Blog Marcel Fratzscher vom 10. Februar 2022
Dieser Beitrag erschien im Handelsblatt.
Die Volksrepublik hat trotz einiger Stärken das Potenzial, die nächste Weltfinanzkrise auszulösen, warnt Marcel Fratzscher.
Selten war die wirtschaftliche Zukunft so schwer vorherzusehen wie in der Corona-Krise. Zu viele Unwägbarkeiten und mangelnde Erfahrung im Umgang mit Pandemien erleichtern es Politik und Wissenschaft nicht gerade, die Risiken in ihrer Tragweite richtig einzuschätzen und ihnen vorzubeugen. Obwohl und gerade weil das so schwierig ist, muss die Politik sich besser als bisher auf solche Risiken vorbereiten.
Dieser Beitrag erschien am 10. Februar 2022 im Handelsblatt.
Selten war die wirtschaftliche Zukunft so schwer vorherzusehen wie in der Corona-Krise. Zu viele Unwägbarkeiten und mangelnde Erfahrung im Umgang mit Pandemien erleichtern es Politik und Wissenschaft nicht gerade, die Risiken in ihrer Tragweite richtig einzuschätzen und ihnen vorzubeugen. Obwohl und gerade weil das so schwierig ist, muss die Politik sich besser als bisher auf solche Risiken vorbereiten.
Eines der am meisten unterschätzen Risiken in den kommenden zwei Jahren könnte eine weltweite Finanzkrise sein, vor allem in Schwellenländern wie China. Gerade weil die Pandemie alle Aufmerksamkeit bündelt, werden die steigenden Risiken für das Finanzsystem zu einem blinden Fleck. Zwar warnen internationale Organisationen vor zunehmenden Finanzrisiken in Schwellen- und Entwicklungsländern – und haben Erleichterungen der Finanzierung und ein partielles Schuldenmoratorium durchgesetzt –, aber dieses Risiko ist viel größer als viele ahnen.
Drei Faktoren haben die Wahrscheinlichkeit einer regionalen oder gar einer systemischen Finanzkrise deutlich erhöht: Zahlreiche Unternehmen stehen durch die Pandemie am Rande ihrer Existenz, das könnte zu Kreditausfällen und Problemen für das Finanzsystem führen. Auch die sich durch den Klimawandel häufenden „Naturkatastrophen“ werden sich immer stärker destabilisierend auf Volkswirtschaften und Finanzsysteme auswirken.
Seit der Weltfinanzkrise nehmen überdies die globalen Ungleichgewichte bei den Schulden stark zu, was durch die Pandemie weiter befeuert wird. Vor allem der Immobiliensektor und der damit verbundene Anstieg privater Verschuldung haben in einigen Ländern ein besorgniserregendes Niveau erreicht. Auch die vielerorts zu beobachtende steigende Staatsverschuldung ist vor allem für Schwellenländer riskant, weil sie sich zu viel höheren Zinsen und nicht selten auch in ausländischer Währung verschulden müssen. Die Risiken vieler Finanzinstitutionen sind ebenfalls gestiegen – weltweit und insbesondere in China –, insbesondere weil es keine oder nur eine unzureichende Regulierung von Schattenbanken und Kryptowährungen gibt.
China könnte als erster Dominostein fallen, dabei das globale Finanzsystem mitreißen und die Weltwirtschaft in die Knie zwingen. Mehrere Gründe sprechen dafür, dass die Finanzkrise in China ihren Anfang nehmen dürfte. Fakt ist: Nie zuvor hat ein Schwellenland weltweit ein derart starkes Wachstum und einen Aufholprozess erfolgreich bewerkstelligen können, ohne eine oder mehrere große Finanzkrisen durchleiden zu müssen.
Denn eine starke wirtschaftliche Dynamik verändert die Struktur der Volkswirtschaft, führt zu realwirtschaftlichen Verwerfungen und überfordert damit nicht selten die Strukturen des nationalen Finanzsystems. Die Finanzkrisen in Lateinamerika in den 1980er-Jahren und 1992/93 sowie in Asien 1996/97 sind mahnende Beispiele. Überdies hat China ein wenig modernes Finanzsystem mit intransparenter staatlicher Regulierung, die der Logik der Politik und nicht des Marktes folgt.
