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Das Gift des Zweifels

Medienbeitrag vom 27. April 2023

Veränderung braucht Zuversicht. Wer Angst hat, bricht nicht auf. Deshalb investiert die fossile Lobby in Kampagnen gegen die Wissenschaft.

Wie hältst du das nur aus?“ fragte neulich meine Nachbarin. Ich wiederum fragte mich, was sie meinte. Meine Nachbarin hat sich wohl im Internet umgeschaut. Und wer das tut, findet  wirklich Erschreckendes. „Ach, das“, entgegnete ich. Was da gerade passiert, sind die immer wiederkehrenden „Märkte des Zweifelns“. Aktuell wieder sehr aktiv.

Warum? Beim Klimawandel und vor allem beim Klimaschutz geht es um viel. Die Wirtschaftskraft sämtlicher Industrienationen basiert auf fossilen Energien. Wenn die Wissenschaft nun  feststellt, dass ausgerechnet fossile Energien in besorgniserregender Weise klimaschädlich sind (oder sein könnten), dann ist das quasi ein Großangriff auf den nationalen Wohlstand –  jedenfalls auf den, der sich aus fossilen Energien speist. Entsprechend groß ist der Widerstand.

Dieser Gastbeitrag von Claudia Kemfert erschien am 27. April 2023 in der Frankfurter Rundschau.

Was wir derzeit wieder einmal sehr ausgeprägt erleben, sind die schleichenden Folgen eines seit Jahrzehnten nebelhaft versprühten Gifts des Zweifels. Die fossile Lobby verbreitet gezielte PR-Kampagnen. Milliarden Petro-Dollar flossen und fließen aktuell wieder in die Konzeption und Erprobung ausgeklügelter Begrifflichkeiten und Framings. Deren einziges Ziel: Zweifel säen. Zweifel an Erkenntnissen. Zweifel an Wissenschaft. Zweifel an Frauen. Zweifel an der Zivilgesellschaft. Denn Zweifel bremst jede Aktivität. Veränderung braucht Zuversicht. Wer sich nicht sicher fühlt, wagt keine Experimente. Wer Angst hat, bricht nicht auf.

Und gleich ist man "Öko-Aktivist" oder "Klima-Terrorist"

Das Spektrum der Kampagnen reicht von Hass und Hetze in sozialen Medien bis hin zu subtilen Narrativen und Voreingenommenheiten gegenüber jeglichersozial-ökologischer Veränderung. Auf der bewährten Klaviatur von Werbung und Propaganda wird der breiten Öffentlichkeit deswegen durch permanent wiederholte Grundmelodien beigebracht: Kohle, Öl und Gas brächten Wohlstand,  Freiheit und Glück. Angebliche Nebenwirkungen wären kein Problem.

Wer etwas anderes behaupte, sei Öko-Aktivist oder neuerdings sogar „Klima-Terrorist“. Und siehe da: Jeder investierte Euro  der „Klimaschmutzlobby“ zahlt sich aus! Die politisch interessierte, aber medial nicht geschulte bürgerliche Gesellschaft lässt sich verunsichern und will mit „solchen Leuten“ lieber nichts zu tun haben –  selbst wenn es die eigenen Kinder und Enkel sind, die nicht nur protestierend auf die Straße gehen, sondern sogar erfolgreich vor Gericht ziehen. Die Demokratie als Ganzes rückt zunehmend ins  Visier der fossilen Kampf-Maschinerie. Wer immer sich für vielfältige, selbstbestimmte Lebensformen einsetzt, wer immer auf Transparenz, faire Marktbedingungen und die Freiheit von Presse, Medien und Religion pocht, wird in die virtuelle Mangel genommen.

