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Bloß keine Neiddebatte!

Blog Marcel Fratzscher vom 27. August 2019

Alle Jahre wieder brandet die Debatte über eine Vermögensteuer von Neuem auf - aktuell ist sie dabei, wieder einmal zu einer Neiddebatte zu werden. Dabei sollte die Frage viel stärker im Mittelpunkt stehen, welche Besteuerung von Vermögen für Wirtschaft und Gesellschaft sinnvoll ist. Dies würde ein anderes und differenzierteres Bild der Vermögensteuer hervorbringen.

Der Gastkommentar ist auf SpiegelOnline am 26. August 2019 erschienen.

Drei Fragen werden bei der Analyse der Vermögensteuer vernachlässigt.

Erstens: Wie sollen Vermögen und Einkommen besteuert werden, um die Potenziale unserer Gesellschaft besser zu nutzen und somit den Wohlstand für alle zu steigern?

Fakt ist, dass kaum ein Industrieland Vermögen so gering und Einkommen auf Arbeit so stark besteuert wie Deutschland. Der deutsche Staat nimmt weniger als ein Prozent der Wirtschaftsleistung an Vermögensteuern ein. In Frankreich, Großbritannien oder den USA ist es das Vierfache.

Vor allem Menschen mit geringen Arbeitseinkommen müssen in Deutschland eine vergleichsweise hohe Steuer- und Abgabenlast tragen. Dabei macht es der deutsche Sozialstaat für viele Menschen wenig attraktiv, mehr zu arbeiten. Die Einkommensteuer gekoppelt mit einer starken sogenannten Transferentzugsrate bedeutet nicht selten, dass Menschen mit geringen Einkommen der größte Teil ihres zusätzlich Erwirtschafteten weggenommen wird. Das Ergebnis ist, dass viele Menschen gar nicht oder deutlich weniger arbeiten, als sie eigentlich wollen.

Ein kluges Steuersystem setzt zudem bessere Anreize für Unternehmen zu investieren, vor allem in Innovation und Produktivität. Deutschland hat nicht zuletzt deswegen so geringe Investitionen, weil das Steuersystem Eigenkapital, Innovation und Risikoverhalten diskriminiert. Steueranreize für die Aktivierung privater Investitionen sind daher sinnvoll - damit sind aber explizit nicht Einkommensteuersenkungen für Gutverdiener gemeint. Sie sind entgegen des vorherrschenden Mythos das falsche Instrument, um Investitionen zu aktivieren.

Kurzum, eine kluge Steuerreform würde die Steuerlast deutlich von Arbeitseinkommen zu Vermögen verschieben, und würde vor allem geringe Arbeitseinkommen entlasten.

Die zweite Frage ist: Wie soll die Vermögensbildung gefördert werden, sodass möglichst viele von der eigenen Arbeit leben und eigenständig agieren können, ohne vom Sozialstaat abhängig zu werden?

Deutschland hat mit die höchste Ungleichheit bei privaten Vermögen innerhalb der Eurozone. Ungewöhnlich dabei sind nicht die hohen Vermögen "der Reichen", sondern die Tatsache, dass 40 Prozent der Deutschen praktisch kein Vermögen, kein Erspartes haben - für sich selbst, für ihre Familie und Kinder, zur Vorsorge im Alter oder für Notfälle.
Dies treibt viele in die Abhängigkeit von einem Sozialstaat, der auch angesichts der demografischen Entwicklung immer weniger leistungsfähig ist. Eine Vermögensteuer per se wird jedoch an dieser Problematik nichts ändern. Sondern es sind die geringen Einkommen, unterbrochenen Erwerbsbiografien und der ungewöhnlich große Niedriglohnbereich in Deutschland, die viele Menschen daran hindern, Vorsorge zu betreiben und Erspartes aufbauen zu können.

Und die dritte Frage ist: Wie können private Vermögen besser mobilisiert werden, um stärker im Interesse der gesamten Gesellschaft agieren zu können?

Die Antwort ist, dass viel des privaten Vermögens in Deutschland bereits heute einen ganz essenziellen Beitrag zu Wirtschaft und Gesellschaft leistet. Ein großer Teil des Vermögens ist in der Form von Familienunternehmen des Mittelstands, die langfristig agieren und gut bezahlte und sichere Arbeitsplätze schaffen.

Eine kluge Vermögensteuer muss also sehr genau zwischen verschiedenen Formen und Funktionen von Vermögen unterscheiden. Eine steuerliche Entlastung und nicht eine Belastung von Familienunternehmen ist in vielen Fällen die ungleich bessere Option.

Das Problem in Deutschland ist vielmehr, dass passives oder passiv erworbenes Vermögen ungewöhnlich gering besteuert wird. Das liegt vor allem an der geringen Besteuerung von Grund und Boden.

Mehr als die Hälfte des gesamten privaten Vermögens in Deutschland heute wurde nicht mit eigener Hände Arbeit geschaffen, sondern durch Erbschaften und Schenkungen erworben. Jedes Jahr werden bis zu 400 Milliarden Euro vererbt oder verschenkt. Der Staat nimmt jedoch weniger als sieben Milliarden Euro an Erbschaftsteuern ein. Das Perfide dabei ist, dass Menschen mit weniger als 500.000 Euro an Erbschaften mehr als zehn Prozent Steuern zahlen, Menschen mit mehr als 20 Millionen Euro an Erbschaften jedoch weniger als zwei Prozent.

Das hat nichts mit Steuergerechtigkeit oder Gleichbehandlung zu tun. Das oft vorgebrachte Argument der Substanzbesteuerung von Unternehmen durch eine Erbschaftsteuer ist nicht mehr als ein falscher Mythos, der jeglicher Grundlage entbehrt.

Daraus lassen sich drei Schlussfolgerungen ziehen:

  1. Deutschland würde wirtschaftlich von einer Steuerreform profitieren, die Arbeitseinkommen entlastet und Vermögen stärker belastet, so wie es auch die meisten anderen Länder tun.
  2. Bevor man Steuererhöhungen in Erwägung zieht, sollte die Politik eine Gleichbehandlung im Steuersystem gewährleisten, so auch bei der Erbschaftsteuer.
  3. Es ist Vorsicht geboten bei einer Besteuerung von Vermögen, vor allem bei Unternehmen, die einen wichtigen gesellschaftlichen Beitrag leisten.

Eine stärkere Besteuerung von passivem Vermögen, vor allem von Grund und Boden, ist der ungleich bessere Weg hin zu einem ausgewogenen Steuersystem, das nicht nur eine grundlegende Fairness gewährleistet, sondern auch wirtschaftliche Potenziale heben hilft.

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