DIW Wochenbericht 13 / 2023, S. 151-157
Lorenz Meister, Lukas Menkhoff
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„Insbesondere bei Menschen mit geringen Einkommen hat die Nutzung von Homeoffice zum Einstieg in den Aktienmarkt geführt.“ Lorenz Meister
Das Jahr 2020 war durch eine sprunghafte Zunahme der Teilnahme von Privatpersonen am Aktienmarkt gekennzeichnet. Parallel waren auch deutlich mehr Erwerbstätige im Homeoffice. Tatsächlich ist die Nutzung von Homeoffice eine robuste Bestimmungsgröße für Aktienbesitz und erklärt einen Teil des Anstiegs im Jahr 2020. Vom Homeoffice profitieren in dieser Hinsicht vor allem Personen ohne Kinder im Haushalt. Ferner kommt es gerade auch bei einkommensschwächeren Personen im Homeoffice zu einem höheren Anteil von Aktienbesitz. Das stärker genutzte Homeoffice hat damit auch komplexe verteilungspolitische Folgen. Tendenziell verbreitert es die Basis des Aktienbesitzes durch – im weiteren Sinn – sinkende Kosten der Teilnahme am Aktienmarkt. Natürlich sollte die Wirtschaftspolitik nicht Homeoffice verordnen, um den Aktienbesitz zu steigern, aber sie kann den Einstieg in den Aktienmarkt auf andere Weise erleichtern, insbesondere durch bessere finanzielle Bildung.
Der Besitz von Aktien ist vielen Menschen sehr fremd. Für die ärmeren 40 Prozent der deutschen Bevölkerung sind Aktien schon deshalb kein Thema, weil sie kaum Geld besitzen, das sie anlegen könnten, gleichgültig in welcher Form. Dann gibt es Menschen, die Aktienbesitz prinzipiell ablehnen, zum Beispiel aufgrund ihrer politischen Einstellung oder Religion. Auch negative Erfahrungen mit dem Wertpapierhandel, wie das Erleben eines Börsencrashs, kann Menschen davon abhalten, in Aktien zu investieren.Chi Hyun Kim und Alexander Kriwoluzky (2021): Der Fall der T-Aktie: Börsencrashs können Investitionsentscheidungen von Haushalten dauerhaft negativ beeinflussen. DIW Wochenbericht Nr. 25, 423–429 (online verfügbar, abgerufen am 9. März 2023. Dies gilt auch für alle anderen Online-Quellen dieses Berichts, sofern nicht anders vermerkt). Tatsächlich betrug der Anteil der Erwachsenen in Deutschland, die Aktien entweder direkt oder indirekt über Fonds halten, im Jahr 2020 nur etwa 17,5 Prozent. Folglich gibt es große Gruppen in der Bevölkerung, die Aktien halten könnten, es aber nicht tun.
Dieses Thema ist wirtschaftspolitisch deshalb von Interesse, weil Aktien eine langfristig sehr rentierliche Anlageform darstellen. Verglichen mit einer risikolosen Anlage beträgt die zusätzliche Rendite einige Prozentpunkte mehr pro Jahr. Die Anlage in Aktien lohnt sich also langfristig. Viele Menschen verzichten allerdings auf diese Rendite, während andere sie vereinnahmen. Die beiden Gruppen, also Aktienbesitzer*innen im Vergleich zu Nichtbesitzer*innen, bilden sich aber nicht zufällig: Vereinfacht gesagt halten tendenziell diejenigen Aktien, denen es wirtschaftlich gut geht. Insofern vergrößert der Aktienbesitz die finanzielle Ungleichheit in der Bevölkerung.Laurent Bach, Laurent E. Calvet und Paolo Sodini (2020): Rich pickings? Risk, return, and skill in household wealth. American Economic Review, 110 (9), 2703–2747 (online verfügbar).
