DIW Wochenbericht 41 / 2023, S. 561-571
Martin Kittel, Dana Kirchem, Wolf-Peter Schill, Claudia Kemfert
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„Die neue Wasserstoffstrategie der Bundesregierung konkretisiert künftige Anwendungsbereiche, enthält aber noch große Unsicherheiten bei den geplanten Wasserstoffmengen. Die Importziele für das Jahr 2030 scheinen derzeit nur schwer erreichbar.“ Wolf-Peter Schill
Der Ersatz fossiler durch erneuerbare Energieträger ist ein wesentlicher Baustein der Energiewende. In bestimmten Bereichen soll künftig grüner Wasserstoff eine wichtige Rolle spielen. Dies geht auch aus der überarbeiteten Nationalen Wasserstoffstrategie hervor, die die Bundesregierung kürzlich vorgestellt hat. In diesem Wochenbericht werden wichtige Änderungen gegenüber der ersten Fassung aus dem Jahr 2020 diskutiert. Ein Fokus liegt auf der Analyse der geplanten Wasserstoffmengen für das Jahr 2030, die nur mit erheblichen Anstrengungen realisierbar sein dürften. Zudem ist unsicher, wie hoch dann der Anteil nicht grünen Wasserstoffs noch sein würde. Von besonderer Bedeutung sind Importe von grünem Wasserstoff, die frühzeitig gesichert werden müssen. Wichtig ist jetzt eine zeitnahe und konsequente Umsetzung der Strategie. Dabei gilt es, die aus Energiesystemsicht gebotene Fokussierung auf Anwendungsbereiche vor allem in der Industrie sowie im Flug- und Schiffsverkehr beizubehalten, in denen eine deutlich energieeffizientere direkte Elektrifizierung nicht sinnvoll möglich ist.
Deutschland soll nach den Zielen der Bundesregierung bis 2045 klimaneutral sein. Bereits bis 2030 sollen die CO2-Emissionen um mindestens 65 Prozent gegenüber 1990 sinken. Um diese Ziele zu erreichen, sollen die erneuerbaren Energien ausgebaut, die Energieeffizienz gesteigert und die sogenannte Sektorenkopplung vorangetrieben werden. Bei der Sektorenkopplung geht es darum, Strom aus erneuerbaren Energien direkt oder indirekt für bisher nicht elektrifizierte Anwendungen in der Industrie, der Wärmebereitstellung und dem Verkehr zu nutzen. Dabei soll für bestimmte Anwendungen auf erneuerbaren Energien basierender Wasserstoff künftig eine wichtige Rolle spielen. Dieser könnte dort zum Einsatz kommen, wo erneuerbarer Strom nicht direkt genutzt werden kann, wie zum Beispiel in Teilen der Industrie oder des Verkehrs.
Um den Markthochlauf von Wasserstoff im In- und Ausland anzustoßen, hat die vorige Bundesregierung unter Kanzlerin Angela Merkel im Jahr 2020 erstmals eine Nationale Wasserstoffstrategie vorgelegt.Bundesregierung (2020): Die Nationale Wasserstoffstrategie (online verfügbar; abgerufen am 23.09.2023. Dies gilt auch für alle anderen Online-Quellen dieses Berichts, sofern nicht anders vermerkt). Im Sommer 2023 wurde diese überarbeitet.Bundesregierung (2023): Fortschreibung der Nationalen Wasserstoffstrategie. 26.07.2023 (online verfügbar).
In diesem Wochenbericht werden wichtige Elemente der neuen Wasserstoffstrategie diskutiert. Insbesondere werden die vorgesehenen Mengen für das Jahr 2030 im Hinblick auf eine heimische Produktion, Importe und eventuelle Deckungslücken analysiert. Als Hintergrund werden zunächst verschiedene Herstellungsarten („Farben“) und Formen („Derivate“) von Wasserstoff erläutert und ein Überblick über plausible Einsatzbereiche gegeben. Abschließend folgt ein Überblick über potenzielle Wasserstoff-Importoptionen.
Wasserstoff ist ein farbloses Gas. Trotzdem werden ihm in der energiepolitischen Diskussion verschiedene „Farben“ zugeordnet, um unterschiedliche Erzeugungsarten zu unterscheiden (Abbildung 1).Vgl. Nationaler Wasserstoffrat (2022): Einordnung verschiedener Pfade der Herstellung von Wasserstoff („Farbenlehre“). Informationspapier, 1. April 2022 (online verfügbar).
Bisher wird überwiegend „grauer“ Wasserstoff verwendet. Er wird mittels einer sogenannten Dampfreformierung aus Erdgas hergestellt, das bei hohen Temperaturen mit Hilfe von Wasserdampf in Wasserstoff und das Treibhausgas Kohlendioxid (CO2) aufgespalten wird. Letzteres wird anschließend in die Atmosphäre entlassen.
In der Debatte über die Energiewende geht es vorrangig um drei weitere Herstellungsverfahren.Vgl. Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) (2021): Wasserstoff im Klimaschutz: Klasse statt Masse. Stellungnahme vom 23.06.2021 (online verfügbar). Es gibt in der Debatte auch noch weitere „Farben”, die in der Nationalen Wasserstoffstrategie jedoch keine Rolle spielen. Dazu gehört beispielsweise „gelber“ Wasserstoff, der ebenso wir grüner Wasserstoff per Elektrolyse produziert wird, allerdings nicht mit 100 Prozent erneuerbarem Strom, sondern mit dem Netzstrommix. Besondere Bedeutung hat der „grüne“ Wasserstoff, der mittels Wasser-Elektrolyse erzeugt wird. Unter dem Einsatz von elektrischem Strom aus erneuerbaren Energien wird dabei Wasser in seine Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff zerlegt. Da dabei keine klimaschädlichen Emissionen anfallen, gilt grüner Wasserstoff als klimaneutral.
