DIW Wochenbericht 18 / 2019, S. 310-321
Franziska Bremus, Marius Clemens, Marcel Fratzscher, Anna Hammerschmid, Tatsiana Kliatskova, Alexander Kriwoluzky, Claus Michelsen, Carla Rowold, Felix Weinhardt, Katharina Wrohlich
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Die gesamtwirtschaftliche Entwicklung in der Europäischen Union war seit Beginn der globalen Finanzkrise 2008 vielfach enttäuschend. Die wirtschaftliche Abschwächung seit Ende 2018 zeigt deutlich, wie hoch die Abhängigkeit von der Weltwirtschaft und wie verwundbar die Entwicklung durch die erhöhte Brexit-Unsicherheit und die zunehmend unberechenbare US-Regierung wirklich ist.Malte Rieth, Claus Michelsen und Michele Piffer (2016): Unsicherheit durch Brexit-Votum verringert Investitionstätigkeit und Bruttoinlandsprodukt im Euroraum und in Deutschland. Wochenbericht Nr. 32+33 (online verfügbar, abgerufen am 15. April 2019. Dies gilt, sofern nicht anders vermerkt, auch für alle anderen Onlinequellen in diesem Bericht); Michele Piffer und Maximilian Podstawski (2018): Identifying Uncertainty Schocks Using the Price of Gold. The Economic Journal 128/616, 3266–3284; Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose (2019): Gemeinschaftsdiagnose Frühjahr 2019: Konjunktur deutlich abgekühlt – Politische Risiken hoch (online verfügbar).
Die Regierungen der Euroländer haben in ihrer Reaktion auf die Finanz- und Wirtschaftskrise grundlegende Fehler begangen. Vor allem die strukturellen Probleme wurden vielfach zu spät erkannt. Als fatal erwiesen hat sich die fehlende Koordination der makroökonomischen Politikinstrumente – Geldpolitik, Finanzpolitik und Strukturpolitik. Die Regierungen haben sich viel zu sehr auf die Europäische Zentralbank (EZB) verlassen. Deren Politik hat die Zinsen für die öffentlichen und privaten Haushalte gesenkt und die Wirtschaft angekurbelt.Michael Hachula, Michele Piffer und Malte Rieth: Unconventional monetary policy, fiscal side effects and euro area (im)balances. Journal of the European Economic Association (forthcoming). In anderen Politikbereichen, die unter nationaler Verantwortung stehen, wurde nachlässige oder gar falsche Wirtschaftspolitik betrieben. Die USA haben den europäischen Verantwortlichen vorgemacht, wie eine erfolgreiche Krisenbekämpfung gehen kann: Die US-Regierung hat zwischen 2009 und 2011 auf eine stark expansive Finanzpolitik gesetzt, mit großen fiskalischen Defiziten, und gleichzeitig das eigene Bankensystem grundlegend reformiert, während die US-Notenbank eine äußerst expansive Geldpolitik umgesetzt hat.
Mittlerweile gibt es einen internationalen Konsens darüber, dass die Finanzpolitik der vergangenen zehn Jahren in den meisten europäischen Ländern zu restriktiv war und die Krise verschärft hat. Vor allem in Ländern mit einer hohen privaten Verschuldung haben die Austeritätsmaßnahmen zu einer Senkung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) geführt.Mathias Klein (2017): Austerity and Private Debt. Journal of Money, Credit and Banking, Volume 49, Issue 7; Philipp Engler und Mathias Klein (2017): Austeritätspolitik hat in Spanien, Italien und Portugal die Krise verschärft. DIW Wochenbericht Nr. 8 (online verfügbar). Eine deutlich expansivere Finanzpolitik, mit einem starken Fokus auf öffentliche Investitionen und Maßnahmen zur Stärkung von Beschäftigung, hätte den Euroraum als Ganzes viel schneller und nachhaltiger aus der Krise geführt. Gleichzeitig merken einige zu Recht an, dass eine solche expansive Finanzpolitik unter den bestehenden Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts und des neu entwickelten Fiskalpakts (fiscal compact) gar nicht möglich gewesen wäre. Zwar konnten Regierungen fiskalische Defizite von mehr als drei Prozent realisieren, jedoch nur für kurze Zeit und in begrenztem Umfang. Dieser Rahmen ist nicht geeignet, um strukturierte konjunkturstützende Maßnahmen mit finanzpolitischen Instrumenten umzusetzen. Gerade Italien würde von diesen Instrumenten aber profitieren.Stefan Gebauer et al. (2019): Italien braucht neue Impulse für Wachstumsbranchen. DIW Wochenbericht Nr. 9 (online verfügbar).
Die europäischen Regeln der Finanzpolitik müssen angepasst werden. Fünf konkrete Reformen sollten umgesetzt werden, um die Lehren der europäischen Finanzkrise aufzugreifen und den Euroraum krisenfest zu machen:
Erstens sollten die Vereinbarungen zur Neuverschuldung im Stabilitäts- und Wachstumspakt durch eine nominale Ausgabenregel ersetzt werden, die es jeder nationalen Regierung erlaubt, die Staatsausgaben jedes Jahr um maximal die nominale Potentialwachstumsrate der eigenen Volkswirtschaft zu steigern. Dies würde beispielsweise bedeuten, dass Deutschland jedes Jahr die Staatsausgaben um nicht mehr als drei Prozent erhöhen darf.Das Potentialwachstum von drei Prozent für Deutschland setzt sich zusammen aus einem Prozent realem BIP-Wachstum und zwei Prozent Inflationsrate. Für Länder mit besonders hoher Staatsverschuldung sollten diese Steigerungsraten geringer sein, um sicherzustellen, dass langfristig alle Länder wieder eine geringere Staatsverschuldung als 60 Prozent der Wirtschaftsleistung haben (Abbildung 1). Der große Vorteil einer solchen nominalen Ausgabenregel ist, dass sie deutlich antizyklischer ist als die bestehenden Regeln: In guten Zeiten schränkt sie die Ausgaben ein, weil sich diese am Potentialwachstum orientieren müssen und nicht am aktuell höheren tatsächlichen Wachstum; und in schlechten Zeiten gibt es mehr finanzpolitischen Spielraum, weil ein Einbruch der Einnahmen nicht zu einer Verringerung der Ausgaben führen muss.
