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Wie wir die Zukunft finanzieren können

Blog Marcel Fratzscher vom 14. September 2021

Die Ökonomen Lars Feld, Direktor des Walter Eucken Instituts, und Marcel Fratzscher entwerfen in einem Gastbeitrag für "Die Zeit" die Idee einer neuen Finanzpolitik, die Investitionen trotz Schuldenbremse ermöglicht

Dieser Gastbeitrag erschien am 14. Oktober 2021 in der Zeit.

Die Wirtschafts- und Finanzpolitik Deutschlands hat eine entscheidende Weggabelung erreicht. Selten in den vergangenen 70 Jahren standen Wirtschaft und Gesellschaft vor so grundlegenden Herausforderungen – beim Klimaschutz, bei der digitalen Transformation und bei Bildung und Innovation. Die neue Bundesregierung muss jetzt die Weichen nicht nur für die kommenden vier Jahre, sondern für künftige Generationen stellen. Die Zeit drängt, wenn die Klimaschutzziele erreicht und die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft gesichert werden soll. Die Regierung darf nicht zaudern oder sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen. Stattdessen braucht sie eine überzeugende Transformationsagenda für Zukunftsinvestitionen mit einer soliden Finanzierung, die im Koalitionsvertrag festgeschrieben werden muss.

Unter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern besteht weitgehender Konsens über die künftige Ausrichtung der Finanzpolitik. Die neue Bundesregierung muss als Katalysator für private Investitionen agieren: bei Innovation, Klimaschutz und digitaler Transformation. Im Zuge dessen muss der Staat selbst erhebliche zusätzliche Investitionen tätigen.

Gleichwohl bestehen Zweifel, ob dies in der aktuellen Lage der öffentlichen Haushalte mit der Schuldenbremse vereinbar ist. Schon jetzt klafft ein Defizit im Bundeshaushalt für die kommenden Jahre. Hoffnungen, steuerliche Entlastungen allein würden genug wirtschaftliche Dynamik entfalten, um sich mittelfristig finanziell zu rechnen, sind überzogen. Zukunftsinvestitionen und Schuldenbremse scheinen in der derzeitigen Finanzpolitik nur schwierig miteinander vereinbar zu sein.

Ausgabenerhöhungen für Investitionen und Kürzungen an anderer Stelle

Eine kluge Transformationspolitik der Bundesregierung sollte zwei Komponenten enthalten: eine verlässliche und auskömmliche Finanzierung einerseits und die Vereinbarkeit dieser Ausgaben mit der Schuldenbremse andererseits.

Die erste Komponente beinhaltet nicht nur Ausgabenerhöhungen für Investitionen, sondern auch Ausgabenkürzungen an anderer Stelle. Wissenschaftliche Analysen zeigen, dass 500 Milliarden Euro an zusätzlichen öffentlichen Investitionen für Klimaschutz, Digitalisierung, Innovation und Bildung in den kommenden zehn Jahren notwendig sein werden – oder durchschnittlich 50 Milliarden Euro pro Jahr und 200 Milliarden Euro für die nächste Legislaturperiode. Dies ist schon zum Teil in der mittelfristigen Finanzplanung vorgesehen, aber angesichts finanzpolitischer Risiken unsicher.

Ein Teil des Pakets sollte daher aus signifikanten Kürzungen bei Finanzhilfen und Steuersubventionen bestehen. Mehr als zehn Milliarden Euro jährlich können so zusammenkommen, etwa durch die Abschaffung von Ausnahmen bei der Mehrwertsteuer und bei der Subventionierung von Dieselkraftstoff – und für die Länder durch eine Erbschaftsteuer mit weniger großzügigen Ausnahmen.

Ein Teil der Finanzierung könnte auch eine Steuerreform sein, die Unternehmen zielgenau steuerlich entlastet und grüne sowie digitale Investitionen anstößt, idealerweise über die Möglichkeit von Sofortabschreibungen für Unternehmen bei Investitionen zum Erreichen der Klimaneutralität. Die steuerliche Entlastung von kleinen und mittleren Einkommen, um die Progression und hohe Grenzsteuersätze abzumildern, kann die Beschäftigung erhöhen. Erforderlich ist eine Vereinfachung des Steuersystems, die Hand in Hand mit dem Abbau von Steuersubventionen geht.

