Medienbeitrag vom 25. März 2022
Der Beitrag erschien in der Frankfurter Rundschau.
Das Instrument kann nur erfolgreich sein, wenn die Regeln eingehalten werden.
Mit der Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns auf zwölf Euro pro Stunde löst Kanzler Olaf Scholz noch vor Ablauf des ersten Regierungsjahrs eines seiner zentralen Wahlkampfversprechen ein. Von derzeit 9,82 Euro über 10,45 Euro im Sommer wird der Mindestlohn am 1. Oktober 2022 seine geplante Höhe von zwölf Euro erreichen. Mit rund 22 Prozent ist dies der bislang stärkste Anstieg innerhalb eines Kalenderjahres seit seiner Einführung. Insbesondere Unternehmen sind besorgt, dass sich diese starke Erhöhung negativ auf den Arbeitsmarkt auswirkt.
Dieser Gastbeitrag von Johannes Seebauer erschien am 25. März 2022 in der Frankfurter Rundschau.
Schon bei der Einführung des Mindestlohns im Jahr 2015 befürchteten viele, dass dadurch massiv Arbeitsplätze verloren gehen würden, was sich aber empirisch nicht bestätigt hat. Das lässt sich aus Sicht der modernen Arbeitsmarktforschung gut erklären. Auf dem Arbeitsmarkt herrscht eben kein vollständiger Wettbewerb. Dieser würde sicherstellen, dass die Entlohnung auch dem Mehrwert entspricht, der durch die Tätigkeit für das Unternehmen generiert wird.
Tatsächlich aber akzeptieren Beschäftigte häufig einen niedrigeren Lohn, wenn sie etwa nur unzureichend über die Verdienstmöglichkeiten in alternativen Jobs informiert sind. Auch lohnunabhängige Kriterien spielen bei der Wahl des Arbeitsplatzes eine Rolle, wie beispielsweise die Arbeitszeiten, der Arbeitsweg oder das soziale Umfeld. Dafür nehmen Beschäftigte häufig einen niedrigeren Lohn in Kauf. Diese Differenz ermöglicht Spielräume für Mindestlöhne. Wie groß diese Spielräume sind, hängt von vielen Faktoren ab. Grundsätzlich gilt: Die Wirkung des Mindestlohns auf die Beschäftigungs- und Lohnstruktur ist ein Zusammenspiel von Marktstruktur, Preisüberwälzungs- und Substitutionsmöglichkeiten und unterscheidet sich nach Branche und Region.
Nicht zu vernachlässigen ist außerdem, dass der Mindestlohn auch Produktivitätseffekte nach sich zieht. Mit der Einführung des Mindestlohns hat sich Beschäftigung weg von weniger produktiven Firmen hin zu solchen mit höherer Produktivität verlagert. Dies bedeutet, dass zwar einige Arbeitsplätze verschwunden, dafür aber bessere Jobs entstanden sind.
Was ist aber die richtige Höhe des Mindestlohns? Da sich diese Frage kaum seriös beantworten lässt, war es richtig, dass der Mindestlohn bisher sukzessive und unter fortlaufender wissenschaftlicher Bewertung angehoben wurde. Durch den Sprung auf zwölf Euro wird die Erhöhung des Mindestlohns sogar eine noch größere Zahl an Beschäftigten betreffen als seine Einführung.
Die Bundesregierung geht von rund 6,2 Millionen Beschäftigten aus. Somit verlässt man den bisher eingeschlagenen Pfad kleiner Erhöhungen und geht damit auch ein höheres Risiko ein. Zumal sie sich mit dieser politischen Entscheidung auch über die Mindestlohnkommission hinwegsetzt, der eigentlich die Empfehlung über die Höhe des Mindestlohns vorbehalten ist.
Der Mindestlohn hat sich vor allem auf die geringfügige Beschäftigung negativ ausgewirkt. Doch auch hier ist dafür häufig zusätzliche sozialversicherungspflichtige Beschäftigung entstanden. Dass dieser Effekt nicht größer ausfiel, liegt auch an der problematischen Anreizstruktur von Minijobs. Um die Geringfügigkeitsgrenze von 450 Euro nicht zu überschreiten, wurde im Zuge der Mindestlohneinführung die Arbeitszeit vieler Minijobber verkürzt.
Zwar mag dieser Effekt durch die geplante Erhöhung der Geringfügigkeitsgrenze auf 520 Euro im Monat gedämpft werden, doch spräche vieles dafür, Minijobs zurückzudrängen, anstatt diese auszuweiten. Minijobs konkurrieren mit sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung, sind – besonders für verheiratete Frauen – Teilzeitfalle und anfällig für Missbrauch.
Apropos Missbrauch: Entscheidend für den Erfolg des Mindestlohns ist nicht zuletzt seine Einhaltung. Um wirksam zu sein, sollte seine Einhaltung stärker kontrolliert und die Arbeitszeit besser erfasst werden. Die Dokumentation der täglichen Arbeitszeit ist zwar für die in Paragraf 2a SchwarzArbG genannten Wirtschaftszweige verpflichtend, kann aber (mit Ausnahme der Fleischindustrie) bis zu einer Woche im Nachgang sowie in Papierform erfolgen. Auch im Falle von Kontrollen können Arbeitszeitnachweise binnen einer Woche nachgereicht werden.
Hier bedarf es dringend digitaler und manipulationssicherere Lösungen. Unternehmen, die den Mindestlohn umgehen, verschaffen sich unlautere Wettbewerbsvorteile, enthalten Beschäftigten die ihnen zustehenden Löhne und dem Staat und damit der Allgemeinheit beträchtliche Steuereinnahmen vor. Gerade eine Bundesregierung, die sich Digitalisierung auf die Fahnen geschrieben hat, sollte hier genügend Anreiz haben, in digitale Zeiterfassungslösungen zu investieren und deren Nutzung für Unternehmen kostenfrei, aber verpflichtend machen.
Themen: Arbeit und Beschäftigung , Unternehmen