Nationale Regelungen, die im Widerspruch zu dieser Ausgaberegel stehen, zum Beispiel die deutsche Schuldenbremse, sollten abgeschafft werden. Denn die Schuldenbremse verstärkt das negative, prozyklische Verhalten der Finanzpolitik in unserem Land und gibt vor allem Kommunen viel zu wenig Spielraum, eine weitsichtige Finanzpolitik umzusetzen.
Zweitens sollten Regierungen dazu verpflichtet werden, Ausgaben, die über diese erlaubten Steigerungsraten hinausgehen, durch nachrangige Anleihen zu finanzieren. Diese Anleihen müssten so gestaltet sein, dass sie im Insolvenzfall eines Landes erst bedient werden, nachdem die anderen, vorrangigen Anleihen bedient wurden. Das könnte bedeuten, dass diese Anleihen automatisch verlängert oder zumindest teilweise glattgestellt würden. Damit hängt es an der Glaubwürdigkeit der Politik, ob der Markt schuldenfinanzierte Mehrausgaben mit Risikoaufschlägen belegt. Handeln Regierungen unverantwortlich, werden die Finanzmärkte hohe Risikoprämien verlangen und Regierungen disziplinieren. Dies ist ein deutlich wirkungsvolleres Instrument als die bisherigen Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts und der Druck der europäischen Partnerländer.
Als drittes sollte die EU die Schaffung synthetischer Euro-Anleihen durch den Privatsektor ermöglichen, um ein größeres Angebot an sicheren Anleihen vorzuhalten. Somit könnten private Investoren die Staatsanleihen der Euroländer bündeln, verbriefen und als Sicherheiten bei der EZB hinterlegen. Dies würde sowohl das Angebot an sicheren Anleihen erhöhen als auch einen Anker der Stabilität schaffen und allen Ländern des Euroraums etwas mehr Zeit geben, auf eine Krise zu reagieren. Die Sorge, Deutschland würde hierdurch mehr Risiken übernehmen müssen, ist unberechtigt. Gewinnt der Euroraum an Stabilität, profitiert auch Deutschland.
Als viertes Element sollte die neue Schuldenregel durch ein Investitionsrecht ergänzt werden, das besagt, dass Regierungen fiskalische Anpassungen nicht alleine zulasten öffentlicher Investitionen in Bildung, Infrastruktur und Innovation machen dürfen. In der Krise haben viele Regierungen öffentliche Investitionen zurückgefahren und damit ihr eigenes Wirtschaftswachstum, folglich auch Beschäftigung und Steuereinnahmen, nachhaltig gebremst. Auch in vielen deutschen Kommunen wurden die öffentlichen Investitionen viel zu stark zurückgefahren.
Fünftens müssen europäische und nationale Institutionen gestärkt werden, um Regierungen zum richtigen finanzpolitischen Handeln zu drängen und Transparenz zu schaffen. So sollten alle Mitgliedstaaten verpflichtet werden, autonome und kompetente nationale Fiskalräte einzuführen. Zwar haben viele Länder solche Fiskalräte bereits, sie sind jedoch meist nicht unabhängig; zudem haben sie nur geringe Ressourcen und Möglichkeiten, unabhängige Analysen vorzunehmen und Empfehlungen auszusprechen. Zusätzlich sollte der europäische Fiskalrat gestärkt werden und direkt an einen europäischen Finanzkommissar berichten, der mehr Autonomie und Durchschlagskraft haben sollte als bisher.
Ergänzend zur Modernisierung der Fiskalregeln, die einen wichtigen Bestandteil der Reform Europas darstellen, könnte ein Stabilisierungsfonds helfen, um in Zukunft auf Krisen besser und schneller reagieren zu können und deren Kosten für Wirtschaft und Gesellschaft klein zu halten.Siehe in dieser Ausgabe den Beitrag von Marius Clemens (2019): Ein Stabilisierungsfonds als Instrument für einen krisenfesteren Euroraum. DIW Wochenbericht Nr. 18, 312–313.
