Blog Marcel Fratzscher vom 28. Dezember 2023
Die Bundesregierung belastet mit dem Sparhaushalt vor allem Menschen mit wenig Einkommen. Dabei könnten höhere Steuern für Hochvermögende 100 Milliarden Euro bringen.
Im Streit um die Finanzierung des Bundeshaushalts 2024 legt die Bundesregierung nun eine Minimallösung vor, die man als faulen Kompromiss bezeichnen kann. Einerseits fährt die Bundesregierung einen Sparkurs, andererseits werden aber vor allem Besserverdienende steuerlich entlastet. Die Liste der vorgesehenen Kürzungen hat eine soziale Schieflage, Menschen mit wenig Einkommen werden insgesamt stärker belastet. Und Zukunftsinvestitionen in Klimaschutz, Transformation und Bildung werden weiter ausgehöhlt.
Dabei läge eine gute Lösung auf dem Tisch, wie der Staat notwendige Einnahmen für Zukunftsinvestitionen mobilisieren könnte: Indem er Hochvermögende so besteuert, wie andere Industrieländer dies auch tun. Als Hochvermögende gelten Menschen, die über ein Nettogeldvermögen von mindestens einer Million Euro verfügen.
Diese Kolumne erschien am 22. Dezember 2023 auf ZEIT ONLINE in der Reihe Fratzschers Verteilungsfragen.
Fakt ist: Kaum ein Land in der Welt besteuert Arbeit stärker und Vermögen geringer als Deutschland. Die Behauptung des Bundesfinanzministers, Deutschland sei ein Hochsteuerland, ist zwar teilweise zutreffend: Vor allem Menschen mit mittleren und geringen Einkommen zahlen im internationalen Vergleich mit die höchsten Steuern und Abgaben auf ihr Arbeitseinkommen. Für Spitzenverdiener*innen gilt das aber weniger. Viele andere Länder, zum Beispiel auch Frankreich, besteuern Spitzenverdiener stärker. Betrachtet man die steuerliche Belastung von Hochvermögenden, ist Deutschland geradezu ein Niedrigsteuerland.
So nimmt der deutsche Staat jedes Jahr nur knapp ein Prozent der Wirtschaftsleistung, oder knapp 40 Milliarden Euro, an vermögensbezogenen Steuern ein. Im Vergleich: Die USA, Frankreich oder Großbritannien haben drei- bis viermal so hohe Steuereinnahmen auf Vermögen. Wenn Deutschland private Vermögen genauso stark besteuern würde wie diese drei Länder, dann hätte der Staat jedes Jahr 100 Milliarden Euro an zusätzlichen Einnahmen. Die fehlenden 17 Milliarden Euro Bundeshaushalt sind also ein Klacks im Vergleich dazu.
Das Beispiel dieser drei Länder – und vieler anderer Industrieländer – räumt auch den Einwand aus, eine stärkere Besteuerung von Vermögen verursache einen wirtschaftlichen Schaden oder eine Kapitalflucht aus Deutschland. Deutschland ist nicht Opfer im globalen Unterbietungswettbewerb bei der Besteuerung von Superreichen, sondern eher Täter und Mitverursacher.
Denn die Steuervermeidung von Hochvermögenden ist hierzulande ein schwerwiegendes Problem, wie kürzlich auch eine ZDF-Dokumentation gezeigt hat. Wichtig ist es demnach, zwischen Steuervermeidung (welche legal ist) und Steuerhinterziehung (welche illegal ist) zu unterscheiden. Die Ursache für die geringen Steuereinnahmen bei Hochvermögenden in Deutschland liegt nicht daran, dass es wenige Hochvermögende in Deutschland gibt, sondern dass sowohl die Steuersätze auf Vermögen gering sind als auch Steuervermeidung oft sehr einfach ist.
Der neue Jahresbericht der UBS zu Hochvermögenden zeigt, dass Deutschland weltweit bei der Anzahl von sehr Wohlhabenden – hier definiert als Personen mit einem Vermögen von umgerechnet mehr als 50 Millionen US-Dollar – hinter den USA und China an dritter Stelle liegt. Auch gibt es ungewöhnlich viele Milliardäre in Deutschland, nämlich 109 im Vergleich zu 34 in Frankreich.
