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30 Jahre DIW-Vorschlag zur ökologischen Steuerreform: verpasste Chance für den Klimaschutz

DIW aktuell ; 96, 7 S.

Stefan Bach, Claudia Kemfert, Barbara Praetorius

2024

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13. August 2024 Vor 30 Jahren hat das DIW Berlin eine einflussreiche Studie mit dem Vorschlag zu einer ökologischen Steuerreform vorgelegt. Untersucht wurde eine langfristig steigende Energiesteuer, die ein Aufkommen von bis zu fünf Prozent der Wirtschaftsleistung erzielt hätte. Mit den Einnahmen sollten die Sozialbeiträge der Arbeitgeber*innen gesenkt und ein „Öko-Bonus“ an die privaten Haushalte gezahlt werden. Energieverbrauch und CO2-Emissionen wären langfristig spürbar zurückgegangen, das Wirtschaftswachstum kaum beeinträchtigt worden und die Beschäftigung gestiegen. Realisieren ließen sich diese Vorschläge damals nicht. Ab 1998 erhöhte die neue rot-grüne Bundesregierung die Energiesteuer nur bei Kraftstoffen nennenswert. Sozialpolitisch war das erfolgreich, die Einnahmen stabilisieren bis heute Rentenbeiträge und Renten – für das Klima hat es aber nicht viel gebracht. Die Klimapolitik setzte stattdessen auf Förderprogramme, vor allem für die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien. Seit einigen Jahren wird die CO2-Bepreisung über Emissionshandelssysteme gestärkt. Wäre Deutschland in den 1990er Jahren den damaligen Reformvorschlägen für eine langfristig angelegte Energiesteuer und ökologische Steuerreform gefolgt, stünde Deutschland beim Klimaschutz heute deutlich besser da.

Ökologische Steuerreform auch im nationalen Alleingang!“ lautete die Empfehlung einer vielbeachteten und einflussreichen Studie im Auftrag von Greenpeace, die das DIW Berlin im Sommer 1994 veröffentlichte.infoStefan Bach, Michael Kohlhaas und Barbara Praetorius (1994): Ökologische Steuerreform auch im nationalen Alleingang! DIW Wochenbericht Nr. 24 (online verfügbar, abgerufen am 11. August 2024. Dies gilt auch für alle anderen Onlinequellen dieses Berichts, sofern nicht anders vermerkt). Erstmals hatte ein großes Wirtschaftsforschungsinstitut ein konkretes und praxistaugliches Konzept für eine umweltpolitisch motivierte Steuerreform entwickelt, deren wirtschaftliche Wirkungen analysiert und Umsetzungsprobleme detailliert ausgeleuchtet.infoVgl. die zugrundeliegende Studie im Auftrag von Greenpeace e.V.: Stefan Bach et al. (1995): Wirtschaftliche Auswirkungen einer ökologischen Steuerreform. Sonderhefte des DIW Nr. 153. Duncker & Humblot (online verfügbar). Das vorliegende DIW aktuell schaut auf diese Studie und den Kontext, in dem sie entstanden ist, zurück, beleuchtet die Kernelemente und was sie bewirkt hätten, wären sie damals in der vorgeschlagenen Form umgesetzt worden.infoDie Arbeit für dieses DIW aktuell wurde finanziell durch das Fördernetzwerk Interdisziplinäre Sozialpolitikforschung (FIS) unterstützt.

Untersucht wurde in der 1994er Studie eine breite, langfristig steigende und aufkommensstarke Energiesteuer. Die Einnahmen hätten bis zu fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ausgemacht. Sie sollten an die Unternehmen über eine Senkung der Sozialversicherungsbeiträge der Arbeitgeber*innen zurückgegeben werden, die um bis zu 70 Prozent gesenkt worden wären. Die privaten Haushalte sollten mit einem pauschalen „Öko-Bonus“ kompensiert werden. Nach den damaligen Simulationsrechnungen des DIW Berlin wären Energieverbrauch und CO2-Emissionen langfristig um 14 Prozent zurückgegangen. Das Wirtschaftswachstum wäre kaum beeinträchtigt worden und die Zahl der Beschäftigten um eine halbe Million Personen gestiegen.

