Blog Marcel Fratzscher vom 9. Mai 2025
Die bisherige Bundesregierung und die EU versuchen, auf Trump zuzugehen, statt seine Zölle mit einer harten Reaktion zu kontern. Langfristig entsteht ein großer Schaden.
Eine der dringendsten Prioritäten der neuen Bundesregierung unter Kanzler Friedrich Merz ist die Stärkung Europas, um eine gemeinsame Antwort auf Donald Trumps Handelskonflikt zu formulieren. Denn das Verhalten der EU wird entscheidend dafür sein, ob sich China mit seinem Streben nach einem multilateralen Handelssystem oder Trumps USA mit der Zerstörung dieses Systems durchsetzen werden. Entweder stehen Deutschland und Europa bei dieser essenziellen Frage für die Weltgemeinschaft an der Seite Chinas – oder an der Seite der USA. Eine dritte Option gibt es nicht. Deutschland und Europa können nicht neutral in diesem Konflikt sein.
Diese Kolumne von Marcel Fratzscher erschien am 8. Mai 2025 auf ZEIT ONLINE in der Reihe Fratzschers Verteilungsfragen.
Ein Kardinalfehler der alten Bundesregierung und der Europäischen Kommission war es, Donald Trump nachzugeben, indem sie anders als China nicht strikt mit Gegenzöllen dagegengehalten haben, sondern auf Verhandlungen setzen. Trump ist es dadurch gelungen, das wirtschaftliche Desaster in einen politischen Sieg zu verwandeln – obwohl sein Handelskonflikt die Finanzmärkte in Aufruhr versetzt und er zum wirtschaftlichen Abschwung der USA beiträgt. Dieser Fehler könnte das Ende der multilateralen Weltordnung im Bereich Handel und Wirtschaft bedeuten und die Demokratie weiter aushöhlen.
Zuerst zu den Fakten: Nach ersten Strafzöllen auf Autos, Stahl, Aluminium und andere Produkte hat Donald Trump Anfang April individuelle Strafzölle gegen einzelne Volkswirtschaften verhängt – 20 Prozent auf alle Importe aus der EU, 34 Prozent auf Importe aus China und zum Teil noch deutlich höhere Zölle für andere Länder. Der wirtschaftliche Schaden durch die direkten Auswirkungen der Zölle ist dabei das geringere Problem. Der wirkliche Schaden des "Liberation Day", wie Donald Trump diesen Tag zynisch nennt, besteht darin, dass er das Ende der multilateralen Weltordnung im Bereich Wirtschaft und Handel markiert.
Alle globalen wirtschaftlichen Abkommen, die auf Nichtdiskriminierung und Gleichbehandlung und dadurch auf Wettbewerb und Fairness beruhen, sind damit null und nichtig. Donald Trump hat mit dieser Entscheidung die Weltwirtschaftsordnung der vergangenen 75 Jahre zerstört – sofern er mit seinem Vorgehen durchkommt und sich nun mit bilateralen Abkommen behaupten kann.
Es könnte aber auch anders kommen: Die von Trump angekündigte 90-tägige Pause reduziert die Zölle auf immer noch hohe zehn Prozent. Diese Pause war nicht freiwillig, sondern wurde Donald Trump durch die Kapitalmärkte aufgezwungen. Die Börsen, vor allem in den USA, sind als Reaktion auf den Handelskonflikt eingebrochen und haben Milliardenwerte zerstört, insbesondere bei den hochvermögenden US-Oligarchen, die das Rückgrat von Trumps MAGA-Bewegung bilden. Schlimmer noch: US-Staatsanleihen haben als Resultat ein Stück weit ihren Status als weltweit sicherster Vermögenswert verloren.
Dies wird höhere Zinsen zur Folge haben – nicht nur für den US-amerikanischen Staat zur Bedienung seiner Schulden, sondern auch höhere Kreditzinsen für Unternehmen und Bürger in den USA. Eine hohe Inflation, der Verlust von Kaufkraft und Wohlstand, Rezession, Arbeitslosigkeit und die Vernichtung privater Vermögen sind das unweigerliche Resultat. Die größten Verlierer dieser Politik sind US-Bürger, die in strukturschwachen Regionen leben und weniger Qualifikation, Einkommen und Mobilität haben – also allen voran die Wählerinnen und Wähler von Donald Trump.
Ein solches Szenario würde mit hoher Wahrscheinlichkeit den Verlust beider Kammern des US-Kongresses bei den Zwischenwahlen im nächsten Jahr bedeuten – und damit das politische Ende Donald Trumps und seiner MAGA-Bewegung. Auch viele Trump-Wähler würden dadurch erkennen, dass Kooperation, Konsens und Demokratie essenzielle Grundlagen auch für ihren wirtschaftlichen Wohlstand sind.
Dieses Szenario wird jedoch unwahrscheinlich, wenn Donald Trump seinen wirtschaftlichen Irrsinn durch bilaterale Abkommen in einen politischen Sieg umwandeln kann. Der entscheidende Akteur ist dabei die Europäische Union. Denn China hat sich richtigerweise entschieden, Donald Trump nicht nachzugeben, sondern mit gleich hohen Zöllen zu antworten. Chinas Volkswirtschaft ist nicht nur in etwa so groß wie die der USA, sondern der chinesische Staat hält auch große Mengen an US-Staatsanleihen als Währungsreserven.
