DIW Wochenbericht 25 / 2019, S. 439-447
Anna Hammerschmid, Carla Rowold
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„Um die Rentenlücke langfristig zu verkleinern, sollten politische Maßnahmen vor allem darauf zielen, die Erwerbstätigkeit von Frauen – insbesondere in Vollzeit – zu stärken“ Anna Hammerschmid
In vielen europäischen Ländern lässt sich eine erhebliche geschlechtsspezifische Rentenlücke verzeichnen. Die Gender Pension Gaps variieren jedoch stark zwischen den Ländern. Diese länderübergreifende Studie analysiert, welche institutionellen und arbeitsmarktspezifischen Faktoren in einem Zusammenhang mit den Gender Pension Gaps stehen. Die Ergebnisse zeigen, dass die Gender Pension Gaps tendenziell in denjenigen Ländern größer sind, die einen größeren geschlechtsspezifischen Unterschied in der Erwerbstätigenquote oder in der Teilzeitquote aufweisen. Dagegen lässt sich kein eindeutiger statistischer Zusammenhang mit den untersuchten Merkmalen der Rentensysteme in Europa identifizieren. Die Ergebnisse unterstreichen damit, dass die Geschlechterungleichheiten am Arbeitsmarkt und im Renteneinkommen zusammenhängen. Um die Rentenlücken zu reduzieren, sollten daher die Erwerbsbiografien von Frauen gestärkt werden, indem die Politik bessere Voraussetzungen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf schafft. Zudem sollte sie steuerlich und familienpolitisch genug Anreize setzen, damit die Erwerbs- und Sorgearbeit im Haushaltskontext gleichmäßiger aufgeteilt und honoriert wird.
In vielen europäischen Ländern bekommen Frauen im Durchschnitt deutlich geringere Renten als Männer. Vergleicht man die Rentenlücken in den einzelnen europäischen Ländern, stellt man eine sehr große Bandbreite fest: Die sogenannten Gender Pension Gaps variieren zwischen nahezu null und mehr als 70 Prozent.Vgl. Anna Hammerschmid und Carla Rowold (2019): Gender Pension Gaps sind in vielen europäischen Ländern ein Problem. DIW Wochenbericht Nr. 18 (online verfügbar, abgerufen am 05.06.2019. Dies gilt auch für alle anderen Onlinequellen in diesem Bericht, sofern nicht anders angegeben).
Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels ist die Geschlechterungleichheit beim Renteneinkommen von besonderer Relevanz, da Frauen häufiger von sozialer Ausgrenzung und Altersarmut betroffen sind.Social Protection Committee & European Commission (2018): The 2018 pension adequacy report: current and future income adequacy in old age in the EU. Volume I (online verfügbar). Dem Thema der Geschlechterungleichheit im Renteneinkommen in den Mitgliedstaaten kommt seit einigen Jahren zunehmend auch Aufmerksamkeit auf EU-Ebene zu.Francesca Bettio, Platon Tinios und Gianni Betti (2013): The gender gap in pensions in the EU. Studie im Auftrag der Europäischen Kommission (online verfügbar); Platon Tinios et al. (2015): Men, women and pensions. Studie im Auftrag der Europäischen Kommission (online verfügbar); Manuela Samek Lodovici et al. (2016): The gender pension gap: Differences between mothers and women without children. Study for the FEMM Committee. Policy Department C: Citizen’s Rights and Constitutional Affairs, Brüssel; Social Protection Committee & European Commission (2018): a.a.O.
Gründe für die geschlechtsspezifischen Rentenlücken können zum einen in den Erwerbsbiografien liegen. Die Unterschiede können so als eine Zusammenfassung von Ungleichheiten im Erwerbsleben interpretiert werden.Z.B. Judith Flory (2011): The Gender Pension Gap. Developing an Indicator Measuring Fair Income Opportunities for Women and Men. Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend; Athina Vlachantoni (2012): Financial inequality and gender in older people. Maturitas, 72 (2), 104–107; Christina Klenner, Peter Sopp und Alexandra Wagner (2016): Große Rentenlücke zwischen Männern und Frauen. Ergebnisse aus dem WSI GenderDatenPortal. Zum anderen kann die Renteneinkommensungleichheit aber auch durch die unterschiedlichen Rentensysteme bedingt werden, die bestimmte Lebensverläufe verschieden stark honorieren beziehungsweise sanktionieren.Ignacio Madero-Cabib und Anette Eva Fasang (2016): Gendered work–family life courses and financial well-being in retirement. Advances in Life Course Research, 27, 43–60. Sie können damit (geschlechtsspezifische) Ungleichheit im Alter verstärken oder abmildern.Katja Möhring (2015): Employment histories and pension incomes in Europe: a multilevel analysis of the role of institutional factors. European Societies, 17(1), 3–26. Gerade in Ländern mit besonders großen Rentenlücken muss das Bewusstsein für die Problematik und deren Hintergründe geschärft werden, damit diese Länder in ihrem eigenen Interesse Maßnahmen ergreifen.
