Medienbeitrag vom 1. Februar 2022
Der Beitrag erschien im Handelsblatt.
An diesem Dienstag tritt für deutsche Banken eine neue Regulierung in Kraft - künftige Finanzkrisen wird sie nicht verhindern, warnt Lukas Menkhoff.
Die Weltfinanzkrise hat 2008 09 viele vermeintliche Gewissheiten erschüttert und gezeigt, wie krisenanfällig der Finanzsektor ist. Um gerade Banken widerstandsfähiger gegen Schocks zu machen, wurde damals beschlossen, den Finanzsektor stärker zu regulieren. Die Entscheidung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin), die Anforderungen an die Kapitalpuffer der deutschen Banken zu erhöhen, ist zunächst eine gute Nachricht. Einschränkend muss jedoch gesagt werden, dass diese Entscheidung nur halbherzig ausfiel. Da ist noch viel Luft nach oben.
Dieser Gastkommentar erschien am 02. Februar 2022 im Handelsblatt.
Ein zentraler Bestandteil der 2008 09 neu eingeführten Branchenregulierung ist der antizyklische Kapitalpuffer (AKP). Er soll die Ausschläge des Finanzzyklus dämpfen - im Finanzboom steigen die Eigenkapitalanforderungen für Kreditinstitute, in der Finanzkrise sinken sie. Damit soll die Kreditvergabe verstetigt und der Finanzsektor insgesamt widerstandsfähiger gemacht werden.
Ein Beispiel: Bricht etwa ein Vermögenspreisboom, wie derzeit bei Wohnimmobilien, irgendwann zusammen, greifen zwei Mechanismen. Zum einen sind bestehende Hypothekenkredite bei den Geldinstituten mit vergleichsweise viel Eigenkapital unterlegt, Banken geraten deshalb bei Kreditausfällen nicht mehr so schnell in Turbulenzen.
Zum anderen sinken die Eigenkapitalanforderungen, die steigenden Risiken und Ausfälle müssen zunächst nicht durch sinkende Kreditvergabe abgefedert werden. Die verringerten Eigenkapitalanforderungen ermöglichen den Kreditinstituten also mehr Spielraum. Diese AKP-Mechanismen können aber nur gut wirken, wenn im Finanzboom - also jetzt - ein hinreichender Puffer geschaffen wurde. Und das ist leider noch nicht der Fall. Nachdem die Bundesbank Ende November 2021 in ihrem Finanzstabilitätsbericht angeregt hatte, den AKP für Kreditinstitute zu erhöhen, passierte auf der Sitzung des Ausschusses für Finanzstabilität beim Bundesfinanzministerium Anfang Dezember erst einmal mal - nichts.
Dann sorgte die Bafin zwar für eine Überraschung und kündigte eine Erhöhung der AKP ab 1. Februar an - von 0 auf 0,75 Prozent bezogen auf die risikogewichteten Aktiva. Viele Beobachter waren vom Ausmaß der Erhöhung überrascht, tatsächlich liegen die 0,75 Prozent aber immer noch deutlich unter dem, was "normal" sein sollte. Bei einer AKP-Spanne von 0 bis 2,5 Prozent sollte der Wert im "normalen" Finanzzyklus in der Mitte liegen, also bei 1,25 Prozent. Allerdings gibt es hier nicht nur in Deutschland ein massives Umsetzungsversagen.
Die meisten europäischen Länder haben den Kapitalpuffer seit seiner Einführung gar nicht aktiviert. Er liegt etwa in Griechenland, Italien und Spanien bei null, unabhängig davon, wie sich der Finanzzyklus entwickelt. Deshalb konnten viele Länder ihren Finanzsektor in der Krise 2020 21 auch nicht entlasten. Deutschland
zählt beim antizyklischen Kapitalpuffer zum europäischen Mittelfeld. 2019 hatte man endlich den ersten Trippelschritt in Aussicht gestellt: Ab Ende 2020 sollte der antizyklische Kapitalpuffer von 0 auf 0,25 Prozent der risikogewichteten Aktiva erhöht werden.
Mit den coronabedingten Einschränkungen des Wirtschaftslebens wurde diese Entscheidung aber im Frühjahr 2020 wieder einkassiert. Inzwischen haben zumindest einige europäische Länder wie Dänemark und Tschechien den AKP erneut erhöht. Das ist auch in Deutschland dringend geboten - warum aber passiert in vielen Ländern beim AKP so lange nichts? Weil wirtschafts- und finanzpolitische Entscheidungsträger sich oft nicht am Finanzzyklus orientieren, sondern am Konjunkturzyklus.
