Medienbeitrag vom 10. September 2024
Dieser Gastbeitrag erschien am 8. September 2024 im Tagesspiegel.
Viele „sind wütend, dass nichts passiert, dass neben die (von ihnen nicht gewollten) Veränderungen einfach die Verwaltung des Verfalls und leere, bloß symbolische Reden getreten seien“, schrieb kürzlich der Philosoph Michael Hampe. Wenn in den nächsten fünf Jahren in diesen Ländern kein systematischer Politikwechsel stattfindet, wird die AfD bei den folgenden Landtagswahlen zur ausschlaggebenden Partei werden.
Wie könnte eine geeignete Politik in diesen Regionen aussehen, um die Parteien der demokratischen Mitte zu stärken? Unsere Studie am DIW Berlin hat sich mit den regionalen Merkmalen auseinandergesetzt, in denen AfD und BSW besonders stark sind. Sie macht deutlich: Es geht nicht nur um Migration. Es sind weit mehr Faktoren, die in den jeweiligen Wahlkreisen mit einer hohen Zustimmung zu AfD und BSW zusammenhängen.
Ganz vorne steht die demografische und die wirtschaftliche Entwicklung. Populisten sind in Regionen stark, die entweder durch Überalterung bei gleichzeitig niedrigem Anteil der Abiturienten oder durch ein niedriges durchschnittliches Haushaltskommen gekennzeichnet sind, also in Regionen mit geringen wirtschaftlichen Perspektiven. Einfach zu behaupten, die Abgehängten wählten Populisten, greift also zu kurz. Es sind vor allem Regionen mit negativen Strukturmerkmalen, in denen die Populisten stark sind.
Drittens: Investitionen in die lokale öffentliche Infrastruktur, neben den oben erwähnten Schulen zum Beispiel Polizeistationen, Krankenhäuser, Bürgerämter, Parks und Freibäder. Das Schaffen von öffentlichem Raum, der subjektiv als sicher empfunden wird, schwächt die Faktoren, die mit den Wahlerfolgen der AfD zusammenhängen.
Und man muss sich nichts vormachen: Die öffentliche Infrastruktur wurde – trotz aller Transfers in den vergangenen 35 Jahren von West nach Ost – gerade in denjenigen Regionen abgebaut, die von starker Abwanderung geprägt sind. Genau diese Entscheidungen haben die Wut der dort gebliebenen Wähler befördert.
Selbstverständlich ist das keine erschöpfende Liste an möglichen Maßnahmen, aber ein Anfang, der signalisieren würde, dass das Land bereit ist, die Herausforderungen anzugehen, und nicht nur versucht, den Verlust des Status über Mindestlohn und die Erhöhung des Bürgergelds so gut wie möglich zu verlangsamen.
Werden diese Politikmaßnahmen von den Parteien der demokratischen Mitte angestoßen, wird sich das für sie auch an der Wahlurne auszahlen. Die Frage bleibt, wie diese Maßnahmen finanziert werden. Neben Steuererhöhungen steht die Forderung im Raum, konsumtive Ausgaben zugunsten von solchen Investitionen herunterzufahren. Können die regierenden Parteien sich nicht darauf einigen, dann bleiben neue Schulden. Hierbei müssen sämtliche demokratischen Parteien Möglichkeiten schaffen, die Schuldenbremse für solche Investitionen auszusetzen.
Wie schnell eine Zweidrittelmehrheit der demokratischen Parteien weg sein kann, haben wir gerade in Thüringen und Sachsen erlebt. Die gute Nachricht ist, dass Deutschland eines der am geringsten verschuldeten Länder ist und sich den Anstieg der Schulden leisten kann.
Im Zweifel müssen sich die Schuldenbremser vor Augen führen, dass eine populistische oder gar faschistische Regierung das Land teurer zu stehen kommt.
Themen: Arbeit und Beschäftigung , Industrie , Unternehmen