Diese StudieDiese Studie wurde finanziell vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (Förderkennzeichen: 16SV7585) im Rahmen von JPI MYBL unterstützt. In diesen Bericht fließen auch Erkenntnisse und Teile aus einer Seminararbeit ein, die Carla Rowold im Rahmen des Projektes geschrieben hat. Wir danken in diesem Zusammenhang auch dem Seminarleiter Dr. Markus Schrenker (HU Berlin) für die Unterstützung. untersucht die Korrelationen zwischen den länderspezifischen Gender Pension Gaps auf der einen und den jeweiligen Arbeitsmärkten und Rentensystemen auf der anderen Seite. Für die Berechnung der Gender Pension Gaps werden alle drei Säulen der Alterssicherung einbezogen: die gesetzliche, betriebliche und die private. Die Analyse umfasst dabei Menschen ab einem Alter von 65 Jahren und berücksichtigt auch diejenigen, die kein Renteneinkommen beziehen, mit einem Renteneinkommen von null. Die Berücksichtigung der sogenannten Gender Coverage Gaps ist insbesondere im Ländervergleich relevant, da sie sich durch ihre unterschiedliche Ausprägung verschieden stark auf die Höhe der Gender Pension Gaps auswirken.Siehe Hammerschmid und Rowold (2019), a.a.O. und darin genannte Studien. Die absoluten Rentenlücken werden um Unterschiede in Alter und Bildung zwischen Männern und Frauen bereinigt. Damit fokussiert die Analyse vor allem auf diejenigen Unterschiede, die sich während und nach dem Erwerbsleben ergeben (Kasten). Diese bereinigten absoluten Rentenlücken werden durch das länderspezifische durchschnittliche Renteneinkommen aller Männer dividiert, um die relativen Gender Pension Gaps zu berechnen.
Dieser Bericht basiert auf den Wellen 2, 4 und 5 des Survey of Health, Ageing and Retirement in Europe (SHARE).Die Datenerhebung von SHARE wurde vorwiegend durch die Europäische Kommission finanziert. Zusätzliche Finanzierung durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung, die Max Planck Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften, das U.S. National Institute on Aging und durch zahlreiche nationale Finanzierungsquellen wird dankend anerkannt (siehe www.shareproject.org). Welle 5 (Erhebungsjahr 2013) dient hierbei als Hauptdatenquelle. Um die Anzahl der Länder für die Analyse zu erhöhen, werden außerdem Daten von Ländern vorheriger Wellen (Welle 4, erhoben 2011/2012: Polen, Portugal, Ungarn; Welle 2, erhoben 2007: Griechenland, Irland) hinzugefügt, die nicht in Welle 5 enthalten sind.
Die Stichprobe wird auf Befragte im Alter von über 64 Jahren beschränkt. Befragte, die im Erhebungsjahr Einkommen durch eine Beschäftigung oder Arbeitslosengeld bezogen haben oder keine Angaben dazu gemacht haben, werden aus der Analyse ausgeschlossen. Beibehalten werden jedoch Befragte, die in dem jeweiligen Jahr nicht abhängig oder selbständig beschäftigt waren, aber dennoch angegeben haben, einer bezahlten Tätigkeit nachgegangen zu sein.Dadurch wird vermieden, spezielle Gruppen von RentnerInnen von der Analyse auszuschließen, beispielsweise diejenigen, die auf zusätzliches Einkommen in der Rente angewiesen sind.
Für die Berechnung des jährlichen Netto-Renteneinkommens in Euro werden alle drei Säulen der Alterssicherung berücksichtigt: die gesetzliche, betriebliche und die private Rente.Für eine detaillierte Auflistung der Rententypen siehe Peter Haan, Anna Hammerschmid und Carla Rowold (2017): Geschlechtsspezifische Renten- und Gesundheitsunterschiede in Deutschland, Frankreich und Dänemark. DIW Wochenbericht Nr. 43 (online verfügbar). Das Renteneinkommen bezieht sich jeweils auf das Vorjahr der Erhebung und wird als Ergebnis eigener Leistungen definiert. Andere Rentenansprüche, wie zum Beispiel Witwenrenten, werden nicht berücksichtigt.In einer anderen Studie zeigt sich ein niedrigerer Gap, wenn Witwenrenten bei der Berechnung berücksichtigt werden, vgl. Francesca Bettio, Platon Tinios und Gianni Betti (2013): The gender gap in pensions in the EU. Studie im Auftrag der Europäischen Kommission (online verfügbar). In der vorliegenden Studie wurden neben der Witwenrente auch Zahlungen und Leistungen aus der Kriegsopferkasse, Arbeitslosen oder Pflegeversicherungen sowie Unterhalts- oder Einmalzahlungen nicht berücksichtigt. Es werden zudem nur regelmäßige Zahlungen einbezogen. Die Summe aller berücksichtigten Rententypen wird aus Gründen der Vergleichbarkeit auf das jährliche Renteneinkommen hochgerechnet und hinsichtlich Kaufkraft bereinigt. Befragte, die kein Renteneinkommen beziehen, werden mit einem Einkommen von null berücksichtigt.
