Wie viel haben Benzin- und Dieselkunden für Upstream-Emissionsminderungen bezahlt, die unter Betrugsverdacht stehen?

DIW aktuell ; 100, 6 S.

Karsten Neuhoff

2024

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Mineralölkonzerne sind verpflichtet, die Treibhausgasemissionen der von ihnen in Verkehr gebrachten Kraftstoffe zu mindern. Dem kamen sie seit dem Jahr 2020 teilweise nach, indem Klimaschutzprojekte in China finanziert wurden, die jetzt unter Betrugsverdacht stehen. Es ist davon auszugehen, dass sie die Kosten für diese Klimaschutzprojekte über die Spritpreise an Tankstellenkund*innen in Deutschland weitergegeben haben. Die Ermittlungen zu den verdächtigen Projekten sind noch nicht abgeschlossen. Medienrecherchen gehen davon aus, dass Projekte zur Minderung von Treibhausgasemissionen in der chinesischen Ölindustrie entgegen den gesetzlichen Vorgaben als neue Anlagen ausgewiesen wurden, obwohl sie bereits bestanden, oder gar nicht existierten. In einer Kurz-Analyse wird überschlagsweise berechnet, wie viel die Endkund*innen für Emissionszertifikate bezahlt haben, bei denen keine tatsächliche Emissionsminderung erreicht wurde, sollten sich die Betrugsvorwürfe bestätigen.

Unternehmen, die Benzin und Dieselkraftstoff in den Verkehr bringen, sind gesetzlich zur Minderung von Treibhausemissionen verpflichtet. Sie sind dazu verpflichtet, eine jährlich steigende Quote (zum Beispiel acht Prozent im Jahr 2023 und 9,35 Prozent im Jahr 2024) der durch diese Kraftstoffe verursachten Emissionen zu vermeiden beziehungsweise zu kompensieren.infoDeutscher Bundestag (2024): Bericht der Bundesregierung gemäß § 37g Satz 2 des Bundes- Immissionsschutzgesetzes zur Evaluierung der Treibhausgasminderungs-Quote (online verfügbar, zuletzt abgerufen am 18.12.2024. Dies gilt für alle Onlinequellen dieser Studie, sofern nicht anders vermerkt.) Diese Quote soll bis 2030 schrittweise auf 25,1 Prozent steigen.infoVgl. Informationen auf der Webseite der Generalzolldirektion. Die Einsparungen können durch (i) fortschrittliche Biokraftstoffe (ii) Biokraftstoffe aus Altspeiseölen und tierischen Fetten und Biokraftstoffe aus Nahrungs- und Futtermittelpflanzen (iii) erneuerbare Kraftstoffe nicht biogenen Ursprungs, beispielsweise grüner Wasserstoff oder E-Fuels, (iv) Anrechnung der Lieferung von Strom für Elektrofahrzeuge oder (v) durch sogenannte Upstream-Emissionsminderungen (im Folgenden UER abgekürzt) erbracht werden.

Zur Anrechnung von UER muss in einem Projekt der Öl- und Gasförderung durch eine Investitionsmaßnahme eine Emissionseinsparung erreicht und nachgewiesen werden. Die Einsparungen, die dadurch innerhalb eines Betriebsjahres erreicht und zertifiziert werden, können dann einmalig als Emissionsminderung auf die Quote angerechnet werden.infoDie „Upstream-Emissionsminderungs-Verordnung“ vom 22. Januar 2018 (BGBl. I S. 169), die zuletzt durch Artikel 2 der Verordnung vom 4. Juni 2024 (BGBl. 2024 I Nr. 183) geändert worden ist, regelt die Anrechnung von Upstream-Emissionsminderungen zur Erfüllung der gesetzlichen Verpflichtung zur Minderung von Treibhausgasemissionen. Im Mai 2024 wurde durch die Bundesregierung die Genehmigung neuer UER-Projekte mit Wirkung zum 2. Juli beendet. Damit können nach einjähriger Laufzeit der bereits bestehenden Projekte ab Sommer 2025 keine neuen UER-Nachweise mehr angerechnet werden.infoBundesgesetzblatt (2024): Verordnung zur Änderung der Verordnung zur Durchführung der Regelungen der Biokraftstoffquote und der Upstream-Emissionsminderungs-Verordnung (online verfügbar).