Vereinbarkeit von Zukunftsinvestitionen und Schuldenbremse

Die zweite Komponente der Transformationspolitik muss die Vereinbarkeit von Zukunftsinvestitionen und Schuldenbremse sein. Die Schuldenbremse mag in ihrer Ausgestaltung verbesserungswürdig sein, aber die öffentliche Verschuldung an Regeln zu binden ist grundsätzlich richtig und eine Neuverhandlung der gegenwärtigen Schuldenbremse politisch nicht realistisch. Die neue Bundesregierung muss einen Weg finden, die erforderlichen Zukunftsinvestitionen zu tätigen, ohne den Sinn der Schuldenbremse zu entstellen.

Wir sehen zwei Elemente der Finanzierung, mit denen dies gelingen kann. Das erste Element ist die Bildung eines Transformationsfonds, in den die neue Bundesregierung einmalig im Haushalt des kommenden Jahres 200 Milliarden Euro für die nächsten vier Jahre einstellt, mit spezifischen Auflagen für deren Verwendung. Es handelt sich dabei um eine Art Rücklage wie die im Jahr 2016 gebildete Asylrücklage von ursprünglich 48 Milliarden Euro, die über ein paar Jahre die Kosten der Integration und Unterbringung der Flüchtlinge finanzieren sollte. Anders als die damalige Rücklage soll die neue aber nicht aus Haushaltsüberschüssen gebildet werden, sondern aus Verschuldung oder Kreditermächtigungen. Das müssen nicht ausschließlich neue Kredite sein. Ein Teil dieser Summe kann aus bestehenden, aber noch nicht abgerufenen Corona-Programmen finanziert werden. Sie waren schließlich nicht zuletzt für Investitionen in Klimaschutz und Digitalisierung gedacht. Diese würden im Sinne einer Rücklage genutzt, aber im Einklang mit haushaltsrechtlichen Prinzipien wie der Haushaltswahrheit und -klarheit stehen.

Der Vorteil eines solchen Fonds besteht darin, dass 2022 die Schuldenbremse noch einmal ausgesetzt werden müsste. Ab 2023 aber wäre sie wieder uneingeschränkt gültig. Sie würde zudem nicht durch ein rechtlich selbstständiges Investitionsvehikel umgangen, wie es andere Ökonomen vorschlagen. Das schafft Klarheit und Verlässlichkeit. Gleichzeitig müsste aber geklärt werden, ob und wie ein solcher Fonds verfassungskonform gestaltet werden kann. Über die Auffüllung existierender Sondervermögen sollte dies jedoch möglich sein. Er könnte entweder direkt durch die Ausgabe von Anleihen gefüllt werden oder Kreditermächtigungen enthalten. Da die Umsetzung der Investitionsprojekte Zeit in Anspruch nehmen wird, ist ein Vorteil eines solchen Fonds, dass die Gelder flexibel und gestaffelt über die Jahre abgerufen werden können.

Das zweite Element der Finanzierung im Einklang mit der Schuldenbremse ist die Nutzung bestehender Mittel aus dem europäischen Programm Next Generation EU (NGEU) und aus bestehenden nationalen Quellen, wie den bereits im Bundeshaushalt eingestellten zusätzlichen Investitionen für Klimaschutz und Digitalisierung. Beide Elemente zusammen geben der neuen Bundesregierung die Möglichkeit, die zusätzlichen Investitionen und steuerlichen Entlastungen für Klimaschutz, Digitalisierung und Innovation bei voller Einhaltung der Schuldenbremse ab 2023 zu meistern.

Schwieriger, aber möglicher Spagat

Die Stärke einer solchen Transformationspolitik ist ihre Zuverlässigkeit und Planbarkeit. Die ökologische und digitale Transformation erfordert hohe private Investitionen. Die Unternehmen sind aber nur bereit, sie zu tätigen, wenn sie eine verlässliche Perspektive haben. Der Fonds geht hier mit einer verbindlichen Bereitstellung der notwendigen Gelder in Vorleistung und erhöht so die Verlässlichkeit. Zudem sind Rechenschaftspflichten und ein Verbot der Zweckentfremdung der Investitionsmittel wichtige Elemente. Um die Gefahr zu minimieren, dass für Klimaschutz oder Digitalisierung vorgesehene Investitionen in konsumtive staatliche Zwecke fließen, ist es essenziell, Mechanismen und Kontrollen zu schaffen, damit der Bundestag seiner Kontrollfunktion erfolgreich nachkommen kann.

Die neue Bundesregierung muss wichtige Weichenstellungen für die Transformation der deutschen Wirtschaft vornehmen. Sie braucht eine Transformationspolitik, die einerseits zusätzliche öffentliche Investitionen bereitstellt und private Investitionen mobilisiert und die andererseits finanzpolitisch solide und vereinbar mit der Schuldenbremse ist. Dieser Spagat ist schwierig, aber möglich.

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