Der Gender Pension Gap stellt den prozentualen Unterschied des durchschnittlichen Renteneinkommens zwischen Männern und Frauen dar. Im ersten Schritt werden über länderspezifische, querschnittsgewichtete Regressionen jeweils die absoluten Renteneinkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen unter Kontrolle für Alter und Bildung berechnet. Diese werden im Anschluss durch das länderspezifische, gewichtete, durchschnittliche Renteneinkommen aller Männer dividiert, um die relativen Rentenlücken zu berechnen.
Im zweiten Schritt werden die relativen Gender Pension Gaps auf die jeweiligen Ländercharakteristika einzeln regressiert, um die statistischen Zusammenhänge zwischen Rentenlücke und dem jeweiligen Arbeitsmarkt-/Rentensystemindikator (Tabelle) zu untersuchen.
Indikator (verwendetes Jahr) | Beschreibung und Anmerkungen |
---|---|
Relative geschlechtsspezifische Unterschiede in der Erwerbstätigenquote (1998) |
• Absolute Differenz in Erwerbstätigenquote zwischen Männern und Frauen im Verhältnis zur Erwerbstätigenquote von Männern • Positive Lücke = Durchschnittliche Erwerbstätigenquote von Männern höher als die von Frauen • Erwerbstätigenquote1 = Anteil erwerbstätiger Personen an Gesamtbevölkerung (Altersgruppe 20 bis 64 Jahre) |
Relative geschlechtsspezifische Unterschiede in der Teilzeitquote (2000) |
• Absolute Differenz in Teilzeitquote zwischen Männern und Frauen im Verhältnis zur Teilzeitquote von Männern • Positive Lücke = Durchschnittliche Teilzeitquote von Frauen höher als die von Männern • Teilzeitquote2 = Anteil Personen in Teilzeit (wöchentliche Arbeitszeit im Hauptberuf weniger als 30 Stunden) an allen erwerbstätigen Personen älter als 14 |
Gender Pay Gap (1998) | • Geschlechterunterschiede im Bruttostundenlohn3, auf Basis von 16- bis 64-jährigen bezahlten Angestellten, die 15 oder mehr Stunden pro Woche arbeiten, im Verhältnis zum durchschnittlichen Bruttostundenlohn der Männer |
Progressivitätsindex (2007, 2011, 2013) |
• Index4 misst Verhältnis zwischen Ungleichheit in Erwerbs- und Renteneinkommen; nur obligatorische Bestandteile der Rentensysteme • Je höher der Score, desto progressiver das obligatorische Rentensystem (Maximalwert: 100) |
Relative Geschlechterdifferenz in der aggregierten Ersatzrate (2007, 2011, 2013) |
• Absolute Differenz in der aggregierten Ersatzrate von Männern und Frauen im Verhältnis zur aggregierten Ersatzrate von Männern • Positive Lücke = Frauen haben eine höhere aggregierte Ersatzrate im Vergleich zu Männern; Frauen profitieren also stärker von der Umverteilung des Rentensystems • Aggregierte Ersatzrate5 = Verhältnis zwischen Median des Bruttorenteneinkommens der 65- bis 74-Jährigen und Median des Bruttoerwerbseinkommens der 50- bis 59-Jährigen |
Verbreitung der betrieblichen (privaten) Renten (2006–2013) | • Prozentualer Anteil der Befragten pro Land im Sample, die eine betriebliche (private) Rente beziehen6 |
1 Quellen: Eurostat (2018): Employment rates by sex, age and citizenship (online verfügbar, abgerufen am 18. Juni 2018). Für Deutschland (Ost/West) werden Daten herangezogen, denen eine leicht unterschiedliche Definition insbesondere hinsichtlich der Altersgruppe (15 bis unter 65 Jahre) zugrunde liegt: Statistisches Bundesamt (2018): Erwerbstätigenquoten 1991 bis 2017 (online verfügbar, abgerufen am 18. Juni 2018).