Die Studie stieß auf großes Interesse in Öffentlichkeit und Politik. Die Synthese von Umwelt- und Klimapolitik mit der Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitik traf den Zeitgeist. Bereits seit den 1970er Jahren waren Steuern und Abgaben als marktwirtschaftliche Preisinstrumente der Umweltpolitik diskutiert worden, um langfristige Minderungsziele wirksamer und wirtschaftlich effizienter zu erreichen – „die Preise sollen die ökologische Wahrheit sagen“.infoKlimareporter (2020): Wenn Preise die ökologische Wahrheit sagen. 20. April 2020 (online verfügbar). So entstand die Idee der ökologischen Steuerreform.infoHans-Christoph Binswanger et al. (Hrsg.) (1983): Arbeit ohne Umweltzerstörung. Strategien für eine neue Wirtschaftspolitik. S. Fischer; UPI (Umwelt- und Prognose-Institut Heidelberg e.V.) (1988): Öko-Steuern als marktwirtschaftliches Instrument im Umweltschutz – Vorschläge für eine ökologische Steuerreform. UPI-Bericht Nr. 9. Neben dem Umwelt- und Klimaschutz sollten zugleich bestehende Nachteile des Steuer- und Abgabensystems vermindert werden. Die damit verbundene „doppelte Dividende“ wurde in den Wirtschaftswissenschaften ausführlich diskutiert.infoRonnie Schöb (2003): The Double Dividend Hypothesis of Environmental Taxes: A Survey. CESifo Working Paper Nr. 946 (online verfügbar). Angesichts von Standortproblemen und hoher struktureller Arbeitslosigkeit standen in Deutschland damals die hohen Belastungen der Erwerbseinkommen durch Steuern und Sozialbeiträge im Vordergrund der wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Debatten.Carlos Gaete-Morales et al. (2024): Power sector effects of alternative options for de-fossilizing heavy-duty vehicles – go electric, and charge smartly. Cell Reports Sustainability 1, 100123 (online verfügbar). Die Analyse entstand in den Forschungsprojekten „My eRoads“ und „enERSyn“, die mit Zuwendungen des BMU bzw. des BMWK gefördert wurden (Fkz 16EM4006-1 und 01MV22004B).

DIW-Vorschlag 1994: Langfristig steigende Energiepreise durch Energiesteuer

Kernelement des damaligen DIW-Vorschlags war eine schrittweise einzuführende Energiesteuer auf den Endverbrauch fossiler Energieträger und von Strom, bezogen auf deren Energiegehalt beziehungsweise Heizwert.infoDie Idee stützte sich vor allem auf die einflussreiche Studie von Samuel Mauch et al. (1992): Ökologische Steuerreform. Rüegger. Ab 1995 sollte ein Basisenergiepreis von neun Deutscher Mark (DM) je Gigajoule (GJ) um jährlich – inflationsbereinigt – sieben Prozent erhöht werden, mindestens 15 Jahre lang (für diesen Zeitraum wurden in der Studie die Wirkungen geschätzt). Zusätzlich sollte der Steuersatz um die jährliche Inflation angepasst werden, gemessen am Verbraucherpreisindex.

