DIW Wochenbericht 6 / 2023, S. 72
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Deutschland hat einen der größten Gender Pay Gaps in Europa. In kaum einem anderen westlichen Land ist der Unterschied im Stundenlohn zwischen Männern und Frauen so groß. Das ist ein Armutszeugnis für Deutschland, denn die Verdienstlücke ist das Resultat vor allem von Diskriminierung und ungewöhnlich hohen Hürden für Frauen auf dem Arbeitsmarkt. Der Gender Pay Gap hat katastrophale Folgen nicht nur für viele Frauen und ihre Kinder, sondern auch für Wirtschaft und Gesellschaft.
Nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes betrug im Jahr 2022 der durchschnittliche Stundenlohn von Männern in Deutschland 24,36 Euro, der von Frauen lediglich 20,05 Euro. Das ist ein Unterschied von knapp 18 Prozent. Bei der ersten Erhebung 2016 betrug er 23 Prozent. Bei dieser Geschwindigkeit wird es noch mehr als 50 Jahre dauern, bis Männer und Frauen den gleichen Stundenlohn erhalten. Zahlreiche wissenschaftliche Studien zeigen, dass knapp zwei Drittel des Unterschieds durch drei Faktoren erklärt werden können: Erstens, dass ungewöhnlich viele Frauen in Deutschland in Teilzeit arbeiten. Zweitens, dass Frauen recht selten in Führungspositionen sind. So zeigte das DIW Managerinnen-Barometer kürzlich, dass der Anteil von Frauen in Vorständen der größten Unternehmen noch immer nur 16 Prozent beträgt. Und drittens arbeiten Frauen sehr viel häufiger in Berufen, in denen schlechtere Löhne gezahlt werden – etwa in der Pflege-, Gesundheits- und Bildungsbranche.
Kritiker behaupten, diese drei Faktoren seien vor allem die „freie Wahl“ von Frauen. Aber: Entscheiden Frauen wirklich freiwillig, beruflich weniger Verantwortung zu übernehmen, in schlechter bezahlten Berufen und im internationalen Vergleich mit deutlich weniger Arbeitsstunden zu arbeiten? Jegliche Evidenz beantwortet diese Frage mit einem klaren Nein. Viele Frauen in Deutschland geben an, gerne mehr Stunden arbeiten zu wollen. Die Betreuung von Kindern und das Bildungssystem sind in Deutschland aber so gestaltet, dass die Eltern zeitlich vergleichsweise viel in Anspruch genommen werden. Das Steuersystem, vor allem durch das Ehegattensplitting oder durch Minijobs, macht es häufig wenig attraktiv für Frauen, nach Familiengründung überhaupt oder deutlich mehr Stunden zu arbeiten. Zudem lässt die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in vielen Unternehmen zu wünschen übrig. Die dritte Begründung, Frauen arbeiteten freiwillig in Berufen mit generell schlechterer Bezahlung, ist ein Schlag ins Gesicht vieler Frauen. Frauen wählen keine schlechtere Bezahlung, sondern sie erhalten sie. So hat eine Studie des DIW Berlin bereits 2020 gezeigt, dass systemrelevante Berufe beispielsweise in der Gesundheitsbranche, in der Pflege, in der Grundversorgung oder in der Bildung besonders häufig von Frauen ausgeübt werden, aber gleichzeitig auch durchschnittlich weniger Bezahlung und weniger Wertschätzung erhalten.
Selbst wenn man die Berechnung des Gender Pay Gaps um diese drei Erklärungen anpasst, bleibt noch immer ein so genannter bereinigter Gender Pay Gap von sieben Prozent, der zu einem erheblichen Teil auf anderen Diskriminierungen beruht. Die schlechtere Bezahlung trägt entscheidend zu zahlreichen Benachteiligungen von Frauen in Deutschland bei. Eine Eliminierung des Gender Pay Gaps würde das Armutsrisiko in Deutschland, vor allem für alleinerziehende Mütter und ihre Kinder, die in unserem Land stark von Armut betroffen sind, deutlich reduzieren. Die Erwerbstätigkeit von Frauen ist das größte ungehobene wirtschaftliche Potenzial. Eine bessere Bezahlung und eine höhere Beschäftigung von Frauen würden Fachkräftelücken schließen helfen.
Politik und Wirtschaft können und müssen handeln. Der Gender Pay Gap in Deutschland ließe sich halbieren, so wie in manchen nordischen Ländern, wenn Hürden und Diskriminierung für Frauen abgebaut würden. Eine Abschaffung des Ehegattensplittings und von Minijobs, eine leistungsfähige Betreuungsinfrastruktur für Kinder, eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf und eine höhere Wertschätzung vor allem von systemrelevanten Berufen sind Maßnahmen, bei denen Deutschland international schlecht abschneidet und die die Chancen und Bezahlung von Frauen deutlich verbessern würden.
Dieser Beitrag ist in einer längeren Fassung am 3. Februar 2023 bei Zeit Online erschienen.
Themen: Verteilung, Ungleichheit, Gender, Arbeit und Beschäftigung
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2023-6-3
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/268957