2 Quellen: OECD (2018): Part-time employment rate (online verfügbar, abgerufen am 2. Juni 2018). Für Deutschland (Ost/West) werden Daten des WSI herangezogen, denen eine leicht unterschiedliche Definition zugrunde liegt: WSI (2018): WSI GenderDatenPortal: Arbeitszeiten. Teilzeitquoten der abhängig Beschäftigten 1991–2016 (online verfügbar).
3 Quellen: Eurostat (2018): Gender pay gap in unadjusted form (1994 - 2006) (online verfügbar, abgerufen am 25. Mai 2018). Für die getrennte Berechnung für West- und Ostdeutschland: SOEP v30, eigene Berechnungen.
4 Für Ost- und Westdeutschland gibt die OECD keine separaten Werte für den Index an; beiden Regionen wird der Wert für die gesamte Bundesrepublik zugewiesen. Quellen: OECD (2007): Pensions at a Glance 2007: Public policies across OECD Countries; OECD (2011): Pensions at a Glance 2011: Retirement-income Systems in OECD and G20 Countries; OECD (2013): Pensions at a Glance 2013: OECD and G20 Indicators.
5 Für Ost- und Westdeutschland gibt es keine separaten Werte; beiden Regionen wird der Wert für die gesamte Bundesrepublik zugewiesen. Quellen: Eurostat (2018): Aggregate replacement ratio for pensions (excluding other social benefits) by sex (online verfügbar, abgerufen am 30. Juli 2018); European Institute for Gender Inequality (2018): Gender differences in the aggregate replacement ratio (online verfügbar, abgerufen am 26. Mai 2018).
6 SHARE Wellen 2, 4 und 5, eigene Berechnungen.
Für die Arbeitsmarktindikatoren werden jeweils Daten für die am weitesten zurückliegenden Jahre der jeweiligen Quellen genutzt (1998 und 2000), für welche noch Daten für alle Länder in der Analyse vorliegen, um möglichst nah an die Situation im Erwerbsleben der jetzigen RentnerInnen zu gelangen. Für die Maßzahlen der Rentensysteme orientiert sich die Analyse an dem Zeitpunkt, für den der jeweilige Gender Pension Gap berechnet wird.
Die Rentenlücken fallen aufgrund der zusätzlichen Bereinigung um Bildung in den meisten Ländern etwas kleiner aus (Abbildung 1) als ohne diese Bereinigung.Hammerschmid und Rowold (2019), a.a.O, Rentenlücken nach Definition 2. Hieraus sind auch weitere Zahlen in diesem Abschnitt entnommen. Dennoch ergibt sich qualitativ ein ähnliches Bild: Die Rentenlücken sind vor allem in skandinavischen und osteuropäischen Ländern vergleichsweise gering. In Estland erhalten beide Geschlechter im Durchschnitt etwa das gleiche Renteneinkommen. In den Ländern mit dem höchsten Gender Pension Gap, Luxemburg, Spanien und Portugal, liegt die bereinigte Rentenlücke bezogen auf das durchschnittliche Renteneinkommen aller Männer bei mehr als 65 Prozent. Rechnet man die Bildungsunterschiede nicht heraus, liegt sie gemäß einer vorherigen Studie in allen drei Ländern sogar bei mehr als 70 Prozent.
Deutschland wird in der vorliegenden Studie basierend auf dem Wohnort am 1. November 1989 getrennt nach den beiden ehemaligen deutschen Staaten untersucht, da sich die beiden Regionen sozio-historisch und institutionell bedingt unterscheiden und die geschlechtsspezifischen RentenlückenPeter Haan, Anna Hammerschmid und Carla Rowold (2019): Geschlechtsspezifische Renten- und Gesundheitsunterschiede in Deutschland, Frankreich und Dänemark. In: Klaus Hurrelmann et al. (Hrsg.): MetallRente Studie 2019. Jugend Vorsorge Finanzen: Wird das Vertrauen einer Generation verspielt? Weinheim, Basel, Beltz Juventa; Markus M. Grabka et al. (2017): Der Gender Pension Gap verstärkt die Einkommensungleichheit von Männern und Frauen im Rentenalter. DIW Wochenbericht Nr. 5 (online verfügbar); Annika Rasner (2014): Geschlechtsspezifische Rentenlücke in Ost und West. DIW Wochenbericht Nr. 40 (online verfügbar). ebenfalls unterschiedlich stark ausgeprägt sind. Eine getrennte Analyse ermöglicht somit ein detailliertes Bild der Zusammenhänge zwischen den Arbeitsmarktcharakteristika und den Rentenlücken. Die Ergebnisse bestätigen den klaren Unterschied in den Gender Pension Gaps zwischen West- und Ostdeutschland. Während sich der für Alter und Bildung kontrollierte Gap im Osten auf lediglich 20 Prozent beläuft, ist er in Westdeutschland mehr als doppelt so hoch.