Die 19 Länder des Euroraums haben ganz unterschiedliche wirtschaftliche Strukturen und sind unterschiedlich von konjunkturellen Schocks – zum Beispiel einem Einbruch der Nachfrage – betroffen. Die Länder sind nicht immer in der Lage, diese Schocks abzumildern. Die Geldpolitik, die diese Stabilisierungsfunktion übernehmen könnte, kann nur in begrenztem Maße auf die Rezession eines einzelnen Landes reagieren, weil sie für 19 Länder gleichzeitig gemacht wird. Die nationale Fiskalpolitik leistet eine solche Absicherung nur, wenn sie antizyklisch wirkt, also in schlechten wirtschaftlichen Zeiten vergleichsweise viel ausgibt. In einer Rezession sinken aber die nationalen Steuereinnahmen bei gleichzeitig steigenden Sozialausgaben. Die Euroländer sind nicht in der Lage, zusätzliche Ausgaben zur Stabilisierung der Wirtschaft zu tätigen, ohne sich über die Defizit- und Verschuldungskriterien des Euroraums hinwegzusetzen.Zu Reformvorschlägen für die Fiskalpolitik siehe in dieser Ausgabe den Beitrag von Marcel Fratzscher, Alexander Kriwoluzky und Claus Michelsen (2019): Neue Fiskalregeln für Europa. DIW Wochenbericht 18, 310–311. So werden dringend benötigte staatliche Investitionen reduziert oder ganz zurückgestellt, was die Rezession nochmals verstärkt. Das haben in den vergangenen Jahren einige europäische Länder erlebt.Philipp Engler und Mathias Klein (2017): Austeritätspolitik hat in Spanien, Italien und Portugal die Krise verschärft. DIW Wochenbericht Nr. 8 (online verfügbar, abgerufen am 8. April 2019. Das gilt, sofern nicht anders vermerkt, auch für alle anderen Onlinequellen in diesem Bericht).
Als Lösung dieses Problems wird hier ein Stabilisierungsfonds vorgeschlagen, der gewährleisten soll, dass das Konsumniveau in den Euroländern auch bei einer Rezession stabil bleibt. Der Fonds erlaubt es einzelnen Ländern, sich gegen spezifische Schocks abzusichern, und dem Euroraum, krisenfester zu werden, indem das Risiko innerhalb der Währungsgemeinschaft aufgeteilt wird.Marius Clemens und Mathias Klein (2018): Ein Stabilisierungsfonds kann den Euroraum krisenfester machen. DIW Wochenbericht Nr. 23 (online verfügbar); Guillaume Claveres und Marius Clemens (2017): Unemployment Insurance Union. Meeting Papers 1340, Society for Economic Dynamics.
In den Fonds fließen Beiträge der Mitgliedsländer ein (Abbildung 2). Er zahlt einzelnen Ländern in Krisensituationen Zuschüsse, die das Budget dieser Länder entlasten. Mit dem Stabilisierungsfonds soll kein permanenter und einseitiger Transfermechanismus, sondern eine Absicherung im Falle einer Rezession geschaffen werden.
Die Beiträge orientieren sich an der konjunkturellen Entwicklung und werden zur Risikoabsicherung gegen zukünftige Krisen eingezahlt. In schlechten Zeiten (definiert anhand harter Indikatoren) wird ein Teil aus dem gemeinsam aufgebauten Fondsvermögen an die jeweils betroffene Regierung ausgezahlt. Die Mittel müssen zweckgebunden, beispielsweise als Zuschuss zu Qualifizierungsmaßnahmen für Arbeitslose oder für dringend benötigte Investitionen, verwendet werden. Damit unterscheidet sich der Vorschlag in zweierlei Hinsicht vom aktuell diskutierten Modell einer europäischen Arbeitslosenversicherung.Vgl. Martin Greive und Jan Hildebrand (2018): Das sind die Details zu Scholz‘ Plänen für eine europäische Arbeitslosenversicherung. Handelsblatt Online, 16. Oktober 2018. In diesem Modell werden Kredite und keine Zuschüsse gewährt, und die Mittel dürfen nur zugunsten von Arbeitslosen verwendet werden.
Wichtig ist beim hier vorgeschlagenen Stabilisierungsfonds ein relativ automatischer, das heißt schneller Einsatz, der es der nationalen Finanzpolitik ermöglicht, bei Rezessionen expansiv ausgerichtet zu sein. Damit der Fonds seine Funktion erfüllt und sich die Euroländer nicht aus der Verantwortung freikaufen können, eine gute Wirtschaftspolitik zu führen (Moral-Hazard-Risiko), muss die Gestaltung des Instruments bestimmten Regeln folgen.
Erstens sollen permanente, einseitige Transferzahlungen verhindert werden. Dementsprechend werden Mittel nur dann ausgezahlt, wenn bestimmte Grenzwerte überschritten werden, zum Beispiel die Arbeitslosenquote eines Landes deutlich oberhalb des langfristigen Trendwerts liegt und stark ansteigt. Länder, die strukturell hohe und leicht ansteigende Arbeitslosenquoten haben, erhalten keine Zahlungen und haben auch weiterhin den Anreiz, die strukturellen Probleme auf dem Arbeitsmarkt zu beheben.
Zweitens ist es empfehlenswert, die Höhe der Zahlung in den Fonds, ähnlich dem Versicherungsprinzip, an verschiedene Charakteristika zu knüpfen. Deutschland als Land mit der höchsten Anzahl „versicherungspflichtiger“ Personen hätte damit wohl absolut gesehen den größten Beitrag zu zahlen. Pro Kopf dürfte die Summe allerdings niedriger sein als in vielen anderen Ländern, denn wie bei einer Versicherung sollten Länder, die in den vergangenen Jahren ein höheres Krisenrisiko hatten, auch einen höheren Pro-Kopf-Beitrag einzahlen. Dies dürfte auch strukturelle Reformanstrengungen motivieren.
Drittens ist es sinnvoll, die Mittel aus dem Fonds nicht an einen einzigen Zweck zu binden. Sonst beraubt man sich der Flexibilität, auf spezielle Ursachen von Krisen angemessen zu reagieren. Die Entscheidung darüber müsste die Regierung des Empfängerlandes in Absprache mit dem Fonds treffen. Nach diesen Prinzipien ausgestaltet reduziert ein Stabilisierungsfonds konjunkturelle Schwankungen und stellt einen Mechanismus dar, um den gesamten Währungsraum in Zukunft krisenfester zu machen.