Aktuell gehen die „EU-Kommission und verschiedene Bundesbehörden und Staatsanwaltschaften dem Betrugsverdacht hinsichtlich mutmaßlich falsch deklarierter Biokraftstoffimporte und UER-Projekte auf den Grund.“infoBundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz: Treibhausgasminderungsquote (online verfügbar). Im Folgenden soll abgeschätzt werden, wie viel die Endkund*innen über die Spritpreise für Upstream-Emissionsminderungszertifikate bezahlt haben, bei denen der Verdacht besteht, dass sie zu keiner Emissionsminderung geführt haben. Aufgrund einer Reihe von Unsicherheiten handelt es sich dabei eher um eine Abschätzung der Größenordnung als um eine exakte Berechnung.

Welches Volumen von Upstream Emissionsminderungen könnte betroffen sein?

Bei einer Schätzung der möglicherweise betroffenen Emissionsminderungen gibt es aktuell zwei Ansatzpunkte:

Untersuchungen von ZDF frontal legen nahe, dass 16 der genehmigten Projekte entweder bereits vor der Registrierung bestandeninfoGemäß UERV § 7 (1) ist ein UER-Projekt unzulässig, wenn es vor der Registrierung existierte.oder gar nicht existieren. Wenn es die Projekte bereits vor der Registrierung gab, wurden sie nicht durch die zusätzliche Zahlung motiviert, sondern zum Beispiel durch Energieeinsparungen. In beiden Fällen haben die Zahlungen also zu keinen zusätzlichen Emissionsminderung beigetragen. Bei fünf Projekten teilte ein chinesischer Anlagenbetreiber mit, dass die Einsparungen in seinen Anlagen ohne Wissen des Unternehmens registriert und angerechnet wurden. Hierbei handelt es sich demnach ebenfalls nicht um zusätzliche Emissionsminderungen.

Eine weitere Quelle ist das Umweltbundesamt (UBA). Nach Aussagen des UBA gegenüber ZDF frontal stehen aktuell insgesamt 45 Projekte unter Betrugsverdacht.infoHans Koberstein und Marta Orosz (2024): Umweltbundesamt-Chef sieht „Betrugsgeflecht“. zdf heute vom 16.September (online verfügbar).

In Tabelle 1 werden basierend auf projektspezifischen Daten die betroffenen Emissionsmengen der von ZDF frontal erfassten Projekte je Kalenderjahr dargestellt. Zusätzlich sind die vom Umweltbundesamt an ZDF frontal berichteten Emissionsmengen aufgeführt, die den 45 Projekten entsprechen, die beim UBA unter Betrugsverdacht stehen. Da dem UBA die von ZDF frontal erfassten Projekte bekannt sind, wird im Weiteren davon ausgegangen, dass diese zu der Gruppe der beim UBA unter Betrugsverdacht stehenden Projekte gehören.

Tabelle 1: Emissionen der unter Betrugsverdacht stehenden Klimaschutzprojekte

Emissionen in t CO2-Äquivalent

 

2020

2021

2022

2023

Von ZDF frontal erfasste Projekte
(als untere Grenze interpretiert)

232 395

604 306

611 607

1 291 746

Beim UBA unter Betrugsverdacht stehend
(als obere Grenze interpretiert)

 

 

972 000

1 669 000

Quellen: ZDF, Umweltbundesamt

Als untere Grenze der Abschätzung der Emissionsminderung der möglicherweise betrügerischen Projekte werden die von ZDF frontal benannten Projekte verwendet. Als obere Grenze der Abschätzung werden in den Jahren 2022 und 2023 stattdessen die Emissionsminderungen der Projekte genutzt, die vom UBA als unter Betrugsverdacht stehend identifiziert wurden. Diese Emissionsvolumen könnten geringer ausfallen, wenn sich der Betrugsverdacht bei manchen Projekten nicht bestätigt beziehungsweise nicht bewiesen werden kann. Sie könnten höher ausfallen, sollten weitere Projekte unter Verdacht kommen.

Wie viel haben Benzin- und Dieselkund*innen für nicht realisierte Emissionsminderungen bezahlt?