Es gibt einige Möglichkeiten, wie die Wirtschaftspolitik dem entgegenwirken kann. Das Homeoffice zählt eigentlich nicht dazu, denn seine verpflichtende Nutzung im Jahr 2020 war gesundheitspolitisch motiviert. Aber unbeabsichtigt hat Homeoffice den Aktienbesitz in Deutschland erheblich verbreitert, was im Folgenden näher untersucht wird.
Mit Blick auf die Verbreitung des Aktienbesitzes in Deutschland seit 2015 hat es im Jahr 2020 gegenüber dem Vorjahr einen Sprung um fünf Prozentpunkte nach oben auf rund 23 Prozent gegeben (Abbildung 1). Die Daten sind dem Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) entnommen. Sie beziehen sich wegen des Fokus auf das Homeoffice nur auf arbeitende Erwachsene und dabei jeweils auf die primär befragte Person im Haushalt, falls dort mehrere Personen arbeiten.Der Anteil der Aktienbesitzenden ist bei dieser Abgrenzung deutlich höher als in der gesamten erwachsenen Bevölkerung, wie sie zum Beispiel das Deutsche Aktieninstitut verwendet – hier liegt der Aktienbesitz im Jahr 2020 bei nur 17,5 Prozent. Deutsches Aktieninstitut (online verfügbar). Solch eine große Veränderung ist sehr ungewöhnlich, zuletzt gab es einen großen Anstieg Ende der 90er Jahre im Zuge der Preisblase am damaligen Neuen Markt. Ansonsten bewegen sich die Werte von Jahr zu Jahr vielleicht um einen Prozentpunkt auf oder ab.
Parallel zum steigenden Anteil der Aktienbesitzer*innen ist mit Beginn der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 das Homeoffice viel stärker genutzt worden als in den Jahren zuvor (Abbildung 1). Wesentlicher Treiber dieser Entwicklung war der Schutz von Arbeitnehmer*innen vor Ansteckung. Teilweise gab es Verpflichtungen, Homeoffice zu nutzen, falls das betrieblich möglich war.
Die Gleichzeitigkeit beider Entwicklungen, steigender Anteil von Aktienbesitzenden und Nutzenden von Homeoffice, ist auffällig, sagt aber für sich genommen noch nichts über eine mögliche Ursache aus. In einem ersten Schritt ist zu klären, ob Homeoffice überhaupt einen Erklärungsbeitrag für das Halten von Aktien liefern kann. Dazu sind die wesentlichen bisher bekannten Determinanten für das Halten von Aktien zu überprüfen, was aufgrund der reichhaltigen SOEP-Daten vergleichsweise gut möglich ist. Das Vorgehen richtet sich nach einer der meistzitierten Studien von Hong, Kubik und Stein in diesem Forschungsbereich.Harrison Hong, Jeffrey D. Kubik und Jeremy C. Stein (2004): Social Interaction and Stock Market Participation. Journal of Finance 59 (1), 137–163 (online verfügbar).
Die Autoren nutzen in ihrer Arbeit zum einen Erklärungsgrößen für Aktienbesitz, die in der Literatur breit akzeptiert sind, und zum anderen führen sie in ihrem Aufsatz „soziale Interaktion“ als zusätzliche Größe ein, deren Einfluss seitdem vielfach bestätigt wurde.Hong, Kubik und Stein (2004), a.a.O. Als Standardeinflüsse für Aktienbesitz gelten höheres Vermögen, größeres Einkommen und bessere Bildung. Weiter werden übliche soziodemographische Eigenschaften berücksichtigt, Alter, Geschlecht (weiblich versus andere), Heiratsstatus (verheiratet versus andere), Wohnsitz in der Stadt (versus Land), Migrationshintergrund und der Grad an individueller Risikotoleranz.Francisco Gomes, Michael Haliassos und Tarun Ramadorai (2021): Household finance. Journal of Economic Literature, 59 (3), 919–1000 (online verfügbar); Natalia Barasinska und Dorothea Schäfer (2018): Gender role asymmetry and stock market participation – evidence from four European household surveys. European Journal of Finance 24 (12), 1026–1046 (online verfügbar); Markku Kaustia, Andrew Conlin und Niilo Luotonen (2023): What drives stock market participation? The role of institutional, traditional, and behavioral factors? Journal of Banking and Finance, 148, 106743 (online verfügbar). Soziale Interaktion messen die Autoren durch mehrere Maße, von denen folgendes den stärksten Einfluss anzeigt: „Wie viele Ihrer unmittelbaren Nachbarn kennen Sie?“ Im SOEP ist diese Frage nicht enthalten, kann aber ersetzt werden durch „Wie viele enge Freunde haben Sie?“ Um den Effekt von sozialer Interaktion genauer zu erfassen, berücksichtigen die Autoren schließlich noch den Optimismus und die Offenheit der jeweiligen Person.