Wenn in einem bestimmten europäischen Land die Produktion sinkt – zum Beispiel, weil die Nachfrage nach unten sackt –, sinken auch Einkommen und Konsum, weil dieses Land den Schock allein nicht gänzlich abfedern kann. Verteilt sich die Wirkung dieses Schocks aber auf mehrere Länder, sind einzelne Länder weniger betroffen. Das Beispiel der USA zeigt, dass integrierte Kapitalmärkte zur Abfederung von Produktionsschwankungen einen wichtigen Beitrag leisten: Während regionale Schocks dort zu etwa 60 Prozent geglättet werden – hauptsächlich über Kredit- und Kapitalmärkte –, sind es in der EU im Durchschnitt nur 20 bis 40 Prozent.Vgl. Europäische Zentralbank (2018a): Economic Bulletin, Issue 3/2018 (online verfügbar, abgerufen am 8. April 2019. Dies gilt, sofern nicht anders vermerkt, auch für alle anderen Onlinequellen in diesem Bericht); Michela Nardo, Filippo Pericoli und Pilar Poncela (2017): Risk sharing among European Countries. JRC Technical Reports, Joint Research Center, European Commission. DOI: 10.2760/028526
Ein wichtiger Grund für die mangelnde Risikoteilung in Europa besteht darin, dass die europäischen Kapitalmärkte im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) nach wie vor recht kleinVgl. Franziska Bremus und Tatsiana Kliatskova (2018): Rechtliche Harmonisierung kann Kapitalmarktintegration erleichtern. DIW Wochenbericht Nr. 51/52, Abbildung 1 (online verfügbar). und national fragmentiert sind. Investoren halten überproportional viele Wertpapiere heimischer Emittenten. Damit ist der sogenannte Home Bias in vielen europäischen Ländern hoch,Europäische Zentralbank (2018b): Financial Integration Report, 106 (online verfügbar). so dass nationale Schocks nur begrenzt über eine internationale Portfoliodiversifizierung abgefedert werden. Um stabilere Finanzmarktstrukturen in Europa zu schaffen und damit die Einkommens- und Konsumglättung zu fördern, sollen Integrationsbarrieren im Rahmen der europäischen Kapitalmarktunion Schritt für Schritt abgebaut werden.Vgl. Jens Weidmann und François Villeroy de Galhau: Auf dem Weg zu einer echten Kapitalmarktunion. Gastbeitrag in Les Echos und der Frankfurter Allgemeine Zeitung, 4. April 2019 (online verfügbar).
Grundsätzlich funktioniert die Glättung länderspezifischer Schwankungen besonders gut über grenzüberschreitende Eigenkapitalinvestitionen,Bent E. Sørensen et al. (2007): Home bias and international risk sharing: Twin puzzles separated at birth. Journal of International Money and Finance 26(4), 587–605. da diese tendenziell dauerhafter sind als Investitionen in Fremdkapital und Einkommensschwankungen direkt zwischen Kapitalgeber- und -nehmerland aufgefangen werden, zum Beispiel durch Anpassungen von Dividendenzahlungen. Dagegen kann die Integration von Anleihe- und Kreditmärkten sogar Schwankungen verstärken.Europäische Zentralbank (2018a), a.a.O; Franziska Bremus und Claudia M. Buch (2019): Capital Markets Union and Cross-Border Risk Sharing. In: Franklin Allen et al. (Hrsg.): Capital Markets Union and Beyond. MIT Press, im Erscheinen; Ayhan M. Kose, Eswar S. Prasad und Marco E. Terrones (2009): Does financial globalization promote risk sharing? Journal of Development Economics 89 (2), 258–270. Deshalb sollte insbesondere die Integration der Eigenkapitalmärkte vorangetrieben werden.
Neben Unterschieden in den Regelungen für den Finanzdienstleistungsmarkt sowie im Steuer- und Vertragsrecht haben sich heterogene und ineffiziente Insolvenzregeln als ein wesentliches Hindernis für die Integration der europäischen Kapitalmärkte herauskristallisiert.The Giovannini Group (2003): Second Report on EU Clearing and Settlement Arrangements (online verfügbar); Bremus und Kliatskova (2018), a.a.O.; Diego Valiante (2016): Harmonising Insolvency Laws in the Euro Area, CEPS Special Report Nr. 153, Dezember 2016. Unterschiedliche Insolvenzregelungen erschweren es, das Risiko einer Kapitalanlage im Ausland einzuschätzen, und machen sie somit unattraktiver. Eine geringe Effizienz spiegelt sich zum Beispiel in geringen Rückzahlungsquoten im Insolvenzfall und/oder einer langen Rückzahlungsdauer wider, so dass eine Anlage riskanter wird.
Auch wenn die Insolvenzregelungen in den vergangenen Jahren in vielen EU-Ländern reformiert und verbessert wurden, weisen die Indikatoren der OECD auf eine beträchtliche Heterogenität innerhalb der EU hin (Abbildung 3). Während die Insolvenzregelungen im Vereinigten Königreich schon seit 2010 unverändert effizient sind, bilden Ungarn und Estland hier das Schlusslicht.