Einschließlich Mehrwertsteuer wären dadurch die Benzinpreise an der Tankstelle sukzessive bis 2009 um 38 Cent (Superbenzin) oder 42 Cent (Diesel) je Liter gestiegen (Abbildung 1). Heizöl wäre ebenfalls um 42 Cent je Liter teurer geworden, Erdgas und Strom um 4,3 Cent je Kilowattstunde. Danach wäre der Preisaufschlag auf die Endenergiepreise entsprechend der Inflation nominal weiter gestiegen bis auf 52 Cent je Liter bei Superbenzin im Jahr 2024, 58 Cent je Liter bei Diesel und Heizöl sowie 5,8 Cent je Kilowattstunde bei Erdgas und Strom. Bezogen auf die CO2-Emissionen wäre mit dem damaligen Vorschlag ab 2009 ein reales Preisniveau (in heutigen Preisen, ohne Mehrwertsteuer) von 187 Euro je Tonne CO2 beim Superbenzin und 184 Euro je Tonne CO2 beim Diesel und Heizöl erreicht worden. Gas hätte sich sogar um 268 Euro je Tonne CO2 verteuert, Braun- und Steinkohle dagegen nur um 139 Euro (Abbildung 2).

Dies wäre ein langfristiger Preispfad gewesen, an dem sich Unternehmen und Verbraucher*innen hätten orientieren können. Damals war auch noch genug Zeit, um die Energiewende langfristig vorzubereiten und mit anderen Instrumenten zu ergänzen, also durch Regulierungen beziehungsweise Ordnungsrecht und Förderprogramme. Insbesondere im Verkehr oder bei der Gebäudewärme, die bisher wenig zum infoAuch Länder wie Frankreich, Niederlande, Schweiz oder einige Länder in Osteuropa haben in einem ähnlichen Zeitraum eine ökologische Steuerreform durchgeführt beziehungsweise Energiesteuern eingeführt und Aufkommen in ähnlicher Form rückerstattet. Vgl. die Übersicht der Friedrich-Ebert-Stiftung (2001): Konturen einer ökologischen Steuerreform in Deutschland und Europa (online verfügbar).Klimaschutz beigetragen haben, könnte Deutschland damit heute deutlich weiter sein. Dies zeigt sich beim Vergleich mit Ländern wie Schweden (seit 1991) oder Dänemark, die schon länger auf die Verteuerung fossiler Energien setzen.infoÖmer Esen, Durmuş Çağrı Yıldırım und Seda Yıldırım (2021): Pollute less or tax more? Asymmetries in the EU environmental taxes – Ecological balance nexus. Environmental Impact Assessment Review 91, 106662 (online verfügbar).

© DIW Berlin 2024

Der Vorschlag einer einheitlichen Besteuerung des Energiegehalts der Endenergieträger, unabhängig von Umwandlungsprozessen, Kohlenstoffgehalt und anderen Umweltbelastungen, war damals ein Zugeständnis an die nationalen und europäischen Umsetzungsmöglichkeiten, die eine systematische CO2-Besteuerung von Primärenergieträgern erschwerten. Die resultierenden Unterschiede der CO2-Steuersätze bei den verschiedenen Endenergieträgern sind natürlich mit Blick auf den Klimaschutz volkswirtschaftlich nicht sinnvoll.

Der DIW-Vorschlag und ähnliche Konzepte für eine klimaschutzwirksame Energiebesteuerung stießen in den Folgejahren auf den erbitterten Widerstand der fossilen Energiewirtschaft, der energieintensiven Industrie sowie von Verkehrs- und Logistikbranchen. Auch die Gewerkschaften waren eher zurückhaltend. Es wurde schnell klar, dass man energieintensive Branchen ausnehmen musste, auch um Carbon Leakage, also die Verlagerung von Produktion und damit CO2-Emissionen ins Ausland, zu vermeiden. Das nahm dem Konzept die Einfachheit und reduzierte die fiskalische Attraktivität.

