Auch beim Sparen gibt es einen erstaunlichen Gendergap

Blog Marcel Fratzscher vom 28. November 2022

Obwohl Frauen prozentual mehr sparen als Männer, verfügen sie über weniger Rücklagen. Dahinter steckt ein Problem für die Gesellschaft mit Nachteilen für die Frauen.

In kaum einem Land sparen die Menschen mehr als in Deutschland. Und in kaum einem anderen Land ist das Sparverhalten so ungleich wie hier. 40 Prozent der Bevölkerung haben praktisch keine nennenswerten Ersparnisse – also auch keine nennenswerte private Vorsorge oder Absicherung. Wenig bekannt ist, dass vor allem Frauen deutlich weniger Ersparnisse haben als Männer, obwohl Frauen eine deutlich höhere Sparquote haben, also mehr ihres monatlichen verfügbaren Einkommens auf die hohe Kante legen. Das hat teils dramatische Konsequenzen: Denn es bedeutet ein höheres Armutsrisiko, geringere soziale Teilhabe und sogar negative gesundheitliche Auswirkungen.  Dabei liegen die Ursachen kaum in der Verantwortung oder der freien Wahl der Frauen, sondern in einer systematischen Schlechterstellung und Diskriminierung von Frauen.

Dieser Text erschien am 25. November 2022 bei Zeit Online in der Reihe Fratzschers Verteilungsfragen.

Die Zahlen sind ernüchternd: Frauen haben durchschnittlich eine Sparquote von 14 Prozent, Männer dagegen sparen lediglich zehn Prozent ihres monatlichen Einkommens. Gleichzeitig haben Männer ein mehr als doppelt so hohes mittleres Nettovermögen im Vergleich zu Frauen. Gerade unter den 40 Prozent der Menschen in Deutschland, die praktisch keine Ersparnisse haben, sind Frauen besonders häufig vertreten.

Drei Gründe für die niedrige Sparquote

Was erklärt diesen vermeintlichen Widerspruch einer höheren Sparquote bei gleichzeitig deutlich geringeren privaten Ersparnissen von Frauen in Deutschland? Drei Gründe spielen eine wichtige Rolle.

Erstens haben Frauen zum einen ein deutlich geringeres Erwerbseinkommen als Männer. Der Gender-Pay-Gap, also der Verdienstunterschied zwischen Frauen und Männern, liegt in Deutschland bei rund 18 Prozent. Ein Grund dafür ist, dass Frauen deutlich häufiger in Teilzeit und damit weniger Stunden arbeiten als Männer – in Deutschland ist der Unterschied in den Arbeitsstunden besonders groß, mehr als die Hälfte der Frauen arbeitet nicht in Vollzeit. Gerade Teilzeitjobs sind aber häufig schlechter bezahlt. Bei jüngeren Frauen liegt der Gender-Pay-Gap zwar schon deutlich niedriger, ist aber auch hier vorhanden. Mit zunehmenden Alter spätestens ab der Familiengründungsphase geht zudem die Schere zwischen den Geschlechtern immer weiter auf. Mit einer geringeren Qualifizierung der Frauen kann dies übrigens nicht erklärt werden – ganz im Gegenteil, jüngere Frauen heute haben eine höhere Wahrscheinlichkeit, Schule, Ausbildung und Studium erfolgreich abzuschließen. Meist schaffen sie dies in kürzerer Zeit mit besseren Noten.

Langfristig führt der Unterschied bei den Arbeitseinkommen zu dramatisch geringeren Pensionsansprüchen für Frauen, die um 26 Prozent unter denen der Männer liegen. Bei dem gesamten Arbeitseinkommen über die Lebensspanne beträgt der Unterschied gar 50 Prozent, Frauen beziehen in ihrem Leben also nur ungefähr die Hälfte der Arbeitseinkommen von Männern. Daher ist es nicht überraschend, dass das Armutsrisiko unter Frauen deutlich höher und die soziale Teilhabe geringer ist.

Weniger Netto vom Brutto

Es sind jedoch nicht nur die Unterschiede bei den Erwerbseinkommen, die den großen Unterschied bei den Ersparnissen zwischen Männern und Frauen erklären. Eine zweite Erklärung ist die deutlich höhere Besteuerung der Arbeitseinkommen von Zweitverdienenden (meist Frauen) und Hauptverdienenden (meist Männern), wie eine Studie des DIW Berlin gezeigt hat.