Daneben werden mit „blauem“ und „türkisem“ Wasserstoff zwei weitere mögliche Herstellungsarten diskutiert, die auf fossilen Energieträgern beruhen. Sie sind bisher noch nicht in großem Maßstab erprobt und haben erst eine eingeschränkte Technologiereife erreicht.Vgl. Matia Riemer und Vicki Duscha (2023): Carbon capture in blue hydrogen production is not where it is supposed to be – Evaluating the gap between practical experience and literature estimates. Applied Energy 349, 121622. Blauer Wasserstoff würde wie grauer Wasserstoff auf einer Dampfreformierung von Erdgas basieren. Allerdings würden die dabei freigesetzten Kohlendioxid-Emissionen größtenteilsWie hoch die verbleibenden Restemissionen bei blauem Wasserstoff entlang der Wertschöpfungskette sein würden, ist unsicher, vgl. zum Beispiel Robert W. Howarth und Mark Z. Jacobson (2021): How green is blue hydrogen? Energy Science & Engineering 9(10), 1676–1687; sowie Matteo C. Romano et al. (2022): Comment on “How green is blue hydrogen?” Energy Science & Engineering 10(7), 1944–1954. abgeschieden, abtransportiert und abgelagert, beispielsweise im Untergrund. Alternativ könnte das CO2 als Rohstoff weiterverwendet werden, wobei sichergestellt werden müsste, dass der Kohlenstoff später nicht wieder in die Atmosphäre gelangt. Sogenannter türkiser Wasserstoff könnte über einen Pyrolyseprozess aus Erdgas hergestellt werden, das bei hohen Temperaturen in festen Kohlenstoff und Wasserstoff gespalten wird. Der Kohlenstoff würde nicht in die Atmosphäre emittiert, sondern könnte deponiert oder als Rohstoff genutzt werden. Er dürfte aber nicht verbrannt werden, damit nicht wieder CO2 entsteht.
Bei blauem oder türkisem Wasserstoff kann es in vorgelagerten Prozessketten bei der Förderung und dem Transport von Erdgas zu weiteren Treibhausgasemissionen kommen, im Falle von blauem Wasserstoff zusätzlich auch in nachgelagerten Prozessketten beim Transport und der Speicherung von CO2 Insgesamt gelten blauer und türkiser Wasserstoff daher zwar als emissionsärmer als grauer Wasserstoff, jedoch nicht als emissionsfrei. Sie sind somit kaum kompatibel mit Szenarien vollständiger Klimaneutralität.Vgl. SRU (2021), a.a.O.
Daneben gibt es noch vielfältige weitere Prozesse, mit denen Wasserstoff erzeugt werden kann. Dazu gehört oranger Wasserstoff aus überwiegend biogenen Abfall- und Reststoffen.Wissenschaftliche Dienste Deutscher Bundestag (2021): Oranger Wasserstoff: Herstellung von Wasserstoff aus Abfall. Sachstand WD 8 – 3000 – 075/21. 15. Berlin, 15. September 2021 (online verfügbar). In manchen chemischen Prozessen fällt Wasserstoff auch als Nebenprodukt an. Als gesichert klimaneutral und potenziell gut skalierbar gilt lediglich grüner Wasserstoff aus Elektrolyse mit erneuerbarem Strom.
Neben reinem Wasserstoff dürften künftig auf Wasserstoff basierende Derivate für einige Anwendungen vor allem in der chemischen Industrie und im Verkehr von Bedeutung sein.SRU (2021) a.a.O.; Falko Ueckerdt et al. (2021): Durchstarten trotz Unsicherheiten – Eckpunkte einer anpassungsfähigen Wasserstoffstrategie. Ariadne-Kurzdossier, 16.11.2021 (online verfügbar). Dabei handelt es sich um wasserstoffhaltige Verbindungen wie Ammoniak, Methanol oder Methan. Ammoniak wird aus Wasserstoff und Stickstoff erzeugt. In sogenannten Power-to-X-Verfahren (PtX) können aus grünem Wasserstoff und einer Kohlenstoffquelle synthetische flüssige (Power-to-Liquid, PtL, auch E-Fuels genannt) oder gasförmige (Power-to-Gas, PtG) Kohlenwasserstoffe hergestellt werden.Vgl. Florian Ausfelder und Dinh Du Tran (Hrsg.) (2022): Optionen für ein nachhaltiges Energiesystem mit Power-to-X-Technologien. 4. Roadmap des Kopernikus-Projektes P2X, Phase II (online verfügbar). Allerdings ist die Produktion mit hohen Umwandlungsverlusten verbunden und erfordert entsprechend viel zusätzlichen Strom aus erneuerbaren Energien.Für einige Beispiele vgl. SRU (2021), a.a.O.; siehe auch Franziska Holz et al. (2022): Zukunft des europäischen Energiesystems: Die Zeichen stehen auf Strom. DIW Wochenbericht Nr. 6, 75–82 (online verfügbar). Dem stehen potenzielle Vorteile von Wasserstoffderivaten gegenüber, beispielsweise beim Transport.
Wasserstoff hat im Vergleich zu anderen fossilen Energieträgern eine äußerst geringe Dichte. Daher ist der Transport von Wasserstoff mit besonderen Herausforderungen verbunden.
Pipelines sind für den Transport großer Mengen gasförmigen Wasserstoffs über weitere Distanzen geeignet. Sie haben Kostenvorteile gegenüber dem Transport auf der Straße oder Schiene. Erforderlich ist jedoch die Verwendung von geeignetem Material, den Bau neuer beziehungsweise die Umrüstung bestehender Gaspipelines und geht mit einem erheblichen Koordinierungsaufwand einher.Frithjof Staiß et al. (2022): Optionen für den Import grünen Wasserstoffs nach Deutschland bis zum Jahr 2030. Transportwege – Länderbewertungen – Realisierungserfordernisse. Analyse des Akademienprojekts „Energiesysteme der Zukunft“. August 2022 (online verfügbar).
Für den Transport über den Seeweg wäre eine Option, Wasserstoff zu verflüssigen. Allerdings hat Wasserstoff mit minus 253 Grad Celsius einen extrem niedrigen Siedepunkt, so dass die Verflüssigung sehr energieintensiv ist. Zudem sind aufwändige Isolationstechnologien bei den Transportbehältern von Flüssigwasserstoff erforderlich. Darüber hinaus kann es während des Transports durch Verdampfung zu einem Druckaufbau und entsprechenden Energieverlusten kommen.
