Kommentar vom 7. April 2020
Dieser Beitrag ist am 6. April 2020 im Tagesspiegel Background erschienen.
Nach der Corona-Solidarität sollte die Klima-Solidarität kommen. In ihrem Standpunkt richtet die DIW-Ökonomin Claudia Kemfert zunächst den Blick auf Parallelen zwischen Coronakrise und den Bemühungen gegen die Erderwärmung. Der Staat sollte seine Aufgaben stärker wahrnehmen. Sie sieht aber auch die Bürgergesellschaft gestärkt und entwirft das Bild eines neuen Generationenvertrags.
Müssen wir angesichts der dramatischen Covid-19-Krise jetzt tatsächlich alle Klimaschutzmaßnahmen auf Eis legen, wie jetzt vereinzelt, aber lautstark gefordert wird? Ist der Green Deal der EU nur etwas für Luxuszeiten? Und wenn wir jetzt „die Wirtschaft“ retten, welche Wirtschaft genau ist dann gemeint? Wir stecken gerade in einer dramatischen Krise, ohne Zweifel. Doch mit dem Klimawandel steuern wir bereits auf die nächste globale Notlage zu. So unterschiedlich die Klimakrise und die Covid19-Krise sein mögen, so tragen sie aber doch ganz ähnliche Muster in sich:
Deswegen ist es angebracht, schon jetzt – also noch inmitten der aktuellen Coronakrise – mitzudenken, wie wir die drohende Klimakrise verhindern oder zumindest abmildern können. Sonst machen wir den Fehler von 2009 ein zweites Mal: In der Finanzkrise hatte man Konjunkturprogramme und Finanzhilfen für veraltete und klimaschädigende Technik ausgegeben. Mit der Konsequenz, dass zehn Jahre später die Klimaziele nicht erreicht werden und wir uns in Städten mit Stickoxid-Problemen herumschlagen.
Wir wären klug beraten, diesmal nicht einfach den „Reset“-Knopf zu drücken, wenn die Pandemie abflaut und die Betriebe wieder ihr Geschäft aufnehmen. Es kann nicht einfach so weitergehen, als wenn nichts passiert wäre. Covid-19 muss unser Denken und unser Handeln verändern. Sonst bezahlen wir die Rettung aus der einen Krise blind mit den Kosten der nächsten Krise.
Klar ist: Wissenschaft und Forschung, das Gesundheits- und Sozialwesen müssen gestärkt werden, damit wir vergleichbare Krisen besser bewältigen können. Klar sollte aber auch sein: Die Rettungsschirme müssen so ausgespannt werden, dass unsere Wirtschaft auf zukunftsfähigen Technologien basiert.
Dekarbonisierung, Digitalisierung, Dezentralisierung und Demokratisierung sind die Schlüsselbegriffe der Zukunft. Wir werden aus der jetzigen Krise eine Menge lernen können. Etwa, dass viele Dinge, die vorher utopisch schienen, auf einmal möglich sind: emotionale Nähe und solidarische Achtsamkeit trotz „Social Distancing“ statt materiellem Egoismus und marktradikalem Survival-of-the-fittest. Sichere Fahrradstraßen statt autofixierter Verkehrspolitik. Homeoffice, Videokonferenzen und sogar virtuelle G20-Gipfel statt Diesel-Dienstwagen und Kerosin-Flüge um den halben Globus.
Aber vor allem wird niemand vergessen, wie wichtig in Zeiten der Krise staatliche Transparenz und Vertrauen in die gemeinschaftlichen Institutionen sind. Menschen in Angst mögen spontan nach einer starken, rettenden Hand rufen: Doch sie machen derzeit sehr nachdrücklich die Erfahrung, dass nicht die Diktatoren Menschenleben retten, sondern dass es viele Hände sind, die gemeinsam eine Bürgergesellschaft tragen. Deswegen liegt es an uns, dass wir sicherstellen: Nach der Corona-Solidarität kommt die Klima-Solidarität!
Themen: Energiewirtschaft , Klimapolitik , Verteilung