Um die unterschiedlich stark ausgeprägten Geschlechterunterschiede auf dem Arbeitsmarkt zu bestimmen, nutzt diese Studie die geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Erwerbstätigenquote, der Teilzeitquote sowie dem Stundenlohn in den einzelnen Ländern (Tabelle im Kasten).Der Fokus auf diese drei Dimensionen von Geschlechterungleichheiten wurde bereits in einer vorherigen deskriptiven Studie zu Gender Pensions Gaps im Ländervergleich gelegt. Vgl. Ludovici et al. (2016), a.a.O., 33ff.
Eine durchgehende Vollzeiterwerbstätigkeit ist häufig zentral für die finanzielle Absicherung im AlterMadero-Cabib und Fasang (2016), a.a.O., 2., weshalb die Studie den länderübergreifenden Zusammenhang zwischen den geschlechtsspezifischen Unterschieden in der Erwerbstätigkeit beziehungsweise Arbeitszeit und den Gender Pension Gaps auf Länderebene untersucht.
Die Ergebnisse der Analyse zeigen einerseits, dass in Ländern, in denen Frauen im Vergleich zu Männern Ende der neunziger Jahre sehr viel weniger erwerbstätig waren, wie zum Beispiel in Spanien, Italien, Griechenland, Luxemburg und Irland, auch die Rentenungleichheit zwischen den Geschlechtern viele Jahre später besonders ausgeprägt ist.Die Zahlen zur Erwerbstätigkeit und zum Gender Pay Gap wurden aus dem Jahr 1998 verwendet, das frühste zurückliegende Jahr, in dem für alle untersuchten Länder vergleichbare Zahlen vorlagen. Zu diesem Zeitpunkt waren viele der späteren Rentnerinnen und Rentner noch erwerbstätig. Die Zahlen zur Teilzeitquote wurden aus dem Jahr 2000 verwendet. Auf der anderen Seite ist die Rentenlücke in Ländern beziehungsweise Regionen mit kleinen Differenzen in der Erwerbstätigenquote, wie Estland, Dänemark und Ostdeutschland, eher gering (Abbildung 2). In einer Regressionsanalyse zwischen den bereinigten Gender Pension Gaps und den geschlechtsspezifischen Unterschieden in den Erwerbstätigenquoten ist dieser positive Zusammenhang signifikant.
Dieses Ergebnis spiegelt auf Länderebene wider, was Dekompositionsanalysen zum individuellen Erwerbsverlauf bereits für verschiedene einzelne Länder festgestellt haben: Ein – teils großer – Anteil des Gender Pension Gaps basiert auf geschlechtsspezifischen Differenzen in Erwerbsjahren.Z.B. für Deutschland: Dina Frommert und Susanne Strauß (2013): Biografische Einflussfaktoren auf den Gender Pension Gap–Ein Kohortenvergleich für Westdeutschland. Journal for Labour Market Research, 46(2), 145–166; Carsten Hänisch und Jonas Klos (2014): A decomposition analysis of the German gender pension gap (No. 04). Discussion Paper Series, Wilfried-Guth-Stiftungsprofessur für Ordnungs-und Wettbewerbspolitik, Universität Freiburg; für zwölf europäische Länder: Social Protection Committee & European Commission (2018), a.a.O., 77. Dieses Ergebnis wird außerdem durch Studien bestätigt, die zeigen, dass der Gender Pension Gap in Europa bei Frauen mit geringer Erwerbspartizipation über den Lebensverlauf tendenziell höher ist als bei Frauen, die überdurchschnittlich viele Jahre erwerbstätig waren.Bettio et al. (2013), a.a.O., 50ff.
