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Schluss mit der Umverteilung von arm nach reich

Blog Marcel Fratzscher vom 13. Januar 2023

Gutverdiener haben oft mehr von der gesetzlichen Rente. Eine Reform ist dringend nötig. Einige der aktuellen Vorschläge gehen jedoch in die völlig falsche Richtung.

Die Vorsitzende der Wirtschaftsweisen, Monika Schnitzer, hat tiefgreifende Reformen der gesetzlichen Rente vorgeschlagen und damit Aufsehen erregt. Schnitzer bezog sich auf einen älteren Bericht des Sachverständigenrats der Bundesregierung. Sie hat recht damit, dass die gesetzliche Rente reformiert werden sollte. Jedoch sind die meisten Vorschläge der Wirtschaftsweisen für eine Rentenreform nicht zielführend. Sie würden viele Probleme sogar verschärfen. Erforderlich sind andere Reformen.

Schnitzer plädiert zuerst für eine Erhöhung des Renteneintrittsalters auf perspektivisch 70 Jahre. So soll mit jedem Anstieg der Lebenserwartung um ein Jahr die Lebensarbeitszeit um acht Monate steigen. Dieser Vorschlag klingt erst einmal überzeugend, denn eine steigende Lebenserwartung bedeutet eine längere Zeit in Rente und damit höhere Kosten für die gesetzliche Rentenversicherung, die auf mehr Schultern verteilt werden sollen, indem die Lebensarbeitszeit steigt. Es gibt jedoch einen entscheidenden Haken: Ein höheres Renteneintrittsalter führt dazu, dass mehr Menschen frühzeitiger aus dem Arbeitsleben ausscheiden und die Erwerbstätigkeit abnimmt, zeigt eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin. Mit anderen Worten: Es können schlichtweg viele Menschen aus gesundheitlichen Gründen nicht bis 67, geschweige denn bis 70 arbeiten.

Dieser Text erschien am 13. Januar 2023 bei Zeit Online in der Reihe Fratzschers Verteilungsfragen.

Es gibt bessere Lösungen

Die Betroffenen sind überproportional Menschen mit geringen Einkommen und mit niedrigen Rentenansprüchen, sodass ein Anstieg des Renteneintrittsalters zu mehr Ungleichheit bei der gesetzlichen Rente führt und die Altersarmut befördert. Zudem würde eine Erhöhung somit nicht zwingend zu mehr Nettoeinnahmen führen. Der klügere Weg wäre daher, das Renteneintrittsalter zu flexibilisieren und Hürden für einen späteren Renteneintritt für diejenigen Menschen abzubauen, die länger arbeiten wollen und können. Dies wäre nicht nur eine gerechtere, sondern auch eine ökonomisch und finanziell bessere Option.

An zweiter Stelle schlägt die Wirtschaftsweise Schnitzer eine Erhöhung der Rentenbeiträge vor. Diese Erhöhung solle möglichst bald geschehen, sodass die Babyboomer, die in Zukunft das Rentensystem besonders belasten werden, sich zumindest teilweise an diesen höheren Kosten beteiligen. Als drittes Element sollen die Rentenansprüche für hohe Renten reduziert werden. Auch diese Ideen klingen erst einmal plausibel, haben aber entscheidende Nachteile. Deutschland hat schon heute eine der höchsten Quoten von Sozialabgaben unter allen Industrieländern. Noch höhere Abgaben für die gesetzliche Rente würde vor allem Menschen mit geringen Einkommen hart treffen, in Zeiten, in denen die Inflation Löhne und Einkommen ohnehin schon schmälert.

Es gibt bessere Lösungen, um die gesetzliche Rente ausgewogener und gerechter zu gestalten. Dazu gehört nicht nur, die Beitragsbemessungsgrenze zu erhöhen und Selbstständige und Beamte stärker in die gesetzliche Rente einzubeziehen. Die wichtigste Reform ist eine neue, bessere Definition des Äquivalenzprinzips. Das besagt, dass jeder Euro an Beiträgen den gleichen finanziellen Anspruch an monatlichen Rentenzahlungen erzielt. Dies klingt ausgewogen und gerecht, ist es aber nicht. Denn Menschen mit geringen Einkommen haben nach Renteneintritt eine fünf bis sieben Jahre geringere Lebenserwartung als Menschen mit hohen Einkommen. Damit die deutsche gesetzliche Rente eine Umverteilung von unten nach oben, von arm zu reich.