Wenn deren lineares Regressionsmodell statt auf US-Daten aus den späten 90er Jahren auf deutsche Daten der Jahre 2019/20 angewendet wird, ergeben sich ganz ähnliche Beziehungen: Die Vorzeichen und statistischen Signifikanzen der Koeffizienten entsprechen den theoretischen Erwartungen sowie den „alten“ Ergebnissen aus den USA (Tabelle 1, Spalte 1). In vielen Fällen sind sogar die Größen der Koeffizienten ganz ähnlich, was unterstreicht, dass diese Ergebnisse robust sind. Aus den Koeffizienten wird zudem ersichtlich, dass Vermögen und Einkommen positiv mit AktienbesitzAktienbesitz ist hierbei kategorisch definiert: Die Ergebnisvariable ist 1, wenn jemand Aktien besitzt, und andernfalls 0. Für binäre Ergebnisvariablen bieten sich auch Probit- und Logit-Modelle an, die ebenfalls geschätzt werden, um die Robustheit der Ergebnisse zu prüfen. Es ergibt sich das gleiche Bild. zusammenhängen, während Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund seltener Aktien besitzen. Weitere Kontrollvariablen werden mitgeschätzt, aber nicht in der Tabelle abgebildet.Ausführlicher in Lorenz Meister, Lukas Menkhoff und Carsten Schröder (mimeo): Remote work, stock market participation, and inequality.
Effekte in Prozentpunkten
(1) Regression ohne die Variable Homeoffice | (2) Regression mit Homeoffice als erklärender Variable für das Jahr 2020 | (3) Regression mit Homeoffice als Variable für das Jahr 2014 | (4) Aktienbesitz im Vorjahr als erklärende Variable für das Jahr 2020 | |
---|---|---|---|---|
Homeoffice | 5,7*** | 2,4** | 2,1** | |
Aktienbesitz im Vorjahr | 70,7*** | |||
Vermögen | 2,1*** | 2,0*** | 1,5*** | 0,6*** |
Einkommen | 3,3*** | 3,4*** | 2,8*** | 1,0** |
Bildung (Jahre) | 2,1*** | 1,8*** | 2,0*** | 0,5*** |
Geschlecht (weiblich) | −6,0*** | −5,5*** | −5,8*** | −2,5*** |
Migrationshintergrund | −4,4*** | −5,1*** | −4,2*** | −2,4*** |
Beobachtungen | 8954 | 8259 | 8508 | 8243 |
Anmerkung: Der Zusammenhang von Homeoffice-Nutzung und Aktienbesitz wird in linearen Regressionsmodellen mit Kontrollvariablen geschätzt. Die Ergebnisvariable ist Besitz von Aktien im Jahr 2020. Die Kontrollvariablen erfassen Vermögen, Einkommen, Bildung, Alter, Geschlecht, Heiratsstatus, urbanen Wohnraum, Migrationshintergrund, Risikotoleranz, Anzahl enger Freund*innen, Optimismus, Offenheit und Bundesland. Die Sternchen bezeichnen das Signifikanzniveau, das die statistische Genauigkeit der Schätzung angibt. Je mehr Sternchen, desto geringer die Irrtumswahrscheinlichkeit: ***, ** und * geben die Signifikanz auf dem Ein-, Fünf-, und Zehn-Prozent-Niveau an.