Alle Unternehmen, die Benzin- und Diesel in Verkehr bringen, müssen im Rahmen der Treibhausgasminderungsquote jährlich steigende Emissionsminderungen erbringen. Dabei entstehen ihnen Kosten. Wenn alle Unternehmen in einem wettbewerblichen Markt Mehrkosten haben, werden sie diese – in erster Ordnung – auf die Produktpreise aufgeschlagen.infoRudolf Kerschbamer und Georg Kirchsteiger (2000): Theoretically Robust but Empirically Invalid? An Experimental Investigation into Tax Equivalence. Economic Theory 16 (3), 719–34. (online verfügbar). Das hat sich zum Beispiel im europäischen Emissionshandel bestätigt. Dort spiegeln sich die Kosten von CO2-Zertifikaten für die Stromerzeugung in der jeweils preissetzenden Technologie im Großhandelsstrompreis wider.infoJos Sijm, Karsten Neuhoff und Yihsu Chen (2006): CO2 cost pass-through and windfall profits in the power sector. Climate Policy, 6 (1), 49-72. (online verfügbar) und , Natalia Fabra and Mar Reguant (2014) Pass-Through of Emissions Costs in Electricity Markets, American Economic Review (link) DOI: 10.1257/aer.104.9.2872

Es gibt einige Faktoren, die bei der Schätzung der Kostenweitergabe zu berücksichtigen sind.infoJos Sijm, Karsten Neuhoff und Yihsu Chen (2006): CO2 cost pass-through and windfall profits in the power sector. Climate Policy, 6 (1), 49-72. (online verfügbar) und , Natalia Fabra and Mar Reguant (2014) Pass-Through of Emissions Costs in Electricity Markets, American Economic Review (link) DOI: 10.1257/aer.104.9.2872 Erstens würde das Ergebnis nicht zutreffen, wenn Treibstofflieferanten im Wettbewerb stünden mit Unternehmen, die keiner Minderungsquote unterliegen. Jedoch unterliegen alle Lieferanten an den deutschen Markt der Quotenverpflichtung. Zweitens würde das Ergebnis nicht zutreffen, wenn Treibstofflieferanten Zertifikate proportional zu ihrem Treibstoffverkauf erhalten. Auch das ist nicht der Fall, da keine Zertifikate kostenlos vergeben werden. Drittens könnte die Weitergabe der Kosten in einem nicht wettbewerblichen Markt größer oder kleiner als 100 Prozent sein. Es wurde ein in erster Ordnung wettbewerblicher Markt angenommen. Viertens kann bei elastischer Nachfrage und steigenden Grenzkosten die Weitergabe der Kosten geringer als 100 Prozent ausfallen. Da jedoch Benzin und Diesel an internationalen Märkten gehandelt werden, sind nur sehr geringe Anstiege von Grenzkosten zu erwarten. In der weiteren Analyse wird daher eine komplette Weitergabe der Preise von UER an Konsumenten unterstellt.

Für die Abschätzung der Preise für UERs werden die Preisnotierungen für „Other Quote“ (auch No Cap genannt) von Argus Media genutzt. Sie erfassen den Preis, der für die Anrechnung der Lieferung von Strom für Elektrofahrzeuge als Emissionsminderung gezahlt wurden. Das ist die Notierung, die sich als Referenz für alle Maßnahmen zur Erfüllung der Minderungsquote etabliert hat. Dabei wurde für die Jahre 2020 und 2021 der Durchschnitt der wöchentlich berichteten Werte verwendet. Für die Jahre 2022 und 2023 war bei höherer Liquidität durchgängig ein täglicher Wert vorhanden, dessen Durchschnitt genutzt wurde. Diese Preisnotierung wird als Indikator für die Preise, die für UERs erzielt wurden, verwendet. Dies Vorgehen ist valide unter der Annahme, dass im Marktgleichgewicht alle Maßnahmen, mit denen die Emissionsminderungsquote erreicht werden kann, denselben Verkaufspreis erzielen.

Bei UERs besteht allerdings die Möglichkeit, dass sie einen geringeren Preis ergeben könnte als die Notierung der „Other Quote“. Das könnte eintreten, da UERs nur im Umfang von 1,2 Prozent der quotierten Menge angerechnet werden dürfen.info§ 3 UERV - Einzelnorm Wenn dieses Limit ausgeschöpft ist, dann könnte ein Überangebot an UERs dazu führen, dass der UER-Preis unter die Preisnotierung der „Other Quote“ fällt. Eine Auswertung der Statistiken zur Quotenerfüllung zeigt jedochinfoHierzu wurden für jedes Jahr die gemeldeten „Minderungen aus UER“ durch den gemeldeten „Referenzwert“ geteilt. Datengrundlage sind die Statistiken der Quotenerfüllung. Vgl. Daten auf der Website der Generalzolldirektion.: Im Jahr 2020 wurden nur 31 Prozent der maximal nutzbaren UERs angerechnet. Der Anteil stieg dann kontinuierlich, blieb aber auch im Jahr 2023 mit 81 Prozent noch deutlich unter 100 Prozent. Somit ist kein großer Unterschied im Preisniveau zu erwarten.