Empirische Untersuchungen für den Zeitraum 2010 bis 2016 bestätigen, dass ineffiziente Insolvenzregelungen ein wichtiges Hindernis für die Integration von Aktien- und Anleihemärkten darstellen.Tatsiana Kliatskova (2019): Cross-border capital market integration and insolvency regimes, Arbeitspapier. Andersherum wird mehr in anderen Ländern investiert, je effizienter die Insolvenzregeln dort sind. Insbesondere präventive Maßnahmen spielen für Auslandsinvestitionen eine Rolle: Gibt es in einem Land Maßnahmen, die schon vor einer Insolvenz greifen, Frühwarnsysteme für Unternehmen oder spezielle Regelungen für kleine und mittelständische Unternehmen, dann investieren ausländische Investoren dort mehr in Eigenkapital.
Auch wenn es aufgrund der länderspezifischen rechtlichen Gegebenheiten schwer sein wird, die Insolvenzregeln innerhalb der EU zu vereinheitlichen, könnten also Qualitätssteigerungen auf nationaler Ebene, insbesondere im Bereich der präventiven Maßnahmen, ein vielversprechender Schritt sein, um die Integration der Kapitalmärkte zu verbessern. Darüber hinaus sollte mehr Transparenz über die länderspezifischen Regelungen hergestellt werden, indem vergleichbare Informationen zentral verfügbar gemacht werden, zum Beispiel zur Rangfolge von Forderungen im Insolvenzfall. Damit könnten nicht nur die Integration und marktbasierte Risikoteilung vorangetrieben werden, sondern auch notleidende Kredite in den Bankbilanzen abgebaut und damit die Bankenunion vervollständigt werden.
Die Gleichstellung von Frauen und Männern ist ein fundamentaler Wert der Europäischen Union und ein wichtiges politisches Ziel, sowie laut EU-Kommission ein entscheidender Faktor für wirtschaftliches Wachstum.Vgl. European Commission (2016): Strategic Engagement for Gender Equality 2016–2019 (online verfügbar, abgerufen am 11. April 2019. Dies gilt für alle Onlinequellen in diesem Bericht, sofern nicht anders angegeben). In der strategischen Verpflichtung der EU zur Gleichstellung der Geschlechter für die Jahre 2016 bis 2019 lagen die wesentlichen Prioritäten unter anderem auf der Förderung der ökonomischen Unabhängigkeit von Frauen und Männern, der gleichen Bezahlung für gleiche Arbeit und der Gleichstellung von Frauen und Männern in wichtigen Entscheidungsprozessen.
In keinem dieser drei Bereiche ist die Gleichstellung der Geschlechter in auch nur einem einzigen EU-Land erreicht. So liegt der Gender Pay Gap im EU-Durchschnitt derzeit bei 16 Prozent.Vgl. Informationen zum Gender Pay Gap auf der Website der Europäischen Kommission. Der Frauenanteil in den höchsten Entscheidungsgremien der größten börsennotierten Unternehmen lag im Jahr 2018 nur bei 26 Prozent.Vgl. Elke Holst und Katharina Wrohlich (2019): Frauenanteile in Aufsichtsräten großer Unternehmen in Deutschland auf gutem Weg – Vorstände bleiben Männerdomänen. DIW Wochenbericht Nr. 3, 20–34 (online verfügbar).
Um die Gleichstellung von Frauen und Männern in den höchsten Entscheidungsgremien der Wirtschaft zu befördern, wurde von der EU-Kommission im Jahr 2012 ein Gesetzentwurf zur Einführung einer verbindlichen Geschlechterquote für Aufsichtsräte der größten börsennotierten Unternehmen von 40 Prozent vorgelegt. Das Europäische Parlament hat diesen Gesetzentwurf im November 2013 mit großer Mehrheit beschlossen, jedoch wurde er im EU-Rat nicht angenommen.Vgl. Europäisches Parlament (2015): Gender balance on company boards (online verfügbar). Neben dem Vereinigten Königreich, Bulgarien, Tschechien, Dänemark, Ungarn, Litauen, Malta, den Niederlanden, Schweden und Slowenien hat sich im EU-Rat insbesondere auch die deutsche Regierung gegen eine EU-weite Regelung für eine verbindliche Geschlechterquote in Höhe von 40 Prozent eingesetzt.
Parallel zur Diskussion auf EU-Ebene gab und gibt es in vielen EU-Mitgliedstaaten Diskussionen zur Einführung von Geschlechterquoten für Entscheidungsgremien im privatwirtschaftlichen Sektor. Mittlerweile sind acht EU-Länder dem Beispiel (des Nicht-EU-Landes) NorwegensNorwegen war weltweit das erste Land, das im Jahr 2003 eine verbindliche Geschlechterquote von 40 Prozent für Aufsichtsräte staatlicher und börsennotierter Unternehmen eingeführt hat. gefolgt und haben verbindliche Geschlechterquoten festgelegt. Das erste EU-Land mit einer gesetzlichen Geschlechterquote war im Jahr 2007 Spanien, gefolgt von Belgien, Frankreich, Italien und den Niederlanden (jeweils 2011). Im Jahr 2015 führte Deutschland eine verbindliche Geschlechterquote von 30 Prozent für Aufsichtsräte von börsennotierten und paritätisch mitbestimmten Unternehmen ein. Zuletzt folgten 2017 Österreich und Portugal. Alle anderen EU-Länder haben entweder nur unverbindliche Empfehlungen zu Geschlechterquoten in den jeweiligen Corporate Governance Codes (elf Länder) oder gar keine gesetzlichen Regelungen und Empfehlungen (neun Länder).Eine ausführliche Übersicht findet sich in Holst und Wrohlich (2019), a.a.O.