Der Verkauf eines Teils dieser Reserven dürfte die Zinsen in den USA deutlich steigen lassen und damit die US-Wirtschaft in eine schmerzhafte Rezession treiben. Nun liegt es an der EU: Wenn sie anders als China Trumps Forderung nachgibt und mit ihm ein bilaterales Abkommen aushandelt, dann unterstützt sie explizit das Ende des Multilateralismus.
Dass die EU Trumps Vorgehen akzeptiert, zeugt von schockierender Kurzsichtigkeit und politischer Naivität. Der direkte wirtschaftliche Schaden durch die Zölle dürfte relativ gering sein. Der langfristige politische und wirtschaftliche Schaden – vor allem für die Exportnation Deutschland – durch das Einknicken und Nachgeben Deutschlands und Europas wird dagegen enorm sein. Es würde das Ende des deutschen Wirtschaftsmodells bedeuten, das wie kein zweites vom offenen Welthandel profitiert, der auf Nichtdiskriminierung, Fairness und Wettbewerb beruht.
Was ist zu tun? Die neue Bundesregierung sollte sich umgehend als Teil der EU, gemeinsam mit Frankreich und anderen europäischen Partnern, auf die Seite des Multilateralismus und damit auf die Seite Chinas stellen, mit reziproken Gegenzöllen reagieren und zwei zentrale Bedingungen in die Verhandlungen mit den USA einbringen:
Erstens eine unverzügliche Rückkehr zum und Stärkung des Multilateralismus als Grundlage des globalen Handels- und Wirtschaftssystems. Dies beinhaltet nicht nur, Zölle und andere Handelsbarrieren mindestens auf das Vorkrisenniveau abzusenken, sondern auch die multilateralen Institutionen wie die Welthandelsorganisation (WTO) zu stärken.
So haben in den vergangenen 20 Jahren vor allem die USA die WTO systematisch geschwächt, indem sie die Ernennung neuer Richter zur Schlichtung von Handelskonflikten blockierten. Aber auch andere globale Institutionen wie die Vereinten Nationen, der Internationale Währungsfonds und die Weltbank müssen wieder eine größere Rolle spielen – vor allem, um die Interessen der schwächsten Volkswirtschaften im Globalen Süden zu vertreten und zu schützen.
Zweitens die Stärkung eines fairen Wettbewerbs und gemeinsamer Regeln, insbesondere auch für Digitalkonzerne. Diese zahlen kaum oder keine Steuern, unterlaufen wichtige Regeln wie Datenschutz und ethische Standards und verfolgen unfaire Wettbewerbspraktiken. Dies könnte die letzte Chance vor allem für die EU sein – die keine wirklichen globalen Digitalkonzerne hat – globale Regeln zu stärken und die schädliche Abhängigkeit von Digitalkonzernen zu reduzieren. Der scheidende Bundesfinanzminister Jörg Kukies mag recht haben, dass wir heute von vielen Leistungen der US-Digitalkonzerne abhängig sind. Wenn wir jedoch jetzt nicht handeln, wird diese Abhängigkeit weiter zunehmen – und damit auch der wirtschaftliche Schaden und die politische Erpressbarkeit Europas.
Die Stärkung des Multilateralismus erfordert insbesondere von China und von Deutschland wichtige Konzessionen und Reformen, um die globalen Ungleichgewichte zu korrigieren. Durch gigantische Subventionen und Förderung der eigenen Unternehmen unterläuft China die multilateralen Regeln und verschafft sich unfaire Vorteile bei den Exporten.
Ähnliches gilt für die EU und Deutschland: Die gigantischen Leistungsbilanzüberschüsse Deutschlands sind primär das Resultat einer überbordenden Regulierung und anderer Hürden, die vor allem zulasten ausländischer Unternehmen und ihrer Exporte nach Deutschland gehen. Würden China und die EU diese Barrieren mindern, schüfe dies auch erhebliche Vorteile für US-Unternehmen. Daher gibt es berechtigte Hoffnung, dass ein solches Abkommen auch für Donald Trump attraktiv ist und ihn zum Einlenken bewegt.
Die Krise ist eine Chance für Europa, seine Rolle als Vermittler und Garant des Multilateralismus in einer neuen, multipolaren Welt zu finden. Es ist dringend an der Zeit, dass Europa sich zu seinen Werten bekennt. Gemeinsam mit China, Kanada, Mexiko, Großbritannien, Japan und anderen muss die EU eine Antwort auf Donald Trump finden und ihn in seine Schranken weisen.
Trump hat möglicherweise einen fatalen politischen Fehler begangen, indem er mit allen Volkswirtschaften weltweit gleichzeitig einen Konflikt angezettelt hat. Dies ist auch für Deutschland und Europa kurzfristig schädlich – unvergleichlich schädlicher für Wirtschaft und Demokratie wäre es jedoch, Donald Trump gewähren und ihn die multilaterale Weltordnung zerstören zu lassen.
Themen: Konjunktur , Unternehmen