Ein Ansatz, diese Transportprobleme zu überwinden, ist die Umwandlung von Wasserstoff in leichter transportierbare chemische Verbindungen wie etwa die Derivate Ammoniak oder Methanol. Dies hat den Vorteil, dass die bestehende Transport- und Speicherinfrastruktur teilweise weitergenutzt werden könnte. Demgegenüber stehen zusätzliche Energieverluste bei der Umwandlung, insbesondere wenn beispielweise aus Ammoniak nach dem Transport wieder reiner Wasserstoff erzeugt werden soll.Das Umweltbundesamt beziffert die Energieverluste allein für das Ammoniak-Cracking je nach Prozess und Wasserstoff-Güte auf 13 bis 34 Prozent. Umweltbundesamt (2022): Kurzeinschätzung von Ammoniak als Energieträger und Transportmedium für Wasserstoff. 28. Februar 2022 (online verfügbar). Diese Verluste würden allerdings nicht ins Gewicht fallen, wenn das entsprechende Derivat ohnehin in der jeweiligen Form benötigt wird (zum Beispiel Ammoniak für die Düngemittelherstellung).
Grundsätzlich könnten grüner Wasserstoff und darauf basierende Derivate für Anwendungen in praktisch allen Sektoren genutzt werden und dort fossile Energieträger ersetzen. Wasserstoff und Wasserstoffderivate haben jedoch wegen Energieverlusten bei Herstellung, Transport und teilweise auch bei der Endanwendung eine deutlich geringere Energieeffizienz als direktelektrische Alternativen. Gleichzeitig ist der im Zeitraum bis 2045 praktisch realisierbare Zubau von Windkraft- und Solarenergie sowie von Produktions- und Transportinfrastrukturen für Wasserstoff nicht beliebig groß – weder im Inland noch international.Vgl. Felix C. Matthes et al. (2021): Die Wasserstoffstrategie 2.0 für Deutschland. Untersuchung für die Stiftung Klimaneutralität. Berlin, 13. Mai 2021 (online verfügbar). Hinzu kommt ein erheblicher Koordinationsbedarf beim Hochlauf internationaler Wasserstoff-Wertschöpfungsketten. Daher dürfte grüner Wasserstoff auf absehbare Zeit knapp und vergleichsweise teuer bleiben.Vgl. Ueckerdt et al. (2021), a.a.O. Zudem wird Deutschland mit vielen anderen Ländern, die ebenfalls Klimaschutz betreiben, um ein begrenztes globales Wasserstoffangebot konkurrieren.
Der Einsatz grünen Wasserstoffs erscheint angesichts knapper Produktionskapazitäten sowie oft besserer direktelektrischer Alternativen bis zum Jahr 2045 nur in spezifischen Anwendungsbereichen möglich und sinnvoll. Viele Studien aus dem Bereich der Energiesystemanalyse kommen zu dem Schluss, dass grüner Wasserstoff und seine Derivate vorrangig in solchen Bereichen zur Anwendung kommen sollten, in denen eine direkte Elektrifizierung unvorteilhaft oder gar nicht möglich ist.Im Kopernikus-Projekt Ariadne wurden diese Einsatzbereiche als „No-Regret“-Optionen definiert, vgl. Ueckerdt et al. (2021), a.a.O. Gemeint ist, dass es ein sehr geringes Risiko gibt, dass man eine Förderung des Wasserstoffeinsatzes in diesen Bereichen später bereuen würde.
Zu diesen Einsatzbereichen gehören vor allem Teile der energieintensiven Industrie. In einigen Prozessen können Wasserstoff und seine Derivate sowohl als Energieträger als auch als Rohstoff genutzt werden. Das gilt für die Gewinnung von Eisen aus Eisenerz mittels Direktreduktion bei der Produktion von klimaneutralem Stahl sowie die Bereitstellung von Grundstoffen für die chemische Industrie.
Im Transportsektor dürfte die Verwendung von Wasserstoff und seinen Derivaten in erster Linie im Flug- und Schiffsverkehr relevant werden. Im Straßenverkehr dagegen erscheint der Einsatz von Wasserstoff bei Pkw gegenüber batterieelektrischen Fahrzeugen nicht konkurrenzfähig. Im Schwerlastverkehr ist für gewisse Einsatzbereiche indes noch unklar, welche Antriebsform sich künftig durchsetzen wird. Neben Wasserstoff-Brennstoffzellen bestehen auch die Optionen, rein batteriebetriebene Lkw sowie Oberleitungs-Hybridsysteme zu nutzen.Vgl. Julius Jöhrens et al. (2022): Vergleichende Analyse der Potentiale von Antriebstechnologien für Lkw im Zeithorizont 2030 (online verfügbar).
Ein weiterer und perspektivisch immer wichtigerer Einsatzbereich für Wasserstoff sind Langfrist-Stromspeicher. Diese sind bei steigenden Anteilen von Wind- und Solarenergie zunehmend erforderlich, um deren fluktuierende Erzeugung mit der Nachfrage in Einklang zu bringen.Vgl. Wolf-Peter Schill (2020): Electricity Storage and the Renewable Energy Transition. Joule 4(10), 2059–2064. Langfrist-Stromspeicher können zum Beispiel als Kombination aus Elektrolyse, Wasserstoff-Kavernenspeichern und Wasserstoff-Gasturbinen für die Rückverstromung realisiert werden.
Die genannten potenziellen Einsatzbereiche für Wasserstoff werden derzeit teils als Nischen bezeichnet. Künftig dürften sie jedoch deutlich an Bedeutung gewinnen und könnten langfristig Energiemengen im Bereich mehrerer hundert Terawattstunden umfassen.Vgl. Ariadne (2022): Vergleich der „Big 5“ Klimaneutralitätsszenarien. 16.3.2022 (online verfügbar); sowie Staiß et al. (2022), a.a.O.
Im Sommer hat die Bundesregierung die überarbeitete Nationale Wasserstoffstrategie vorgestellt. Sie ist eine „Fortschreibung“, das heißt eine Aktualisierung und Erweiterung der ersten Nationalen Wasserstoffstrategie aus dem Jahr 2020.In ihr werden sowohl Zielbilder für das Jahr 2030 als auch kurz-, mittel- und langfristige Maßnahmen definiert.Auf europäischer Ebene gibt es seit dem Jahr 2020 ebenfalls eine Wasserstoffstrategie sowie diverse Maßnahmen im Bereich Wasserstoff, unter anderem im Rahmen des „Fit-for-55“-Pakets und der „Important Projects of Common European Interest“ (online verfügbar). Diese werden in vier Handlungsfeldern neu gegliedert. Sie umfassen die Sicherstellung ausreichender Wasserstoffmengen, den Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur, die Etablierung von Wasserstoffanwendungen sowie die Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen.Im Abschnitt zu den Rahmenbedingungen enthält die Strategie diverse Maßnahmen zu Planungs- und Genehmigungsverfahren, Nachhaltigkeitsstandards und Zertifizierung sowie Forschung und Fachkräften. In diesem Wochenbericht wird nicht näher auf diesen Teil der Strategie eingegangen.