Die acht Länder mit gesetzlichen Geschlechterquoten unterscheiden sich hinsichtlich der Höhe der Quote, der zeitlichen Frist, bis zu der die Quote erreicht werden muss, der Gruppe von Unternehmen, für die die gesetzliche Quote gilt, und insbesondere hinsichtlich der Sanktionen, die bei Nichterreichung für die betroffenen Unternehmen greifen. So sind beispielsweise in Spanien und den Niederlanden keine Sanktionen vorgesehen. In Frankreich und Italien hingegen sind die Sanktionen relativ hart – bis hin zu Strafzahlungen in Höhe von maximal einer Million Euro. Deutschland und Österreich haben hier einen Mittelweg gewählt mit Sanktionen in Form des „leeren Stuhls“.
Ein Vergleich der EU-Länder zeigt, dass Länder mit verbindlicher Quote in den letzten Jahren einen deutlichen Anstieg im Frauenanteil in den höchsten Entscheidungsgremien der größten börsennotierten Unternehmen verzeichnen konnten. Dieser Anstieg war deutlich größer als in den Ländern ohne verbindliche Quote, die sich diesbezüglich im gleichen Zeitraum kaum verbessert haben. Die Länder, die mittlerweile eine verbindliche Geschlechterquote haben, hatten Mitte der 2000er Jahre im Durchschnitt einen niedrigeren Frauenanteil in den Entscheidungsgremien als die Länder ohne Quote (acht versus zwölf Prozent im Jahr 2005). Im Jahr 2017 lag der Anteil in der ersten Gruppe bei 28 Prozent und damit um neun Prozentpunkte höher als in der Gruppe der Länder ohne Quote (Abbildung 4). Das heißt, seit Mitte der 2000er Jahre ist der Frauenanteil in den entsprechenden Gremien in den Ländern mit gesetzlicher Quotenregelung um 20 Prozentpunkte gestiegen, während er sich in den anderen Ländern lediglich um sieben Prozentpunkte erhöht hat.
Diese deskriptive Evidenz legt nahe, dass gesetzliche Quotenregelungen ein effektives Mittel sind, um den Frauenanteil in den Spitzengremien der Privatwirtschaft zu steigern. Da die EU gemäß ihrem Selbstbild international ein Vorbild bei der Gleichstellung der Geschlechter sein willVgl. z.B. Website der Europäischen Kommission., wäre eine EU-weite verbindliche Quotenregelung ein geeignetes Instrument zur nachhaltigen Steigerung des Frauenanteils.
In vielen europäischen Ländern beziehen Frauen weniger Renteneinkommen als Männer. In den kommenden Jahrzehnten werden zunehmend viele Menschen im alternden Europa das Rentenalter erreichen. Die Geschlechterungleichheit beim Renteneinkommen ist daher von besonderer Relevanz, da Frauen im Alter häufiger von sozialer Ausgrenzung und Altersarmut betroffen sind.Vgl. Social Protection Committee & European Commission (2018): The 2018 Pension Adequacy Report: current and future income adequacy in old age in the EU. Volume I, 32ff. (online verfügbar, abgerufen am 8. April 2019. Dies gilt sofern nicht anders vermerkt auch für alle anderen Onlinequellen in diesem Bericht). Dies stellt die Sozialsysteme der Mitgliedstaaten vor enorme Probleme. Dieser Beitrag vergleicht und diskutiert die sogenannten Gender Pension Gaps in verschiedenen europäischen Ländern.
Die Analyse nutzt hierfür zwei verschiedene Definitionen für die Berechnung der Gender Pension Gaps. Definition 1 berücksichtigt nur Menschen im Rentenalter, die tatsächlich ein Renteneinkommen beziehen, und gibt damit die Rentenungleichheit unter den RentenbezieherInnen wieder. Definition 2 berücksichtigt alle Menschen im Rentenalter, also auch diejenigen, die keine Rente erhalten. Diese werden mit einem Renteneinkommen von null berücksichtigt, wodurch die finanzielle Ungleichheit im Alter in einer umfassenderen Weise beschrieben wird.
Nach Definition 1 ist die durchschnittliche RentenlückeDie Berechnungen basieren auf Daten von SHARE. Für Details zu Methodik und Daten siehe Peter Haan, Anna Hammerschmid und Carla Rowold (2017): Geschlechtsspezifische Renten- und Gesundheitsunterschiede in Deutschland, Frankreich und Dänemark. DIW Wochenbericht Nr. 43 (online verfügbar) und www.shareproject.org. Bis auf einige wenige Änderungen wurde im genannten Wochenbericht die Rentenungleichheit in drei Ländern auf Basis der Definition 1 berechnet. Leichte Abweichungen in den Ergebnissen kommen unter anderem dadurch zustande, dass dort das Sample auf ein maximales Alter von 85 Jahre beschränkt und der Umgang mit Non-response bei den relevanten Pensionsvariablen angepasst wurde. Außerdem werden in der vorliegenden Version Befragte mit Einkommen durch eine Erwerbstätigkeit oder Arbeitslosengeld nur dann ausgeschlossen, wenn es sich hierbei nicht um eine Nebentätigkeit gehandelt hat. in allen betrachteten Ländern mit Ausnahme von Estland deutlich ausgeprägt, fällt aber in skandinavischen und osteuropäischen Ländern geringer aus (Abbildung 5). In Luxemburg, Portugal, Deutschland und den Niederlanden ist die Ungleichheit am stärksten.Solche Muster (teils mit Ausnahme von Schweden und Portugal) zeigen sich auch in anderen Studien. Vgl. Francesca Bettio, Platon Tinios und Gianni Betti (2013): The gender gap in pensions in the EU. Studie im Auftrag der Europäischen Kommission (online verfügbar); Platon Tinios et al. (2015): Men, women and pensions. Studie im Auftrag der Europäischen Kommission (online verfügbar).; Ilze Burkevica et al. (2015): Gender Gap in pensions in the EU. Research note to the Latvian Presidency. European Institute for Gender Equality (online verfügbar); Manuela Samek Lodovici et al. (2016): The gender pension gap: Differences between mothers and women without children. Study for the FEMM Committee. Policy Department C: Citizen’s Rights and Constitutional Affairs, Brussels; Social Protection Committee & European Commission (2018), a.a.O.
