Blog Marcel Fratzscher vom 3. Mai 2021
Der Berliner Mietendeckel ist gescheitert, jetzt fordern einige dasselbe für den Bund. Aber das wird nicht helfen, um die Wohnungsfrage zu lösen. Es gibt bessere Ansätze.
Der Stopp des Berliner Mietendeckels durch das Bundesverfassungsgericht hat heftige Reaktionen ausgelöst. Viele VermieterInnen haben mit Erleichterung reagiert, da sie weiterhin die Mietsteigerung der vergangenen Jahre beibehalten können. Auf der anderen Seite gab es erheblichen Widerstand und Demonstrationen in Berlin von denen, die die Entscheidung als Fehler ansehen und sich Sorgen wegen enorm steigender Wohnkosten und der dadurch mitverursachten sozialen Polarisierung machen. Es ist höchste Zeit, dass die Politik viel stärkere Bemühungen unternimmt, um diese wichtige soziale Frage in den Griff zu bekommen. Die Lösungen dafür liegen längst auf der Hand.
Dieser Text erschien erstmals am 8. April 2021 in der Zeit Online-Kolumne Fratzschers Verteilungsfragen.
Zuerst zu den Fakten. Wie sehr das Wohnen zur sozialen Frage für viele Menschen geworden ist, lässt sich an den Mieten und Preisentwicklungen ablesen. Mitte der Neunzigerjahre zahlten Menschen in Deutschland durchschnittlich zwischen 20 und 25 Prozent ihres monatlichen Nettoeinkommens (also nach Steuern und Abgaben) für die Miete. Die Unterschiede zwischen den Einkommensgruppen waren gering. Das Fünftel mit den höchsten Einkommen (ohne eigene Wohnung) zahlte damals im Durchschnitt 18 Prozent für die Miete, das Fünftel mit dem geringsten Einkommen im Durchschnitt weniger als 25 Prozent. In den vergangenen 25 Jahren ist die Schere stark aufgegangen. 2018 zahlte das einkommensschwächste Fünftel im Durchschnitt 40 Prozent seines monatlichen Nettoeinkommens für die Miete. Das reichste Fünftel dagegen knapp 21 Prozent.
Eine detaillierte Analyse zeigt zudem, dass es vor allem Menschen in größeren Städten sind, die einen besonders starken Anstieg ihrer Mietkosten erlebt haben. Heute gilt jeder siebte Haushalt in Städten durch die Miete als überlastet, da er mehr als 40 Prozent des monatlichen Einkommens dafür aufbringen muss. Eine Studie des DIW Berlin zeigt, dass der Anstieg der Mieten das Armutsrisiko erhöht hat. Der Anteil der MieterInnen, die von Armut bedroht sind, hat sich seit 1991 fast verdoppelt, von 15 auf 29 Prozent.
Es kommt erschwerend hinzu, dass die Eigentumsquote in großen Städten deutlich geringer ist als auf dem Land. In Berlin beispielsweise wohnen mehr als 80 Prozent der Menschen zur Miete, weniger als 20 Prozent leben in den eigenen vier Wänden. Gerade die Frustration in Städten wie Berlin ist verständlich. Denn die 2010er Jahren waren für die Stadt wirtschaftlich sehr erfolgreich. Die Wirtschaft erlebte einen Boom, viele Menschen fanden gute Arbeit und die Löhne stiegen deutlich – auch wenn nach wie vor viele so wenig verdienen, dass sie und ihre Familien auf staatliche Leistungen angewiesen sind.
Aber oft sind die Mieten stärker und schneller gestiegen als die Einkommen, sodass viele letztlich Einschnitte in ihrer Lebensqualität erfahren mussten, obwohl sie mehr und härter arbeiten und bessere Löhne erzielen. Zwar gibt das Mietrecht vielen Menschen Schutz gegen eine Verdrängung aus ihrer Wohnung und gegen starke Steigerungen der Mietkosten. Schwer ist es jedoch für Menschen, die eine Familie gründen wollen und deshalb innerhalb der Stadt umziehen müssen und sich trotz höherer Einkommen eine Wohnung im eigenen Kiez nicht mehr leisten können. Hart ist es auch für viele Neu-BerlinerInnen, die große Schwierigkeiten haben, eine erschwingliche Wohnung zu finden.