Gegenüber der Fassung von 2020 scheint der Fokus der neuen Strategie stärker auf der Rolle von Wasserstoff für das Erreichen des langfristigen Ziels der Klimaneutralität zu liegen; gleichzeitig wird etwas weniger Gewicht auf mögliche Exportchancen für deutsche Wasserstofftechnik gelegt.Die neue Strategie enthält 18 Variationen des Begriffs „klimaneutral“, die alte nur sechs. Variationen des Begriffs „Chance“ tauchten in der alten Strategie noch 27 Mal auf, in der neuen nur noch drei Mal.
In Deutschland werden derzeit pro Jahr rund 55 Terawattstunden (TWh) an überwiegend grauem Wasserstoff erzeugt und verbraucht.Ein kleiner Teil des heutigen Wasserstoffverbrauchs wird in der Chlor-Alkali-Elektrolyse erzeugt, außerdem entsteht Wasserstoff als Nebenprodukt in der Petrochemie. Grüner Wasserstoff wird dagegen bisher erst in Kleinstmengen produziert. Bis 2030 soll laut neuer Strategie eine heimische Elektrolyseleistung von zehn Gigawatt (GW) installiert werden. Die alte Wasserstoffstrategie sah für 2030 eine Elektrolyseleistung von fünf GW vor; zehn GW sollten „nach Möglichkeit“ bis 2035 angestrebt und spätestens 2040 erreicht werden. Dieses Ziel wurde somit um bis zu zehn Jahre vorgezogen.
Unter der Annahme einer Auslastung dieser Elektrolyseanlagen von 4000 Volllaststunden pro Jahr und einem Elektrolysewirkungsgrad von rund 70 Prozent lässt sich eine heimische Produktionsmenge von 28 TWh grünem Wasserstoff im Jahr 2030 ableiten. Dafür würden rund 40 TWh an Strom aus erneuerbaren Energien zusätzlich benötigt, was circa sieben Prozent des gesamten deutschen Bruttostromverbrauchs des Jahres 2022 entspricht. Das Ausbauziel von zehn GW Elektrolyseleistung soll mit einem Instrumentenmix erreicht werden, unter anderem durch Ausschreibungen für systemdienliche Elektrolyseure und europäische Projekte im Rahmen der Förderung von „Important Projects of Common Interest“ (IPCEI).Weitere Informationen zu diesen Projekten stellt die Europäische Kommission bereit (online verfügbar).
Derzeit sind in Deutschland erst rund 0,1 GW Elektrolyseleistung installiert, das entspricht einem Prozent des für 2030 angestrebten Ziels. Auch die im Bau befindliche Leistung ist noch sehr gering (Abbildung 2). Es befinden sich allerdings viele große Projekte mit einer Gesamtleistung von mehr als 20 GW in verschiedenen Stadien der Planung.IEA Hydrogen Projects Database. Letztes Update am 10.10.2022 (online verfügbar). Eine für den 05.10.2023 angekündigte Aktualisierung der Daten wurde leider verschoben und konnte für diesen Bericht nicht mehr berücksichtigt werden. Informationen zum Stand und Potenzial der Elektrolyse und weiterer Power-to-X-Prozesse in Deutschland bietet auch der Wasserstoff-Atlas (online verfügbar). Er enthält aber einige Datenlücken und zeichnet insgesamt kein wesentlich anderes Bild als die IEA-Daten von 2022. Jederzeit aktuelle Daten finden sich im Open Energy Tracker (online verfügbar). Um das Ziel für 2030 zu erreichen, müsste ein großer Teil dieser Projekte auch tatsächlich realisiert werden, einschließlich solcher, die derzeit in noch eher vagen konzeptionellen Stadien sind.
In der neuen Strategie wird erstmals explizit eine „systemdienliche“ Elektrolyse als Ziel benannt.Variationen des Wortes „systemdienlich” kommen in der neuen Fassung der Wasserstoffstrategie 14 Mal vor, in der alten Fassung kein einziges Mal. Dies betrifft sowohl den zeitlichen Einsatz der Elektrolyseure, der vorrangig in Zeiten mit hohem Angebot erneuerbarer Energien erfolgen soll, als auch die Standorte. Es sollen solche Standorte priorisiert werden, die nah an erneuerbaren Stromerzeugungsanlagen liegen und dadurch das Stromnetz weniger belasten als Standorte in der Nähe der künftigen Wasserstoff-Verbrauchszentren. In der Praxis dürfte dies auf Elektrolyseurstandorte in Norddeutschland mit hoher Windkraftleistung hinauslaufen, wohingegen Verbrauchszentren vorrangig in West-, Mittel- und Süddeutschland angesiedelt sein dürften.Zur möglichen räumlichen Verteilung von Wasserstoff-Verbrauchern vgl. Frederik vom Scheidt et al. (2022): Integrating hydrogen in single-price electricity systems: The effects of spatial economic signals. Energy Policy 161, 112727. Demnach soll künftig eher der Wasserstoff transportiert werden als der für die Wasserstofferzeugung erforderliche erneuerbare Strom. Verbrauchsnahe Elektrolysestandorte sind lediglich zum Anschub des Markthochlaufs in einer Anfangszeit für Demonstrations- und Pilotprojekte vorgesehen.
Neben der heimischen Erzeugung von grünem Wasserstoff geht die Bundesregierung für das Jahr 2030 von erheblichen Importen aus. Dazu soll eine Importstrategie erarbeitet werden. Außerdem werden diverse internationale Wasserstoff-Partnerschaften angeschoben. Über die „H2Global“-Stiftung sollen der Hochlauf des internationalen Wasserstoffangebots und der heimischen Nachfrage koordiniert und abgesichert werden.Dafür wird eine vom Bund bezuschusste Doppelauktion genutzt – mit langfristigen Abnahmeverträgen für ausländische Wasserstoff-Produzenten und kurzfristigeren Lieferverträgen für heimische Wasserstoff-Nachfrager. Vgl. H2Global Stiftung (online verfügbar). Während vorrangig grüner Wasserstoff importiert werden soll, geht die Bundesregierung davon aus, dass in einer Übergangszeit auch „kohlenstoffarmer“ blauer, türkiser und oranger Wasserstoff importiert und genutzt werden kann, sofern dies für die Markthochlaufphase erforderlich ist. Während die Nutzung von Wasserstoff aus diesen Herstellungsverfahren auf der Anwendungsseite zumindest indirekt auch gefördert werden kann, ist die Möglichkeit einer direkten finanziellen Förderung der Wasserstofferzeugung aber explizit auf grünen Wasserstoff beschränkt.