Während viele Bürger*innen, vor allem mit geringen Einkommen, unter Pandemie und Energiekrise gelitten haben, gehören Hochvermögende eher zu den Gewinnern. Ihr Vermögen wächst, auch wegen der steigenden Aktienmärkte, die durch eine expansive Geldpolitik befeuert werden – der deutsche Aktienindex Dax hat gerade wieder einmal ein neues Rekordhoch erreicht.
Nun mag mancher an dieser Stelle einwerfen, es handele sich lediglich um eine Neiddebatte, denn was ist dagegen einzuwenden, wenn unternehmerisch und innovativ denkende Menschen wie Elon Musk durch ihre Erfindungen viele Milliarden Euro oder US-Dollar an Vermögen anhäufen? Auch hierauf hat die UBS-Studie eine Antwort: Über das vergangene Jahr wurde der größte Zuwachs bei den Milliardären nicht durch Unternehmertum, sondern durch Erbschaften erzielt.
Glück und nicht Leistung sind die wichtigste Erklärung für großen Reichtum. Knapp 60 Prozent aller privaten Vermögen in Deutschland wurden nicht durch eigener Hände Arbeit erwirtschaftet, sondern durch Erbschaften oder Schenkungen erzielt.
Der Kernpunkt ist: Eine auch nur moderat höhere Besteuerung von Vermögen würde dem deutschen Staat deutliche höhere Einnahmen ermöglichen, die für Investitionen in Bildung, Klimaschutz, eine leistungsfähige Infrastruktur und Innovationsfähigkeit zur Verfügung gestellt werden könnten. So könnten die Ausnahmen und Privilegien bei Erbschaften für Hochvermögende reduziert werden. 300 bis 400 Milliarden Euro werden in Deutschland jedes Jahr verschenkt oder vererbt, der Staat nimmt jedoch nur knapp zehn Milliarden Euro an Erbschaftssteuern ein. Dabei sind große Erbschaften von Unternehmen häufig ausgenommen und werden überhaupt nicht besteuert.
Eine Abschaffung dieser Ausnahmen könnte erheblich zusätzliche Steuereinnahmen generieren und die Besteuerung könnte so gestreckt werden, dass die Unternehmen nicht in ihrer Existenz bedroht sind.
Ähnliches gilt für die Besteuerung von Immobiliengewinnen, die allzu häufig in Deutschland komplett steuerfrei sind. Eine Vermögensteuer oder einmalige Vermögensabgabe, also auf Finanzvermögen, wie von manchen bevorzugt, ist eine Alternative. Sie hat jedoch viele Nachteile, da die notwendigen Informationen erst erhoben werden müssten und Ausweichreaktionen hervorrufen könnten.
Zurück zum Haushaltsstreit: Manche Politiker fordern vehement eine Kürzung sozialer Leistungen, vor allem bei Bürgergeld und Rente – und die Bundesregierung will in der Tat mindestens 1,5 Milliarden Euro an Sozialausgaben kürzen. Sicherlich gibt es vereinzelt Missbrauch bei der Inanspruchnahme von Sozialleistungen, auch wenn es wichtig ist zu betonen: Die überwältigende Mehrheit der Empfänger*innen ist ehrlich und verlässlich. Die Kosten davon belaufen sich nach sehr groben Schätzungen auf knapp 60 Millionen Euro im Jahr, das mag viel erscheinen, ist aber verglichen mit anderen Summen sehr wenig.
Denn Schätzungen zeigen, dass dem deutschen Staat jedes Jahr knapp 100 Milliarden Euro an Steuereinnahmen durch Steuervermeidung vor allem von Hochvermögenden entgehen.
Die Politik sollte, anstatt die verletzlichsten Gruppen für das Stopfen der Löcher im Bundeshaushalt heranzuziehen, die Hochvermögenden zur Kasse bitten, die sich durch die vielen Steuerprivilegien häufig kaum an der Finanzierung von der staatlichen Daseinsfürsorge, von Infrastruktur und Bildung beteiligen. "Eigentum verpflichtet", heißt es im Artikel 14 des Grundgesetzes, und weiter: "Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen."
Die Bundesregierung wäre klug beraten, diesen Vorsatz in ihrer Haushaltsplanung ernst zu nehmen und auf soziale Ausgewogenheit und Glaubwürdigkeit ihrer Politik zu achten.
Themen: Steuern , Verteilung