Blog Marcel Fratzscher vom 19. August 2024
Steuerentlastung für Topverdiener und Subventionen für ausländische Unternehmen kosten Milliarden. Wenn aber in Fachkräfte investiert werden soll, ist die Empörung groß.
Die Ablehnung ist groß für den Plan der Bundesregierung, ausländischen Fachkräften einen Steuerrabatt zu gewähren, wenn sie sich für Deutschland entscheiden. Die Debatte darüber wird hochemotional geführt. Dagegen wird es geradezu als Selbstverständlichkeit wahrgenommen, wenn die Regierung 15 Milliarden Euro an finanziellen Hilfen für zwei ausländische Unternehmen beschließt. Zehn Milliarden Euro für die Niederlassung des US-Unternehmens Intel in Magdeburg und fünf Milliarden Euro für TSMC aus Taiwan in Dresden. Auch die finanzielle Entlastung für deutsche Arbeitnehmende von 23 Milliarden Euro für die kommenden zwei Jahre wird nicht weiter hinterfragt. Was aber sagen diese Debatten über uns als Gesellschaft und unser Verständnis von Gerechtigkeit und Leistungsansprüchen aus?
Diese Kolumne erschien am 17. August 2024 auf ZEIT ONLINE in der Reihe Fratzschers Verteilungsfragen.
Im Vergleich zu den 23 Milliarden Euro an Entlastungen, die im Bundeshaushalt 2025 und 2026 vorgesehen sind – primär für Spitzenverdienende –, würde der Steuerrabatt für ausländische Fachkräfte nur einen kleinen Bruchteil kosten. Wie viel genau, wissen wir nicht. Zum einen, weil wir nicht wissen, wie viele Fachkräfte aus dem Ausland künftig kommen werden. Zum anderen, weil die Bundesregierung diese Steuererleichterung nur für gut qualifizierte Fachkräfte in einer Einkommensspanne mit einer Untergrenze und einer Obergrenze gewähren will. Es ist also weder vorgesehen, Fachkräfte im Niedriglohnsektor noch Spitzenverdienende bei einer Investmentbank steuerlich zu entlasten. Hinzu kommt, dass der Rabatt zeitlich begrenzt wäre. Im ersten Jahr beträgt er 30 Prozent, im zweiten Jahr 20 Prozent und im dritten Jahr 10 Prozent des Bruttolohns.
Nehmen wir an, dass dies auf 100.000 neue Beschäftigte aus dem Ausland pro Jahr, in einer Einkommensspanne zwischen 30.000 und 70.000 Euro brutto im Jahr zuträfe. Pro ausländische Fachkraft würde dies eine steuerliche Entlastung zwischen 1.000 und 5.000 Euro im ersten Jahr und entsprechend in den beiden Folgejahren bedeuten. Hochgerechnet auf 100.000 neue Fachkräfte wären dies knapp 500 Millionen Euro an entgangenen Steuereinnahmen für den Staat.
Wenn man berücksichtigt, dass Fachkräfte ohne den Steuerrabatt gar nicht nach Deutschland kämen, würden sogar Steuereinnahmen hinzukommen, die sonst gar nicht generiert worden wären. Denn es gibt zahlreiche wissenschaftliche Studien (PDF), die belegen, dass Steueranreize einen signifikant positiven Effekt vor allem auf die Zuwanderung hoch qualifizierter Migrantinnen und Migranten haben. Der von der Bundesregierung geplante Steuerrabatt dürfte mit hoher Wahrscheinlichkeit ein recht effektives Mittel sein, das langfristig auch dem deutschen Staat finanziell einen großen Nutzen bringt.
Woran liegt es also, dass 23 Milliarden Euro an steuerlicher Entlastung vornehmlich für Spitzenverdienende kaum der Rede wert sind, aber die 500 Millionen Euro für ausländische Fachkräfte einen Sturm der Entrüstung auslösen? Ein Teil der Antwort ist im Gerechtigkeitsempfinden vieler Menschen zu suchen. Auch Bundesfinanzminister Christian Lindner wurde in den vergangenen Jahren nicht müde zu betonen, dass die Leistungsträger unserer Gesellschaft stärker entlastet werden müssten. Ein höherer Mindestlohn oder ein höheres Bürgergeld sei dagegen nicht gerechtfertigt.
Wir wissen aus wissenschaftlichen Studien, dass eine große Mehrheit der Deutschen Gerechtigkeit über Leistung und Bedarfe definiert, nicht über Gleichheit oder Ansprüche. In anderen Worten: Viele setzen die Leistung und den Beitrag zur Gesellschaft mit der Höhe des Einkommens gleich. Menschen mit geringen Einkommen leisten somit wenig, und auch ihre Bedürfnisse sind – so die Logik – über Mindestlohn oder Bürgergeld mehr als ausreichend abgedeckt.