Um künftige Wasserstoff-Verbraucher mit Erzeugungs- und Importstandorten zu verbinden, gibt die neue Strategie konkrete Ziele für ein privatwirtschaftlich organisiertes Wasserstoffnetz vor.In der alten Fassung von 2020 gab es keine konkreten Angaben hierzu. Der Begriff „Wasserstoffnetz“ tauchte in der alten Fassung nur zwei Mal auf, in der neuen ist er 19 Mal enthalten. Zunächst ist ein 1800 Kilometer umfassendes nationales Netz geplant, das durch Umrüstung bestehender Gastransportkapazitäten sowie den teilweisen Neubau bis spätestens zum Jahr 2028 errichtet werden soll. Bis 2030 soll es mit einem ebenfalls entstehenden europäischen Wasserstoffnetz (European Hydrogen Backbone) verbunden werden, wobei wiederum eine Förderung im Rahmen der Important Projects of Common European Interest vorgesehen ist. Bis 2032 soll das Netz so erweitert werden, dass alle großen Verbrauchs-, Erzeugungs- und Importstandorte innerhalb Deutschlands angeschlossen sind.
Zudem soll ein Konzept für den Aufbau großer Wasserstoffspeicher entwickelt werden. Bestehende Gasspeicher sollen umgerüstet und neue Speicher gebaut werden. Die Wasserstoffspeicherung wird in der neuen Strategie an diversen Stellen prominent genannt, während sie in der alten Fassung noch eine untergeordnete Rolle spielte.
Außer in Pipelines können Wasserstoff und seine Derivate an Land auch auf der SchieneKonkrete Aktivitäten hierzu gibt es zum Beispiel bei der DB Cargo (online verfügbar). oder StraßeZu verschiedenen Optionen der straßengebundenen Belieferung potenzieller Wasserstoff-Tankstellen vgl. Fabian Stöckl, Wolf-Peter Schill und Alexander Zerrahn (2021): Optimal supply chains and power sector benefits of green hydrogen. Scientific Reports 11, 14191. transportiert werden. Je größer die Mengen und die Distanzen, desto wirtschaftlicher ist eine Pipeline.Vgl. M. Reuß et al. (2017): Seasonal storage and alternative carriers: A flexible hydrogen supply chain model. Applied Energy 200, 290–302. Für den potenziellen Transport vor allem von Wasserstoffderivaten per Seeweg stellt die neue Wasserstoffstrategie in Aussicht, auf die derzeit entstehende Importinfrastrukturen für Flüssiggas (Liquified Natural Gas oder kurz LNG) aufzubauen. Diese sollen bereits „H2-ready“, also wasserstofftauglich, errichtet werden und somit mit relativ geringem Aufwand für die Anlandung von Wasserstoffderivaten umrüstbar sein. Dabei dürfte es nicht um die schwimmenden, sondern um die derzeit im Bau befindlichen drei festen LNG-Terminals gehen.Vgl. Franziska Holz et al. (2023): LNG Import Capacity Expansion in Germany – Short-term Relief Likely to Turn into Medium-term Stranded Assets. IAEE Energy Forum / Second Quarter 2023, 13–18 (online verfügbar). Inwiefern dies praktisch möglich und ökonomisch sinnvoll ist, ist allerdings unklar.Vgl. Matia Riemer, Florian Schreiner und Jakob Wachsmuth (2022): Conversion of LNG Terminals for Liquid Hydrogen or Ammonia. Analysis of Technical Feasibility und Economic Considerations. Karlsruhe: Fraunhofer Institute for Systems and Innovation Research ISI (online verfügbar).
Die neue Wasserstoffstrategie soll die Anwendung von Wasserstoff in verschiedenen Sektoren etablieren. Bis 2030 stehen dabei industrielle Verbraucher im Fokus. Beschrieben wird der Ersatz von Erdgas, Erdöl und Kohle in der stofflichen und teils auch energetischen industriellen Nutzung, insbesondere im Hochtemperaturbereich. Prominent genannt wird die Stahlerzeugung, wobei es sich um die Direktreduktion von Eisenerz handelt, sowie die chemische Industrie.
Im Verkehrssektor wird der Einsatz von Wasserstoff und wasserstoffbasierten E-Fuels im Luft- und Schiffsverkehr sowie einigen Spezialanwendungen als „erforderlich“ eingestuft, beispielsweise bei schweren Nutzfahrzeugen. Ein möglicher Einsatz in Pkw wird dagegen im gesamten Dokument – anders als noch in der Strategie von 2020 – kein einziges Mal angesprochen.Dennoch sagte Bundesverkehrsminister Volker Wissing in seinem Statement bei der Vorstellung der überarbeiteten Nationalen Wasserstoffstrategie am 26. Juli 2023, der Wasserstoff werde auch im Individualverkehr gebraucht, obwohl dies in der Wasserstoffstrategie kein einziges Mal genannt wird (online verfügbar). Auch auf Twitter schrieb Wissing am 26. Juli: „Die #Wasserstoffstrategie wird einen enormen Beitrag leisten zur Erfüllung der Bedürfnisse im Güter- und Individualverkehr“ (online verfügbar).
Im Stromsektor liegt der Fokus der neuen Strategie zunächst auf dem flexiblen und damit systemdienlichen Betrieb von Elektrolyseuren. Längerfristig wird auch die (Rück-)Verstromung von Wasserstoff und Derivaten als wichtige Anwendung genannt für Zeiten, in denen wenig Wind- und Solarenergie verfügbar ist. Neue Gaskraftwerke und Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen sollen „H2-ready“ gebaut werden, also auf die Nutzung von Wasserstoff oder Derivaten als Brennstoffe umrüstbar sein.Eine allgemein anerkannte Definition, was „H2-ready“ bei Kraftwerken bedeutet, gibt es allerdings noch nicht. Bis 2026 werden als konkrete Maßnahme 4,4 GW Wasserstoff- beziehungsweise auf Ammoniak basierte „Sprinter“-Kraftwerke ausgeschrieben. Dabei handelt es sich um Anlagen, die zeitnah installierbar und in erste Wasserstoffinfrastrukturen wie etwa Wasserstoffverbrauchszentren oder Speicher integrierbar sind. Zusätzlich werden bis 2028 weitere 4,4 GW sogenannte Wasserstoffhybridkraftwerke ausgeschrieben, also Rückverstromungseinheiten von wasserstoffbasierten Stromspeichern, bei denen auch die Wasserstoffproduktion und -speicherung vor Ort erfolgt.