Lesehilfe: Vermögen und Einkommen hängen positiv mit Aktienbesitz zusammen, während Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund seltener Aktien besitzen (Spalte 1). Die Wahrscheinlichkeit, Aktien zu besitzen, ist 2020 bei Menschen im Homeoffice um 5,7 Prozentpunkte höher als bei Menschen, die durchgehend am Arbeitsplatz arbeiten (Spalte 2), im Jahr 2014 lag der Unterschied bei 2,4 Prozentpunkten (Spalte 3). Die Wahrscheinlichkeit, 2020 neu in den Aktienmarkt einzusteigen, liegt bei Menschen im Homeoffice 2,1 Prozentpunkte höher als beim Rest der Arbeitsbevölkerung (Spalte 4).
Quellen: SOEP; Eigene Berechnungen.
Im nächsten Schritt wird diese Vielzahl an etablierten und aussagekräftigen Variablen um die neue Variable „Homeoffice“ erweitert. Die Variable zeigt an, ob die entsprechende Person in den vergangenen zwölf Monaten auch im Homeoffice gearbeitet hat. Im Homeoffice zu arbeiten, erhöht – isoliert betrachtet – die Tatsache des Aktienbesitzes um 5,7 Prozentpunkte (Tabelle 1, Spalte 2).
Um zu testen, ob diese Beziehung nur für das ungewöhnliche Jahr 2020 gilt, wird dieselbe Rechnung für ein früheres Jahr, hier für das Jahr 2014, wiederholt (Tabelle 1, Spalte 3). Zwar ist der Einfluss von Homeoffice geringer, aber weiterhin statistisch signifikant, während die übrigen Koeffizienten wenig Veränderung aufweisen. Homeoffice trägt also generell zur Erklärung von Aktienbesitz bei.
Um diesen Zusammenhang aus einer etwas anderen Perspektive zu prüfen, wird als weitere Variable der Aktienbesitz im Vorjahr hinzugefügt, so dass die Rechnung stärker auf die Veränderung des Aktienbesitzes abstellt. Wenig überraschend erklärt diese Variable den Besitz von Aktien stärker als alle anderen Variablen zusammen genommen. Der Koeffizient des Aktienbesitzes im Vorjahr liegt bei etwa 70,7, so dass allein von daher zu erwarten ist, dass die übrigen Koeffizienten in Spalte 4 in der Größenordnung nur noch rund ein Drittel derjenigen in Spalte 2 betragen. Tatsächlich trifft dies auf viele Koeffizienten, wie die für Vermögen, Einkommen oder Bildung zu, die sich grob auf ein Drittel verringern. Interessanterweise gilt dies auch für Homeoffice, dessen Koeffizient allerdings statistisch hoch signifikant bleibt. Insofern bestätigt diese Rechnung die Bedeutung des Homeoffice, hier für den erstmaligen Besitz von Aktien.Die meisten genannten Determinanten von Aktienbesitz gelten als exogen. Beim Homeoffice allerdings kann man argumentieren, dass dessen Determinanten ähnlich wie die für Aktienbesitz sind, so dass Homeoffice möglicherweise keinen ursächlichen Einfluss auf Aktienbesitz hat. Dagegen kann man wiederum eine Schätzung mit Instrumentvariablen durchführen, die das hier gezeigte Ergebnis weitgehend bestätigt.
Gut zu den Beobachtungen passt, dass das Interesse an Aktien und Homeoffice ähnlichen Zyklen folgt. Dies zeigt die relative Häufigkeit von Google-Suchanfragen zu „Homeoffice“ und „Aktien“ im Zeitraum von 2015 bis 2020 (Abbildung 2). Während vor der Covid-19-Pandemie der Begriff „Homeoffice“ kaum gegoogelt wurde, steigen die Suchanfragen Anfang 2020 rapide an und erreichen mehrere Höhepunkte in Zeiten hoher Inzidenzen während der Wintermonate. Ähnlich hielt sich das Interesse am Suchbegriff „Aktien“ ab 2015 relativ konstant, bis es zu Beginn der Pandemie einen sprunghaften Anstieg gibt. Wieder folgen verschiedene Höhepunkte, wobei auffällt, dass diese zeitgleich mit denen zum Interesse an Homeoffice bestehen, aber länger anhalten. Eine mögliche Erklärung wäre, dass die Menschen aus dem Homeoffice heraus mehr freie Zeit am Computer verbringen und diese teilweise darauf verwenden, sich über Aktien zu informieren.
