Blog Marcel Fratzscher vom 11. März 2024
Altersarmut in Deutschland ist weiblich – und wird sogar noch zunehmen. Die Rentenpläne aber ignorieren das Problem. Dabei gibt es genügend Möglichkeiten, das zu ändern.
Die jüngste Rentenreform der Bundesregierung ist ein Schritt in die richtige Richtung. Sie kann aber den Anstieg der Altersarmut insbesondere von Frauen nicht stoppen. Vier wichtige Prioritäten fehlen in der Rentenpolitik, die adressiert werden müssen.
Das neue Rentenpaket hat einige positive Elemente. Die Stabilisierung des Rentenniveaus bei 48 Prozent ist die richtige Priorität. Die Erhöhung der Beitragssätze von 18,6 auf 22,3 Prozent bedeutet allerdings eine zu starke Mehrbelastung für Unternehmen und Beschäftigte, die zulasten der jungen Generation geht. Auch die Kopplung der gesetzlichen Rente an die Entwicklung der Löhne (und nicht lediglich die Inflation) ist gut, auch wenn dies besser über Zuschüsse als über Beiträge finanziert werden sollte.
Diese Kolumne erschien am 8. März 2024 auf ZEIT ONLINE in der Reihe Fratzschers Verteilungsfragen.
Die Entscheidung, das Renteneintrittsalter nicht weiter zu erhöhen, ist nachvollziehbar. Denn wie wissenschaftliche Studien zeigen, gibt es schon jetzt mehr als zwei Millionen Beschäftigte, die vor dem Rentenalter erwerbsunfähig werden. Eine deutliche Erhöhung des Renteneintrittsalters würde diese Zahl weiter erhöhen und auch das Risiko der Altersarmut und einer zunehmenden Ungleichheit vergrößern. Allerdings muss das Renteneintrittsalter flexibler werden, um mehr Menschen eine längere Tätigkeit zu ermöglichen, das gesetzliche Rentensystem zu entlasten und das Fachkräfteproblem etwas zu lindern. Die FDP und Bundesfinanzminister Christian Lindner haben dies richtigerweise immer wieder betont, jedoch nicht in dieser Reform umgesetzt.
Die größte Schwäche des Rentenpakets aber ist die unzureichende Absicherung gegen Altersarmut. Sie wird in den kommenden beiden Jahrzehnten stark zunehmen, weil immer mehr Menschen mit unterbrochenen Erwerbsbiografien und geringen Löhnen in Rente gehen und so geringe Rentenansprüche haben, dass sie sich mit dem Geld nicht gegen Armut werden schützen können.
Um dieses Problem adressieren zu können, wurde 2021 die Grundrente eingeführt, die allerdings nur Beschäftigten mit niedrigen Löhnen und Einkommen und mindestens 33 Jahren an Erwerbstätigkeit einen Zuschlag zahlt. Eine Studie des DIW Berlin zeigt, dass mit knapp einer Million deutlich weniger Menschen in Deutschland die Grundrente in Anspruch nehmen als ursprünglich prognostiziert.
Sie wird bezogen von dreimal mehr Frauen als Männern. Eigentlich hätten mehr als doppelt so viele Rentner*innen individuellen Anspruch auf einen solchen Zuschlag. Es handelt sich vor allem um Frauen. Allerdings ist eine Einkommensprüfung verpflichtend – und viele Frauen erhalten den Zuschlag letztendlich nicht, weil ihre Männer höhere Ansprüche haben.
Die Politik muss dringend mehr tun, um vor allem Frauen besser abzusichern, die viel für die Gesellschaft – beispielsweise durch Pflege und Sorgearbeit für Angehörige – geleistet und zu geringen Löhnen gearbeitet haben. Das neue Rentenpaket ist daher auch eine verpasste Chance. Sinnvoll wäre die Einführung einer Mindestrente, ähnlich wie in Österreich oder in den Niederlanden, die allen Beschäftigten eine bedingungslose Mindestabsicherung im Alter garantiert. Dies wäre das effektivste Instrument gegen Altersarmut. Ein Automatismus und eine Bedingungslosigkeit einer solchen Rente sind wichtig, da Studien zeigen, dass knapp 60 Prozent aller Rentner*innen, die eigentlich Anspruch auf die Grundsicherung im Alter haben, diese aus Scham, Selbstrespekt oder Angst nicht in Anspruch nehmen.
