DIW Wochenbericht 12 / 2022, S. 200
Claudia Kemfert, Dorothea Schäfer
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Seit Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine kennen die Energiepreise nur noch eine Richtung: nach oben. Dabei ist das Angebot von Erdöl und Gas seit Kriegsbeginn nicht gesunken. Russland liefert sogar etwas mehr Gas als zuvor. Zudem war der Winter vergleichsweise mild. Trotzdem spielen die Preise verrückt. Der Verdacht liegt nahe: SpekulantInnen befeuern die Preise ordentlich.
Bereits im Oktober 2021 hat die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vor dem Europäischen Parlament die hohe Spekulation beklagt. Sie bekundete gleichzeitig den Willen der EU-Kommission, diese durch eine verstärkte Überwachung der Gas- und Energiemärkte beenden zu wollen. Das Ausmaß der Spekulation zeigte auch der Preissturz des Gas-Terminkontraktes Dutch TTF für die Februarlieferung 2022 über die Jahreswende. Dieser für den europäischen Gaspreis entscheidende Terminkontrakt verlor zwischen dem 22. Dezember 2021 und dem 3. Januar 2022 mehr als 50 Prozent seines Wertes und sank von 176 Euro auf 80 Euro. Plötzlich bessere Aussichten auf die Anlieferung von Flüssiggas in die EU und die auf milderes Wetter hoffen lassende Wetterprognose genügten für den Absturz.
Der Krieg in der Ukraine hat die Preissprünge an den Energiemärkten nun noch einmal drastisch verschärft. Doch wenn reale Knappheitsschocks nicht auszumachen sind, dann treiben offenbar SpekulantInnen die Preise hoch. Es ist dringender denn je, der Spekulation ein wirksames Mittel entgegenzusetzen. Die Finanztransaktionssteuer wäre ein solches wirksames Mittel. Neben den Einnahmen aus der Besteuerung der Kontrakte verspricht sie auch eine positive Lenkungswirkung. Eine Finanztransaktionssteuer auf den Handel mit Energiederivaten mindert den Gewinn auf jeder Handelsstufe. Der Anreiz, Terminkontrakte wie den Dutch TTF schnell und zu immer höheren Preisen zu kaufen und zu verkaufen, wird eingedämmt und der Preisauftrieb gedämpft. Der Hochfrequenzhandel hat längst die Energiemärkte erobert. Er rentiert sich nur, weil exzessiv hohe Handelsvolumina in unendlicher Geschwindigkeit bewegt werden können. Ein Mehrwert entsteht dabei nicht. Der „normale“ Hochfrequenzhandel mit Wertpapieren und Derivaten steht im Verdacht, unerklärliche Börsenabstürze, sogenannte Flash-Crashs, zu verursachen. Den hochfrequenten maschinellen Handel mit Energiederivaten würde eine Finanztransaktionssteuer ziemlich sicher ausbremsen, weil die Handelsgewinne pro Transaktion sehr klein sind. Sie könnten auf null gesenkt und der maschinelle Handel so verhindert werden.
Hohe Ausgaben für Heizen und Mobilität treffen diejenigen am stärksten, die niedrige Einkommen haben. Wirksam gegen die Finanzspekulation auf den Energiemärkten vorzugehen ist folglich auch wichtig, um den sozialen Frieden im Land zu wahren. Die Profiteure der Finanzspekulation auf den Energiemärkten sind die HändlerInnen und AktionärInnen der Handels- und beteiligten Finanzunternehmen. Die Finanztransaktionssteuer könnte deren Gewinne zumindest teilweise abschöpfen. Je mehr die Akteure handeln und zum Preisauftrieb auf den Energiemärkten beitragen, desto stärker werden sie zur Kasse gebeten. Umgekehrt werden auf längere Sicht angelegte einmalige Absicherungsgeschäfte von einer Finanztransaktionssteuer mit einem kleinen Steuersatz kaum getroffen. Die Einnahmen aus der Besteuerung des spekulativen Handels im Energiebereich würden den Spielraum des Staates erweitern. Beispielsweise könnten der ÖPNV und die Bahn verbilligt und die energetische Sanierung vorangetrieben werden. Um möglichst schnell wegzukommen von den fossilen Energien, muss das Energiesparen und der Ausbau erneuerbarer Energien staatlich besonders gefördert werden.
Die EU-Kommission hat im September 2011 unter dem Eindruck der Weltfinanzkrise eine EU-weite Finanztransaktionssteuer vorgeschlagen. Jahrelang ging es kaum voran. Die Turbulenzen auf den Energiemärkten sind nun ein Weckruf. Der damalige EU-Vorschlag sah im Derivatehandel für jeden Vertragspartner einen Steuersatz von 0,01 Prozent des Nominalwertes vor. Dieser Satz könnte auch im Handel mit Energiederivaten gelten.
Dieser Kommentar ist in einer längeren Version am 20. März 2022 im Tagesspiegel erschienen.
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2022-12-3
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/252292