Auf der Grundlage der für „Other Quote“ berichteten Preise können somit die Kosten für den Kauf von UERs abgeschätzt werden, die letztendlich von Benzin- und Dieselkund*innen getragen werden.infoFür genehmigten Projekte im UER-Register können Projektträger Verifizierungsberichte einreichen und UER-Nachweise bis zu der im UER-Register benannten Menge ausstellen. Diese Verifizierungsberichte waren Berechnungsgrundlage. Vgl. Daten auf der Website vom Umweltbundesamt.

Tabelle 2: Kosten der unter Betrugsverdacht stehenden UER-Projekte

 

2020

2021

2022

2023

Gesamt

Preis Euro/Tonne (CO2-Äquivalent)

356

367

457

247

 

Entstandene Kosten / Jahr

(in Millionen Euro) [untere Grenze]

83

222

280

319

903

Entstandene Kosten / Jahr (in Millionen Euro) [obere Grenze]

83

222

444

412

1 161

Quellen: ZDF, Umweltbundesamt, Argus Media, eigene Berechnungen

Anhand der bisher vorliegenden Daten ist davon auszugehen, dass in den Jahren 2020 bis 2023 Endkund*innen mit ihren Spritpreisen insgesamt rund 0,9 bis 1,2 Milliarden Euro für Upstream-Emissionsminderungszertifikate gezahlt haben, bei denen der Verdacht vorliegt, dass sie zu keiner Emissionsminderungen geführt haben.

Die Berechnungen basieren ausschließlich auf dem hier berichteten aggregierten Volumen von Upstream-Emissionsminderungen. Es wurde angenommen, dass die Anrechnung von UERs aus diesen Projekten zu keiner Emissionsminderung geführt hat. Es wurde nicht bewertet, ob sich der Betrugsverdacht bei allen einzelnen Projekten bewahrheiten wird und nachgewiesen werden kann. Das Umweltbundesamt hat damit begonnen, Projekte, die unter Betrugsverdacht stehen (ausschließlich Jahre 2022 und 2023), rückabzuwickeln. Bei drei Projekten sei dieser Prozess schon abgeschlossen, sechs weitere Projekte stehen vor der Rückabwicklung.infoMitteilung des UBA an ZDF vom 9.12.2024. Bei der Berechnung wurde angenommen, dass entsprechend der Preisnotierungen von Argus Media zu „Other Quote“ (auch No Cap genannt), die Kosten der in einem Kalenderjahr unter Betrugsverdacht stehenden UERs im Jahresverlauf vollständig auf Benzin- und Dieselpreise weitergegeben wurden.

Fazit - Schlussstrich unter UER-Projekte war folgerichtig

Die UER-Erfüllungsoption der Treibhausgasminderungsquote ermöglichte es Unternehmen, sich in gewissem Umfang Emissionsminderungen bei Projekten in Drittstaaten anzurechnen, statt heimische Maßnahmen durchzuführen. Dabei zeigen Upstream-Emissionsminderungen die Herausforderungen für die staatliche Überwachung eines internationalen Emissionshandelssystems: Wenn ein Produkt, zum Beispiel ein Fahrrad, importiert wird und nicht funktioniert, dann sind die unzufriedenen Kunden eine automatische Kontrollinstanz. Im internationalen Emissionshandel fehlt diese Kontrollinstanz: Unternehmen könnten theoretisch auch gefälschte Projekte zur Emissionsminderung nutzen. Weder die Unternehmen noch ihre Kunden merken dabei, dass die angeblichen Einsparungen gar nicht stattgefunden haben. Deswegen ist beim internationalen Emissionshandel die staatliche Kontrolle besonders wichtig. Sie ist allerdings auch besonders schwierig, da die Projekte außerhalb des staatlichen Hoheitsgebietes liegen, und darum von deutschen Behörden nicht vor Ort geprüft werden können. Daher sah die Upstream-Emissionsminderungs-Verordnung vor, dass private Prüfunternehmen die Verantwortung für die Verifizierung der Emissionsminderungen haben. Doch möglicherweise ist diese Verantwortung für manche zu groß. Die Staatsanwaltschaft hat drei dieser Prüfunternehmen wegen Betrugsverdachts durchsucht. Basierend auf nun fünfjähriger Erfahrung, scheint es folgerichtig, dass die Bundesregierung den internationalen Emissionshandel mit Upstream-Emissionsminderungen beendet hat.

Karsten Neuhoff

Abteilungsleiter in der Abteilung Klimapolitik

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