagsfreie Rente nach 45 Beitragsjahren, kritisch überprüft und teilweise abgeschafft werden. Nur knapp die Hälfte der Beschäftigten arbeitet bis zum gesetzlichen Renteneintrittsalter. Viele könnten es gesundheitlich, tun es aber aus finanziellen Gründen nicht. Durch den Abbau von Privilegien und gezielte Anreize könnte ein längeres Arbeiten erleichtert werden.
Genauso wichtig sind Investitionen in Pflege- und Gesundheitsinfrastruktur. Viele Menschen möchten im Alter gerne weiterarbeiten, können es aber nicht, weil sie Angehörige betreuen oder gesundheitlich eingeschränkt sind. Diese strukturellen Hürden müssen abgebaut werden, auch wenn das Zeit braucht.
Aus wirtschaftlichen Gründen und aus Gründen der Gerechtigkeit zwischen Jung und Alt sowie zwischen Arm und Reich muss die Politik Wege finden, die Beschäftigung im Alter zu erhöhen und gleichzeitig Altersarmut zu bekämpfen. Die Aktivrente kann – im besten Fall – ein Baustein sein. Sie schafft jedoch auch neue Ungleichgewichte, die die Politik entschlossen adressieren muss. Das Ziel, insbesondere Altersarmut zu reduzieren, darf dabei nicht aus dem Blick geraten.
Themen: Rente und Vorsorge