Statement vom 4. September 2022
Die Ampelkoalition hat sich auf ein drittes Entlastungspaket verständigt, das Hilfen im Gesamtumfang von 65 Milliarden Euro vorsieht. Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) kommentiert die einzelnen Maßnahmen wie folgt:
Das dritte Entlastungspaket der Bundesregierung enthält gute Elemente, ist aber bei wichtigen Fragen unausgegoren, verteilt Gelder zu sehr per Gießkannenprinzip und ignoriert den Klimaschutz. Die Stärke des Entlastungspakets liegt in der Erhöhung der Leistungen für die verletzlichsten Menschen. Die Wohngeldreform, die Anpassungen beim Bürgergeld, die Erhöhung des Kindergeldes und die Ausweitung der Midijob-Grenze sind gute, zielgenaue Elemente - auch wenn das Paket dabei nicht immer innovativ ist, sondern eh schon geplante Maßnahmen vorzieht. Eine zweite Stärke ist die Unterstützung von kleinen und mittleren Unternehmen - durch Kredithilfen, die Fortsetzung des Kurzarbeitergelds, die Einbeziehung der Unternehmen bei der Strompreisbremse und die Verlängerung der Umsatzsteuersenkung für die Gastronomie.
Die Bundesregierung bleibt bei der wichtigsten Herausforderung, der Begrenzung von Strom- und Gaspreisen, aber eine Lösung schuldig. Es fehlt ein Plan bei der Strompreisbremse, die völlig unausgereift ist und dem Prinzip Hoffnung folgt. Wenn überhaupt, wird sie erst in vielen Monaten umgesetzt werden können. Und sie lässt viele Fragen offen, etwa wie ein Basisverbrauch definiert werden soll. Die Bundesregierung koppelt die Strompreisbremse an die Abschöpfung der Übergewinne, ohne einen Plan vorzulegen, wie dies geschehen soll. Das Aussetzen der Anpassung des CO2-Preises ist ein katastrophales Signal für den Klimaschutz. Die Bundesregierung muss bei einem Entlastungspaket die langfristige Transformation mitdenken. Dies fehlt völlig im Entlastungspaket.
Die versprochenen 65 Milliarden Euro sind ein angemessener Umfang. Sie werden jedoch zu sehr per Gießkannenprinzip verteilt und nicht zielgenau genug Menschen in der Mittelschicht und mit geringeren Einkommen zugutekommen. Besserverdiener werden den größten Teil der Euro 65 Milliarden erhalten. Alleine 70 Prozent der zehn Milliarden Euro der Entlastung der kalten Progression kommen den oberen 30 Prozent zugute. Es gibt zu viele Vergessene im Entlastungspaket. Einmalzahlungen für RentnerInnen und Studierende werden für lediglich zwei Monate, aber nicht länger ausreichen. Dauerhafte Hilfen für diese Menschen, mindestens für die kommenden beiden Winter, wären dringend notwendig gewesen. Als Vergleich: Ein Paar mit 130.000 Euro Jahreseinkommen wird alleine bei der kalten Progression jährlich mit 958 Euro entlastet, RentnerIinnen und Studierende lediglich mit 300 Euro beziehungsweise 200 Euro. Die Bundesregierung wird, entgegen aller Versprechen, die Schuldenbremse 2023 nicht einhalten können. Ich erwarte, dass die Bundesregierung noch vor Ende des Jahres die Schuldenbremse für 2023 kippen und Farbe bekennen muss.
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