Der Grund ist das Ehegattensplitting, also der gemeinsamen Veranlagung bei der Einkommensteuer von Paaren, das dazu führt, dass es meistens Frauen sind, die nach dem Wiedereinstieg in den Beruf nach der Familiengründung ab dem ersten Euro sehr viel stärker besteuert werden als Männer. Dies kommt dadurch, dass Frauen häufig mit Männern verheiratet sind, die ein deutlich höheres Einkommen haben, wogegen Männer dieser Einkommensgruppe meist mit Frauen mit geringeren Einkommen verheiratet sind, sodass durch das Ehegattensplitting die individuelle Steuerlast dieser Männer verringert und die der Frauen erhöht wird. In anderen Worten, Frauen erhalten nicht nur weniger Arbeitseinkommen, sondern ihnen bleibt vom gleichen Arbeitseinkommen meist deutlich weniger Netto vom Brutto.

Ein dritter Grund hängt mit der Tatsache zusammen, dass Frauen ihr Erspartes viel seltener in Aktien oder Immobilien und häufiger als Spareinlage anlegen. Damit erhalten sie eine deutlich geringere Rendite auf ihre Ersparnisse, was es noch schwerer macht, die Ersparnisse zu mehren. Einer der Gründe dafür ist ein geringeres Finanzwissen von Frauen, wie eine Studie von Alexandra Niessen-Ruenzi zeigt, aber auch eine höhere Risikoaversion von Frauen im Vergleich zu Männern, denn Aktien sind mit einer höheren Volatilität und damit zumindest kurzfristig mit einem höheren Risiko verbunden, aber eben auch langfristig mit deutlich höheren Renditen.

Ein vierter Grund liegt in der enormen Bedeutung von Erbschaften. Mehr als die Hälfte aller heutigen privaten Vermögen in Deutschland wurden nicht mit den eigenen Händen erarbeitet, sondern durch Erbschaften oder Schenkungen erzielt. Eine ältere Studie des DIW Berlin belegt, dass weibliche Erben zwar nicht unbedingt sehr viel weniger erben, aber meist seltener Immobilien oder Unternehmensanteile, dagegen häufiger finanzielle Vermögen.

Viele Ursachen für den Spar-Gap lassen sich ausräumen

All diese Gründe führen zu der enormen Ungleichheit bei privaten Ersparnissen zwischen Frauen und Männern in Deutschland. Kritiker dieser Analyse wenden gerne ein, diese Unterschiede seien größtenteils das Resultat freier Entscheidungen von Männern und Frauen. Dies ist jedoch oft nicht so. Denn Frauen arbeiten nicht freiwillig deutlich weniger – eine Mehrheit der Frauen, die in Teilzeit arbeitet, gibt an, mehr Stunden arbeiten zu wollen. Es sind unzureichende Betreuungsangebote für die Kinder, eine fehlende Vereinbarkeit von Beruf und Familie und wenig Flexibilität am Arbeitsplatz, die Frauen keine Wahl lassen oder durch die deutlich höhere Besteuerung zumindest wenige Anreize setzen, ihre Arbeitszeit zu erhöhen.

Schwieriger ist die Einschätzung des geringeren Finanzwissens von Frauen und der höheren Risikoaversion. Die Tatsache, dass Frauen einerseits mehr sparen und andererseits weniger in Aktien, sondern mehr auf dem Sparbuch sparen, mag nicht unbedingt auf ein geringeres Finanzwissen zurückgehen, sondern auf eine rationale, wohlbedachte Entscheidung. Denn wer weniger Erspartes hat und als alleinerziehende Mutter oder in prekären Beschäftigungsverhältnissen einem Risiko ausgesetzt ist, der ist gut beraten, mehr zu sparen und die Ersparnisse auf dem Girokonto zu halten, um jederzeit schnell und unkompliziert darauf zurückgreifen zu können.

Die riesige Lücke bei den Ersparnissen zwischen Frauen und Männern ist ein wichtiges gesellschaftliches Problem, aber auch ein blinder Fleck in unserem Diskurs. Ersparnisse geben Sicherheit und die Freiheit, mehr Eigenverantwortung für das eigene Leben übernehmen zu können. Die Ungleichheit bei der Möglichkeit zu sparen beschneidet die Freiheit vieler Menschen, vor allem von Frauen. Finanzielle Bildung sowohl bei Frauen als auch bei Männern zu verbessern sollte eine universelle Priorität in Deutschland sein. Aber die Politik muss noch dringender die Diskriminierung und die Hürden für Beschäftigung und gute Einkommen von Frauen im Arbeitsmarkt angehen. Und sie muss das Steuersystem endlich so reformieren, dass vor allem Frauen mit geringen und mittleren Einkommen nicht weniger Netto vom Brutto bleibt als Männern. Die Lösungen liegen auf der Hand, aber hat die Politik auch den Willen, diese umzusetzen?

Themen: Gender , Ungleichheit

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