Blog Marcel Fratzscher vom 2. November 2021
Die ökologische Transformation ist weniger teuer, als viele annehmen. Es wären ausreichend Finanzmittel vorhanden, wenn die Preise für fossile Energieträger stiegen.
Die Empörung über steigende Energiepreise nimmt zu. Nicht nur das Benzin an der Zapfsäule wird teurer, viele Familien befürchten auch einen starken Anstieg der Heizkosten im bevorstehenden Winter. Diese Sorgen sind verständlich, denn gerade einkommensschwächere Familien müssen einen wachsenden Anteil ihres monatlichen Einkommens für die Kosten der Energie aufbringen.
Dieser Beitrag erschien erstmals am 22. Oktober 2021 bei Zeit Online in der Reihe "Fratzschers Verteilungsfragen".
Eine andere Wahrheit ist jedoch, dass die Regierungen in der Welt jedes Jahr Subventionen für fossile Energieträger – also Kohle, Öl und Gas – in Höhe von 5,9 Billionen US-Dollar oder 6,8 Prozent der jährlichen weltweiten Wirtschaftsleistung an Unternehmen sowie Konsumentinnen und Konsumenten zahlen. Diese gigantischen Subventionen für fossile Energien sind eine der größten Hürden zum Erreichen des 1,5-Grad-Ziels des Pariser Klimaschutzabkommens, also für die Umsetzung der ökologischen Transformation.
In einer neuen Studie des Internationalen Währungsfonds (IWF) haben Wissenschaftler die Kosten für jeden fossilen Energieträger, den dieser in der Produktion, für das Klima und für die Gesundheit der Menschen verursacht, berechnet und dann diese Kosten mit dem Preis, den Unternehmen und Menschen letztlich zahlen, verglichen. Das Ergebnis: Zwischen dem effizienten Preis, der die Kosten widerspiegelt, und dem tatsächlichen Preis besteht in den allermeisten Fällen ein großer Unterschied, vor allem für Kohle.
Die Kosten ergeben sich aus dem Schaden des Verbrauchs fossiler Brennstoffe für das Klima, aber auch aus dem Schaden für die Gesundheit. So berechnen Expertinnen und Experten beispielsweise, dass wegen des Ausstoßes von CO2 und der Umweltverschmutzung durch fossile Brennstoffe in Deutschland jedes Jahr 43.000 Menschen frühzeitig sterben. Die Berechnungen des IWF sind dabei noch recht konservativ, denn sie fokussieren sich auf die Kosten in der Gegenwart und ignorieren die Kosten für künftige Generationen.
Preise sollten nicht nur den Nutzen von Dingen – häufig für einige wenige, zahlungskräftige Menschen – widerspiegeln, sondern auch die sogenannten Externalitäten, also die direkten und indirekten Kosten für andere, auch und gerade für künftige Generationen. Daher ist eine sogenannte Grüne Inflation dringend notwendig: Wenn man die Belastung von Umwelt und Klima und die anderen impliziten Kosten der Bereitstellung von Gütern und Dienstleistungen berücksichtigen will, dann müsste der Preis für einige Dinge unseres täglichen Bedarfs heute deutlich höher sein, die Inflation müsste also höher liegen. Eine lange Fahrt mit dem Auto in den Urlaub müsste ein Vielfaches des heutigen Preises kosten, denn der ökologische Fußabdruck ist sehr viel größer als der Preis für Benzin und die anderen Kosten einer Reise.
Die Subventionen für fossile Energieträger in Deutschland sind laut IWF bezogen auf die Wirtschaftsleistung mit 1,9 Prozent – das entspricht 70 Milliarden Euro pro Jahr – noch immer sehr hoch. Allein der Preis für Kohle müsste in Deutschland viermal höher sein, als er derzeit ist. Man kann sich vorstellen, was ein fairer Preis für Kohle bedeuten würde: Diskussionen über einen "vorzeitigen" Kohleausstieg vor 2038 würden sich von selbst erledigen und die gigantischen Subventionen von 40 Milliarden Euro für den Kohleausstieg könnte sich der Staat, und damit die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, sparen.
70 Milliarden Euro weniger an Subventionen und zusätzlich jedes Jahr mehr Einnahmen durch eine faire Besteuerung fossiler Energieträger würden auf einen Schlag alle Sorgen der künftigen Bundesregierung über die Finanzierung der ökologischen Transformation lösen. Denn schon die 70 Milliarden entsprechen laut wissenschaftlicher Schätzungen den Kosten für diese Transformation. Kein Kampf mehr um Steuererhöhungen und Schuldenbremse. Die ökologische Transformation ist also weniger teuer, als es viele wahrnehmen: Es wären ausreichend Finanzmittel vorhanden, wenn fossile Energieträger über ihren Preis den Schaden kompensieren würden, den sie verursachen.
Mit der Einführung eines, wenn auch moderaten, CO2-Preises in Deutschland und anderswo ist ein erster kleiner Schritt getan, um den Preis für fossile Energieträger den wirklichen Kosten anzunähern. Nun gibt es viele gute Gründe, wieso diese Anpassung graduell über die Zeit gestreckt werden sollte. Die Wahrung der Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen und die Chance der Umstellung der Produktionsprozesse, die Zeit braucht, sind zwei valide Argumente.
Was jedoch kein valides Argument ist: Dass der Subventionsabbau bei fossilen Energieträgern und ein stärkerer Anstieg des CO2-Preises vor allem Menschen mit geringen Einkommen besonders hart treffen würden. Denn es sind vor allem die einkommensschwächsten und verletzlichsten Menschen, die den größten finanziellen und nichtfinanziellen Preis für diese Subventionen zahlen. Zwar mögen Menschen mit geringen Einkommen stärker von einem hohen Benzinpreis und Heizkosten relativ zu ihrem Einkommen betroffen sein. Fakt ist jedoch auch, dass Schäden für Gesundheit und Umwelt häufig eher Menschen mit geringerem Einkommen härter treffen. Hinzu kommt, dass der Staat die Gelder für die ökologische Transformation über Steuererhöhungen oder Kürzungen von Ausgaben finanzieren muss, was wiederum tendenziell eher Leistungen für einkommensschwächere Menschen belastet.
Wir brauchen dringend ein anderes Narrativ in der Diskussion für die ökologische Transformation: Es ist nicht so, dass Klimaschutz teuer ist und der Staat über höhere Steuern auf fossile Energiequellen den Klimaschutz finanziert. Sondern der Klimawandel durch fossile Energieträger verursacht die Kosten für Umwelt, Gesundheit und Wirtschaft. Es ist höchste Zeit, dass der Staat auch in Deutschland die massiven Subventionen für fossile Energieträger kürzt und möglichst schnell komplett streicht. Dies würde nicht nur einen wichtigen Impuls für die ökologische Transformation geben, sondern auch die notwendige Finanzierung dafür frei machen.
Eine Grüne Inflation spiegelt eine Anpassung relativer Preise wider. Und die Preise für klimaschädliches Verhalten müssen steigen, zum einen, um dieses Verhalten zu reduzieren, und zum anderen, um Anreize für Innovation und alternative, ultimativ klimaneutrale Wirtschaftsprozesse zu setzen. Und statt sich darüber zu beklagen, sollten wir als Bürgerinnen und Bürger Verantwortung übernehmen für unser Verhalten und für die Sicherung der Lebensgrundlage unserer Kinder und Enkelkinder.
Themen: Klimapolitik