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Wir brauchen eine andere Erbschaftssteuer

Blog Marcel Fratzscher vom 19. Dezember 2022

Markus Söder und Christian Lindner verteidigen die Hochvermögenden gegen die Erbschaftssteuer. Dabei bräuchte es eigentlich eine ganz andere Reform.

Kaum ein Thema emotionalisiert die Menschen in Deutschland so sehr wie Erbschaften und die Frage, wie hoch die Steuern sind, die dafür fällig werden. Zum 1. Januar erhöht die Bundesregierung die Erbschaftssteuer, und einige Politikerinnen, Politiker und Interessenverbände monieren, das treffe viele Menschen hart, vor allem kleine Erbinnen und Erben. Manche müssten sogar ihr geerbtes Elternhaus verkaufen, um die Steuer zahlen zu können. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder nennt die geplanten Reformen daher "ungleich und ungerecht" und will einen bayerischen Sonderweg. Bundesfinanzminister Christian Lindner fordert angesichts der in den vergangenen Jahren stark gestiegenen Immobilienwerte nun eine Erhöhung der Freibeträge, damit das eigene Elternhaus doch nicht erbschaftsteuerpflichtig wird.

Dieser Text erschien am 16. Dezember 2022 bei Zeit Online in der Reihe Fratzschers Verteilungsfragen.

Wie ungerecht ist diese Reform wirklich? Die Zahlen und Fakten passen nicht zum Bild, das die Kritiker zeichnen. So, wie sie ihn führen, dient der Kampf um die Erbschaftsteuer nur der Verteidigung von Hochvermögenden. In der Tat benötigen wir dringend eine Reform der Erbschaftsteuer – aber eine andere, als von den Kritikerinnen und Kritikern gefordert.

Jahr für Jahr werden in Deutschland mehr als 300 Milliarden Euro über Erbschaften oder Schenkungen weitergereicht. Der Staat nimmt dabei etwas mehr als zehn Milliarden Euro an Erbschaftsteuer ein – der effektive Steuersatz beträgt also knapp drei Prozent. Fakt ist auch, dass die Erbschaftsteuer sehr ungleich verteilt ist. Nach großzügigen Freibeträgen (500.000 Euro für Partnerinnen und Partner, 400.000 Euro für Kinder, 200.000 Euro für Enkelkinder) zahlen Erbinnen und Erben auf die übersteigenden Vermögen schnell elf Prozent Erbschaftsteuer und mehr. Dagegen zahlen Menschen mit Erbschaften und Schenkungen von über 20 Millionen Euro häufig einen geringeren Steuersatz, viele Unternehmenserbinnen und Erben bleiben sogar völlig steuerfrei. Dazu gehören auch viele Minderjährige, auf die große Vermögenswerte frühzeitig übertragen werden – häufig mit dem Ziel, Erbschaftsteuern zu minimieren, und nicht, um Familienunternehmen weiterzuführen oder andere Vermögenswerte managen zu können.

Vier Punkte zeigen den Populismus in der Argumentation der Kritikerinnen und Kritiker. Erstens: Fälle, in denen Erben, wie von Söder behauptet, das kleine Haus der Eltern verkaufen müssen, um die Erbschaftsteuer zahlen zu können, gibt es in der Realität praktisch nicht. Denn bei einem Freibetrag von 400.000 Euro pro Elternteil müsste eine Erbin oder eine Erbe für ein Haus mit einem Wert von einer Million Euro lediglich bis zu elf Prozent der verbleibenden Differenz von 200.000 Euro als Steuern bezahlen, also eine Summe von bis zu 22.000 Euro. Selbst Erbende ohne eigenes Vermögen könnten das leicht über einen durch die Immobilie abgesicherten Kredit finanzieren. Und wenn sie selbst einziehen, fällt die Erbschaftsteuer ohnehin weg.

Zweitens geht es bei den jetzt anstehenden Reformen eben nicht um das kleine Häuschen der Eltern. Denn die Reform betrifft in erster Linie ungewöhnlich große Immobilien, deren Wert nicht über das übliche Vergleichswertverfahren berechnet werden kann – denn für das kleine Haus der Eltern wurde die Anpassung schon längst umgesetzt. Es geht um große Vermögenswerte wie Mietshäuser mit vielen Mietwohnungen und Betriebsgrundstücke, also nicht einzelne Wohnungen oder Häuser für die Eigennutzung. Deren Besitzer sind es offenbar, die die Kritikerinnen und Kritiker schützen wollen – und nicht den kleinen Mann oder die kleine Frau.

 

Nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit

Diese Perspektiven und Beispiele zeigen die wirkliche Ungerechtigkeit in Deutschland: Es gibt kaum ein Land auf der Welt, das Arbeit stärker und Vermögen – inklusive Erbschaften und Schenkungen – geringer besteuert als Deutschland. Es ist nicht nachzuvollziehen, wie bei einem Steuersatz von 30 Prozent und mehr auf Arbeitseinkommen und einer effektiven Besteuerung von drei Prozent auf Erbschaften und Schenkungen von einer Ungerechtigkeit gegenüber Erbinnen gesprochen werden kann.

Die Frage nach der richtigen Erbschaftsteuer – und generell der Besteuerung von Vermögen – ist jedoch nicht nur eine der Gerechtigkeit. Mindestens ebenso wichtig ist, dass die starke Besteuerung von Arbeit und die geringe Besteuerung von Vermögen völlig falsche Anreize setzt. Wir werden in Deutschland den Wohlstand nur dann sichern und mehr soziale Teilhabe möglich machen können, wenn Arbeit sich wieder mehr lohnt und Menschen mehr Netto vom Brutto ihres Arbeitseinkommens behalten dürfen. Es ist interessant, aber auch widersprüchlich, dass die Politikerinnen und Politiker, die sich vor einigen Wochen noch gegen die Einführung des Bürgergeldes mit dem Argument wehrten, dies setze nicht ausreichend finanzielle Anreize, zu arbeiten, auch jene sind, die sich jetzt besonders vehement für eine Entlastung bei der Erbschaftsteuer einsetzen.

Was wäre besser? Auf der einen Seite sollte man die Grundfreibeträge um 25 Prozent erhöhen, um einen Ausgleich für die Wertsteigerungen der vergangenen Jahre zu ermöglichen, so wie vom Finanzminister vorgeschlagen. Andererseits sollte im Gegenzug die Erbschaftsteuer auf eine Flat Tax umgestellt werden, mit einem effektiven Steuersatz von 15 Prozent auf alle Erbschaften und Schenkungen, abzüglich der dann höheren Freibeträge. Die anfallende Steuerlast könnte über viele Jahre gestreckt werden, falls Erbinnen und Erben Liquiditätsprobleme haben. Das würde eine Substanzbesteuerung der Unternehmen vermeiden und gleichzeitig dem Staat zusätzliche Steuereinnahmen von bis zu zehn Milliarden Euro im Jahr bringen. Diese zusätzlichen Einnahmen könnten dann für die Entlastung vor allem von Menschen genutzt werden, die nicht das Glück einer Erbschaft erleben. Außerdem sollte Arbeit steuerlich entlastet werden. Dies wäre eine Reform, die wirklich den Kriterien von Gerechtigkeit und ökonomischer Effizienz entspräche.

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