Blog Marcel Fratzscher vom 12. September 2022
Dieser Beitrag erschien im Handelsblatt.
Vielen Zentralbanken fehlen die Instrumente, um die Inflation zügig zu senken. Die EZB sollte das zugeben und die Fiskalpolitik in die Pflicht nehmen, meint Marcel Fratzscher.
Die Europäische Zentralbank hat gestern nicht nur viele mit einer stärker als erwarteten Erhöhung des Leitzinses überrascht, sondern sie hat in den vergangenen Wochen auch eine gefährliche Kehrtwende in ihrer Kommunikation vollzogen. Ihre aggressive neue Kommunikation soll verhindern, dass die Inflationserwartungen zu stark steigen und die Inflation davongaloppiert.
Was die EZB und manch andere Zentralbank jedoch nicht offenbart: Ihre Instrumente sind nicht ausreichend oder nicht effektiv genug, um das Mandat der Preisstabilität auf absehbare Zeit erreichen zu können. Die neue Strategie ist gefährlich und könnte sich als schädlich für die Glaubwürdigkeit und damit die Effektivität der Geldpolitik erweisen, weil sie ein Versprechen beinhaltet, das die meisten Zentralbanken nicht erfüllen können.
Wir sehen zurzeit einen Überbietungswettbewerb in der Kommunikation der Zentralbanken. Der US-Notenbank- Chef Jerome Powell signalisiert seine Bereitschaft, durch Zinserhöhungen die US-Wirtschaft in eine Rezession zu treiben, um die Inflation in den Griff zu bekommen.
Auch innerhalb des EZB Zentralbankrates ist ein Wettstreit der Kommunikation entstanden, bei der immer häufiger Forderungen nach einem harten geldpolitischen Kurs mit vermeintlich erheblichen Auswirkungen auf die Inflation in die Öffentlichkeit getragen werden.
Dieser Text erschien am 09. September 2022 im Handelsblatt und auf Handelsblatt.de.
Die Geldpolitik ist in erster Linie die Kunst des Erwartungsmanagements („the art of managing expectations“), bei der eine kluge Kommunikation zumindest teilweise das geldpolitische Handeln ersetzen kann.
Aufgabe der Kommunikation von Zentralbanken ist es, Erwartungen zu verankern und wirtschaftliche Akteure in eine gewünschte Richtung zu lenken, um die Unsicherheit und die Volatilität in Märkten zu reduzieren. Dazu kommunizieren sie den wirtschaftspolitischen Akteuren nicht nur den möglichen geldpolitischen Kurs, sondern auch weitere relevante Informationen. Eine solche Kommunikation kann höchst effektiv sein. So sind beispielsweise die langfristigen Zinsen auf Staatsanleihen in der Euro-Zone in den letzten Monaten im Schnitt um gut zwei Prozentpunkte gestiegen, obwohl der Leitzins lediglich um 0,5 Prozentpunkte angehoben wurde.
Vor allem aber wollen Zentralbanken die Inflationserwartungen gut verankern. In anderen Worten, mit ihren Warnungen wollen Zentralbanken die wirtschaftlichen Akteure – Gewerkschaften, Unternehmen, Konsumentinnen und Konsumenten sowie die Regierungen – überzeugen, auf Preiserhöhungen und Lohnforderungen möglichst zu verzichten, um eine Lohn-Preis-Spirale, also einen Teufelskreis von steigenden Preisen, zu verhindern.
Diese Kommunikationsstrategie könnte scheitern und gar kontraproduktiv werden, da sie mehr verspricht, als sie halten kann. Denn sie kann nur erfolgreich sein, wenn Zentralbanken ihren Worten auch entsprechende Taten folgen lassen können.
In der europäischen Finanzkrise hat das beeindruckend gut funktioniert: Die EZB führte im Sommer 2012 das Notfallprogramm OMT ein, das nie genutzt werden musste, genau weil die Märkte von der vollen Handlungsfähigkeit der EZB überzeugt waren. Aber genau diese Handlungsfähigkeit haben viele Zentralbanken im Augenblick nicht. Weder kann die EZB in den kommenden zwölf Monaten die Inflation signifikant reduzieren noch die Leitzinsen schnell und stark erhöhen.