Das Argument für die positive Wirkung von Homeoffice auf Aktienbesitz lautet, dass das Homeoffice Zeit spart und die Zeitverwendung flexibilisiert. Insbesondere gewinnen Arbeitnehmer*innen dadurch Zeit, dass sie sich den Weg von und zum Arbeitsplatz sparen. Laut einer Studie gewinnen Menschen in Deutschland im Homeoffice 65 Minuten am Tag, wovon sie durchschnittlich 31 Prozent als zusätzliche Arbeitszeit nutzen, 46 Prozent mit Freizeitaktivitäten verbringen und acht Prozent auf Betreuung vor allem von Kindern verwenden (Abbildung 3).Cevat Aksoy et al. (2023): Time savings when working from home. American Economic Association Papers & Proceedings (im Erscheinen). Der Zeitanteil für Betreuung von Kindern ist ein Durchschnittswert über alle Haushalte und entsprechend viel höher in Haushalten, in denen Kinder leben.
Aus der öffentlichen Diskussion ist nachvollziehbar, dass Haushalte mit Kindern im Homeoffice oft Probleme hatten, weil es zu Konflikten um die Zeitaufteilung kommt. Insofern wird die Hypothese präzisiert, dass der Effekt auf Aktienbesitz in Haushalten ohne Kinder stärker ist als in solchen mit Kindern.
Um dies zu testen, wird die gesamte Stichprobe in entsprechende Gruppen von Haushalten eingeteilt: Haushalte mit und ohne Kinder. Für jede Gruppe wird die Hauptregression erneut berechnet. Die Ergebnisse bestätigen klar die Hypothese: Der Koeffizient von Homeoffice ist gut doppelt so groß in Haushalten ohne Kinder wie in Haushalten mit Kindern, und nur im ersten Fall ist er statistisch signifikant (Tabelle 2).
Effekte in Prozentpunkten
(1) Kinderlose Haushalte | (2) Haushalte mit Kindern | |
---|---|---|
Homeoffice | 4,2*** | 0,7 |
Vermögen | 0,5*** | 0,7*** |
Einkommen | 1,3** | 0,9 |
Bildung (Jahre) | 0,6** | 0,5** |
Geschlecht (weiblich) | −4,1*** | −1,1 |
Migrationshintergrund | −2,5 | −2,1* |
Beobachtungen | 3407 | 4683 |
Anmerkung: Der Zusammenhang von Homeofficenutzung und Aktienbesitz wird in linearen Regressionsmodellen mit Kontrollvariablen geschätzt. Spalte 1 zeigt die Ergebnisse für kinderlose Haushalte und Spalte 2 für Haushalte mit Kindern. Die Kontrollvariablen erfassen Vermögen, Einkommen, Bildung, Alter, Geschlecht, Heiratsstatus, urbanen Wohnraum, Migrationshintergrund, Risikotoleranz, Anzahl enger Freund*innen, Optimismus, Offenheit und Bundesland. Die Sternchen bezeichnen das Signifikanzniveau, das die statistische Genauigkeit der Schätzung angibt. Je mehr Sternchen, desto geringer die Irrtumswahrscheinlichkeit: ***, ** und * geben die Signifikanz auf dem Ein-, Fünf-, und Zehn-Prozent-Niveau an.
Lesehilfe: Die Nutzung von Homeoffice hängt bei kinderlosen Haushalten positiv mit Aktienbesitz zusammen (Spalte 1), während dieser Zusammenhang bei Haushalten mit Kindern fehlt (Spalte 2).
