Ein Gasembargo beendet diesen Krieg nicht

Blog Marcel Fratzscher vom 11. März 2022

Dieser Beitrag erschien bei Zeit Online.

Moralisch ist die Forderung völlig verständlich, sofort und komplett auf russisches Gas zu verzichten. Wie können wir einem Autokraten, der durch seinen Krieg unermessliches menschliches Leid verursacht, jeden Tag 700 Millionen Euro für Gasimporte zahlen, die er bisher auch für den Aufbau seiner Kriegsmaschinerie nutzt?

Nur: Ökonomisch und politisch wäre ein sofortiger und kompletter Importstopp voraussichtlich nicht nur wirkungslos, sondern könnte gar kontraproduktiv sein. Sicherlich schwingt dabei auch die Angst um unsere eigene Wirtschaft mit, doch ein europäischer Importstopp würde weltweit erheblichen Schaden verursachen – gerade in Entwicklungs- und Schwellenländern. Europa braucht jetzt eine kluge Strategie in der Orchestrierung seiner Sanktionen, um das russische Regime zum Einlenken zu bewegen und gleichzeitig moralisch und ökonomisch die richtigen Weichenstellungen zu setzen.

Dieser Beitrag erschien am 11. März 2022 bei Zeit Online in der Reihe Fratzschers Verteilungsfragen.

Ineffektiv könnte ein sofortiger und kompletter Importstopp von russischem Gas nach Europa sein, weil es die russische Regierung an ihrem Krieg gegen die Ukraine kurzfristig kaum hindern würde. Russland kommt ohnehin aktuell nicht an unsere Zahlungen für die Gasimporte, da diese in Euro oder US-Dollar getätigt werden. Durch die Isolation der russischen Zentralbank und russischer Banken im internationalen Finanzsystem kann Putin diese Einnahmen nicht nutzen, um Technologien, Maschinen oder andere Vorleistungen im Ausland für die russische Kriegsmaschinerie zu erwerben. Auch können russische Institutionen sie nicht weiter transferieren, um beispielsweise die Sanktionen mit China zu umgehen, da die Gelder im westlichen Finanzsystem eingefroren sind.

Am Krieg ändert ein Importstopp nichts

Die westlichen Sanktionen lassen nur Transaktionen in einigen wenigen, vor allem humanitären Bereichen zu, die den verletzlichsten Menschen in Russland helfen sollen. Sicherlich sind die 200 Milliarden Euro (bei gegenwärtigen Gaspreisen), die wir jedes Jahr an Russland überweisen, viel Geld, das der russischen Regierung nach Beendigung der Sanktionen helfen wird, ihre Wirtschaft und wohl auch ihr Militär wieder aufzubauen. Aber kurzfristig wird ein Importstopp nichts am Krieg ändern können.

Schaden in Entwicklungsländern

Kontraproduktiv wäre ein kompletter Importstopp von russischem Gas, da er nicht nur in Deutschland und in der ganzen EU Schaden und Leid anrichten würde, sondern darüber hinaus die ärmsten Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländern hart treffen würde. Ein kompletter Umstieg Europas von russischem Gas auf andere Energieträger, wie Öl und vor allem Flüssiggas LNG, noch vor dem nächsten Winter wäre vielleicht möglich, dürfte die Energiepreise kurzfristig aber noch stärker steigen lassen – und zwar weltweit. Denn die meisten dieser Energieträger sind in ihrem Angebot und ihrer Verfügbarkeit erst einmal beschränkt. So hat beispielsweise Europa zwar Kapazitäten für zusätzliche Importe von LNG. Dies würde jedoch die Verfügbarkeit von LNG in vielen asiatischen Länder reduzieren und auch dort zu deutlich höheren Preisen und Engpässen führen. Höhere Energiepreise und damit steigende Lebensmittelpreise, mögliche Produktionsausfälle und Arbeitslosigkeit würden vor allem die ärmsten Menschen in Deutschland, Europa und vor allem in den Entwicklungsländern treffen.

Einfluss auf globale Lieferketten

Somit würde ein sofortiger Importstopp der Weltgemeinschaft und den Gegnern Putins viel Leid zufügen, ohne Putin einen zwingenden Grund zu geben, seinen Krieg zu beenden. Genauso verletzlich ist die Weltgemeinschaft, wenn Russland die Exporte von Düngemittel und von Rohstoffen, wie seltenen Erden, reduziert oder stoppt. Die globale Nahrungsmittelproduktion und globale Lieferketten würden empfindlich getroffen, was sich auf die globale Wirtschaft ähnlich stark auswirken könnte, wie die Unterbrechungen in der Corona-Pandemie in den vergangenen zwei Jahren.

Wir hätten die Abhängigkeit früher beenden müssen

Die Realität ist, dass Russland durch seine zentrale Rolle bei den Exporten von Energie und anderen Rohstoffen eine erhebliche Macht über die Weltwirtschaft erlangt hat. Auch wenn wir es uns nicht gerne eingestehen, aber wir haben uns von Russland erpressbar gemacht. Selbst nach der Annexion der Krim haben wir keinen Kurswechsel vollzogen und uns weiterhin in die Abhängigkeit Russlands begeben. Wir haben es versäumt, die Energiewende und den Umstieg auf erneuerbare Energien deutlich zu beschleunigen. Genauso hätte Europa sich aus der Abhängigkeit von anderen russischen Rohstoffen längst lösen und globale Lieferketten diversifizieren müssen. Der blinde Glaube in die Effizienz der Globalisierung hat sich bereits in der Pandemie gerächt, und rächt sich nun durch den Krieg Russlands in der Ukraine doppelt.

Eine realistische Reduktion der Importe wäre besser

Um dies deutlich zu betonen: all dies bedeutet nicht, dass die EU kurzfristig nicht die Gasimporte aus Russland reduzieren sollte. Sie sollte es jedoch begrenzt und zeitlich gestaffelt tun, und in einer Art und Weise, bei der Einsparungen und nicht eine Verlagerung zu anderen Angebotsarten im Mittelpunkt stehen. Die europäische Kommission schlägt vor, noch in diesem Jahr auf zwei Drittel der Gasimporte aus Russland zu verzichten. Dies ist realistisch und hält die ökonomischen Kosten in Grenzen.

Vor allem sollten diese Einsparungen durch ein Absinken des privaten Energiekonsums geschehen, indem beispielsweise beim Heizen gespart wird und bei der Mobilität ein stärkerer Umstieg vom Auto auf den öffentlichen Nahverkehr gelingt. Und es sollte schnell alles in die Wege geleitet werden, was die energetische Gebäudesanierung beschleunigen könnte. Auf der Angebotsseite sollte der eh schon überfällige Ausbau von erneuerbaren Energien deutlich vorangetrieben werden. Zudem wird wohl auch kein Weg daran vorbei führen, zumindest temporär mehr Kohle bei der Energieproduktion zu nutzen.

Gleichzeitig muss die Energiewende beschleunigt werden

Ein sofortiger und kompletter Importstopp von russischem Gas nach Europa klingt zwar vernünftig und moralisch richtig, ist aber nicht unbedingt ein wirkungsvoller Hebel, um den Krieg zu beenden. Der klügere und erfolgreichere Weg, um den Druck auf Putin und sein Regime zu erhöhen, dürfte die globale Isolation Russlands und eine konsequente Umsetzung der beschlossenen Sanktionen sein – gleichzeitig sollte die Energiewende beschleunigt werden, indem kurzfristig der Energieverbrauch in Europa deutlich reduziert und mittel- und langfristig der Umstieg auf erneuerbare Energien forciert wird.

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