Vor allem der Immobiliensektor ist in China zu einem Pulverfass geworden. Im jahrzehntelangen Boom haben sich Immobilienkonzerne und private Haushalte massiv verschuldet, weil sie immer weiter steigender Immobilienpreise erwarten. Inzwischen wissen wir, wie groß die Fehlinvestitionen in China sind. Der drohende Kollaps des chinesischen Immobilien Evergrande ist nur die Spitze des Eisbergs. Noch konnten die chinesische Regierung und ihre Zentralbank den Konzern retten. Aber es ist unwahrscheinlich, dass diese Rettung die Probleme löst und es nicht noch zahlreiche andere Immobilienkonzerne gibt, die vor der Insolvenz stehen.
China hat einige Stärken, um eine vom Immobiliensektor verursachte Finanzkrise bewältigen zu können. Dazu gehören die tiefen Taschen des chinesischen Staats und dessen umfassende Kontrolle über weite Teile des Finanzsystems. Der Staat kann private Geldgeber zwingen, weiter Kredite auch an marode Firmen oder Finanzinstitutionen zu geben – wobei das nur Zeit kauft, die Probleme aber nicht löst. Chinas wohl größter Vorteil ist jedoch der immer noch weitgehend geschlossene Kapitalverkehr: Privates Kapital kann nur in sehr begrenztem Maße abgezogen werden und dadurch das Finanzsystem destabilisieren.
In fast allen Finanzkrisen der Schwellenländer war Kapitalflucht eines der größten Probleme, weil auch gesunde Unternehmen in die Insolvenz getrieben werden, wenn sie keine ausreichende Finanzierung mehr erhalten. In China ist das anders, weil dort die Kreditvergabe nahezu vollständig durch einheimische Finanzinstitutionen erfolgt. Außerdem werden die Kredite fast ausschließlich in einheimischer Währung vergeben, was der Zentralbank durch einen geschlossenen Kapitalverkehr die Möglichkeit gibt, eine Abwertung des Renminbi zu verhindern.
Trotzdem könnte für China bald der Zeitpunkt kommen, an dem das Land die massiven Probleme seines Finanzsystems nicht mehr unter den Teppich kehren kann, sondern lösen muss. Dann wird die Insolvenz großer Immobilienkonzerne, einiger staatlichen Banken und die Schließung zahlreicher anderer Staatskonzerne unvermeidbar.
Es gibt weitere Faktoren, die China stark zusetzen dürften. Einer ist der Handelskonflikt mit den USA und zunehmend auch mit Europa. Selbst die Bewältigung der Pandemie, die bisher in China vergleichsweise effektiv war, könnte noch enorme Probleme produzieren. Sollte sich bewahrheiten, dass die beiden chinesischen Impfstoffe keinen oder nur geringen Schutz gegen Omikron und andere neue Virus-Varianten bieten, könnte bald – wie im Frühjahr 2020 – die Schließungen von Fabriken und Handelsrouten die Folge sein.
Eine Finanzkrise Chinas würde die Weltwirtschaft hart treffen. China hat eine systemische Bedeutung, gerade für viele Hightech-Produkte. Noch massivere Störungen der Lieferketten wären das unweigerliche Resultat. Zudem ist China einer der größten Abnehmer auch deutscher Exporte. Die drei großen Autokonzerne Volkswagen, Daimler und BMW erzielen mehr als 30 Prozent ihrer Gewinne in der Volksrepublik. China hat die Kontrolle über wichtige Rohstoffe wie seltene Erden. Und geopolitisch könnte eine Finanzkrise Chinas große Verwerfungen auslösen, weil autoritäre Regime dazu neigen, durch externe Konflikte von internen Problemen abzulenken. Mit Taiwan und anderen Nachbarn im Südchinesischen Meer gibt es schon jetzt harte Auseinandersetzungen.
Das Risiko von Finanzkrisen hat mit der Pandemie deutlich zugenommen. Selbst wenn sich die Risiken schwer einordnen lassen, sollten wir sie nicht unterschätzen – so wie wir es gerade tun. Einiges spricht dafür, dass China der erste Dominostein im globalen Finanzsystem sein dürfte, der fällt. Darauf sollten wir uns vorbereiten, indem Unternehmen und Finanzinstitutionen kurzfristig ihre finanziellen Risiken in China begrenzen. Auch in Deutschland müssen wir nun konkrete Schritte ergreifen, um unsere Wirtschaft langfristig resilienter zu machen und besser gegen Finanzrisiken abzusichern.
Themen: Europa , Finanzmärkte , Konjunktur