Vermutlich wären die gesellschaftliche Empörung und die Ablehnung des Steuerrabatts geringer, wenn die Nutznießer Deutsche wären. Vermutlich spielt es für viele auch keine Rolle, dass Deutschland dringend ausländische Fachkräfte benötigt, die letztlich zu einer größeren Leistungsfähigkeit der Wirtschaft und somit zu höheren Löhnen und Einkommen beitragen würden. Vielen scheint es nicht bewusst zu sein, dass sie selbst direkt und indirekt durch Zuwanderung profitieren. Und offenbar vergisst man dabei, dass Menschen, die hier ins Land kommen, Schwierigkeiten haben, Wohnungen und Kinderbetreuung zu finden, und hohe Umzugskosten haben. Bei so vielen Nachteilen ist es gerecht, wenn sie an anderer Stelle einen Vorteil bekommen, wie ich schon in meiner Kolumne vom 12. Juli dargelegt habe.
Der zweite Vergleich zielt auf die zehn Milliarden Euro an finanziellen Hilfen für die Ansiedlung von Intel in Magdeburg und fünf Milliarden Euro von TSMC in Dresden, die von der aktuellen Bundesregierung in den vergangenen beiden Jahren beschlossen wurden. Auch hier zeigt sich die Unverhältnismäßigkeit der finanziellen Hilfen. 15 Milliarden Euro für zwei ausländische Unternehmen gegenüber circa 500 Millionen Euro für 100.000 ausländische Fachkräfte. Natürlich gab es auch zahlreiche Kritikerinnen und Kritiker dieser Subventionen für Intel und TSMC, aber die Entscheidung wurde letztlich so umgesetzt.
Drei starke Argumente sprachen für die 15 Milliarden Euro an Subventionen für Intel und TSMC. Zum Ersten wären die beiden Unternehmen sonst wohl nicht nach Deutschland gekommen und hätten sich in Frankreich oder anderswo in Europa angesiedelt. Das Gleiche gilt jedoch für viele ausländische Fachkräfte. Deutschland ist nicht das Paradies auf Erden, vor allem gut qualifizierte Fachkräfte haben in der Vergangenheit allzu häufig einen großen Bogen um Deutschland gemacht.
Zum Zweiten wurden die riesigen Subventionen für Intel und TSMC mit positiven Effekten auf andere Unternehmen begründet. Aber auch dieses Argument kann man heranführen für die vielen ausländischen Fachkräfte, ohne die viele Unternehmen und ein Teil der Gesellschaft (Beispiel Pflegekräfte) so nicht gut funktionieren könnten. Und als Drittes wurden die 15 Milliarden Euro damit verteidigt, dass sie strukturschwächere Regionen stärken. Der Steuerrabatt für ausländische Fachkräfte dagegen würde allen Regionen in Deutschland helfen, insbesondere den strukturschwächeren Regionen. Die Vorteile würden allen zugutekommen.
Es gibt also kein einziges Argument, wieso die Steuervorteile für ausländische Fachkräfte weniger gerechtfertigt wären als die um ein Vielfaches höheren Hilfen für die zwei ausländischen Unternehmen Intel und TSMC. Die Subventionen für Intel und TSMC haben dagegen erhebliche Nachteile und Risiken. Sie sind eine riesige Wette auf die Zukunft, ein Scheitern der Investitionen ist nicht unwahrscheinlich. Dagegen würden sich die steuerlichen Vorteile für ausländische Fachkräfte sofort und unmittelbar positiv auf die deutsche Wirtschaft auswirken, weil sich die Arbeitskraft und damit auch das Steuereinkommen für alle erhöhen würden.
Was sagt dieser Vergleich über die Gesellschaft und unsere Werte aus? Es wird von einer Mehrheit der Gesellschaft als legitim angesehen, dass einzelne Unternehmen zum Teil massive staatliche Hilfen und Steuergelder für sich beanspruchen. Dies gilt auch beispielsweise für die finanziellen Hilfen für die energieintensiven Unternehmen. Eine starke Unternehmenslobby schafft es immer wieder, den Menschen zu vermitteln, steuerliche Hilfen für Unternehmen seien zwingend im Interesse des Gemeinwohls. Für ausländische Fachkräfte soll dies vermeintlich nicht gelten.
In wirtschaftlich schwierigen Zeiten, mit schwierigen Transformationen und knappen Kassen, durchleben wir gerade eine große Verschiebung im öffentlichen Diskurs darüber, wer die Leistungsträger unserer Gesellschaft sind und wie die Lasten verteilt werden sollen. Die Diskussion um den Steuerrabatt für Ausländer unterstreicht, wie weit diese tektonische Verschiebung fortgeschritten ist und wie sie sich nahtlos in den Populismus gegen den Sozialstaat einpasst.
Verletzliche Bevölkerungsgruppen werden als eine zu starke Belastung für Wirtschaft und Gesellschaft dargestellt, ob Mindestlohnbeschäftigte, Alleinerziehende und ihre Kinder, Bürgergeldempfänger oder ausländische Fachkräfte. Dagegen wird eine Entlastung von Spitzenverdienenden und Unternehmen als gerecht und notwendig angesehen. Das Ausspielen verletzlicher Gruppen gegeneinander wird jedoch nicht nur die gesellschaftliche Spaltung weiter vorantreiben, sondern sie richtet einen erheblichen wirtschaftlichen Schaden an, der von allen in Zukunft bezahlt werden muss.
Themen: Arbeit und Beschäftigung , Migration , Steuern