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Nicht weniger, sondern mehr Klimaschutz sofort

Blog Marcel Fratzscher vom 16. September 2022

Dieser Beitrag erschien bei Zeit Online.
Deutschland erlebt auch deshalb eine soziale und wirtschaftliche Krise, weil es die ökologische Transformation lange verschlafen hat. Die Bundesregierung muss handeln.

Deutschland und die Europäische Union haben nicht einen, sondern zwei fundamentale Fehler begangen, die entscheidend für die schweren Krisen heute sind. Der erste war die Entscheidung, sich trotz zunehmender russischer Aggression und der Annexion der Krim weiter in die Abhängigkeit von russischen Rohstoffen zu begeben. Der zweite war das Zögern und Bremsen des Ausbaus erneuerbarer Energien und dass die ökologische Transformation in den vergangenen zehn Jahren regelrecht verschlafen wurde. Zu verlockend war das vermeintlich günstige Gas aus Russland, zu bequem die Verzögerung der Transformation.

Dieser Text erschien am 16. September 2022 bei Zeit Online in der Reihe Fratzschers Verteilungsfragen.

Mit Blick auf die wirtschaftliche und soziale Krise in Deutschland heute ist der zweite Fehler sehr viel schwerwiegender. Denn selbst wenn wir in den letzten Jahren mehr Gas, Öl und Kohle aus Katar, Saudi-Arabien oder anderswo bezogen hätten, würde uns die durch den Ukraine-Krieg verursachte Explosion der Energiepreise extrem hart treffen. Wenn wir jedoch heute schon 85 Prozent unseres Stroms aus erneuerbaren Energien beziehen würden, wenn unsere Heizungen auf Wärmepumpen basierten, wir die Mobilität von der Straße auf die Schiene umgestellt und die technologische Transformation schneller vorangebracht hätten, dann gäbe es keine Inflation von neun Prozent und keine tiefe Rezession, die Hunderttausende Unternehmen mit den dazugehörigen Arbeitsplätzen in ihrer Existenz bedroht. 

Raus aus der Abhängigkeit

Denn eine solche Transformation würde Deutschland und der EU wieder ein großes Stück an Souveränität zurückgeben. Wir wären deutlich weniger abhängig von autokratischen Regimen. Denn nicht nur Russland ist ein wichtiger Lieferant von Energie und anderen wichtigen Rohstoffen, sondern auch viele andere Autokratien dominieren die globalen Rohstoffmärkte. Auch die Opec, die Vereinigung Erdöl exportierender Länder, wird von antidemokratischen Regimen dominiert. Sie verfolgen das Ziel, Preise möglichst so stark zu erhöhen, dass sie ihre Einnahmen von Verkäufen nach Europa und anderswo maximieren und sich letztlich politisch legitimieren können. Und eine schnellere Transformation und das Lösen aus der Abhängigkeit Russlands hätten dem Regime von Wladimir Präsident Putin viele der finanziellen Einnahmen verwehrt, um seine Kriegsmaschinerie aufzubauen und den Krieg gegen die Ukraine zu führen.

Ökologische Transformation ist der blinde Fleck

Man kann daher zu Recht sagen, dass Deutschland und die EU nicht nur eine Verantwortung für die Finanzierung von Putins Krieg tragen. Sondern dass sie auch für die tiefe soziale und wirtschaftliche Krise verantwortlich sind, weil sie die ökologische Transformation verpennt haben. Und es ist genau dieser Fehler, der im öffentlichen Diskurs in Deutschland heute fast komplett fehlt. Die Bundesregierung hat drei Entlastungspakete über 95 Milliarden Euro geschnürt, um zumindest einen Teil der Leiden von Menschen und Unternehmen zu lindern. Ihr blinder Fleck ist jedoch auch weiterhin die ökologische Transformation. Fast nichts dazu ist in den drei Entlastungspaketen enthalten. Im Gegenteil, die Erhöhung des CO₂-Preises wird für ein Jahr ausgesetzt – ein fatales Signal. Und auch sonst fehlen viele überzeugende Schritte der Bundesregierung, wie sie die Fehler der vergangenen 15 Jahre korrigieren will.