Werden die großen relativen Unterschiede in der Teilzeitquote zwischen den Geschlechtern betrachtet, zeigt sich, dass diese ebenfalls signifikant mit den Rentenlücken zusammenhängen (Abbildung 3).Dieses Ergebnis erweist sich als robust, wenn statt der relativen, die absoluten Geschlechterunterschiede in den Teilzeitquoten genutzt werden. Außerdem besteht auch beim Ausschluss von Luxemburg ein weiterhin signifikanter, qualitativ ähnlicher Zusammenhang. Lediglich das Signifikanzniveau ändert sich jeweils von fünf auf zehn Prozent. Länder mit einer sehr geringen geschlechtsspezifischen Rentenlücke wie die osteuropäischen und skandinavischen Länder haben auch vergleichsweise kleine Unterschiede bei den Teilzeitquoten zwischen Männern und Frauen. Dieser Befund auf europäischer Ebene bestätigt die Schlussfolgerungen aus einer Studie, die innerhalb Deutschlands die geschlechtsspezifische Vollzeit-Teilzeit-Differenz als Haupttreiber für den Gender Pension Gap identifiziert hat.Frommert und Strauß (2013), a.a.O. In einer Studie für europäische Länder wurde zudem die theoretische Abschaffung von Arbeitszeitdifferenzen und von Differenzen bei den Erwerbsraten simuliert. Dies reduzierte die Gender Pension Gaps im Durchschnitt um sieben beziehungsweise zehn Prozentpunkte.Maciej Lis und Boele Bonthuis (2019): Drivers of the Gender Gap in Pensions: Evidence from EU-SILC and the OECD Pension Model, Social Protection & Jobs Discussion Paper No. 1917, World Bank Group. Für die prognostizierten Auswirkungen der veränderten Erwerbsverläufe jüngerer Kohorten auf den künftigen Gender Pension Gap in der Gesetzlichen Rentenversicherung in Deutschland, siehe Christian Westermeier et al. (2017): Veränderung der Erwerbs- und Familienbiografien lässt einen Rückgang des Gender-Pension-Gap erwarten. DIW Wochenbericht Nr. 12 (online verfügbar).
Ein weiterer möglicher Grund für die geschlechtsspezifische Rentenlücke ist, dass Frauen in ihrem Erwerbsverlauf weniger verdient haben als Männer und daher weniger Rentenbeiträge eingezahlt haben. Der Gender Pay Gap, also der geschlechtsspezifische Unterschied im StundenlohnSiehe Glossar-Eintrag zum Gender Pay Gap., ist einer der weitverbreiteten Indikatoren für Geschlechterungleichheit am Arbeitsmarkt. Die vorliegende Analyse stellt jedoch keinen statistischen Zusammenhang zwischen der geschlechtsspezifischen Lohnlücke und der Rentenlücke auf Länderebene fest (Abbildung 4). Länder mit einem großen Gender Pay Gap haben also nicht automatisch einen größeren Gender Pension Gap.Zu diesem Ergebnis kam bereits eine andere Studie: Bettio et al. (2013), a.a.O.
Das Fehlen eines statistisch eindeutigen Gesamtzusammenhangs bedeutet nicht, dass die Erwerbseinkünfte von Frauen sich nicht in den Rentenhöhen niederschlagen. So zeigt beispielsweise eine Simulationsstudie für europäische Länder, dass sich der (simulierte) Gender Pension Gap durchschnittlich um neun Prozentpunkte verringert, wenn der Gender Pay Gap künstlich auf null gesetzt wird.Lis und Bonthuis (2019), a.a.O. Für die USA beispielsweise konnte außerdem gezeigt werden, dass ein großer Anteil der geschlechtsspezifischen Lücke im Renteneinkommen auf Geschlechterunterschiede in der Lohnhöhe zurückzuführen ist. Vgl. William E. Even und David A. Macpherson (2004): When Will the Gender Gap in Retirement Income Narrow? Southern Economic Journal, 71(1), 182–200.
Der fehlende statistische Zusammenhang erklärt sich vielmehr dadurch, dass länderübergreifend andere Faktoren diese Zusammenhänge überlagern und somit verwässern können. Zum einen gibt es Länder mit einem starken geschlechtsspezifischen Unterschied in den Erwerbsquoten und einer relativ niedrigen Lohnlücke. Insbesondere in einigen südeuropäischen Ländern wie Italien und Griechenland erhalten die vergleichsweise wenigen erwerbstätigen Frauen tendenziell hohe Löhne, wodurch die geschlechtsspezifische Lohnlücke insgesamt eher gering ausfällt.Claudia Olivetti und Barbara Petrongolo (2008): Unequal Pay or Unequal Employment? A Cross-Country Analysis of Gender Gaps. Journal of Labor Economics, 26(4), 621–654 (online verfügbar). Wird das jährliche Erwerbseinkommen betrachtet, welches im Gegensatz zum Gender Pay Gap auch Verdienstunterschiede aufgrund von Arbeitszeit- oder Partizipationsunterschieden erfasst, findet sich ein leicht positiver Zusammenhang zum Gender Pension Gap im europäischen Kontext. Vgl. Lis und Bonthuis (2019), a.a.O.
Zum anderen können auch umverteilende Effekte der Rentensysteme den direkten Einfluss der geschlechtsspezifischen Lohndifferenz auf die Rentenlücke abfedern. In Estland beispielsweise profitieren Frauen im Vergleich zu Männern stärker von der Umverteilung im Rentensystem (siehe nächstes Kapitel). Dies ist eine mögliche Erklärung dafür, warum der hohe Gender Pay Gap in Estland von 26 Prozent sich nicht im Gender Pension Gap niederschlägt. Nichtsdestotrotz gibt es jedoch auch zahlreiche Beispiele für Länder mit ausgeprägten Lohn- und ausgeprägten Rentenlücken, wie etwa die Schweiz, Österreich, Westdeutschland, Irland und die Niederlande.