Betrachtet man die Gaps nach Definition 2, bekommen Frauen in fast der Hälfte der 18 betrachteten EU-Länder im Durchschnitt weniger als 50 Prozent des jährlichen Renteneinkommens der Männer. Die Rangfolge der Länder verändert sich merklich: Die größten Rentenlücken weisen nach dieser Definition nun Luxemburg, Spanien und Portugal auf. Auffällig ist der Sprung, den die Gender Pension Gaps in Griechenland (von 22 Prozent nach Definition 1 auf 51 Prozent nach Definition 2), Spanien (von 32 auf 74 Prozent) und Italien (von 32 auf 50 Prozent) sowie Belgien (von 34 auf 57 Prozent) machen, wenn Definition 2 herangezogen wird.Ähnliche Entwicklungen in Platon Tinios et al. (2015), a.a.O. Eine Erklärung hierfür könnten zumindest in den drei südeuropäischen Staaten relativ hohe Mindestbeitragszeiten (15 bis 20 Jahre)Vgl. OECD (2007): Pensions at a Glance Public Policies across OECD Countries, OECD Publishing, Part I, 132; OECD (2013): Pensions at a Glance 2013: OECD and G20 Indicators, OECD Publishing, 286ff. sein. In Verbindung mit einer geringen FrauenerwerbspartizipationVgl. OECD (2019): Employment rate (online verfügbar, abgerufen am 12. März 2019). könnten diese dazu beitragen, dass viele Frauen keine Rentenansprüche im Alter haben.
Auch in Slowenien, Österreich, Irland und Portugal steigt die Rentenungleichheit zwischen den Geschlechtern erheblich an, wenn man Menschen ohne Renteneinkommen einbezieht. Mit Ausnahme von Irland bestehen auch in diesen Ländern vergleichsweise hohe Mindestbeitragszeiten (mindestens 15 Jahre).Vgl. OECD (2007), a.a.O.; OECD (2011): Pensions at a Glance 2011: Retirement-income Systems in OECD and G20 Countries, OECD Publishing, 287; OECD (2013), a.a.O.
In Luxemburg, Deutschland und den Niederlanden sind die Renteneinkommensunterschiede zwischen Frauen und Männern besonders ausgeprägt – egal, welche der beiden Definitionen betrachtet wird.Die Befunde für Luxemburg, Deutschland, die Niederlande sowie Österreich und Irland werden qualitativ von vorherigen Studien bestätigt – für Slowenien und Portugal unterscheiden sich die Resultate deutlich. Vgl. Bettio, Tinios und Betti (2013), a.a.O.; Tinios et al. (2015), a.a.O. Obwohl in diesen Ländern niedrigschwelligere Voraussetzungen für einen Rentenanspruch vorherrschen (null bis zehn Jahre Beitragszeit),OECD (2013), a a.O. bestehen offensichtlich weitere gewichtige Mechanismen, die zu einer deutlichen geschlechtsspezifischen Rentenlücke führen. Mögliche Faktoren sind unterschiedlich stark ausgeprägte geschlechtsspezifische Ungleichheiten am Arbeitsmarkt.
Die geschlechtsspezifische Renteneinkommensungleichheit ist damit ein gravierendes europäisches Problem. In einigen, vor allem südeuropäischen Ländern könnte der Gender Pension Gap womöglich reduziert werden, indem die Voraussetzungen für den Bezug von Renteneinkünften aufgeweicht werden. Um die deutlichen Gender Pension Gaps zu reduzieren, die es in den meisten Ländern auch unter RentenbezieherInnen gibt, sollten zudem in allen Ländern zum einen die Erwerbsbiografien von Frauen gestärkt werden, so dass im erwerbsfähigen Alter mehr und höhere Rentenansprüche gesammelt werden können. Hierzu können insbesondere Maßnahmen beitragen, die die Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Familie für Männer und Frauen stärken. Zum anderen stellt sich allgemein die Frage, ob Sorge- und Familienarbeit, die oft mehrheitlich von Frauen geleistet wirdVgl. für Deutschland Claire Samtleben (2019): Auch an erwerbsfreien Tagen erledigen Frauen einen Großteil der Hausarbeit und Kinderbetreuung. DIW Wochenbericht Nr. 10, 139–144 (online verfügbar)., in den aktuellen Rentensystemen in einem ausreichenden Maß honoriert werden. Ein gesellschaftliches Umdenken ist notwendig, um einen fairen Einbezug von Frauen in den jeweiligen länderspezifischen Rentensystemen zu ermöglichen.
Eine wissensbasierte Gesellschaft kann ohne Wissen nicht florieren. Im globalen Wettbewerb stellen sich den Ländern der EU ähnliche Herausforderungen: Die zunehmende globale wirtschaftliche Integration, der demografische Wandel sowie neue Herausforderungen und geringere Halbwertszeiten von vorhandenem Wissen – Stichwort Digitalisierung – sind Themen, mit denen alle EU-Länder konfrontiert sind. Die Bildungspolitik kann auf einige der sich hier aufdrängenden Fragen Antworten liefern.