Im Wärmebereich ist zumindest bis 2030 aufgrund der absehbaren Knappheit von Wasserstoff keine „breite Anwendung“ vorgesehen. Langfristig werden Einsatzmöglichkeiten auch im Wärmebereich, vor allem in Verbindung mit Wärmenetzen und Kraft-Wärme-Kopplung, aber nicht ausgeschlossen. Sie können auch schon vor 2030 erprobt werden.
Die Bundesregierung geht laut neuer Strategie für das Jahr 2030 von einem Bedarf an Wasserstoff und seinen Derivaten von 95 bis 130 TWh aus, wobei diese Menge nicht in reinen Wasserstoff und verschiedene Derivate aufgeschlüsselt wird. Nach Einschätzung der Bundesregierung sollen „rund 50 bis 70 Prozent (45 bis 90 TWh)“ aus dem Ausland importiert werden.Der untere Wert von 50 Prozent passt zu den beiden unteren Angaben für den Bedarf und die Importe (45/95 = 47 Prozent), und der obere Wert von 70 Prozent passt zu den beiden oberen Angaben (90/130 = 69 Prozent). Nach 2030 soll der Importanteil weiter ansteigen. In der alten Wasserstoffstrategie war der Bedarfskorridor mit 90 bis 110 TWh deutlich niedriger. Zudem wurden die angestrebten Importmengen nicht weiter konkretisiert.
In der neuen Wasserstoffstrategie wird nicht direkt angegeben, wie hoch die heimische Erzeugung von grünem und anderem Wasserstoff in den verschiedenen Ausprägungen dieser Mengenplanungen im Jahr 2030 ist. Auch eine entsprechende Visualisierung fehlt. Daher werden im Folgenden verschiedene Szenarien dargestellt, die sich aus den genannten Eckwerten ergeben könnten (Abbildung 3).
Dazu gehören ein Szenario mit einem niedrigen Gesamtbedarf von 95 TWh in Kombination mit einem niedrigen Importpotenzial von 45 TWh („Niedrig/Niedrig“) und ein Szenario mit hohem Bedarf von 130 TWh in Verbindung mit einem hohen Importpotenzial von 90 TWh („Hoch/Hoch“). Zusätzlich wird ein in Hinblick auf den Importanteil pessimistisches Szenario mit einem hohen Bedarf von 130 TWh und niedrigem Importpotenzial von 45 TWh dargestellt („Hoch/Niedrig“). In allen dreiDie Kombination eines niedrigen Bedarfs mit hohen Importen („Niedrig/Hoch“) erscheint unplausibel und wird daher nicht dargestellt. Szenarien enthalten ist eine heimische Produktionsmenge von 28 TWh grünem Wasserstoff. Sie ergibt sich aus der Annahme von 4000 Elektrolyse-Volllaststunden pro Jahr und einem Wirkungsgrad der Elektrolyse von 70 Prozent sowie den von der Bundesregierung angepeilten zehn GW Elektrolysekapazität.
Im Szenario „Niedrig/Niedrig“ ergibt sich somit im Jahr 2030 ein verbleibender Bedarf von 22 TWh an grauem oder anderem nicht grünen Wasserstoff aus heimischer Produktion. Im Szenario „Hoch/Hoch“ sinkt dieser Bedarf auf nur noch zwölf TWh. Das heißt, die Regierung geht implizit davon aus, dass ein Szenario mit höherem Wasserstoffverbrauch mit einem überproportional erhöhten Wasserstoffimport einhergeht. Ein möglicher Erklärungsansatz hierfür könnte sein, dass ein höheres Importangebot preissenkend wirkt und sich somit die heimische Nachfrage erhöht.
Im Gegensatz zu den ersten beiden Fällen verbleibt der Verbrauch von nicht grünem Wasserstoff im Szenario „Hoch/Niedrig“ auf dem heutigen Niveau von 55 TWh. Unter der Annahme, dass die Produktion von grauem Wasserstoff nicht weiter ausgeweitet werden soll, ergäbe sich darüber hinaus noch eine Deckungslücke von zwei TWh.
Somit verringert sich je nach Ausprägung von Gesamtbedarf und Importpotenzial der Verbrauch von grauem Wasserstoff um bis zu 43 TWh oder erhöht sich sogar um zwei TWh. Zu beachten ist dabei, dass ein Teil dieses nicht grünen Wasserstoffs heute in der Petrochemie als Nebenprodukt anfällt. In welchem Umfang er bis 2030 überhaupt ersetzt werden kann, ist indes unklar. Dies hängt auch von der grundsätzlichen Entwicklung und Dekarbonisierung der Petrochemie in Deutschland ab.
Der Anteil des heimisch erzeugten grünen Wasserstoffs an der gesamten Wasserstoffproduktion in Deutschland schwankt je nach Szenario zwischen 33 und 70 Prozent. Die Wasserstoffproduktion wäre somit nur teilweise klimaneutral. Zudem liegt der Anteil des heimisch produzierten grünen Wasserstoffs am gesamten Wasserstoffbedarf bei lediglich 22 bis 29 Prozent. Damit würde sich Deutschland in eine starke Abhängigkeit von Wasserstoff-Importen begeben.
Als Sensitivität wird eine Erhöhung beziehungsweise Verringerung der heimischen Produktion von grünem Wasserstoff von 25 Prozent im Jahr 2030 dargestellt. Diese Variation bildet sowohl mögliche Abweichungen vom angestrebten Ausbau der Elektrolysekapazität oder ihrer Auslastung (das heißt Volllaststunden pro Jahr) ab, beispielsweise durch bessere oder schlechtere Wetterjahre.