Um bestimmen zu können, inwieweit die länderspezifischen Rentensysteme Einfluss auf den Gender Pension Gap haben, werden verschiedene Faktoren betrachtet: allgemeine Umverteilung, effektiv geschlechtsspezifische Umverteilung sowie die Verbreitung von betrieblichen und privaten Renten.
Allgemein umverteilende Komponenten von Rentensystemen können die geschlechtsspezifische Ungleichheit auf dem Arbeitsmarkt im Alter dämpfen.Athina Vlachantoni (2012), a.a.O. Um den allgemein umverteilenden Charakter der verschiedenen Rentensysteme zu erfassen, wird der Progressivitätsindex der OECD genutzt. Je niedriger die Ungleichheit im Renteneinkommen im Verhältnis zur Ungleichheit im Erwerbseinkommen, desto progressiver das Rentensystem und umso höher der Score im Index. In der ländervergleichenden Analyse lässt sich kein eindeutiger Zusammenhang zur geschlechtsspezifischen Rentenlücke erkennen, was möglicherweise darauf zurückzuführen ist, dass der Progressivitätsindex nur die obligatorischen Bestandteile der Rentensysteme erfasst (Abbildung 5).
Darüber hinaus reduzieren manche Rentensysteme effektiv den Einfluss geschlechtsspezifischer Unterschiede in den Lebensverläufen, zum Beispiel durch die Anrechnung von Zeiten der Kinderbetreuung.Für Simulationen der Effekte von Kinderbetreuungszeiten auf die Gender Pension Gaps in Europa, die sich unterschiedlich über die Länder auswirken, vgl. Lis und Bonthuis (2019), a.a.O. Von diesen Komponenten profitieren Frauen, relativ zu ihrem Erwerbseinkommen, in der Regel stärker als Männer. Als Maß für effektiv geschlechtsspezifisch wirkende Umverteilungstendenzen wird in dieser Analyse die relative Geschlechterdifferenz in der sogenannten aggregierten ErsatzrateDie aggregierte Ersatzrate gibt an, wie viel Einkommen die Rentnerinnen und Rentner im Vergleich zu Erwerbstätigen erhalten, also das Verhältnis des Medians des Bruttorenteneinkommens der 65- bis 74-Jährigen zum Median des Bruttoerwerbseinkommens der 50- bis 59-Jährigen. genutzt. Eine positive Differenz bedeutet, dass aufgrund von Umverteilung Frauen im Vergleich zu Männern mehr Rente (Median) im Verhältnis zum mittleren Vor-Renten-Einkommen erhalten. Doch in der Analyse lässt sich auch hier kein statistisch signifikanter Zusammenhang finden (Abbildung 6).
Analysiert wird zusätzlich die Verbreitung betrieblicher und privater Renten, die typischerweise stärker an stabile Beschäftigungsverhältnisse und Löhne geknüpft sind und meist keine Perioden von Arbeitslosigkeit oder Sorgearbeit abdecken. Dadurch können sie Ungleichheiten aus dem Arbeitsmarkt weiter verschärfenMöhring (2015), a.a.O., 9. und besonders unvorteilhafte Auswirkungen auf das Renteneinkommen von Frauen haben.Jay Ginn (2004): European pension privatisation: taking account of gender. Social policy and society, 3(2), 123–134; Therese Jefferson (2009): Women and retirement pensions: A research review. Feminist Economics, 15(4), 115–145. In Deutschland ist beispielsweise die geschlechtsspezifische Rentenlücke in den betrieblichen und privaten Renten höher als diejenige in der gesetzlichen Rente.Hänisch und Klos (2014), a.a.O. Frauen beziehen sowohl seltener als auch weitaus geringere Auszahlungen von betrieblichen Renten.Klenner, Sopp und Wagner (2016), a.a.O.
Die länderübergreifende Analyse zeigt aber weder einen eindeutigen Zusammenhang zwischen der Verbreitung betrieblicher Renten und der Rentenlücke, noch zwischen der Verbreitung privater Renten und der Rentenlücke. Hierbei sollte aber bedacht werden, wie unterschiedlich die Geschlechter in betrieblichen und privaten Renten tatsächlich vertreten sind.Bettio et al. (2013), a.a.O., 59ff. Schweden und die Niederlande weisen im Ländervergleich beispielsweise eine ähnlich hohe Reichweite von betrieblichen Renten auf (54 und 60 Prozent). In Schweden gibt es dabei allerdings kaum Unterschiede zwischen Männern und Frauen, während in den Niederlanden nur gut halb so viele Frauen wie Männer betriebliche Renten in Anspruch nehmen. Dies zeigt sich – trotz der ähnlichen Verbreitung von betrieblicher Renten insgesamt – auch im Gender Pension Gap, der in den Niederlanden um einiges höher als in Schweden ist.
