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Das sind die fünf wichtigsten Aufgaben für die neue EZB-Chefin Christine Lagarde

Blog Marcel Fratzscher vom 7. August 2019

Die Europäische Zentralbank (EZB) wird die Zinsen wohl weiter senken und könnte erneut Anleihen kaufen – so die unmissverständliche Botschaft der Währungshüter in der vergangenen Woche. Dies macht die Aufgabe für die neue EZB-Präsidentin Christine Lagarde nicht leichter. Zumal der Widerstand in Deutschland gegen die expansive Geldpolitik wieder wächst.

Europa stehen möglicherweise die schwierigsten Jahre seit dem Zweiten Weltkrieg bevor: Populismus, Nationalismus und Protektionismus sind weltweit auf dem Vormarsch und bedrohen Europa nicht nur von außen, sondern stellen es auch intern vor eine Zerreißprobe.

Der Gastkommentar ist im Handelsblatt am 5. August 2019 erschienen.

Christine Lagarde wird alle ihre Fähigkeiten als politische Mediatorin, Krisenmanagerin und Kommunikatorin benötigen, um die weitere Politisierung der EZB zu verhindern und ihre Unabhängigkeit zu schützen. Die Vollendung der europäischen Währungsunion – mit einer Kapitalmarkt- und Bankenunion, klügeren Regeln und einer stärkeren Koordinierung der Finanzpolitik, wie sie notwendig wären, um den Euro-Raum zu stabilisieren – wird wohl in den nächsten zehn Jahren eine Illusion bleiben.

Viele Regierungen weigern sich, weitere nationale Souveränität in der Wirtschafts- und Finanzpolitik abzugeben, auch wenn eine stärkere europäische Souveränität große wirtschaftliche Vorteile für alle hätte. Die EZB hat ihre geldpolitische Dominanz eingebüßt, da die Finanzpolitik ihr diese zunehmend streitig macht und die enormen Risiken für die Finanzstabilität die Handlungsspielräume der EZB einschränken.

Und die EZB läuft Gefahr, an Glaubwürdigkeit zu verlieren, da nationale Politiker sie als Sündenbock für ihre eigenen nationalen Fehler missbrauchen. Was kann die EZB in dieser Situation tun? Die kurze Antwort ist: Sie muss ihr Mandat und ihre Instrumente anpassen, um erfolgreich und glaubwürdig handeln zu können.

Die wichtigste Priorität muss für die EZB sein, so schnell wie möglich ihr Mandat der Preisstabilität wieder zu erfüllen, das sie seit fast sechs Jahren verfehlt. Die sich abschwächende Konjunktur wird die EZB daher wohl bald zwingen, die Zinsen zu senken und möglicherweise wieder Staatsanleihen zu kaufen. Auch wenn sie dafür massive Kritik aus Deutschland erntet, wird ihr nichts anderes übrig bleiben.

Die EZB muss auch ihre geldpolitische Strategie kritisch hinterfragen, um ihr Mandat in Zukunft besser erfüllen zu können. Dies kann gelingen durch eine flexiblere Definition der Preisstabilität, beispielsweise ein breiteres und symmetrisches Band für das Inflationsziel, und durch einen längeren Zeithorizont.

Gleichzeitig muss die EZB dem Druck einiger Mitgliedsländer, wie Deutschland, widerstehen und darf nicht versuchen, mit ihrer Geldpolitik nationale Regierungen zu bestimmten Reformen zu zwingen, so wünschenswert diese auch sein mögen. Denn dies wäre ein Verstoß gegen ihr Mandat.

Drittens sollte die EZB Wege finden, um die Transmission der Geldpolitik symmetrischer und gezielter auf einzelne Regionen und Sektoren ausrichten zu können, was sie zum Teil mit ihrer konditionalen Liquiditätsvergabe (TLTRO) bereits versucht. Aber die EZB muss auch klarstellen, dass der Ankauf von Staatsanleihen immer ein legales und auch legitimes Instrument sein wird.

Viertens sollte sich die EZB explizit das Ziel setzen, den Euro als globale Währung zu etablieren. Dies hat große wirtschaftliche und politische Vorteile für Europa und würde langfristig auch die Effektivität der EZB-Geldpolitik verbessern.

Zwar hängt die internationale Rolle des Euros vor allem von den nationalen Regierungen der Euro-Länder und deren Reformwillen ab. Aber auch die EZB sollte ihren Einfluss geltend machen, um den Euro global als Währung zu stärken und somit den Versuchen der USA und Chinas Paroli zu bieten, die eigene Währung als politisches Instrument zu nutzen.

Und die Zentralbank muss ihre Kommunikation verbessern. Um die Regierungen der Euro-Länder zu notwendigen Reformen zu drängen, sollte die EZB ihnen die Möglichkeit nehmen, die EZB als Sündenbock für nationale Fehler zu missbrauchen. Dies kann nur gelingen, wenn die Bürger endlich besser verstehen, wieso der Euro auch für sie persönlich so wichtig ist.

Und gerade hier liegt eine der großen Stärken der künftigen EZB-Präsidentin Lagarde: die Fähigkeit, nicht nur mit Finanzmärkten und Politikerinnen und Politikern, sondern auch mit Bürgerinnen und Bürgern zu kommunizieren. Die größte Herausforderung für die EZB in den kommenden Jahren wird es sein, ihre Glaubwürdigkeit zu wahren und ihre Unabhängigkeit zu schützen.

Die Aufgaben für die neue EZB-Präsidentin Christine Lagarde werden sicherlich nicht leichter, sondern schwerer werden. Aber die EZB kann und wird erfolgreich sein, wenn sie es schafft, ihre Strategie sinnvoll und weitsichtig anzupassen, ihre Politikmaßnahmen zu schärfen und mit der Öffentlichkeit besser zu kommunizieren.

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