Medienbeitrag vom 19. Juni 2023
Die Gier der Unternehmen treibt die Inflation, sagen viele. Klingt plausibel, aber die Evidenz dafür ist schwach.
Hohe Preise, etwa für Lebensmittel oder Energie, haben eine teilweise hitzige Debatte über ”Greedflation”, ”Gierflation” oder ”Gewinninflation” entfacht. Es wird spekuliert, dass Unternehmen ihre Preise erhöhen, um höhere Gewinnmargen zu erzielen, was wiederum die Inflation treibt. Aber ist an dem Vorwurf etwas dran? Belege dafür gibt es kaum.
Dieser Gastbeitrag von Lea Bernhardt und Tomas Duso erschien am 19. Juni 2023 in der Frankfurter Allgemeine Zeitung.
Diejenigen, die eine ”Greedflation” ausgemacht haben wollen, verweisen auch auf aktuelle Studien in der Eurozone und den USA. Darin wird für die vergangenen Jahre der Inflation ein steigender Gewinnanteil an der Wertschöpfung beobachtet. Schnell wurde der Verdacht der Profitgier laut und damit Forderungen nach staatlich festgelegten Preisdeckeln, die überzogene Preiserhöhungen von Unternehmen verhindern sollen.
Auf den ersten Blick klingt das plausibel. Die Unterbrechung globaler Wertschöpfungsketten könnte zu vorübergehenden Monopolen geführt haben, während es für Unternehmen auf anderen Märkten einfacher sein könnte, sich über hohe Preise abzustimmen, und zwar in einer Zeit, in der Preisänderungen schnell, weit verbreitet und schwer zu verfolgen sind. Doch sowohl die theoretische Begründung als auch die empirische Evidenz für die These, dass die Zunahme von Marktmacht, etwa durch Absprachen zwischen Unternehmen, ein oder sogar der Haupttreiber der Inflation ist, ist schwach.
Zum einen lässt sich die anhaltende Inflation eher mit den Angebotsschocks durch die Corona- Pandemie und den Krieg in der Ukraine erklären als mit Kollusion, also wettbewerbswidrigen Absprachen von Unternehmen, etwa um Preise auf einem bestimmten Niveau zu halten. Kostensteigerungen werden in der Regel sofort weitergegeben. Wenn die Kosten wieder sinken, haben die Unternehmen keinen Anreiz, die Kostensenkungen schnell und vollständig weiterzugeben. Insbesondere dann, wenn sie über Marktmacht verfügen. Preise steigen wie Raketen und fallen wie Federn. Kurzfristig führt dies zu höheren Gewinnen, längerfristig werden die Preis- Kosten-Margen wieder sinken.
Zum anderen erscheinen Analysen, die auf aggregierten Gewinndaten einzelner Branchen basieren, ungeeignet, um kausale Zusammenhänge zu erklären. So ist es nicht möglich, belastbare Aussagen über Ursache und Wirkung des Anteils der Gewinne an der Wertschöpfung und der Inflation zu treffen. Studien für Europa haben etwa ergeben, dass der Gewinnanteil an der Wertschöpfung auch bei konstanten Gewinnaufschlägen steigen kann. Dies hängt davon ab, wie austauschbar einzelne Produktionsfaktoren sind und wie die Steigerungen der Preise für Vorleistungen und Arbeitskosten ausfallen. Eine kürzlich veröffentlichte Studie der Banca d’Italia analysiert für das Jahr 2022, wie Gewinnanteile und Aufschläge in vielen Sektoren sowohl in Deutschland als auch in Italien verbunden waren. So werden für Deutschland konstante Aufschläge in der Industrie und im verarbeitenden Gewerbe gemeldet. Für Italien zeigen die Zahlen, dass die Aufschläge im letzten Quartal 2022 in fast allen Sektoren wieder das Vor-Pandemie-Niveau erreicht haben.
Für eine evidenzbasierte kausale Analyse müssten zusätzliche Informationen über die Gewinnaufschläge der Unternehmen herangezogen werden, die Aufschluss über das Verhältnis von Produktionskosten und dem Preis geben. Erste Studien dazu aus den USA sprechen eher nicht für wettbewerbsgetriebene Inflation, weil sich die Preis-Kosten-Margen zuletzt wenig verändert haben. Für das Jahr 2021 wurde ein Anstieg des Markups um 3,4 Prozent verzeichnet, während die Inflation 5,8 Prozent betrug. Demnach könnten Markups zwar für etwas mehr als die Hälfte der Inflation im Jahr 2021 verantwortlich sein. Allerdings deuten langfristige Muster eher darauf hin, dass die Unternehmen die Preise in Erwartung künftiger Kostensteigerungen anheben - und nicht wegen einer größeren Marktmacht oder einer höheren Nachfrage. In der Tat wurde keine Korrelation zwischen der Veränderung der Aufschläge auf Unternehmensebene und der Veränderung der Preise auf Branchenebene (gemessen am Erzeugerpreisindex) festgestellt.
Nach bisherigen Erkenntnissen spricht also nicht viel für eine verbreitete ”Greedflation”. Vorschläge, die Wettbewerbspolitik oder Preiskontrollen als neues Instrument zur Inflationsbekämpfung einzusetzen, sind daher mit großer Vorsicht zu genießen, auch wenn es für die Wettbewerbsbehörden sicherlich ratsam ist, in Zeiten der Inflation wachsam zu bleiben. Zum einen scheint die Inflation nicht primär ein Wettbewerbsproblem zu sein, zum anderen ist sehr fraglich, ob Preiskontrollen überhaupt praktikabel sind. Wer soll in der Lage sein, evidenzbasiert kurzfristig zu entscheiden, wo welche Kontrolle eingesetzt werden soll und vor allem wie hoch die regulierten Preise sein sollen?
Hier sollte auch die wirtschaftspolitische Diskussion ehrlicher und präziser werden. Als gelungenes Beispiel für eine Preiskontrolle wurde auf den in diesem Jahr in Deutschland eingeführten Energiepreisdeckel verwiesen. Allerdings sind diese Strom- und Gaspreisbremsen keine Preiskontrolle, sondern lediglich eine Subvention für 80 Prozent des bisherigen Verbrauchs. Die Kundinnen und Kunden zahlen weiterhin die Marktpreise für die verbrauchte Energie und der Bund zahlt einen Zuschuss, deckelt aber nicht den Preis.
Und genau solche direkten Transfers sind das geeignete Instrument, um die Verteilungseffekte der Inflation zu bekämpfen, was wichtiger denn je bleibt. Ärmere Haushalte sind von einer hohen Inflation stärker betroffen als reichere, da sie meist einen höheren Anteil ihres Einkommens für Lebensmittel und Energie ausgeben müssen. Diese Haushalte sollen direkt durch staatliche Unterstützung entlastet werden und nicht durch staatlich verordnete Preiskontrollen. Und diese Subventionen sollten im besten Fall gezielter als die Preisbremsen sein.
Themen: Geldpolitik , Unternehmen