Immer wieder neue krude Accounts

Über automatisierte Pseudo-Accounts lässt sich ein großes Echo vortäuschen, das nur schwer als Fake zu entlarven ist. Einen virtuellen Shitstorm zu produzieren, dauert mit den entsprechenden technischen Hilfsmitteln nur wenige Minuten. Ihn rückwärts zu entschlüsseln, um der Orchestrierung auf die Schliche zu kommen, dauert Stunden, wenn nicht Tage. Vor allem werden Medien gegen Medien mobilisiert – Klick-hungrige, von privaten Geldgebern abhängige Medien gegen öffentlich-rechtlich getragene, unabhängige Medien. Ich könnte Dutzende Beispiele erzählen, in denen ich selbst von irgendwelchen Hass-Attacken betroffen war. Wie aktuell. Fast täglich tauchen im Netz, ob auf Twitter, Facebook oder Instagram, irgendwelche wüsten Beschimpfungen gegen mich auf. Hier wird nicht  zehnmal gelogen, bis es jemand glaubt; hier wird tausendfach in unzähligen Varianten wiederholt

Es sind immer wieder neue krude Accounts. Habe ich anfangs noch gedacht, ich müsse das Gespräch suchen, erklären und vermitteln, weiß ich heute, dass das nichts als eine elende Zeitverschwendung ist. Ich blockiere, ich schalte stumm, aber selbst das kostet viel zu viel Zeit. Meist ignoriere ich einfach. Denn ich weiß: Genau das ist das Kalkül der Hassund Troll-Aktionen gegen Stimmen aus der  Wissenschaft. Solche Kampagnen sollen mir wie auch anderen Wissenschaftler:innen Zeit stehlen, mich mürbe machen, abschrecken, verstummen lassen.

Nervig aber unwichtig

Blöd nur für die Hass-Initiatoren ist, dass es mich wie viele andere nicht beeindruckt. Und noch blöder ist, dass immer mehr Menschen verstehen, dass dieses zerstörerische, gehässige Getöse nichts anderes ist als das Grundbrummen einer Großstadt – nervig, aber unwichtig.

In der Wissenschaft finden sich glücklicherweise immer mehr Menschen, die sich für verständliche  Wissenschaftskommunikation stark machen. Ein Team von Skepticalscience.com hat die Methoden der„Merchants of Doubts“, der Händler des Zweifels, analysiert und in eine griffige Formel gebracht.  zusammenmit dem Team von Klimafakten.de wurde die Formel auch ins Deutsche übertragen. Auf deren Webseite gibt es auch eine schön illustrierte grafische Darstellung davon zum Download, als „Impfung gegen Desinformations-Kampagnen“.

Wir lassen uns nicht beirren

Die Formel, mit der man sich die immer wiederkehrenden fünf Tricks und Kniffe gut merken kann, die bei Desinformationskampagnen angewandt werden, lautet „PLURV“. Die Buchstaben stehen steht für: Pseudo-Fachleute, Logikfehler, Unerfüllbare Erwartungen, Rosinenpickerei sowie Verschwörungsmythen. Immer mehr Redaktionen haben verstanden, wie sie hier manipuliert werden. Sie  hinterfragen ihr eigenen Reflexe, befragen nicht einfach irgendwelche „Expert:innen“, sondern hinterfragen deren wissenschaftliche Qualifikation. Immer mehr Journalist:innen schließen sich zusammen, um die Wehrhaftigkeit der freien Presse zu stärken. Insofern können wir die Strategien der „Merchants of Doubts“ hoffentlich durchbrechen, bevor es zu spät ist. Wer wirklich Demokratie will, kann mit den Waffen verzerrenden Zweifels nur verlieren.

PLURV ist keine Siegertechnik, sondern eine anti-demokratische Zeitbombe. Aber gerade das macht deutlich, wie verletzlich unsere Demokratie ist. Sie wird nicht nur von den tapferen Menschen in der Ukraine verteidigt, die sich ihre demokratische Grundordnung über so lange Zeit mühsam erkämpfen mussten und jetzt lieber sterben, als sie wieder herzugeben.

Die Demokratie muss auch hierzulande verteidigt werden, inklusive einer freien Wissenschaft, einer freien Presse und fairer Wahlverfahren mit transparenten Methoden. Wie das gelingt: mit kluger Wissenschaftskommunikation. Wie Wissenschaftler:innen dies aushalten? Indem sie weiter forschen. Und die Methoden des „Zweifelsäens“ analysieren und transparent machen. Und darüber  kommunizieren. Und sich nicht beirren lassen. Wie wir alle es nicht tun sollten.

Denn der Klimaschutz muss jetzt gelingen. Trotz aller Widerstände.

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