Medienbeitrag vom 26. Mai 2022
Die Umsetzung der Sanktionen gegen russische Oligarchen erweist sich vielerorts als schwierig. Doch allein die Ankündigung von Sanktionen hat schon Reaktionen an den Märkten verursacht, wie eine aktuelle Studie zeigt.
In Reaktion auf die Entscheidung Russlands, Truppen in die Gebiete Donezk und Luhansk zu entsenden, und dem folgenden Angriff auf die Ukraine hat die EU seit dem 23. Februar 2022 ein umfassendes Sanktionspaket etabliert. Neben Unternehmen und Institutionen werden auch Einzelpersonen sanktioniert, darunter mehr als 40 Oligarchen. Personen, die auf der EU-Sanktionsliste erscheinen, dürfen nicht mehr in EU-Länder einreisen. Außerdem dürfen Vermögenswerte der Sanktionierten wie Immobilien, Jachten oder Kunst nicht gehandelt oder vermietet werden. Auch ihre Konten in der EU sollen eingefroren werden und es dürfen ihnen keine Mittel für Waren, Dienstleistungen oder Gehälter ausgezahlt werden.Die Bundesregierung hat deshalb kürzlich einen Gesetzentwurf zur besseren Durchsetzung der Sanktionen gegen Oligarchen und Unternehmen auf den Weg gebracht.
Der Gastbeitrag von Franziska Bremus und Pia Hüttl erschien am 26. Mai 2022 auf dem Blog Makronom.
Verschiedene Medien berichten, dass Unternehmen mit engen Verbindungen zu sanktionierten Oligarchen nach der Ankündigung dieser Sanktionen in ihrer Geschäftstätigkeit beeinträchtigt waren – zum Beispiel weil unklar war, inwiefern noch Gelder bereitgestellt werden dürfen, oder wegen des öffentlichen Drucks, keine Geschäfte mehr mit Kreml-nahen Personen und Unternehmen zu tätigen.
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob die EU-Sanktionen ökonomische Effekte über die persönliche Ebene der Oligarchen hinaus haben. Wirken sich die Sanktionen gegen Oligarchen auf die Aktienwerte von Unternehmen aus, die von ihnen geleitet werden? Mit Hilfe von Marktdaten haben wir in einer aktuellen Studie untersucht, wie sich die Aktienrenditen von Unternehmen mit sanktionierten Oligarchen im Leitungsgremium nach der Ankündigung der EU-Sanktionen entwickelt haben.
Die einschlägige Fachliteratur zeigt, dass politische Verbindungen von Führungskräften den Unternehmenswert beeinflussen können. So kann die Nähe von Vorstandmitgliedern zu politischen Entscheidern in normalen Zeiten den Wert eines Unternehmens steigern, zum Beispiel weil es besseres Fachwissen mit Blick auf bürokratische Prozesse oder geringere Informationskosten gibt. Andersherum zeigen Studien zu den Sanktionen gegen den Iran in den Jahren 2012 bis 2015, dass sich politische Verbindungen auch negativ auswirken können: Einerseits sind die Aktienkurse von iranischen Unternehmen mit politischen Verbindungen nach den damaligen Sanktionen stärker gefallen als bei anderen Unternehmen, andererseits haben die Aktienrenditen von Unternehmen mit sanktionierten Eigentümern positiv auf Nachrichten reagiert, die eine Aufhebung der Sanktionen wahrscheinlicher machten.
Im aktuellen Fall der Sanktionen gegen russische Oligarchen können für die von ihnen geführten Unternehmen über die rechtlichen Unsicherheiten hinaus Reputationsverluste entstehen, die sich negativ auf den Unternehmenswert auswirken. So schienen Investoren nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine zu belohnen, wenn sich westliche Unternehmen aus dem russischen Markt zurückzogen. Auch öffentlicher Druck dürfte dazu beitragen, dass sich Geschäftspartner und Investoren von Unternehmen mit sanktionierten Oligarchen im Vorstand zurückziehen. Darüber hinaus können persönliche Sanktionen dazu führen, dass die betroffenen Oligarchen von ihrer Führungstätigkeit abgelenkt werden, wenn sie Zeit und Mühe dafür aufwenden, Vermögenswerte zu sichern oder Schlupflöcher zu nutzen. Wird dem Unternehmen weniger Aufmerksamkeit geschenkt, kann dies wiederum den Unternehmenswert beeinträchtigen.
Anhand von Marktdaten haben wir für die Tage nach der ersten Ankündigung von EU-Sanktionen am 22. Februar 2022 analysiert, wie sich der Wert von Unternehmen verändert, die von russischen Oligarchen geleitet werden. Dazu betrachten wir zwei Gruppen von Unternehmen: Eine erste Gruppe von Unternehmen, die von Oligarchen geleitet werden, die auf der EU-Sanktionsliste stehen. Die zweite Gruppe umfasst Unternehmen, die von nicht sanktionierten russischen Oligarchen geführt werden.
Ein erster Vergleich der Aktienrenditen ab 1. Februar zeigt, dass die Kursverluste der Unternehmen mit sanktionierten Oligarchen im Leitungsgremium mit über 30 Prozent nach der Ankündigung der Sanktionen wesentlich stärker ausfallen als bei der Vergleichsgruppe ohne sanktionierte Oligarchen, deren Kursverluste etwa 20 Prozent umfassen. Die Querschnittsanalyse der sogenannten abnormalen Renditen – der Differenz zwischen den prognostizierten „normalen“ Renditen ohne Sanktionen und den beobachteten Renditen – weist in die gleiche Richtung: Die Aktienrenditen von Unternehmen mit sanktionierten Oligarchen im Vorstand gingen in den Tagen nach Ankündigung der EU-Sanktionen wesentlich stärker zurück als die Renditen von Unternehmen, die zwar auch von Oligarchen geleitet werden, nicht aber von sanktionierten. Investoren dürften also negative Effekte auf Unternehmen mit sanktionierten Vorstandsmitgliedern erwartet und sich deshalb zurückgezogen haben. Ob oder wie dauerhaft dieser Effekt ist, kann allerdings anhand der hier zugrunde liegenden Analyse nicht beantwortet werden. Dafür sind zum Beispiel Bilanzdaten erforderlich, die erst später verfügbar sind.
Insgesamt zeigt sich, dass die Märkte allein auf die Ankündigung der Sanktionen gegen Einzelpersonen reagiert haben – schon bevor die Sanktionen umgesetzt waren. Unternehmen mit sanktionierter Leitung gerieten besonders unter Druck, so dass sich die persönlichen Sanktionen auch über die Vermögen der Sanktionierten hinaus ökonomisch ausgewirkt haben. Um die Glaubwürdigkeit, Transparenz und Wirksamkeit der Sanktionen zu verstärken, sollten die Sanktionslisten wichtiger Wirtschaftsregionen (zum Beispiel die Listen der EU, USA und Großbritannien) harmonisiert und erweitert werden.
Themen: Europa , Ungleichheit , Unternehmen