Zum einen weil die Hauptursache für die hohe Inflation außerhalb der Kontrolle der EZB liegt: Die Preissteigerung wird primär durch importierte Güter verursacht, allen voran Energie. Zum anderen braucht jede Zinserhöhung gut eineinhalb Jahre, bis sie ihre volle Wirkung auf die Wirtschaft entfalten kann.
Selbst wenn die EZB jetzt weiter massiv die Zinsen erhöhen wollte, könnte sie dies kaum tun. Nicht weil Regierungen mit hohen Schulden in Schieflage geraten würden. Sondern weil ein sehr starker Zinsanstieg die Finanzstabilität gefährden und eine tiefe Wirtschaftskrise riskieren würde.
Mit einem Scheitern ihrer Kommunikationsstrategie würde die EZB an Glaubwürdigkeit verlieren und in der Folge ihre Geldpolitik weniger effektiv sein. Wie werden wirtschaftliche Akteure in zwei oder drei Jahren die EZB wahrnehmen, wenn die Inflation dauerhaft bei drei oder vier Prozent liegt und die EZB die Inflation nicht zu ihrem versprochenen Niveau von zwei Prozent zurückbringen kann? Es dürfte dann für sie noch viel schwieriger sein als jetzt, Inflationserwartungen gut zu verankern und eine Preis- Lohn-Spirale zu verhindern. Somit läuft die EZB Gefahr, ihr Mandat der Preisstabilität auf eine viel längere Zeit hinaus zu verfehlen, als jetzt schon unvermeidbar ist.
Die neue Kommunikationsstrategie der EZB ist auch aus einem zweiten Grund riskant und kontraproduktiv, denn die EZB suggeriert mit ihren Versprechen, sie allein könne die Preisstabilität gewährleisten.
Dies ist nicht nur falsch, sondern sie nimmt dadurch den Druck von Regierungen, ihrer eigenen Verantwortung gerecht zu werden. Die Finanzpolitik dürfte sich in den kommenden eineinhalb Jahren mindestens genauso stark auf Inflation und Inflationserwartungen auswirken wie die Geldpolitik, was eine engere und zumindest implizite Koordination zwischen Geldpolitik und Finanzpolitik beinhalten sollte.
So werden überall in der Euro-Zone große und zielgenaue Entlastungspakete essenziell sein, um die Wahrscheinlichkeit einer Preis-Lohn-Spirale zu reduzieren. Anstatt die Gewerkschaften in der konzertierten Aktion unter Druck zu setzen, sollte auch die Bundesregierung selbst ihrer Verantwortung nachkommen und vor allem bei Strom- und Gaspreisen die Inflation in den Griff bekommen.
Die EZB steht vor einem schwierigen Dilemma: Sie will mit ihren Warnungen und Versprechen verhindern, dass die Inflationserwartungen zu stark steigen. Wenn ihr dies nicht gelingt, könnten diese Versprechen als Bumerang zurückkommen und ihre Glaubwürdigkeit und damit die Effektivität der Geldpolitik auf viele Jahre hinaus beschädigen.
Daher wäre eine Strategie der Ehrlichkeit die bessere Alternative: Die EZB sollte deutliche Zinserhöhungen – die jetzt richtig und notwendig sind – durch eine Kommunikation begleiten, die offen und ehrlich erklärt, wieso wir in der Euro-Zone auf die kommenden drei Jahre hinaus eine zu hohe Inflation haben werden – und dass die Verantwortung dafür nicht alleine bei der EZB, sondern auch bei den Regierungen liegt.
Diese sollten mit klugen, zielgenauen Hilfspaketen eine Rezession verhindern, die Kosten der Inflation abmildern und die schwächsten Schultern entlasten. Dadurch könnte die EZB sich zumindest ein wenig aus der fiskalischen Dominanz befreien und sich nicht länger von Politik und Medien, vor allem in Deutschland, vor sich hertreiben lassen.
Eine solche Strategie der Ehrlichkeit würde die Glaubwürdigkeit der EZB schützen und es ihr in Zukunft ermöglichen, ihr Mandat der Preisstabilität schneller wieder zu erfüllen.
Themen: Geldpolitik , Konjunktur