Generell war damals der menschengemachte Klimawandel noch keineswegs Allgemeinwissen. Marktwirtschaftliche Instrumente der Umwelt- und Klimapolitik stießen auf wenig Gegenliebe. Für die politische Attraktivität und Durchsetzbarkeit war damals die Verbindung von Steuer-, Sozial- und Finanzpolitik und die damit verbundene „doppelte Dividende“ zentral. Visionär wirkt aus heutiger Sicht das Konzept des in der Studie vorgeschlagenen „Öko-Bonus“: Die Einnahmen aus den Ökosteuern sollten pro Haushalt oder pro Kopf an die Bürger*innen zurückgegeben werden, was insbesondere Geringverdienende relativ stark entlastet hätte. Dieser Vorschlag nimmt das „Klimageld“ vorweg, das laut Koalitionsvertrag der amtierenden Ampelregierung im Rahmen der CO2-Bepreisung vorgesehen ist, aber noch aussteht. Seinerzeit fehlten die administrativen Voraussetzungen und die sozialpolitische Bereitschaft für die Umsetzung. Und auch damals war klar, dass es über die breite Kompensation hinaus Härtefälle geben würde, für die besondere Anpassungshilfen erforderlich sind: Auf dem Land fehlen häufig die Alternativen zum Auto. Haushalte in Mietwohnungen oder auch Eigentumswohnungen können nicht ohne weiteres die energetische Qualität verbessern, da hierzu die Vermieter*innen oder Eigentümer*innengemeinschaften aktiv werden müssen. Geringverdienenden oder Älteren fehlen oft auch die Finanzierungsmöglichkeiten oder Investitionsperspektiven.

© DIW Berlin 2024

Ökologische Steuerreform von Rot-Grün: Sozialpolitisch top, klimapolitisch ein Flop

Als dann die rot-grüne Bundesregierung 1998 an die Macht kam, stand eine ökologische Steuerreform weit oben auf der Agenda. Die Grünen trotzten dem damaligen Bundeskanzler durchaus substanzielle Erhöhungen bei den Kraftstoffsteuern ab (Abbildungen 1 und 2). Bei den Heizstoffen war man schon deutlich zurückhaltender. Angesichts kräftig steigender Energiepreise auf dem Weltmarkt ab Ende der 1990er Jahre wuchs der Widerstand weiter. Daher wurden die Energiesteuern seit 2003 nicht mehr erhöht. Inflationsbereinigt sind sie seitdem um ein Drittel gesunken (Abbildung 2).

Umwelt- und klimapolitisch hat die ökologische Steuerreform von Rot-Grün daher nur wenig gebracht.infoStefan Bach et al. (2003): Auswirkungen und Perspektiven der Ökologischen Steuerreform in Deutschland: Eine modellgestützte Analyse. Perspektiven der Wirtschaftspolitik 4, 223–238 (online verfügbar). Finanz- und sozialpolitisch war sie aber durchaus erfolgreich.infoStefan Bach et al. (2019): Ökosteuer-Einnahmen sorgen noch heute für niedrigere Rentenbeiträge und höhere Renten. DIW Wochenbericht Nr. 13 (online verfügbar). Die Einnahmen von heute 0,5 Prozent des BIP finanzieren im Wesentlichen höhere Bundeszuschüsse zur Gesetzlichen Rentenversicherung. Dies senkt den Rentenbeitragssatz heute um 1,2 Prozentpunkte und erhöht die Renten um 1,5 Prozent. Davon profitieren vor allem rentenversicherte Arbeitnehmer*innen und Rentner*innen. Beamt*innen, Pensionär*innen und Selbständige werden nicht entlastet. Im Vergleich mit dem vor 30 Jahren vorgeschlagenen „Öko-Bonus“ oder dem heute geplanten Klimageld je Einwohner*in profitieren Haushalte mit geringen Einkommen aber deutlich weniger.

Die Klimapolitik nahm dann in anderer Richtung an Fahrt auf. Statt verschärfter Steuer- und Abgabenlösungen entschied sich die damalige rot-grüne Bundesregierung, den Ausbau erneuerbarer Energien direkt zu fördern. Sie führte das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) ein und ersetzte damit das Stromeinspeisungsgesetz, erhöhte die Vergütungssätze für alle erneuerbare Energien deutlich und finanzierte die Förderung über eine Umlage auf den Strompreis. Das EEG erwies sich als sehr wirksam: Der Anteil erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung stieg von damals vier auf heute über 55 Prozent. Allerdings trieb die EEG-Umlage die Stromkosten hoch. Geringverdienende wurden relativ zum Einkommen ungleich stärker belastet als Besser- und Hochverdienende.infoKarsten Neuhoff et al. (2013): Distributional Effects of Energy Transition: Impacts of Renewable Electricity Support in Germany. Economics of Energy & Environmental Policy 2, 41–54 (online verfügbar).

