Blog Marcel Fratzscher vom 11. Dezember 2023
Der Erfolg der AfD ist eine große Gefahr für die Wirtschaft. Doch von vielen Unternehmen ist dazu wenig zu hören. Höchste Zeit, dass sie mehr Verantwortung übernehmen.
Die Stärke der AfD in den Wahlumfragen versetzt manche in Angst und Schrecken, gerade in Hinblick auf die anstehenden Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen im kommenden Jahr. Was würde ein Wahlsieg der AfD wirtschaftlich für Deutschland bedeuten? Viele große Unternehmen und Unternehmensverbände fordern lauthals bessere wirtschaftliche Rahmenbedingungen von der Politik. Sie sind jedoch schweigsam, wenn es darum geht, demokratische Werte als Grundlage wirtschaftlichen Handelns zu verteidigen – obwohl sie selbst unter einer Politik, wie die AfD sie gerne hätte, besonders leiden würden.
Dieser Kolumne erschien am 8. Dezember 2023 auf ZEIT ONLINE in der Reihe Fratzschers Verteilungsfragen.
Deutschland hat ein stark korporatistisches Wirtschaftssystem mit einer engen Verflechtung zwischen Politik und Unternehmen. Bei allen Risiken einer zu großen Nähe hat dieses Wirtschaftsmodell dazu geführt, dass die Politik in Deutschland schnell und entschieden agiert, um die eigenen Unternehmen zu schützen. Kein Staat in der Welt hat in der Corona-Pandemie und in der Energiekrise so riesige Hilfen für die Wirtschaft aufgelegt, um Unternehmen zu schützen und ihnen gute Bedingungen im globalen Wettbewerb zu gewährleisten.
Unternehmen in Deutschland klagen heute dennoch lauter denn je, dass die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für sie schlechter werden: Es fehlen Fachkräfte, der Wettbewerb bei grünen und digitalen Technologien wird global immer härter, sie brauchen offene Märkte und benötigen eine bessere Infrastruktur für Bildung, Verkehr, Energie und Digitalisierung.
Jedoch schafft nicht nur die Politik diese wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, sondern auch die Unternehmen selbst sind dafür verantwortlich. Würde die AfD die Regierungsverantwortung übernehmen und ihr politisches Programm durchsetzen können, würden sich diese Rahmenbedingungen enorm verschlechtern. Zwar werden Regierungen von Bürger*innen gewählt, doch Unternehmen und deren Management haben erheblichen Einfluss nicht nur auf das Verhalten und Denken ihre eigenen Beschäftigten, sondern auch auf die politischen Rahmenbedingungen und damit die Bedingungen für die Wirtschaft.
Zwei neue Analysen zeigen, für welche Politik die AfD steht und welchen massiven wirtschaftlichen Schaden sie anrichten würde. Zum einen droht ein starker Verlust von Fachkräften in Deutschland. Unternehmen brauchen mehr denn je Fachkräfte aus dem Ausland, was eine Politik der Abschottung verhindern würde. Der Schaden bei den Fachkräften begrenzt sich jedoch nicht nur auf fehlende Zuwanderung. Auch viele Deutsche wollen nicht in Regionen leben, die ausländerfeindlich und intolerant sind. Zudem will die AfD eine "aktivierende Familienpolitik" verfolgen, die Frauen dazu bringen soll, mehr Kinder zu bekommen und weniger zu arbeiten – dies würde das Fachkräfteproblem immens vergrößern.
Auch in ihrer Europapolitik setzt die AfD auf Abschottung, will entweder aus dem Euro und der Europäischen Union austreten oder diese deutlich schwächen. Dies würde vor allem den deutschen Unternehmen enorm schaden und das deutsche Wirtschaftsmodell zerstören. Denn das beruht auf Offenheit, fast die Hälfte der Wirtschaftsleistung sind Exporte, die Mehrheit der sehr gut bezahlten Arbeitsplätze hängt direkt oder indirekt am Außenhandel. Eine Abschottung würde vielen Unternehmen die Lieferketten kaputt machen und den europäischen Binnenmarkt – den wichtigsten Markt für die meisten deutschen Unternehmen – empfindlich schwächen, auch gerade im globalen Wettbewerb mit China und den USA.
Als Drittes würde die Klimapolitik der AfD die Zukunftsfähigkeit der deutschen Industrie aufs Spiel setzen. Der Stopp fast jeglichen Ausbaus von erneuerbaren Energien und anderen Infrastrukturen wird die Energiekosten weiter erhöhen und zur Abwanderung grüner Technologien ins Ausland führen. Deutschland hat nicht die Wahl, ob Elektromobilität nun gewünscht oder unerwünscht ist, diese Entscheidung ist längst auf globaler Ebene gefallen. Deutschland hat lediglich die Wahl, ob es bei dieser Entwicklung führend sein will und profitieren kann oder ob die Automobilbranche aus Deutschland verschwindet.
Als vierter Politikbereich wäre auch die Finanzpolitik der AfD eine wirtschaftliche Katastrophe für Deutschland. Die AfD will viele Steuern für Spitzenverdienende reduzieren oder abschaffen – so den Soli, die Erbschaftsteuer, die Grundsteuer und andere vermögensbezogene Steuern. Dies würde die Finanzierungslücke des Staates um 60 bis 70 Milliarden Euro im Jahr vergrößern, was wiederum zu massiven Einschnitten bei öffentlichen Investitionen und der Daseinsfürsorge führen würde. Eine solche Klientelpolitik würde nicht nur gegen die Interessen der AfD-Wähler*innen gehen, die überdurchschnittlich häufig eher geringe Einkommen haben und verletzlicher sind. Sie würde auch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen deutlich verschlechtern.
Unternehmen haben eine Verantwortung gegenüber Staat und Gesellschaft, die über die Bereitstellung von Arbeitsplätzen und die Zahlung von Steuern hinausgeht. Einige Unternehmen und deren Führung gehen mit exzellentem Beispiel voran und geben ein klares Bekenntnis für Toleranz, Demokratie und den Schutz demokratischer Werte ab. Viele Unternehmen und ihre Führung sind jedoch bemerkenswert stumm und äußern sich nicht zur politischen Entwicklung und deren wirtschaftspolitischen Implikationen. Fehlt ihnen der Mut, sich zu bekennen und sich mit den eigenen Beschäftigten und Kunden auseinanderzusetzen? Und hier liegt der Zynismus des Schweigens: Unternehmen fordern vehement von der Politik, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu verbessern. Sie sind aber selbst nicht bereit, ihren Beitrag dazu zu leisten und ein klares, unmissverständliches Bekenntnis zu den Werten und Bedingungen abzugeben, die für diese Rahmenbedingungen notwendig sind.
Vielleicht bekommen jede Gesellschaft und jedes Unternehmen die Politik, die sie verdienen. Bei allen Fehlern und Versäumnissen ist es für Regierungen auf Bund- und Länderebene heute unmöglich, alle die an sie gerichteten Erwartungen zu erfüllen. Die Verantwortlichen, vor allem in den großen und einflussreichen Unternehmen und deren Verbänden, müssen jetzt mehr Verantwortung auch für den politischen und gesellschaftspolitischen Diskurs übernehmen. Und zwar nicht, indem sie sich für oder gegen politische Parteien aussprechen, sondern indem sie Werte und Verhalten betonen, die für den wirtschaftlichen Erfolg und damit langfristig auch für Wohlstand und Demokratie wichtig sind.
Themen: Arbeit und Beschäftigung , Unternehmen