Auch wenn länderübergreifend kein klares Muster zwischen den betrachteten Merkmalen der Rentensysteme und den Rentenlücken zu erkennen ist, reduzieren umverteilende Maßnahmen und die Honorierung von Sorgearbeit die Gender Pension Gaps auf Länderebene rein mechanisch. Dass sich dies statistisch nicht in einem länderübergreifenden Muster niederschlägt, kann daran liegen, dass eindimensionale Indizes die Komplexität der Rentensysteme grundsätzlich nur unzureichend erfassen können. Außerdem müsste man die Elemente der Rentensysteme in ihrer Interaktion untereinander und mit den betrachteten Arbeitsmarktunterschieden untersuchen,Die Interaktion zwischen individueller Erwerbsbiografie und institutionellem Design scheint insbesondere für Frauen eine Rolle zu spielen, vgl. Möhring (2015), a.a.O. was angesichts der beschränkten Anzahl an Ländern hier jedoch nicht möglich ist.
Diese Studie untersucht länderübergreifend, inwieweit der Gender Pension Gap mit den Charakteristika der Arbeitsmärkte und Rentensysteme zusammenhängt. Zwischen den Gender Pension Gaps und den länderspezifischen Merkmalen der Rentensysteme lassen sich keine eindeutigen Muster finden. Vermutlich sind die Zusammenhänge durch weitere Einflussfaktoren überlagert. Allein auf einzelne, eindimensionale Merkmale der Rentensysteme zu fokussieren, um die geschlechtsspezifischen Rentenungleichheiten zwischen europäischen Ländern zu erklären, greift daher zu kurz.
Dagegen zeigt die Analyse der Arbeitsmärkte, dass höhere Gender Pension Gaps tendenziell in denjenigen Ländern auftreten, in denen sich die Erwerbstätigen- und Teilzeitquoten geschlechtsspezifisch stark unterschieden haben. Zusammen mit den Ergebnissen anderer StudienBeispielsweise Lis und Bonthuis (2019), a.a.O.; Möhring (2015), a.a.O.; Madero-Cabib und Fasang (2016), a.a.O. deutet dieses Ergebnis darauf hin, dass die geschlechtsspezifischen Unterschiede in den Erwerbsverläufen die Rentenlücken grundlegend beeinflussen. Die unterschiedlichen Erwerbsverläufe zwischen Männern und Frauen sind auch vor dem Hintergrund der Sorge- und Hausarbeit im familiären Kontext zu sehen: Frauen verbringen deutlich mehr Lebenszeit außerhalb der Erwerbstätigkeit als Männer.Lis und Bonthuis (2019), a.a.O. Für die Aufteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit in deutschen Familien vgl. Claire Samtleben (2019): Auch an erwerbsfreien Tagen erledigen Frauen einen Großteil der Hausarbeit und Kinderbetreuung. DIW Wochenbericht Nr. 10 (online verfügbar).
Diese Ergebnisse unterstreichen daher die Notwendigkeit, die Erwerbsverläufe von Frauen zu fördern, um die Gender Pension Gaps zu reduzieren. Hierbei gilt es insbesondere darauf zu achten, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für beide Geschlechter verbessert wird. Zudem sollte eine ausgeglichenere Aufteilung der Erwerbs- und Sorgearbeit zwischen den Partnern das Ziel sein. Speziell in Deutschland könnte zum einen die Abschaffung des Ehegattensplittings die weibliche Erwerbstätigkeit stärken.Stefan Bach et al. (2017): Ehegattenbesteuerung: Individualbesteuerung mit übertragbarem Grundfreibetrag schafft fiskalische Spielräume. DIW Wochenbericht Nr. 13 (online verfügbar). Außerdem könnte ein Ausbau der Partnermonate beim Elterngeld dazu beitragen, die Sorge- und Erwerbsarbeit zwischen den Geschlechtern gleichmäßiger aufzuteilenSiehe auch Claire Samtleben (2019), a.a.O. und somit auch langfristig die Rentenlücken zu reduzieren. Unabhängig davon stellt sich jedoch auch die Frage, ob Sorgearbeit im familiären Kontext sowohl gesellschaftlich als auch in Bezug auf Rentenanwartschaften ausreichend honoriert wird.
JEL-Classification: H55;J14;J16;J22;J31;J32
Keywords: Gender Pension Gap, Europe, pension system, labor market inequality, gender inequality, SHARE
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2019-25-1
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/200233