Mit der Einführung des Europäischen Emissionshandels für Treibhausgasemissionen (EU-ETS) im Jahre 2005 rückten CO2-Steuern nochmals weiter in den Hintergrund. Konstruktionsbedingt blieb der EU-ETS zwar lange wenig effektiv, dennoch schuf er bereits spürbare Einnahmen für den Fiskus. Die erfolgreichen Revisionen des Europäischen Emissionshandels führten dann ab 2018 dazu, dass die Zertifikatspreise ein für Investitionsentscheidungen wirksames Niveau erreichten. Ferner führte Deutschland 2021 einen nationalen Brennstoffemissionshandel für Verkehr und Gebäudewärme ein, dessen CO2-Preis bis 2026 schrittweise auf bis zu 65 Euro je Tonne CO2 steigen und danach marktwirtschaftlich bestimmt werden soll. Dieser Brennstoffemissionshandel dient als Vorbild für den Europäischen Emissionshandel für Verkehr und Gebäudewärme (EU-ETS 2), dessen Umsetzung ab 2027 geplant ist. Die Einnahmen aus den beiden Emissionshandelssystemen fließen in Deutschland in den Klima- und Transformationsfonds (KTF), der im Jahr 2023 rund 7,6 Milliarden Euro aus dem Emissionshandel und 10,7 Milliarden Euro aus dem nationalen Brennstoffemissionshandel erhielt.infoVgl. den 13. „KTF-Bericht“: Bericht des Bundesministeriums der Finanzen über die Tätigkeit des Klima- und Transformationsfonds im Jahr 2023 und über die im Jahr 2024 zu erwartende Einnahmen- und Ausgabenentwicklung (online verfügbar). Die Einnahmen werden für die Gegenfinanzierung des EEG sowie einer Reihe von Klimaschutzmaßnahmen verwendet. Auch das Klimageld soll grundsätzlich aus dem KTF finanziert werden, allerdings reichen die Mittel dafür bisher nicht aus.

Die gegenwärtige CO2-Bepreisung kommt der 1994 vom DIW Berlin vorgeschlagenen ökologischen Steuerreform also in vielen Aspekten durchaus nahe. Zugleich hat die Praxis der Klimapolitik seit 1998 gezeigt, dass klimaschutzwirksames Verhalten und entsprechende Investitionen von Haushalten und Unternehmen mehr Anreize benötigen als nur die Veränderung der relativen Preise, die durch CO2-Steuern oder Emissionshandelssysteme verursacht wird. Die Erkenntnis, dass technologische Innovation und deren Umsetzung auch direkt finanziell unterstützt werden sollten, spiegelt sich in der langen Liste der vom KTF geförderten Maßnahmen wider. Hierin unterscheidet sich das Konzept von den Überlegungen von vor 30 Jahren.

Auch heute setzen viele „Mainstream“-Ökonom*innen primär auf die CO2-Bepreisung. Denn Förderprogramme führen häufig zu hohen und unterschiedlichen Vermeidungskosten, was die Wirksamkeit und Effizienz der Klimapolitik belastet und viel Geld kostet, das an anderer Stelle fehlt. Das Problem ist aber, dass die Zeit davonläuft, wenn die nationalen und europäischen Klimaziele ernst genommen und eingehalten werden sollen. Um wirksame Lenkungswirkungen zu erzielen, müsste der CO2-Preis in beiden Emissionshandelssystemen möglichst zügig und koordiniert auf deutlich über 100 Euro je Tonne CO2 steigen. Ein solcher Preis dürfte sich wirtschafts- und sozialpolitisch aber nur mit flankierenden Maßnahmen wie dem erwähnten Klimageld durchsetzen lassen. Ferner bleibt die Herausforderung, die Reform außenwirtschaftlich über Grenzausgleichsregelungen und Klimazölle abzusichern.