Erneuerbare sind billiger als fossile Energien

Ohne einen deutlichen Kurswechsel und viel mehr Tempo wird Deutschland keines der Probleme heute lösen können. Zahlreiche Unternehmen stehen vor der Insolvenz und viele Industrieunternehmen beklagen sich völlig zu Recht, dass dieser asymmetrische Energiepreisschock, der Deutschland und Europa sehr viel härter trifft als den Rest der Welt, ihre Wettbewerbsfähigkeit erodiert und damit ihre Existenz gefährdet. Nicht weniger als das deutsche Wirtschaftsmodell, das seit 70 Jahren auf Offenheit, Exporte und hoher Wettbewerbsfähigkeit in globalen Märkten beruht, steht auf dem Spiel. Der deutsche Staat kann unmöglich dauerhaft fossile Energiekosten künstlich drücken, sodass deutsche Unternehmen keinen systematischen Nachteil im globalen Wettbewerb haben. Dabei gilt es, den falschen Mythos zu korrigieren, erneuerbare Energien seien teurer als fossile Energieträger oder Atomenergie. Genau das Gegenteil trifft zu. Bereits heute ist die Kilowattstunde Strom aus erneuerbaren Energien deutlich günstiger als aus anderen Energiequellen.

Gut fürs Klima, gut für die Wirtschaft

Gute Klimapolitik ist daher gute Wirtschaftspolitik. Denn ein schneller Umbau auf erneuerbare Energien ist der einzige Weg, wie Deutschland und Europa nicht nur wieder mehr Souveränität über Energie gewinnen, sondern wie Unternehmen nicht systematisch durch höhere Energiepreise benachteiligt werden. Zudem sind massive Investitionen in neue, klimafreundliche Technologien notwendig. Auch dies wäre ein riesiger Schub für die Wettbewerbsfähigkeit und den wirtschaftlichen Erfolg deutscher Unternehmen.

Gut fürs Klima ist sozial

Gute Klimapolitik ist aber auch gute Sozialpolitik. Denn Klimawandel und hohe Energie- und Nahrungsmittelpreise treffen Menschen mit geringen Einkommen und mit fehlenden Schutzmechanismen am härtesten. Dies zeigt die höchst unsoziale Inflation heute, die Menschen mit geringen Einkommen um ein Vielfaches härter trifft. Eine schnelle Transformation zu erneuerbaren Energien und die technologische Neugestaltung würden Preise reduzieren und stabil halten und somit die verletzlichsten Gruppen der Gesellschaft schützen.

Gut fürs Klima ist auch gute Finanzpolitik

Gute Klimapolitik ist aber auch gute Finanzpolitik. Häufig ist heute zu hören, die Bundesregierung müsse die Schuldenbremse einhalten und könne sich zusätzliche Ausgaben für Klimaschutz und die ökologische Transformation nicht leisten. Dieses Argument ist schlicht falsch. Wenn in den kommenden Jahren Tausende von Unternehmen pleitegehen, weil sie die hohen Energiekosten nicht stemmen oder im globalen Wettbewerb nicht mithalten können, dann entsteht dem Fiskus ein sehr viel größerer Schaden, als wenn er jetzt durch zusätzliche Verschuldung eine dringend benötigte Investitionsoffensive in die ökologische Transformation anstößt. Und Klimawandel, die Zerstörung der Umwelt und zunehmende Naturkatastrophen schaffen zusätzlich einen riesigen auch finanziellen Schaden für den Staat.

Ein Sondervermögen für den Klimaschutz

Egal wie man es dreht und wendet, die Bundesregierung muss dringend als Teil ihrer Krisenpolitik den Klimaschutz und die ökologische Transformation mit in den Mittelpunkt ihrer Anstrengungen stellen. Die Fridays-for-Future-Bewegung hat diese Woche zusätzliche 100 Milliarden Euro für Klimaschutzpolitik in der Form eines Sondervermögens gefordert. Diese Forderung ist völlig richtig und notwendig. Seit vielen Jahren unterstreichen etliche wissenschaftliche Studien, auch vom DIW Berlin, den riesigen Investitionsbedarf für die ökologische Transformation. Der Ausbau erneuerbarer Energien, energetische Gebäudesanierung, die Entwicklung neuer Technologien, die Verkehrswende, eine nachhaltige Landwirtschaft und viele andere Elemente müssen jetzt deutlich beschleunigt werden.

Die Lehre aus dieser Krise kann nicht sein, dass wir jetzt Klimaschutz und ökologische Transformation verschieben müssen. Sondern genau das Gegenteil ist der richtige Schluss: Politik und Wirtschaft müssen noch mehr beschleunigen. Nicht nur um Klima und Umwelt und künftige Generationen zu schützen. Sondern weil es gute Wirtschaftspolitik, kluge Sozialpolitik und solide Finanzpolitik zugleich ist.

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