Blog Marcel Fratzscher vom 19. Februar 2024
Die deutsche Wirtschaft hat kein Konjunkturproblem, sondern braucht Strukturreformen. Lösungen dafür präsentieren weder Ampel noch Opposition.
Deutschland steht vor großen wirtschaftlichen Herausforderungen und digitalen und ökologischen Transformationen, während sich die Bedingungen der Globalisierung gerade verschieben. Da überrascht es nicht, dass die politischen Parteien sich mit Wirtschaftsprogrammen überbieten wollen. CDU/CSU fordern von der Bundesregierung ein ”Sofortprogramm” mit schnellen Hilfen für Unternehmen. Bundesfinanzminister Christian Lindner von der FDP will ein ”Standort-Konzept” entwickeln, das Deutschland primär durch Steuererleichterungen für Unternehmen attraktiver machen soll. So richtig steuerliche Entlastungen für Unternehmen sein mögen, sie sind bei Weitem nicht die wichtigste Priorität für Deutschland heute. Beide Ideen versuchen Unternehmen mit Geld zu umgarnen, machen jedoch Deutschland nicht zukunftsfähig, da sie keine strukturellen und dauerhaften Lösungen anbieten.
Dieser Gastbeitrag von Marcel Fratzscher erschien am 18. Februar 2024 in der Welt am Sonntag.
Die bekanntgewordenen Vorschläge der Parteien gehen in fünf zentralen Punkten an der heutigen Problematik vorbei. Zum einen fokussieren sie sich einseitig auf vermeintliche Probleme, anstatt Chancen und Stärken zu mobilisieren. FDP und CDU/CSU springen mit ihren Forderungen auf die miesmacherische Stimmung im Land auf, die der wirtschaftlichen Realität jedoch nicht gerecht wird. Verantwortungsvolle und kluge Vorschläge zeichnen sich dadurch aus, dass sie realistisch, konstruktiv und konkret sind. Weder die Vorschläge von CDU/CSU noch von der FDP erfüllen diese Voraussetzungen. Sie verstärken eher eine negative Stimmung und könnten damit mehr Schaden als Nutzen anrichten.
Zum zweiten hat Deutschland heute wirtschaftlich kein konjunkturelles, sondern ein strukturelles Problem. Die Unternehmen müssen die ökologische und digitale Transformation sowie die veränderte Globalisierung gleichzeitig und zügig bewältigen, um im globalen Wettbewerb zu bestehen und als Chance nutzen zu können. Ein Konjunkturprogramm, das Unternehmen kurzfristig mit mehr Geld beglücken soll, wird lediglich ein konjunkturelles Strohfeuer entfachen.
Als drittes zielen die beiden Programme eher auf das Zementieren des Status quo ab, anstatt die Rahmenbedingungen für alle Unternehmen zu verbessern. Transformation erfordert Veränderung. Innovationen und neue Ideen werden nur dann entstehen können, wenn alte Ideen und Strukturen sich grundlegend wandeln. Es ist gut und notwendig, wenn Unternehmen wie Miele einen Teil ihrer arbeitsintensiven Produktion in Länder wie Polen verlagern, oder Unternehmen ihre energieintensive Produktion in die USA verschieben, wo die Kosten niedriger sind. Solche Verschiebungen sind notwendig, um Unternehmen als Ganzes zu stärken. Ziel einer klugen Wirtschaftspolitik kann nicht der Erhalt von Unternehmen und Produktionen per se sein, sondern die Stärkung von Innovationsfähigkeit und der Erhalt guter Arbeitsplätze. Der Versuch, existierende Strukturen zu zementieren, wird die Deindustrialisierung langfristig beschleunigen.
Als viertes setzen beide Vorschläge die falschen wirtschaftspolitischen Prioritäten: Sie versuchen den vermeintlich leichten Weg zu gehen und Unternehmen mit Versprechen von Steuersenkungen zu befrieden. Umfragen zeigen jedoch, dass für die meisten Unternehmen die steuerliche Belastung nicht das relevante Problem ist - zumal die Steuerlast heute für die meisten deutlich geringer ist als noch vor 25 Jahren.
Die zentralen Probleme für viele Unternehmen heute sind andere: eine überbordende Bürokratie und fehlende Planungssicherheit. Die Bundesregierung versucht das zu verbessern, allerdings müssen Bund, Länder und Kommunen diese Aufgabe gemeinsam bewältigen. Sie ist schwierig zu lösen, weil es an die Besitzstände vieler mächtiger Gruppen in Wirtschaft und Gesellschaft geht.
Zudem hindert die mangelnde Infrastruktur bei Digitalisierung, Verkehr und Energie private Investitionen. Diese zentrale Hürde abzubauen, erfordert massive staatliche Investitionen, die mit der gegenwärtigen Schuldenbremse nicht vereinbar sind. Es sind jedoch vor allem die FDP und die CDU/CSU, die strikt gegen eine Reform und selbst gegen ein weiteres Aussetzen der Schuldenbremse sind und somit die Antwort schuldig bleiben, wie diese zusätzlichen Investitionen finanziert werden sollen.
Daher führen beide Vorschläge die Bürger*innen hinters Licht, weil sie mehr Ausgaben bedeuten, die Parteien aber nicht sagen, wie dies finanziert werden soll. Die Behauptung, Steuersenkungen für Unternehmen finanzierten sich selbst, da sie deutlich mehr Wachstum und damit Gewinne der Unternehmen verursachten, wird sich so nicht realisieren lassen.
Und das Fachkräfteproblem wird für viele Unternehmen zu einer unüberwindlichen Hürde. Die fehlenden Arbeitskräfte in allen Sparten und allen Bereichen der Unternehmen gefährden die Existenz vieler mittelständischer und kleiner Unternehmen. Auch in diesem Zusammenhang muss die Politik sich ehrlich machen: Ohne einen Abbau von Hürden für die Erwerbstätigkeit von Frauen und ohne eine stärkere Zuwanderung und bessere Integration derer, die bereits hier sind, wird das Arbeits- und Fachkräfteproblem nicht gelöst werden können. Aber auch bei dieser Problematik bleiben FDP und CDU/CSU konkrete Antworten schuldig und benennen keine Lösungen.
Als fünftes befeuern beide Vorschläge die Polarisierung der Gesellschaft. Beide Vorschläge suggerieren, dass Einsparungen bei den Sozialausgaben die Antwort und Bedingung für eine finanzielle Entlastung der Unternehmen seien. Sie spielen Menschen gegeneinander aus. Diese Kürzungen sozialer Leistungen müssten zudem massiv ausfallen, wenn sie die Steuerentlastungen für Unternehmen komplett finanzieren sollen.
Dabei wird die wirtschaftliche Transformation in Deutschland nur dann gelingen, wenn es eine breite soziale Akzeptanz für die notwendigen Veränderungen gibt. Eine starke Wirtschaft und leistungsfähige Sozialsysteme sind in einer Sozialen Marktwirtschaft kein Widerspruch, sondern sie bedingen einander. Deutschland wird erst dann zukunftsfähig werden können, wenn die Verantwortlichen in der Politik dies verstanden haben und entsprechend handeln. Eine starke Wirtschaft und leistungsfähige Sozialsysteme sind kein Widerspruch.
Themen: Arbeit und Beschäftigung , Ungleichheit , Unternehmen , Verteilung