Bei einer um 25 Prozent geringeren heimischen Produktion würden nur noch 21 TWh grüner Wasserstoff erzeugt. Entsprechend erhöht sich der Bedarf an nicht grünem Wasserstoff um sieben TWh. Im Szenario „Hoch/Niedrig“ stiege die Deckungslücke damit auf neun TWh. Im Fall einer um 25 Prozent erhöhten heimischen Elektrolyse würden dagegen 35 TWh grüner Wasserstoff erzeugt, also sieben TWh mehr. Damit ließe sich im Szenario „Hoch/Niedrig“ die Deckungslücke schließen, und im Szenario „Hoch/Hoch“ könnte der Verbrauch von nicht grünem Wasserstoff rechnerisch auf nur noch fünf TWh reduziert werden.Für eine Analyse möglicher Stromsektor-Effekte der grünen Wasserstoffproduktion in Deutschland vgl. den folgenden Bericht in der gleichen Ausgabe, Dana Kirchem und Wolf-Peter Schill (2023): Heimische Produktion von grünem Wasserstoff kann mit Kavernenspeicherung günstiger werden. Wochenbericht des DIW Berlin Nr. 41, 573–580 (online verfügbar).
Eine über diese Sensitivitäten hinausgehende Ausweitung der heimischen Elektrolyse würde es erlauben, den Verbrauch von nicht grünem sowie importiertem Wasserstoff weiter zu verringern.Zu möglichen Vor- und Nachteilen einer höheren heimischen Produktion von grünem Wasserstoff vgl. Frank Merten et al. (2020): Bewertung der Vor- und Nachteile von Wasserstoffimporten im Vergleich zur heimischen Erzeugung. Studie für den Landesverband Erneuerbare Energien NRW e.V. (LEE-NRW), 3. November 2020 (online verfügbar). Allerdings würde eine derartige Produktionsausweitung bis zum Jahr 2030 in Anbetracht des erforderlichen zusätzlichen Ausbaus sowohl der Elektrolysekapazität als auch der dahinter liegenden Stromproduktion aus erneuerbaren Energien kaum realisierbar sein.
In allen betrachteten Ausprägungen der geplanten Wasserstoffmengen für 2030 bleibt die Rolle der heimischen Produktion grünen Wasserstoffs begrenzt. Die Regierung geht also davon aus, dass die Wasserstoffnachfrage schneller steigt als die heimische Elektrolyse ausgebaut werden kann. Von entsprechend hoher Bedeutung sind daher die Wasserstoffimporte.
Die Bundesregierung kann den Hochlauf von Elektrolyse- und Wasserstofftransportkapazitäten in potenziellen Wasserstoff-Exportländern nur begrenzt beeinflussen. Zudem verbleiben bis 2030 lediglich sieben Jahre. Deshalb erscheint selbst die untere Importzielmarke von 45 TWh als außerordentlich ambitioniert. Die Unsicherheit über die Realisierbarkeit der Importe erscheint daher hoch und übersetzt sich direkt in eine Unsicherheit über den verbleibenden nicht grünen Wasserstoffverbrauch. Dieser könnte im Fall einer hohen Nachfrage und geringer Importe gegenüber heute sogar noch steigen. Daher ist ein frühzeitiger Aufbau möglichst konkreter Partnerschaften mit potenziellen Exportländern essenziell für das Erreichen des in der neuen Wasserstoffstrategie gezeichneten Zielbilds für 2030.
Die Zusammenarbeit mit anderen EU-Staaten, vor allem mit Anrainerstaaten der Nord- und Ostsee und in Südeuropa, aber auch mit Drittstaaten, ist seit 2020 in vielen Fällen durch neue Energiepartnerschaften mit Wasserstofffokus oder gemeinsamen Absichtserklärungen konkretisiert worden. Die Bundesregierung ist zudem bereits verschiedene Wasserstoff-Partnerschaften mit außereuropäischen Ländern eingegangen (Abbildung 4). Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) listet dazu derzeit insgesamt 21 Länder auf,Siehe Internetauftritt des BMWK (online verfügbar). Auch andere Bundesministerien wie beispielsweise das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung oder das Bundesministerium für Bildung und Forschung sind an Wasserstoff-Partnerschaften oder internationalen Forschungskooperationen beteiligt. einige Partnerschaften sind allerdings wenig konkret.
In einigen Ländern sind bereits konkrete Projekte geplant. Besonders relevant erscheint Norwegen, mit dem Deutschland seit 2020 seine Wasserstoff-Beziehungen erheblich ausgebaut hat: Der norwegische Energieversorger Equinor und die deutsche RWE AG planen gemeinsam den Aufbau einer Elektrolysekapazität von zwei GW bis zum Jahr 2030. Auch eine Wasserstoffpipeline nach Norwegen ist geplant.Vgl. Pressemitteilung von RWE vom 05.01.2023: RWE und Equinor vereinbaren strategische Partnerschaft für Versorgungssicherheit und Dekarbonisierung (online verfügbar).
In Tunesien und Marokko sind derzeit Pilotanlagen mit jeweils zehn Megawatt (MW)BMWK (online verfügbar). und 100 MWBMWK (online verfügbar). geplant. Mit Ägypten haben das BMWK und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) 2022 eine Absichtserklärung unterzeichnet. Sie hat das Ziel, den gemeinsamen Aufbau eines grünen Wasserstoffsektors in Ägypten voranzutreiben.BMZ (online verfügbar). In Angola und Nigeria hat das BMZ im Jahr 2021 Wasserstoff-Diplomatiebüros eingerichtet, um die Zusammenarbeit zu intensivieren. Zudem haben deutsche Unternehmen in Angola mit dem staatlichen Energiekonzern Sonangol geplant, grünen Wasserstoff ab 2025 aus Wasserkraft zu produzieren. Auch in Namibia könnten ab 2028 mit deutscher Beteiligung jährlich zwei Millionen Tonnen Ammoniak produziert werden. Von diesen sollen mindestens 0,3 Millionen Tonnen nach Deutschland exportiert werden, was rund 1,6 TWh entspräche.Vgl. Pressemittteilung von RWE vom 2.12.2022: RWE and Hyphen explore offtake of green ammonia from Namibia (online verfügbar). In Südafrika soll im Rahmen des Projektes HyShiFT perspektivisch eine Elektrolysekapazität von 200 MW aufgebaut werden. Das BMWK fördert die erste Projektphase, in der 40 MW angestrebt werden.