Eine zweite Stellschraube ist eine Erwerbstätigkeit mit besseren Löhnen und Rentenansprüchen. Es müssen mehr Menschen mit mehr Arbeitszeit und zu besseren Löhnen in den Arbeitsmarkt kommen, damit das umlagefinanzierte Rentensystem weiterhin leistungsfähig sein kann und Menschen in Zukunft einen besseren Schutz gegen Altersarmut haben. Vor allem Frauen haben einen doppelten Nachteil: Sie erhalten eine deutlich schlechtere Bezahlung als Männer, der Gender-Pay-Gap in Deutschland ist mit 18 Prozent immer noch einer der höchsten unter den Industrieländern.
Hinzukommt: Die Hälfte der Frauen arbeitet in Teilzeit, viele würden jedoch gerne mehr arbeiten, können dies jedoch nicht, da das Angebot an Kitas und Schulen unzureichend ist, weil die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in den Unternehmen zu häufig auf Männer ausgerichtet ist und weil das Steuersystem Anreize setzt, damit Frauen nicht oder weniger arbeiten. Eine Reform des Ehegattensplittings und der Mitversicherung ist notwendig, um zumindest langfristig die Altersarmut unter Frauen nachhaltig zu reduzieren.
Als drittes Manko des jüngsten Rentenpakets ist das Generationenkapital nicht zielführend, um eine bessere Absicherung gegen Altersarmut zu gewährleisten. 200 Milliarden Euro will der deutsche Staat bis 2030 anlegen, um aus den Renditen einen Zuschuss zur gesetzlichen Rente zahlen zu können. Dies wird die Renten jedoch kaum erhöhen. Die Bundesregierung wäre sehr viel besser beraten, die Gelder in Bildung, Innovation, Infrastruktur und Daseinsfürsorge zu investieren. Und sie hätte warten sollen, bis sie einen klugen Plan zur Stärkung der privaten Vorsorge hat. Eine Stärkung der privaten Vorsorge, ähnlich wie dies beispielsweise Schweden macht, ist sinnvoll und notwendig, um Menschen privat zu helfen, besser fürs Alter vorzusorgen.
Allerdings muss die Bundesregierung Menschen mit geringen Einkommen und Löhnen finanziell deutlich stärker unterstützen als bisher. Denn 40 Prozent der Menschen in Deutschland haben praktisch keine Ersparnisse, viele verdienen zu wenig, um in ihrem Erwerbsleben viel für das Alter zurücklegen zu können. Daher sollte die Politik ihre Anstrengungen vor allem auf Menschen mit geringen Löhnen und Rentenansprüchen konzentrieren, damit die Altersarmut begrenzt wird und um staatliche Gelder zielgenau zu nutzen. Dies erfordert eine Reform des Äquivalenzprinzips, sodass Menschen mit geringen Löhnen höhere Rentenansprüche für jeden eingezahlten Euro erhalten – was fair ist, da sie auch eine deutlich geringere Lebenserwartung und damit Bezugsdauer der Rente haben.
Der blinde Fleck an der neuen Rentenreform ist die unzureichende Unterstützung von Menschen mit geringen Rentenansprüchen – allen voran Frauen, die sich häufig ein Leben lang für Familie und Gesellschaft eingebracht haben und überproportional häufig in Altersarmut landen. Die Bundesregierung sollte in ihrer Rentenreform nachlegen und über eine garantierte Mindestrente und Reformen im Arbeitsmarkt und im Steuersystem, vor allem Frauen bessere Chancen zu eröffnen, ein selbstbestimmtes Leben zu leben und sich besser gegen Altersarmut schützen zu können.
Themen: Gender , Rente und Vorsorge