Blog Marcel Fratzscher vom 28. März 2025
Union und SPD müssen dringend die Steuern reformieren. Pauschal die Mehrwertsteuer zu erhöhen, wäre aber für viele ein Schlag ins Gesicht. Es gibt viel bessere Lösungen.
Die finanzielle Ausgangslage für die nächste Bundesregierung ist denkbar schlecht: Sie muss sparen, um die bereits bestehende riesige Finanzierungslücke im Bundeshaushalt zu schließen. Das Sondervermögen für Infrastruktur hilft ihr dabei nicht, da dieses – so zumindest das Versprechen – ausschließlich für zusätzliche öffentliche Investitionen genutzt werden soll. Die Ausnahme von der Schuldenbremse für einen Teil der Verteidigungsausgaben dürfte kaum ausreichenden finanziellen Spielraum schaffen. Steigende Lohnkosten und eine stagnierende Wirtschaft werden das Defizit in den Haushalten von Bund, Ländern und Kommunen weiter vergrößern.
Diese Kolumne von Marcel Fratzscher erschien am 28. März 2025 auf ZEIT ONLINE in der Reihe Fratzschers Verteilungsfragen.
Zudem haben Union und SPD den Menschen im Wahlkampf das Blaue vom Himmel versprochen. In den Sondierungsgesprächen hat man sich auf Steuererleichterungen und Ausgabenerhöhungen geeinigt, die zusammengenommen rund 64 Milliarden Euro pro Jahr kosten könnten. Über Kürzungen von Ausgaben, wie für Geflüchtete oder beim Bürgergeld, wird sich all das kaum finanzieren lassen. Für manche Wirtschaftswissenschaftler (PDF) liegt die Lösung auf der Hand: eine Erhöhung der Mehrwertsteuer. Doch das wäre ein schwerwiegender Fehler, der die gesellschaftliche Spaltung verstärken und wirtschaftlichen Schaden anrichten dürfte. Zumal es bessere Alternativen gibt.
Drei Argumente werden von den Befürwortern angeführt: Erstens würde eine Mehrwertsteuererhöhung um drei Prozentpunkte sehr schnell erhebliche Zusatzeinnahmen von jährlich knapp 60 Milliarden Euro bringen (wenn der reguläre Satz von 19 auf 22 Prozent stiege und der reduzierte von sieben auf zehn Prozent). Das zweite Argument ist, dass die Mehrwertsteuererhöhung politökonomisch die einfachste Art und Weise ist, den Menschen Geld abzunehmen. Denn Beschäftigte würden dies nicht auf ihren Gehaltsabrechnungen sehen, sondern nur indirekt auf dem Kassenzettel im Supermarkt, an der Zapfsäule oder im Einzelhandel. Manche würden diese Erhöhung kaum wahrnehmen, andere eher dem Gastronomen oder der Einzelhändlerin die Schuld geben. Eine ähnlich große Erhöhung der Mehrwertsteuer hatte bereits 2007, unter der ersten Regierung Angela Merkels, recht geräuschlos funktioniert.
Ein drittes Argument der Befürworter ist, dass sich eine Besteuerung des Konsums weniger negativ auf die Nachfrage und die Wirtschaftsleistung auswirke als eine steuerliche Belastung über die Einkommensteuer – da letztere auch das Arbeitsangebot reduzieren würde.
Viel mehr spricht jedoch gegen eine Erhöhung der Mehrwertsteuer. Zum einen wäre es eine höchst unsoziale Politik, da sie Menschen mit geringen Einkommen stärker belastet als Spitzenverdiener. Menschen mit geringen Einkommen benötigen häufig jeden einzelnen Euro für ihren Lebensunterhalt und entrichten einen deutlich höheren Anteil ihres Einkommens durch die Mehrwertsteuer an den Staat. Die Erhöhung der Mehrwertsteuer bedeutet also eine Umverteilung von armen zu reichen und von jungen zu älteren Menschen. Da Union und SPD sich einig sind, dass ein Teil – knapp 20 Milliarden Euro pro Jahr – der zusätzlichen Einnahmen für Steuersenkungen für Unternehmen ausgegeben werden sollen, ist diese Politik zudem eine Umverteilung von Bürgerinnen und Bürgern zu Unternehmen.
Eine solche Politik ist vor allem ein Schlag ins Gesicht derjenigen mit geringen und mittleren Einkommen, die in den vergangenen Jahren ohnehin schon stark gelitten haben. So hat die hohe Inflation seit 2021 Menschen mit geringeren Einkommen prozentual sehr viel stärker getroffen als Spitzenverdiener. Preise für Lebensmittel und Energie sind in den letzten drei Jahren durchschnittlich um über 30 Prozent gestiegen. Und vor allem Mieterinnen und Mieter mit geringen Einkommen erfahren seit zehn Jahren einen starken Anstieg der Wohnkosten, der in vielen Fällen die Lohnsteigerungen mehr als auffrisst.
Eine Erhöhung der Mehrwertsteuer ist somit riskant, denn sie dürfte die Stimmen der Populisten stärken, die über einen übergriffigen und unfairen Staat schimpfen – was unsere Demokratie weiter schwächen dürfte.