So weit die Fakten. Sie zeigen, wie berechtigt die Sorge über den starken Anstieg der Wohnkosten ist. Zur Ehrlichkeit gehört jedoch auch, dass der vom Bundesverfassungsgericht abgelehnte Berliner Mietendeckel keine funktionierende Lösung für diese legitimen Bedenken und Sorgen ist. Eine Studie des DIW Berlin zeigt, dass der Mietendeckel zwar einigen geholfen hat, weniger Miete zu zahlen. Dabei handelt es sich aber häufig um Besserverdienende. Schlimmer noch, die Studie macht auch deutlich, dass der Mietendeckel zu einer starken Verknappung des Angebots geführt hat – seit seiner Einführung wurden nur noch halb so viele Wohnungen angeboten. Das zeigt, dass die in den vergangenen Jahren durch die Mietpreissteigerungen am stärksten Betroffenen – vor allem junge Familien, Menschen mit geringen Einkommen und ZuzüglerInnen – nicht nur nicht vom Mietendeckel profitieren, sondern sogar darunter leiden.
Die Lösungen für die soziale Frage des Wohnens sind hinlänglich bekannt, auch wenn sie kompliziert sind und lange Zeit brauchen werden, um zu greifen. Langfristig wird nur eine starke Ausweitung des Angebots durch viel Bauen den Druck im Wohnungsmarkt reduzieren können. Für eine Stadt wie Berlin mit einer so enorm großen Fläche ist dabei das Problem nicht der Platz per se, sondern der politische Wille. Auch viele AnwohnerInnen (Beispiel Tempelhofer Feld) wollen keine innerstädtische Verdichtung wegen der Sorge, ihre eigene Lebensqualität könne darunter leiden. Auch muss die Politik den sozialen Wohnungsbau wieder sehr viel stärker fördern. Die Forderung, man könne dies durch Enteignung von Immobilienunternehmen schaffen, ist ein Irrglaube, denn auch davon würden nur einige wenige profitieren und alle anderen dafür den Preis zahlen.
Es wird viele Jahre dauern, bis ein ausreichendes Angebot an Wohnraum den Druck von den Mieten nehmen wird. Für diesen Zeitraum ist eine kluge Regulierung möglich und sinnvoll, wie die Erfahrung mit der Mietpreisbremse in Berlin zeigt (auch wenn dies nicht die Patentlösung für alle Probleme sein wird). Der wohl beste und direkteste Weg ist das Wohngeld, um vielen Menschen und Familien mit geringen Einkommen die Chancen auf dem Wohnungsmarkt zu erhöhen. Dies ist eine teure Option, könnte jedoch durch eine Erhöhung der Grundsteuer oder eine einmalige Abgabe für große ImmobilienbesitzerInnen und teure Immobilien finanziert werden.
Es ist eine Ironie der Pandemie, dass ImmobilieneigentümerInnen zum größten Teil von den finanziellen Folgen verschont blieben. Seit Beginn der Corona-Krise sind Mieten um 4,2 Prozent und Kaufpreise von Eigentumswohnungen um 12,6 Prozent gestiegen. Gut für die Branche, nicht so gut für Familien, die in der Krise weniger Geld haben.
Mehr noch: Es sind vor allem die EigentümerInnen von gewerblichen Immobilien, denen ein großer Teil der Wirtschaftshilfen, wie den Überbrückungshilfen der Bundesregierung, zugutekommt, da die Mieten einen großen Teil der Kosten für Geschäfte, Restaurants, Cafés und andere kleine Gewerbe ausmachen. Ohne diese Wirtschaftshilfen hätten viele ImmobilieneigentümerInnen deutliche Verluste ihrer Mieten verbuchen oder zumindest große Konzessionen machen müssen. Eine Abgabe für größere ImmobilieneigentümerInnen – also nicht solche, die in ihrem eigenen Eigenheim leben – wäre eine kluge Möglichkeit, die Kosten der Pandemie etwas gleicher auf alle Schultern zu verteilen und gleichzeitig die Einnahmen zu nutzen, um MieterInnen mit kleinen Einkommen zu unterstützen.
Kurzum: Es gibt keine schnellen und einfachen Lösungen für die Frage, wie die Wohnkosten für viele wieder in ein gesundes Gleichgewicht zu ihrem Einkommen gebracht werden können. Aber die Lösungen sind vorhanden, sie brauchen Zeit, um umgesetzt zu werden. Es ist dringend an der Zeit, dass die Politik sich vor allem auf Bundesebene dieses Themas ernsthaft annimmt und die Weichenstellungen für die Zukunft setzt.
Themen: Immobilien und Wohnen , Ungleichheit