Nun ist es ja auch so, dass die Wirtschaft gerade erst aus dem Tief der letzten Krise herausfindet. Sollte man also tatsächlich nicht noch mit einer AKP-Erhöhung warten? Drei Gründe sprechen dagegen.
Erstens: Der antizyklische Kapitalpuffer bezieht sich nun einmal auf den Finanz- und nicht auf den Konjunkturzyklus. Zählt beim Konjunkturzyklus beispielsweise die Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts, sind für den Finanzzyklus Indikatoren wie Kreditvergabe, Immobilienpreise und Aktienkurse ausschlaggebend.
Und diese Indikatoren stehen eindeutig auf Boom. Die Bundesbank konstatiert in ihrem jüngsten Finanzstabilitätsbericht, die Kreditvergabe sei expansiver als vor der Coronakrise. Für den Immobilienmarkt stellt sie bereits seit Jahren zunehmende Überwertungen in Ballungsräumen fest. Und der Deutsche Aktienindex stürmt von einem Hoch zum nächsten. Wann also soll der AKP einem boomenden Finanzzyklus durch den Aufbau einer "Eigenkapitalreserve" entgegenwirken, wenn nicht jetzt?
Zweitens: Der Ausblick für die Realwirtschaft stimmt hoffnungsvoll. Trotz aller Einschränkungen durch die Coronapolitik, Lieferengpässe und Fachkräfteknappheit wird die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr wieder auf den Stand vor der Krise wachsen. Für 2023 signalisieren alle Prognosen eine weiter steigende Auslastung der Ressourcen.
Drittens: Die Bafin lässt den Banken für die Umsetzung des AKP ein ganzes Jahr Zeit, folglich wird auch die ab diesem Dienstag geltende neue Regulierung erst zum Februar 2023 voll wirksam. Und gerade deshalb gilt: Die aktuelle AKP-Entscheidung kommt wie schon 2019 zu spät und fällt zu schwach aus.
Besonders kurios wirken Argumente gegen eine Erhöhung des AKP, wenn gleichzeitig der Geldpolitik vorgeworfen wird, sie sei zu expansiv ausgerichtet und nehme schwere Folgekosten mit überhöhten Vermögenspreisen in Kauf. Gerade wenn das so ist, gilt ja erst recht: Eine antizyklische Regulierung müsste jetzt greifen. Der AKP sollte also schnell und deutlich erhöht werden. Das Zielniveau muss beim derzeit boomenden Finanzzyklus, antizyklisch gedacht, klar über 1,25 Prozent liegen. So gesehen ist der Schritt auf 0,75 Prozent nicht ausreichend.
Dass dies so ist, gilt auch, wenn man die zusätzlich vorgesehene Einführung eines Puffers von 2,0 Prozent für Kredite auf Wohnimmobilien berücksichtigt. Dieser Schritt ist zwar sachlich gut begründet, trifft aber nur ein begrenztes Kreditsegment. Die Maßnahmen binden zusammengenommen nicht einmal ein Prozent der risikogewichteten Aktiva. Sollte der Finanzzyklus in absehbarer Zukunft schwächeln, was bei steigenden Zinsen keine Überraschung wäre, liegt der AKP ab Februar 2023 immer noch unter "normal". Damit ist gegen
die nächste Finanzkrise nicht ausreichend vorgesorgt.
Und was bedeutet die Erhöhung auf 0,75 Prozent für die Kreditinstitute? Können sie die höheren Kapitalpuffer bei konstantem Kreditvolumen überhaupt realisieren? Die Bafin betont, die meisten Kreditinstitute müssten gar nicht reagieren, weil sie rechnerisch über genügend überschüssiges Eigenkapital
verfügen. Hoffentlich tun sie es trotzdem, hoffentlich vergeben die Banken Kredite zurückhaltender, hoffentlich legt die Bafin bald nach. Denn beim AKP hinkt die Regulierung dem Finanzzyklus bislang deutlich hinterher. Und wann die nächste Finanzkrise kommt, weiß niemand.
Inzwischen haben zumindest einige europäische Länder wie Dänemark und Tschechien den antizyklischen Kapitalpuffer (AKP) erneut erhöht. Das ist auch in Deutschland dringend geboten.
Der Autor Lukas Menkhoff leitet die Abteilung Weltwirtschaft am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin.
Themen: Finanzmärkte , Geldpolitik , Märkte , Wettbewerb und Regulierung