Quellen: SOEP; eigene Berechnungen.
Im Folgenden wird breiter untersucht, was die Neubesitzer*innen von Aktien, also diejenigen, die erstmals im Jahr 2020 Aktien erworben haben, kennzeichnet. Dazu kann man diese Gruppe mit denjenigen vergleichen, die bereits 2019 (und 2020) Aktien besaßen, sowie denjenigen, die 2020 keine Aktien besaßen.
Verglichen werden Durchschnittswerte für verschiedene soziodemographische Merkmale in den jeweiligen Gruppen (Tabelle 3). Im Grunde stehen die Neubesitzer*innen immer zwischen den beiden anderen Gruppen. Als Beispiel beträgt ihr Nettoeinkommen rund 2700 Euro im Monat, das der Altbesitzer*innen beträgt 3300 Euro und das der Nichtbesitzer*innen 1900 Euro. Dies spricht dafür, dass die Verbreiterung der Aktionärsbasis in verschiedenen Schichten stattfindet. Damit profitiert eine breitere Bevölkerung von den höheren Erträgen auf Aktienbesitz und die Gruppe der Aktionär*innen ist weniger exklusiv als zuvor. Allerdings geben die vorliegenden Daten keine Information darüber, wieviel Aktien von den jeweiligen Gruppen gekauft wurden, sondern nur, ob Aktien gekauft wurden.
(1) Altbesitzer*innen | (2) Neubesitzer*innen | (3) Menschen ohne Aktien | (4) Alte versus neue Aktienbesitzer*innen | (5) Ohne Aktienbesitz versus neue Aktienbesitzer*innen | |
---|---|---|---|---|---|
Nettovermögen (Euro) | 824348 | 453549 | 159446 | 370799** | −294103*** |
Nettoeinkommen (Euro) | 3270 | 2673 | 1931 | −596** | −742*** |
Bildungsjahre | 14,59 | 13,83 | 12,86 | 0,76*** | −0,97*** |
Alter | 49,68 | 46,49 | 45,88 | 3,20*** | −0,61 |
Frauen (Prozent) | 41 | 44 | 54 | −3 | 10*** |
Verheiratet, (Prozent) | 64 | 56 | 61 | 8*** | 5** |
Migrationshintergrund (Prozent) | 11 | 15 | 22 | −4* | 7*** |
Beobachtungen | 1802 | 663 | 6578 | 2465 | 7241 |
Anmerkung: Die Tabelle bildet durchschnittliche Eigenschaften von Menschen in der Arbeitsbevölkerung ab, je nach Aktienbesitz: in Spalte (1) Menschen, die 2019 und 2020 Aktien besessen haben, in Spalte (2) Menschen, die 2020 neu in den Aktienmarkt eingestiegen sind, in Spalte (3) Menschen, die weder 2019, noch 2020 Aktien besaßen. Die letzten beiden Spalten bilden Mittelwertdifferenzen zwischen den Gruppen ab; Angaben in Euro, Jahren und Prozentpunkten. Die Sternchen zeigen an, ob die Differenzen der Mittelwerte statistisch signifikant sind: ***, ** und * geben die Signifikanz auf dem Ein-, Fünf-, und Zehn-Prozent-Niveau an.
Lesehilfe: Das monatliche Nettoeinkommen (Zeile 3) von Menschen, die 2020 schon Aktien besaßen ist mit 3270 Euro (Spalte 1) um 596 Euro (Spalte 4) höher als das von Menschen, die sich 2020 Aktien neu gekauft haben (Spalte 2). Die Einkommensdifferenz zu Menschen, die weder 2019 noch 2020 Aktien besaßen, beträgt sogar 742 Euro (Spalte 5).
Quellen: SOEP; eigene Berechnungen.
