Direkt zum Inhalt

Triumph von AfD und BSW im Osten: Die demokratische Mitte ist den Populisten nicht hilflos ausgeliefert

Medienbeitrag vom 10. September 2024

Der eigentliche Schrecken nach den Wahlen in Sachsen und Thüringen ist die Reaktion der Ampel-Koalition. Ein „Weiter so“ hilft nicht gegen die Populisten von rechts und links. Notwendig sind ein systematischer Politikwechsel – und Investitionen.

Dieser Gastbeitrag erschien am 8. September 2024 im Tagesspiegel.

Es kam, wie es kommen musste. Statt auf die Erfolge der populistischen Parteien AfD und BSW bei den Europawahlen im Juni zu reagieren, wurden sie von der Regierungskoalition als Zeichen für ein kräftiges „Weiter so“ gewertet. Die Quittung gab es bei den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen. AfD und BSW sind wieder die großen Wahlgewinner. Nach dem Wahlschock folgte der eigentliche Schrecken: die Reaktion der Ampel-Koalition:
Während die SPD-Parteiführung ab sofort ihre Politik den Wähler noch besser erklären möchte, verharren die Grünen bei den anstehenden ökologischen Veränderungen beim „Weiter so wie bisher“, verbunden mit Vorwürfen an die Wähler, wonach sie faschistische Parteien gewählt hätten. Die FDP plädiert hingegen dafür, „die Probleme zu lösen“. Welche Probleme und welche Lösungen gemeint waren, blieb offen.
Diese Haltung wird nicht helfen, die demokratische Mitte im Osten zu stärken – im Gegenteil. Denn den meisten Wählenden ist es offensichtlich egal, ob die AfD als gesichert rechtsextremistisch eingestuft wird – es ist aus ihrer Sicht wohl der einzige Weg, gegen die aktuelle Politik wirksam zu opponieren.

Individuelle Sozialpolitik reicht nicht aus

Viele „sind wütend, dass nichts passiert, dass neben die (von ihnen nicht gewollten) Veränderungen einfach die Verwaltung des Verfalls und leere, bloß symbolische Reden getreten seien“, schrieb kürzlich der Philosoph Michael Hampe. Wenn in den nächsten fünf Jahren in diesen Ländern kein systematischer Politikwechsel stattfindet, wird die AfD bei den folgenden Landtagswahlen zur ausschlaggebenden Partei werden.

Wie könnte eine geeignete Politik in diesen Regionen aussehen, um die Parteien der demokratischen Mitte zu stärken? Unsere Studie am DIW Berlin hat sich mit den regionalen Merkmalen auseinandergesetzt, in denen AfD und BSW besonders stark sind. Sie macht deutlich: Es geht nicht nur um Migration. Es sind weit mehr Faktoren, die in den jeweiligen Wahlkreisen mit einer hohen Zustimmung zu AfD und BSW zusammenhängen.

Ganz vorne steht die demografische und die wirtschaftliche Entwicklung. Populisten sind in Regionen stark, die entweder durch Überalterung bei gleichzeitig niedrigem Anteil der Abiturienten oder durch ein niedriges durchschnittliches Haushaltskommen gekennzeichnet sind, also in Regionen mit geringen wirtschaftlichen Perspektiven. Einfach zu behaupten, die Abgehängten wählten Populisten, greift also zu kurz. Es sind vor allem Regionen mit negativen Strukturmerkmalen, in denen die Populisten stark sind.

Investitionen, Investitionen, Investitionen

Aus diesen Resultaten lassen sich Politikmaßnahmen ableiten. Klar wird zunächst, dass sich nicht mit individueller Sozialpolitik – Erhöhung von Mindestlohn und Bürgergeld – auf strukturelle Herausforderungen wirkungsvoll antworten lässt. Die Politik muss vielmehr versuchen, die negativen Ausprägungen dieser Strukturmerkmale in den betroffenen Regionen zumindest mittelfristig zu reduzieren. Drei Politikvorschläge lassen sich daraus ableiten: Investitionen, Investitionen und Investitionen.

Investitionen in Schulen

Erstens: Investitionen in Schulen und Universitäten. Dazu gehört die materielle Ausstattung, aber auch die Investition und die Ausbildung der Lehrenden. Gute Bildung ist der beste Schutzschild gegen ökonomische Unsicherheit. Gut ausgebildete Arbeitskräfte sind von jeher einer der bestimmenden Standortfaktoren. Gute Universitäten ziehen zudem junge Menschen an und helfen so, die negative demografische Entwicklung umzukehren.

Wohnungen und Nahverkehr

Zweitens: Investitionen in Wohnungen und öffentlichen Nahverkehr. Günstiger Wohnraum zusammen mit einer guten Anbindung ist ein wichtiger Faktor, wenn Menschen sich überlegen, wo sie hinziehen.

Lokale öffentliche Infrastruktur

Drittens: Investitionen in die lokale öffentliche Infrastruktur, neben den oben erwähnten Schulen zum Beispiel Polizeistationen, Krankenhäuser, Bürgerämter, Parks und Freibäder. Das Schaffen von öffentlichem Raum, der subjektiv als sicher empfunden wird, schwächt die Faktoren, die mit den Wahlerfolgen der AfD zusammenhängen.

Und man muss sich nichts vormachen: Die öffentliche Infrastruktur wurde – trotz aller Transfers in den vergangenen 35 Jahren von West nach Ost – gerade in denjenigen Regionen abgebaut, die von starker Abwanderung geprägt sind. Genau diese Entscheidungen haben die Wut der dort gebliebenen Wähler befördert.

Schuldenbremse aussetzen für Investitionen

Selbstverständlich ist das keine erschöpfende Liste an möglichen Maßnahmen, aber ein Anfang, der signalisieren würde, dass das Land bereit ist, die Herausforderungen anzugehen, und nicht nur versucht, den Verlust des Status über Mindestlohn und die Erhöhung des Bürgergelds so gut wie möglich zu verlangsamen.

Werden diese Politikmaßnahmen von den Parteien der demokratischen Mitte angestoßen, wird sich das für sie auch an der Wahlurne auszahlen. Die Frage bleibt, wie diese Maßnahmen finanziert werden. Neben Steuererhöhungen steht die Forderung im Raum, konsumtive Ausgaben zugunsten von solchen Investitionen herunterzufahren. Können die regierenden Parteien sich nicht darauf einigen, dann bleiben neue Schulden. Hierbei müssen sämtliche demokratischen Parteien Möglichkeiten schaffen, die Schuldenbremse für solche Investitionen auszusetzen.

Die Schuldenbremser müssen wach werden

Wie schnell eine Zweidrittelmehrheit der demokratischen Parteien weg sein kann, haben wir gerade in Thüringen und Sachsen erlebt. Die gute Nachricht ist, dass Deutschland eines der am geringsten verschuldeten Länder ist und sich den Anstieg der Schulden leisten kann.

Im Zweifel müssen sich die Schuldenbremser vor Augen führen, dass eine populistische oder gar faschistische Regierung das Land teurer zu stehen kommt.

keyboard_arrow_up