Gerade im Bereich der Aus- und Weiterbildung hat die EU bereits vieles bewegt. Die Errichtung einer „European Education Area“ ist propagiertes Ziel der EU-Kommission. Erasmus+ bündelt neben dem bekannten Hochschulaustauschprogramm Erasmus noch weitere Programme. Das „Digital Opportunity Traineeship“ ist ein in Erasmus+ verankertes Praktikantenprogramm, das insbesondere Informatikstudierende an privatwirtschaftliche Unternehmen in anderen EU-Staaten vermittelt.
Der Bologna-Prozess hat Universitätsabschlüsse harmonisiert. Der europäische Qualifikationsrahmen schafft eine Vergleichbarkeit verschiedener Abschlüsse oder Fähigkeiten. Sehr anerkannt ist in diesem Kontext der Europäische Referenzrahmen für Fremdsprachen (mit der Bewertung von A1 bis C2). Die „Youth Guarantee“ ist eine gemeinsame Absichtserklärung der EU-Staaten, um sicher zu stellen, dass alle unter 25-jährigen SchulabgängerInnen/AbsolventInnen innerhalb von vier Monaten wieder in Arbeit-, Fort- oder Weiterbildung gebracht werden. Hier konnten bereits einige Erfolge erzielt werden (Abbildung 6).
Der Bereich der schulischen Bildung ist im Rahmen der geplanten „European Education Area“ sowie in vielen bereits erfolgreich umgesetzten Programmen, zumindest relativ betrachtet, eine Randerscheinung. Hervorzuheben ist jedoch, dass Schulen als Teil des Erasmus+-Programms Anträge auf Schulpartnerschaften stellen und gemeinsame Fortbildungsprojekte realisieren können. Verglichen beispielsweise mit dem Bologna-Prozess, der europaweit Einfluss auf die Struktur von Studiengängen hatte, werden im Schulbereich jedoch relativ kleine Brötchen gebacken.
Doch auch im Schulbereich sollten die EU-Mitgliedstaaten gemeinsame Lösungen für gemeinsame Herausforderungen erarbeiten und von den Erfahrungen anderer EU-Länder profitieren. Wie sollten Schulen auf die Digitalisierung reagieren? Welche Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen für Lehrkräfte haben sich als zielführend erwiesen?
Gemeinsame Fragen gibt es genug. In der Wahrnehmung der Bürgerinnen und Bürger sind diese zwar oft nationale oder gar (wie in Deutschland) regionale Fragen. Hier gilt es, ein Bewusstsein zu schaffen und Akteure zu vernetzen, um Erfahrungen auszutauschen, ohne dass in die Bildungshoheit der Mitgliedsländer eingegriffen wird. Auf diese Weise könnte vermieden werden, dass Erkenntnisse nicht immer wieder dezentral neu gewonnen werden müssen.
Vorgeschlagen wird hier eine europäische Bildungsplattform, über die die EntscheidungsträgerInnen extern evaluierte Maßnahmen miteinander vergleichen und sich bei der Umsetzung unterstützen lassen können. Neben der Wirkung und den Kosten einer Maßnahme, beispielsweise des Einsatzes digitaler Technologien im Unterricht, sollte auch die Qualität der empirischen Evidenz bezüglich der Wirkung bewertet werden.
Ein entscheidendes Kriterium hierfür ist eine externe und unabhängige Evaluation. Dies geschieht idealerweise in sogenannten Feldexperimenten, in denen eine Maßnahme an rein zufällig ausgewählten Schulen durchgeführt wird. So sind spätere Unterschiede in Lernerfolgen kausal auf die Maßnahme zurückzuführen. Dies geschieht in Deutschland vereinzelt bereits.
In England wurden mit dem „Teaching and Learning Toolkit“ der „Education Endowment Foundation“ positive Erfahrungen gemacht. Hier werden über 120 verschiedene implementierte und extern evaluierte Maßnahmen in Hinblick auf ihre Kosten und Nutzen verglichen, interessierte Schulen vernetzt und bei der Umsetzung unterstützt.Vgl. Website der Education Endowment Foundation (abgerufen am 11. April 2019).
Eine solche Plattform, die EntscheidungsträgerInnen auf europäischer Ebene vernetzt und Schulen dabei unterstützt, gemeinsame Herausforderungen zu bewältigen, wäre eine zielführende europäische Bildungsinitiative. Insbesondere sollte die EU Gelder für die unabhängige und externe Evaluation von Maßnahmen zur Verfügung stellen. Neben dem Ausschöpfen von Synergien könnte auf diese Weise Bildungspolitik als europäisches Thema weiter im Bewusstsein der EU-Bürgerinnen und -Bürger verankert werden und eine „frühe“ Grundlage für die wirtschaftliche Zukunftsfähigkeit der EU gelegt werden.
Themen: Ungleichheit, Gender, Geldpolitik, Europa, Bildung
JEL-Classification: E61;E62;H62;H77;E32;E63;F45;E02;F21;G15;D22;J16;J78;M14;M51;J14;J26;I21;I28
Keywords: Fiscal rules, public debt, countercyclical policy, Monetary union, stabilization funds, fiscal policy, Capital market integration, legal harmonization, institutional Differences, Board diversity, gender equality, gender quota, Gender Pension Gap, Europe, SHARE, Education, program evaluation
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2019-18-3
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/198031