Seit 2008 hat sich der Anteil derer, die sich Grundbedürfnisse nicht leisten können, halbiert: Interview

DIW Wochenbericht 18 / 2021, S. 317

Markus M. Grabka, Erich Wittenberg

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Herr Grabka, wie haben sich die Löhne in den vergangenen Jahren entwickelt? Bei den Bruttostundenlöhnen ist von 2000 bis 2013 inflationsbereinigt ein leichter Rückgang von durchschnittlich etwa fünf Prozent zu beobachten. Darauf folgt eine Phase, in der zwischen 2013 und 2019 die Bruttolöhne stark zulegen, nämlich um etwa zehn Prozent.

Wie sieht es bei den Haushaltseinkommen aus? Die bedarfsgewichteten verfügbaren Haushaltseinkommen, das heißt Einkommen nach Steuern und Transfers, sind von 2000 bis 2014 im Durchschnitt nur leicht gestiegen. Dort ist ein Zuwachs von fünf Prozent zu beobachten. Für den Zeitraum 2014 bis 2018 schließt sich aber ein stärkerer Anstieg an, von im Durchschnitt neun Prozent. Das ergibt für den gesamten Zeitraum bis zum Jahr 2018 real steigende Haushaltseinkommen von 14 Prozent.

Welche Einkommensgruppen haben von dieser Entwicklung besonders profitiert? Die reichsten zehn Prozent hatten über den gesamten Zeitraum eine überproportionale Einkommenssteigerung von etwa 25 Prozent. In der Mitte der Verteilung ergibt sich eine Steigerung der Haushaltsnettoeinkommen von etwa 14 Prozent. Die Einkommensgruppen am unteren Rand hingegen liegen in etwa auf dem gleichen Niveau wie im Jahr 2000. Insgesamt ist die Entwicklung in den letzten Jahren positiv: Seit 2015 können wir über alle Einkommensgruppen hinweg reale Einkommenssteigerungen feststellen.

Was bedeutet das für die Ungleichheit? Die Lohnungleichheit der Bruttostundenlöhne ist seit etwa 2014 rückläufig und wieder auf dem Niveau von 2003 angelangt. Das heißt also bei den Löhnen: Die Ungleichheit ist ganz klar rückläufig. Bei den Haushaltsnettoeinkommen stellt sich das derzeit noch etwas anders dar. Hier hat sich in den vergangenen 15 Jahren der Gini-Koeffizient nicht mehr signifikant verändert und verharrt auf einem Niveau von etwa 0,29. Das ist im internationalen Vergleich eine eher unterdurchschnittliche Einkommensungleichheit. Insgesamt kann man sowohl bei den Löhnen als auch bei den Haushaltseinkommen feststellen, dass die Schere zwischen Arm und Reich nicht weiter auseinandergegangen ist.

Wie sieht es bei der Gruppe aus, die unter grundlegendem Mangel leidet und sich notwendige Dinge gar nicht leisten kann? Der erfreuliche Befund ist, dass sich der Anteil derjenigen, die ihre Grundbedürfnisse nicht decken können, im Zeitraum 2008 bis 2019 von 5,5 auf 2,7 Prozent halbiert hat. Interessant ist vor allem die Entwicklung für Alleinerziehende. Hier ist der Anteil der Betroffenen von knapp 20 Prozent auf nur noch etwa 6,5 Prozent gesunken.

Welche Auswirkungen hatte der Ausbruch der Covid-19-Pandemie auf die Ungleichheit? Die Ungleichheit der monatlichen Haushaltsnettoeinkommen ist im Januar/Februar 2021 im Vergleich zum Jahr 2019 – also vor der Pandemie – sogar leicht gesunken.

Wie ist das zu erklären? Bei Angestellten und Beamten sind die Haushaltsnettoeinkommen nominal um fünf Prozent gestiegen. Bei den Nicht-Erwerbstätigen, den Personen im Ruhestand und bei den Arbeitern sind die Einkommen im Durchschnitt nahezu unverändert geblieben. Die einzige Gruppe, die Einkommensverluste aufweist, sind die Selbstständigen mit im Schnitt etwa 16 Prozent im Vergleich zu 2019. Weil diese überwiegend in der oberen Hälfte der Einkommensverteilung angesiedelt sind, verringert sich die Ungleichheit. Wohl gemerkt, hier verbergen sich natürlich individuell deutlich unterschiedliche Entwicklungen, insbesondere bei denjenigen, die von Arbeitslosigkeit oder Kurzarbeit betroffen sind, aber der zentrale Treiber sind die rückläufigen Einkommen bei den Selbstständigen.

Das Gespräch führte Erich Wittenberg

O-Ton von Markus M. Grabka
Seit 2008 hat sich der Anteil derer, die sich Grundbedürfnisse nicht leisten können, halbiert - Interview mit Markus Grabka

Markus M. Grabka

Senior Researcher in der Infrastruktureinrichtung Sozio-oekonomisches Panel

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