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25 Jahre EZB: Was uns die Euro-Notenbank gebracht hat – und wo sie Hilfe braucht

Blog Marcel Fratzscher vom 1. Juni 2023

Der 25. Geburtstag der Europäischen Zentralbank (EZB) ist ein Grund zum Feiern: Die EZB hat gegen viele Widerstände und trotz zahlreicher Krisen etwas erreicht, was viele nicht für möglich gehalten haben. Trotzdem fremdeln gerade wir Deutschen noch immer mit der EZB und tun uns schwer, den Euro und die EZB als wichtige Errungenschaften Europas zu schätzen. Wieso ist das so? Was sind die Fehler, und was bleibt zu tun, damit der Euro und die EZB auf mehr Akzeptanz stoßen und den Menschen überall in Europa besser dienen können?

 

Dieser Gastbeitrag erschien am 1. Juni 2023 in Der Spiegel.

Der frühere EU-Kommissionspräsident Jacques Delors sagte 1992 über uns Deutsche: »Nicht alle Deutschen glauben an Gott, aber alle glauben an die Bundesbank.« Diese Aussage enthält einen wahren Kern. Die EZB muss sich seit ihrer Gründung unweigerlich an der Arbeit der Deutschen Bundesbank messen lassen, zumindest in Deutschland. Und eine ehrliche, nüchterne Betrachtung zeigt, dass die EZB diesem Vergleich gut standhält.

Drei Kritikpunkte an der EZB

Eine hartnäckige, aber falsche Wahrnehmung in Deutschland ist, die EZB hätte in ihren 25 Jahren nicht ausreichend für stabile Preise und eine niedrige Inflation gesorgt. Die hohe Inflation der vergangenen zwölf Monate war und ist ein großes Problem, vor allem für Menschen mit geringen Einkommen. Aber sie liegt genauso wenig in der Verantwortung der EZB wie die hohe Inflation der Siebzigerjahre von der Bundesbank verursacht oder effektiv bekämpft werden konnte. Denn diese Phasen der hohen Inflation waren das Resultat von Kriegen und einer durch explodiere Energiepreise importierten Teuerung.

Was wenige in Deutschland wissen: Die Inflation im Euroraum und auch in Deutschland war in den vergangenen 25 Jahren mit im Durchschnitt weniger als zwei Prozent deutlich niedriger als zu D-Mark-Zeiten, als sie im Durchschnitt über drei Prozent betrug. Einige klagen zudem über die geringen Zinsen in Euro-Zeiten. Viele Jahre lang waren die Zinsen sogar real negativ. Das bedeutet, dass die Inflation höher ist als der Sparzins, so dass die Kaufkraft der Ersparnisse sinkt und der Vermögensaufbau schwierig ist. Auch aktuell sind wir wieder in einer solchen Situation. Aber das ist nicht unüblich, auch mit D-Mark und Bundesbank waren die realen Zinsen seit den Siebzigerjahren in mehr als der Hälfte der Jahre negativ.

Eine zweite Sorge in Deutschland lautet, der Euro hätte nicht mehr die globale Reputation und Stärke, die die D-Mark viele Jahrzehnte lang genoss. Genau das Gegenteil ist der Fall. Natürlich schwankt der Wert einer Währung mitunter. Das traf aber auch auf die D-Mark zu – manch ältere Leserin und älterer Leser mögen sich an das Jahr 1985 erinnern, als man mehr als vier D-Mark benötigte, um einen US-Dollar zu erwerben. Die internationale Rolle des Euro ist heute sehr viel bedeutsamer als die der D-Mark jemals war. Global wird mehr Handel in Euro abgewickelt, werden mehr Finanzprodukte in Euro bewertet, halten Zentralbanken mehr Währungsreserven in Euro als dies in D-Mark-Zeiten jemals der Fall war. Der Euro hat sich als zweite globale Leitwährung hinter dem US-Dollar etabliert, wenn auch mit erheblichem Abstand. Dies hat einen enormen wirtschaftlichen Nutzen für einheimische Unternehmen, die im globalen Wettbewerb stehen, aber auch für die Verbraucherinnen und Verbraucher.