Derzeit weitet die Ampelregierung die Förderprogramme deutlich aus und vertagt das Klimageld. Die KTF-Mittel sind begrenzt, spätestens, seit das Bundesverfassungsgericht mit dem Haushaltsurteil Ende 2023 auf die Schuldenbremse trat. Flankierend wird der Umstieg auf nichtfossile Antriebs- und Heiztechnologien mit Regulierungen vorangetrieben, zuletzt mit dem Gebäudeenergiegesetz und den europäischen Emissionsnormen für neue Pkw. Die Stigmatisierung dieser Maßnahmen als „Heizungsverbot“ und „Verbrennerverbot“ und der heftige Widerstand in der Öffentlichkeit, orchestriert von bestehenden Wirtschaftsinteressen und Populist*innen, weist auf das Fortbestehen der alten Konflikte zwischen markt- und regelbasierter Klimapolitik hin.

Fazit: Ohne einen langfristig und glaubwürdig steigenden CO2-Preis geht es nicht

Die Erfahrungen der vergangenen Jahre und Jahrzehnte machen deutlich, dass eine umfassende ökologisch-soziale Transformation hin zu einer klimaneutralen Wirtschafts- und Lebensweise ausreichende und wirkungsvolle Regularien und ökonomische Anreize braucht. Ein langfristig und glaubwürdig steigender CO2-Preis ist nicht alles – aber ohne einen CO2-Preis ist alles nichts. Erforderlich sind erhebliche Investitionen in die Transformation, die sich häufig noch nicht „rechnen“. Für die meisten Verfahrens-, Antriebs- und Heiztechnologien gibt es fossilfreie Alternativen, die bereits wettbewerbsfähig sind oder kurz davor. Politik, Verwaltung und gesellschaftliche Organisationen stehen vor der Herausforderung, die richtigen Leitplanken für die Transformationen zu setzen. Dazu braucht es wirksame Preissignale, um den Markt als dezentrales Steuerungs- und „Entdeckungsverfahren“ zu nutzen. Für Regulierungen und Ordnungsrecht bleibt noch genug zu tun. Mit den Einnahmen aus der CO2-Bepreisung lassen sich Belastungen kompensieren, sowohl in der Breite durch Steuer- und Abgabensenkungen oder Transfers wie dem Klimageld, als auch im einzelnen Härtefall durch Anpassungshilfen. Diese Chance wurde in den 1990er Jahren vertan – als man noch Zeit hatte, die Dekarbonisierung sukzessive einzuleiten. Hätte man sie genutzt, wären wir heute deutlich weiter. Jetzt rennt uns die Zeit davon.

Es kommt heute darauf an, die CO2-Bepreisung konsequent weiterzuentwickeln, die Mengensteuerung in den beiden Emissionshandelssystemen wirksam an den Klimazielen auszurichten und geeignete Koppelstellen beider Systeme zu entwickeln. Parallel geht es darum, den Grenzausgleichsmechanismus anreizkompatibel zu organisieren und auf der globalen Ebene – ob als Nation, als europäische Union oder im Rahmen eines „Klimaclubs“ – weiter an ehrgeizigen Klimaschutzabkommen mitzuwirken. Die wirtschaftlichen und sozialen Fragen der Transformation sowie deren Abfederung sind dabei ein entscheidender Bestandteil erfolgsversprechender Klimaschutzpolitik. Daher sollte auch das Klimageld zügig umgesetzt werden. Mittelfristig könnte man es nur noch Haushalten mit geringen und mittleren Einkommen zahlen, indem man es bei den Besser- und Hochverdienenden bei der Einkommensbesteuerung abschöpft. Die gesparten Mittel können für Härtefallkompensationen und möglichst für Anpassungshilfen eingesetzt werden.

Stefan Bach

Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Staat

Claudia Kemfert

Abteilungsleiterin in der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt

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