Eine neue Definition des Äquivalenzprinzips sollte beinhalten, dass Menschen mit geringem Lohn für jeden eingezahlten Euro mehr Ansprüche erzielen als Gutverdiener. Dies ist keine revolutionäre Idee. Im Gegenteil, die meisten Industrieländer machen bereits genau das: Sie sichern Menschen mit geringen Einkommen und geringen Ansprüchen proportional besser ab als Menschen mit hohem Einkommen.

Der vierte Punkt der Vorsitzenden des Sachverständigenrats ist es, die Rentenerhöhungen in Zukunft geringer ausfallen zu lassen als die Lohnerhöhungen der Beschäftigten. Damit sollen die Einnahmen über Beitragszahlungen nicht mehr langsamer wachsen als der Anstieg der Rentenzahlungen durch die Zunahme der Rentnerinnen und Rentner. Dieser Vorschlag wäre sozialer Sprengstoff, da er nicht nur gegen das Verständnis vieler von Generationengerechtigkeit verstößt, sondern vor allem die Altersarmut stärker steigen lassen würde, als dies ohnehin der Fall sein wird.

Die beste Absicherung sind gute Löhne

Eine kluge Rentenreform in Deutschland sollte zwei weitere Elemente enthalten. Zum einen sollten Menschen mit geringen und mittleren Einkommen stärker bei den Reformen der betrieblichen oder privaten Vorsorge berücksichtigt werden. Finanzminister Christian Lindner hat eine richtige Reform auf den Weg gebracht, indem er eine kapitalgedeckte, private Vorsorge schaffen will. Die Realität ist jedoch, dass viele Menschen mit geringen Einkommen schlichtweg nicht sparen können, um Geld in eine zusätzliche, private Vorsorge stecken zu können. Daher sollte der Staat Menschen mit geringen Löhnen und Einkommen bei der privaten Vorsorge deutlich unterstützen und gleichzeitig kluge Anreize zum privaten Sparen setzen. Die von der Koalition geplante Aktienrücklage für die gesetzliche Rente, bei der ein Teil der Beiträge in Aktien angelegt und somit künftige Rentenzahlungen etwas stärken kann, ist eine kluge Initiative – auch wenn ein solcher Schritt für die nächsten zwei bis drei Jahrzehnte allein viel zu gering sein dürfte, um das Rentenniveau merklich verbessern zu können.

Außerdem muss die Politik Hürden aus dem Weg räumen und den Arbeitsmarkt reformieren, sodass es weniger prekäre Beschäftigung und mehr Beschäftigung und Einkommen gibt. Die wichtigste Reform, um die gesetzliche Rente zu stärken, hat also nichts direkt mit dem gesetzlichen Rentensystem zu tun, sondern mit dem Arbeitsmarkt. Der beste Weg, um Menschen im Alter besser abzusichern und die Altersarmut zu minimieren, sind gute Löhne und Einkommen und eine durchgehende oder zumindest möglichst lange Beschäftigung. Hier liegt das größte Problem, denn viele Menschen haben unterbrochene Erwerbsbiografien oder arbeiten in Teilzeit und zu geringem Lohn, um ausreichende Ansprüche an die gesetzliche Rente stellen zu können.

Eine Reform der gesetzlichen Rente in Deutschland ist richtig und sinnvoll, vor allem um die Absicherung von Menschen mit mittleren und geringen Einkommen, die nicht ausreichend private Ersparnisse bilden können, im Alter zu verbessern – auch wenn die Aussichten der gesetzlichen Rentenversicherung sich erheblich verbessert haben und der Beitragssatz wohl erst 2027 steigen wird. Die Größe der Reform hängt auch davon ab, wie es Deutschland gelingt, sich für Zuwanderung zu öffnen und Frauen bessere Chancen im Arbeitsmarkt zu geben. Die Vorschläge des Sachverständigenrats wären jedoch wenig zielführend. Kluge Reformen liegen auf der Hand, erfordern aber den politischen Willen, diese umzusetzen. Denn in diesen Krisenzeiten hört niemand gerne, dass er oder sie den Gürtel noch enger schnallen solle.

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