Ein dritter Kritikpunkt in Deutschland ist, der Euro und die EZB hätten zu einer gemeinsamen Haftung von Risiken in Europa geführt, die gerade große Länder wie Deutschland besonders stark in die Verantwortung nehme. Dieser Punkt ist völlig richtig. Er ist aber kein Fehler, sondern Absicht und expliziter Zweck einer gemeinsamen Währung. Denn die Vorteile einer gemeinsamen Währung sind nur durch eine geteilte Verantwortung möglich. Genau dies war die zentrale Absicht gerade auch Deutschlands unter Helmut Kohl in den Neunzigerjahren, nämlich die Integration Europas voranzutreiben und damit nicht nur Frieden zu gewährleisten, sondern auch den gemeinsamen Wohlstand zu erhöhen.

Natürlich schauen vor allem die kleineren Nachbarn in Krisenzeiten auf Deutschland, wenn es um Hilfe und finanzielle Unterstützung geht. Und Deutschland hat diese Verantwortung auch häufig warhgenommen, so wie im Sommer 2020, als Europa einen gemeinsamen Krisenfonds einrichtete und Deutschland netto viel Geld beisteuerte. Aber eine ehrliche Analyse zeigt auch, dass Deutschland von der wirtschaftlichen Integration, die durch den Euro geschaffen wurde, mit am meisten profitiert. Denn gerade eine so offene Volkswirtschaft wie die deutsche profitiert von Handel und Transaktionen mit einer gemeinsamen Währung. Die wirtschaftlich so enorm erfolgreichen 2010er-Jahre für Deutschland wären ohne den Euro und die EZB nicht möglich gewesen.

Die Schwächen der EZB

Die Vorwürfe, die EZB hätte in dem Vierteljahrhundert ihrer Existenz nicht für Preisstabilität gesorgt oder sei keine gute Hüterin des Euros, sind daher falsch und durch die Fakten widerlegt. Das heißt aber nicht, dass die EZB unfehlbar ist und keine Schwächen hat. Die erste ist das kommunikative Scheitern der EZB beim Versuch, den Menschen das Ziel und die Motivation ihres Handelns zu erklären. Das Eurosystem – der Verbund der EZB und aller nationalen Zentralbanken, inklusive der Bundesbank – funktioniert nicht als Team, sondern eher als Spaltpilz, bei dem die Gouverneure der nationalen Zentralbanken allzu häufig eher auf nationale Interessen abzuzielen scheinen.

Das Resultat ist ein geringeres Vertrauen in die EZB und den Euro. Dies hat dazu geführt, dass die EZB und der Euro nicht nur von Populisten und Nationalisten, sondern häufig von Regierungen, auch in Deutschland, gerne als Sündenbock für das Scheitern nationaler Politik missbraucht werden, um von eigenen Fehlern abzulenken.

Das vielleicht größte Manko ist heute die geringe Identifikation der Menschen in Europa mit dem Euro. Eine bessere Kommunikation und eine gemeinsame europäische Perspektive und Vision sind wichtig, um diese Identifikation zu verbessern. Die fehlende Identifikation wird durch die Geldscheine des Euro symbolisiert: Was wir auf den Geldscheinen des Euro sehen, existiert nicht. Die Brücken und Torbögen auf den Geldscheinen sind Erfindungen basierend auf verschiedenen Architekturstilen, aber nichts davon gibt es in der Wirklichkeit. Und hier liegt exemplarisch das große Armutszeugnis: Diese künstlichen Motive wurden gewählt, weil man sich nicht auf gemeinsame reale Motive von Menschen oder Bauwerken auf den Geldscheinen einigen konnte. Wie so häufig im europäischen Geschacher wählte man den kleinsten gemeinsamen Nenner und damit eine schlechte Lösung. Sie negiert letztlich das, was Europa ausmacht: die Vielfalt an Kulturen und Perspektiven, ohne die keine der Kulturen in Europa individuell denkbar und der große Wohlstand Europas nicht möglich wäre.

Zum 25-jährigen Jubiläum sollten wir der EZB gratulieren. Sie hat im Großen und Ganzen gute Arbeit geleistet. Aber sie muss besser werden in ihrer Kommunikation und in ihrer Fähigkeit, europäisch zu handeln. Dies kann sie jedoch nicht alleine bewerkstelligen. Sie braucht dafür die Unterstützung von Institutionen, der Politik und Zivilgesellschaft auf nationaler Ebene – gerade in Deutschland.

Themen: Europa , Geldpolitik

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