Mit Kanada hat sich Deutschland im Rahmen der „Canada-Germany Hydrogen Alliance“ auf erste Wasserstofflieferungen ab 2025 geeinigt. Die deutsch-brasilianische Technologiepartnerschaft „H2Brasil“ konzentriert sich derzeit auf Forschungsförderung, allerdings haben sich deutsche und brasilianische Firmen parallel auch auf Wasserstoffproduktion im Bundesstaat Bahia ab 2025 verständigt. Das Projekt Haru Oni in Chile erfährt zwar viel mediale Aufmerksamkeit, hat aber derzeit erst eine sehr geringe Elektrolysekapazität von 1,2 MW.Vgl. Internetauftritt des Projekts (online verfügbar). Die Anlage soll jährlich 130000 Liter synthetisches Benzin und 350 Tonnen Methanol produzieren, was gemeinsam gerade einmal 0,003 TWh entspricht. Bis 2030 soll die Elektrolyseleistung auf 25 GW ausgeweitet werden, was eine mehr als 20000-fache Steigerung bedeuten würde.
Mit Saudi-Arabien wurde 2021 eine Absichtserklärung zur Wasserstoffkooperation unterzeichnet. Die Wasserstoffproduktionsanlage HeliosBMWK (online verfügbar) sowie GTAI (online verfügbar) soll dort in Zukunft rund 1,2 Millionen Tonnen grünen Ammoniak pro Jahr für den Weltmarkt produzieren, was gut sechs TWh pro Jahr entspräche. Australien gilt als weiterer wichtiger Partner für Wasserstoff, mit dem Deutschland im Rahmen der Initiative HyGATE einen gemeinsamen Wasserstoff-Hub aufbauen will. Auch mit Indien und Japan will die Bundesregierung künftig eng beim Thema Wasserstoff kooperieren, aber bisher konnten noch keine gemeinsamen Projekte auf den Weg gebracht werden.
Auf konkrete und verbindliche Importmengen hat sich Deutschland bisher jedoch mit keinem Partnerland geeinigt. Auch wenn die Erzeugungspotenziale in vielen Partnerländern aussichtsreich sind,Christoph Hank et al. (2023): Site-specific, comparative analysis for suitable Power-to-X pathways and products in developing and emerging countries. A cost analysis study on behalf of H2Global. Fraunhofer ISE, May 2023 (online verfügbar). ist noch unklar, ob die Projekte im geplanten Zeithorizont und Umfang umgesetzt werden können. Konkrete künftige Produktionsmengen sind heute noch genauso wenig absehbar wie die Anteile, die über den Weltmarkt tatsächlich nach Deutschland gelangen könnten. Selbst dort, wo konkrete Projektpläne bestehen, sind die angestrebten Mengen im Vergleich zu den anvisierten deutschen Importmengen des Jahres 2030 klein. Auch herrscht große Unsicherheit über die sich dann ergebenden Importpreise.
In den meisten langfristigen Klimaschutzszenarien spielen grüner Wasserstoff und seine Derivate in Anwendungen eine wichtige Rolle, für die eine direkte Elektrifizierung nicht möglich scheint. Gleichzeitig erfordert der Hochlauf der heimischen Produktion, der Importe und der dafür erforderlichen Transport- und Speicherinfrastruktur Zeit und muss frühzeitig und konkret angestoßen werden.
Vor diesem Hintergrund hat die Bundesregierung ihre neue Nationale Wasserstoffstrategie vorgestellt. Sie greift die in der Energiesystemanalyse mittlerweile weit verbreitete Erkenntnis auf, dass der Einsatz von Wasserstoff aufgrund absehbarer Knappheiten und Erwägungen der Energieeffizienz auf spezifische Einsatzbereiche konzentriert sein sollte. Die Strategie priorisiert zunächst einmal die Verwendung von Wasserstoff in industriellen Anwendungen sowie in Teilen des Verkehrssektors. In der politischen Kommunikation zur neuen Strategie wurde diese Fokussierung allerdings teilweise nicht adäquat wiedergegeben. Grundsätzlich und vor allem längerfristig schließt die Wasserstoffstrategie einen breiteren Einsatz von Wasserstoff in vielfältigen Anwendungen aber auch nicht aus. Dies scheint das Ergebnis eines politischen Kompromisses zu sein, der Hoffnungen auf längerfristig höhere Wasserstoff-Verfügbarkeiten in Teilen der Ampel-Koalition widerspiegeln dürfte.
Gegenüber der Fassung von 2020 nimmt die neue Strategie stärker die Rolle von Wasserstoff für das Erreichen der Klimaneutralität im Jahr 2045 in den Fokus und weniger die Exportchancen für deutsche Wasserstofftechnik. Zudem enthält die neue Strategie viele neue Elemente und Konkretisierungen, zum Beispiel beim Hochlauf der heimischen Elektrolyse, der Transportinfrastruktur und Wasserstoffspeichern. Auch die Mengenplanung für 2030 wird präzisiert. Gleichzeitig steigt der angenommene Wasserstoffbedarf. Es bestehen jedoch erhebliche Unsicherheiten über die verbleibende Menge von grauem oder nicht grünem Wasserstoff im Jahr 2030. Zudem ist unklar, wie sich der angenommene künftige Bedarf auf reinen Wasserstoff und Derivate aufteilt, und inwiefern gegebenenfalls Umwandlungsverluste in den Zahlen berücksichtigt sind.
Wasserstoffimporte spielen perspektivisch eine große Rolle, wenngleich die für 2030 angedachten Importmengen außerordentlich ambitioniert und aus heutiger Sicht schwer erreichbar erscheinen. Sie müssen daher frühzeitig angestoßen und gesichert werden. Hierzu wurden bereits viele internationale Partnerschaften angestoßen; konkrete Projekte mit quantifizierbaren Importmengen gibt es jedoch noch kaum. Dabei sollte grüner Wasserstoff im Mittelpunkt stehen, da nur dieser gesichert klimaneutral ist.
Nach der Vorlage der neuen Nationalen Wasserstoffstrategie muss es jetzt darum gehen, zeitnah und konsequent in die Umsetzungsphase zu kommen. Dies betrifft die heimische Erzeugung von grünem Wasserstoff, die Sicherung künftiger Importmöglichkeiten, die Nachfrageseite insbesondere in der Industrie sowie den Ausbau der Infrastruktur. Aufgrund eines absehbar knappen Angebots an Wasserstoff gilt es, die aus Energiesystemsicht gebotene Fokussierung auf solche Anwendungen beizubehalten, in denen eine deutlich energieeffizientere direkte Elektrifizierung nicht möglich ist.
Themen: Klimapolitik, Energiewirtschaft
JEL-Classification: Q41;Q48
Keywords: hydrogen, electrolysis, imports
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2023-41-1
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/279503