Da die Basis der Aktienbesitzer*innen auch in einkommensschwächeren Schichten verbreitert wird, stellt sich die Frage, welche Rolle das Homeoffice dabei spielt. Zu diesem Zweck wird für alle Neubesitzer*innen unterschieden, ob sie Homeoffice nutzen oder nicht. Diese beiden Gruppen werden dann wiederum in Einkommensgruppen unterteilt, und für jede dieser Einkommensgruppen wird gemessen, wie hoch der Anteil der Neubesitzer*innen an allen Personen der jeweiligen Einkommensgruppe ist. Die Erwartung ist, dass – in Übereinstimmung mit den soziodemographischen Merkmalen der Aktienbesitzer*innen – je höher die Einkommensgruppe ist, desto höher ist vermutlich auch der Anteil der Neubesitzer*innen.
In der untersten Einkommensgruppe ist der Anteil der Neueinsteiger*innen im Homeoffice mit rund fünf Prozent deutlich höher als bei Menschen, die vor Ort gearbeitet haben (knapp drei Prozent; Abbildung 4). Bei der mittleren Einkommensgruppe ist dieser Unterschied deutlich kleiner, während bei der höchsten Einkommensgruppe Homeoffice für den Aktienmarkteinstieg keine Rolle mehr spielt. Kurzum: Einkommensschwächere werden – anders als Einkommensstärkere – eher Aktienbesitzer*innen, wenn sie das Homeoffice nutzen.
Die Nutzung von Homeoffice führt zu Zeiteinsparungen und Zeitflexibilität, und dies wird teilweise für die Beschäftigung mit und den Kauf von Aktien genutzt. Der Zugang zum Aktienmarkt wurde für viele Menschen dadurch erleichtert, dass sie sich von zu Hause aus um ihre Finanzangelegenheiten kümmern können. Diese Beobachtung ergibt sich aus einer Analyse mit Daten des Sozio-oekonomischen Panels. Der Effekt wurde vermutlich durch das zunehmende Angebot von sogenannten Neobrokern verstärkt, also von Onlineplattformen für niedrigschwelligen und preisgünstigen Handel mit Wertpapieren. Auch der Anstieg der Sparquote im Jahr 2020 und die daraus resultierende Durchsetzung von Verwahrungsentgelten haben vermutlich zum Anstieg des Aktienbesitzes beigetragen, da hiermit Anreize geschaffen wurden, statt in festverzinsliche Anlagen vermehrt in Risikoanlagen zu investieren.
Neubesitzer*innen von Aktien haben nicht die gleichen soziodemographischen Merkmale wie Altbesitzer*innen, sondern verbreitern den Aktienbesitz in der allgemeinen Bevölkerung. Zudem steigen gerade Menschen aus niedrigeren Einkommensgruppen durch die Nutzung von Homeoffice in den Aktienmarkt ein. Beide Effekte deuten darauf hin, dass die Verbreiterung der Basis von Aktienbesitzer*innen zu einer gleichmäßigeren Einkommens- und Vermögensverteilung beiträgt.
Natürlich kann die Wirtschaftspolitik schlecht Homeoffice verordnen, um den Aktienbesitz weiter zu verbreiten. Aber die Wirkung von Homeoffice verdeutlicht einmal mehr, dass die Reduktion von Kosten – im weiteren Sinn – den Aktienbesitz erleichtert. Ein Ansatzpunkt für staatliches Handeln ist die Information zu Aktienbesitz, die nachweislich den Zugang verbessert.Marten van Rooij, Annamaria Lusardi und Rob Alessie (2011): Financial literacy and stock market participation. Journal of Financial Economics, 101 (2), 449–472 (online verfügbar). Hier kann man anlassbezogen mit der Einführung der „Aktienrente“ oder anderen kapitalgedeckten Formen der Altersvorsorge tätig werden,Vergleiche Laurent Calvet et al. (2023): Can security design foster household risk-taking? Journal of Finance (erscheint demnächst). oder ganz generell bei der Verbesserung finanzieller Bildung, zum Beispiel im Schulunterricht.
JEL-Classification: D31;G11;G51
Keywords: stock market participation, income inequality, remote work
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2023-13-1
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/271751