Eine Erhöhung der Mehrwertsteuer ist wirtschaftlich schädlich, denn sie wird unweigerlich zu einer geringeren privaten Konsumnachfrage und damit zu weniger Wachstum und Arbeitsplätzen führen. Der private Konsum ist mit über 50 Prozent Anteil an der Wirtschaftsleistung die wichtigste Stütze der Wirtschaft. Eine stärkere Besteuerung mag zwar wirtschaftlich weniger schädlich sein als eine Besteuerung von Arbeitseinkommen. Aber diese beiden Optionen sind ja nicht die einzigen, um Staatseinnahmen zu erzielen. Es gibt deutlich bessere Alternativen. Und auf diese Alternativen sollten sich Union und SPD konzentrieren, mit drei Elementen.
Das erste Element ist die durchaus richtige steuerliche Entlastung von Unternehmen sowie von Menschen mit geringen und mittleren Einkommen. Dies sollte allerdings nicht über eine Erhöhung der Mehrwertsteuer finanziert werden, sondern zum Teil – und im Gegenzug für eine mögliche Abschaffung des Solidaritätszuschlags – über einen höheren Spitzen- und Reichensteuersatz, wie es mein Kollege Stefan Bach kürzlich im Umfeld der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Soli vorgeschlagen hat. Der Soli könnte zudem auch in einen Wehrbeitrag umgewandelt werden, um die absehbar hohen Verteidigungsausgaben zu finanzieren. Personen mit einem zu versteuernden Jahreseinkommen von bis zu 178.000 Euro würden dabei entlastet und alle, die mehr haben, etwas stärker belastet.
Das zweite Element ist eine Verlagerung der Besteuerung von Arbeitseinkommen hin zu Vermögen. Denn ein erheblicher wirtschaftspolitischer und gesellschaftlicher Schaden entsteht durch die riesige Unwucht bei der Besteuerung zwischen Einkommen und Vermögen. Kaum ein Land der Welt besteuert Arbeitseinkommen stärker und Vermögen geringer als Deutschland. Würde Vermögen hierzulande genauso stark besteuert wie in den USA, in Großbritannien oder Frankreich, dann hätte der deutsche Staat jedes Jahr zwischen 80 und 120 Milliarden Euro zusätzliche Steuereinnahmen. Dies machte eine Erhöhung der Mehrwertsteuer überflüssig, zudem hätte der Staat auch noch zusätzliches Geld, um mehr in Bildung, Innovation und Klimaschutz zu investieren.
Und eine höhere Belastung vor allem großer Vermögen kann – genauso wie in den genannten Ländern – so gestaltet werden, dass die wirtschaftlichen Effekte begrenzt bleiben. So sollten zuallererst die zahlreichen Ausnahmen und Privilegien vor allem für große Vermögen abgeschafft oder reduziert werden. Dies betrifft vor allem die Privilegien bei Immobiliengewinnen und die zahlreichen Ausnahmen für große Erbschaften.
Auch bei der Reform von Ehegattensplitting, Mitversicherung von Ehepartnerinnen in der Krankenversicherung und Minijobs gibt es riesige Potenziale, um einerseits bessere Arbeitsanreize zu schaffen und somit mehr Fachkräfte in den Arbeitsmarkt zu bringen. Und andererseits, um zusätzliche Gelder für sinnvolle Maßnahmen beispielsweise in der Familienpolitik zur Verfügung zu haben.
Das dritte Element einer großen Steuerreform sollte die Mehrwertsteuer sein. Anstelle einer pauschalen Erhöhung sollte die nächste Bundesregierung sich aber ein Beispiel an manchen Nachbarländern nehmen. Sie sollte die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel abschaffen, so wie es Spanien gemacht hat, um vor allem Menschen mit geringen Einkommen stärker und unbürokratisch bei ihrem Lebensunterhalt zu unterstützen. Zudem sollte Deutschland sich ein Beispiel an Dänemark und anderen nordischen Ländern nehmen, die eine Luxussteuer auf Jachten oder Automobile erheben und somit die Mehrwertsteuer zu einer weniger regressiven Steuer machen. Eine solche Reform der Mehrwertsteuer wäre nicht nur sozial ausgewogener als eine pauschale Erhöhung, sondern sie wäre auch wirtschaftlich sinnvoll.
Union und SPD müssen eine grundlegende Steuerreform angehen, um Deutschland wieder zukunftsfähig zu machen. Schwarz-Rot sollte geringe und mittlere Arbeitseinkommen entlasten und dies primär durch die Abschaffung von Steuerprivilegien und eine stärkere Besteuerung passiver, großer Vermögen finanzieren. Dies erfordert Mut und Durchsetzungswillen. Eine Steuerreform auf den Rücken der schwächsten und verletzlichsten Gruppen der Gesellschaft umzusetzen – so wie es bei einer pauschalen Erhöhung der Mehrwertsteuer der Fall wäre –, wäre dagegen ein großer Fehler.
Themen: Öffentliche Finanzen , Steuern , Ungleichheit