Blog Marcel Fratzscher vom 9. März 2021
Von Gleichstellung kann in Deutschland keine Rede sein. Männer bekommen mehr, die Lücke in der Bezahlung verkleinert sich kaum. Und nein: Das liegt nicht an den Frauen.
Dieser Text erschien am 8. März 2021 in der ZEIT-ONLINE Kolumne Fratzschers Verteilungsfragen.
Der heutige Weltfrauentag sollte uns innehalten und kritisch reflektieren lassen, wie es um die Gleichstellung von Frauen und Männern in Deutschland bestellt ist. Das Fazit ist ernüchternd, denn in fast allen Bereichen – vom Arbeitsmarkt über gesellschaftliche Dimensionen bis hin zur Familie – kann keine Rede von Chancengleichheit für Frauen sein. Mehr noch: Beispielsweise mit Blick auf die Bezahlung von Frauen ist die Lücke im internationalen Vergleich nicht nur besonders groß, sondern sie wird auch seit vielen Jahren kaum kleiner. Das muss nicht so sein. Es ist Aufgabe auch der Politik, einen Kurswechsel zu vollziehen – bei der Familienpolitik, der Arbeitsmarktpolitik und auch bei der Steuerpolitik.
Der Gender-Pay-Gap, also der Verdienstunterschied zwischen Frauen und Männern, liegt in Deutschland noch immer bei 19 Prozent. Für jeden Euro, den ein Mann als Stundenlohn bekommt, erhält eine Frau also lediglich 81 Cent. Kaum ein Land in Europa hat eine größere Lücke als Deutschland. In den vergangenen 15 Jahren hat sie sich kaum reduziert. Interessant ist, dass Länder mit einer höheren Erwerbsquote von Frauen auch generell eine größere Lohnlücke zwischen Männern und Frauen haben, wie eine aktuelle Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin zeigt. Das liegt zum Teil daran, dass in Ländern mit einer geringen Frauenerwerbsquote vor allem Frauen mit einem hohen Lohnpotenzial arbeiten. Das macht die Ungleichheit bei der Bezahlung in Deutschland jedoch nicht sehr viel weniger gravierend. Denn die nordischen Länder Dänemark, Norwegen, Schweden und Island und auch die Niederlande haben teils eine noch höhere Frauenerwerbsquote, aber auch eine deutlich geringere Lohnlücke. Es gibt also besondere Faktoren in Deutschland, die hierzulande das Ausmaß der ungleichen Bezahlung so groß machen.
Es gibt nicht wenige Menschen in Deutschland, die den Gender-Pay-Gap kleinreden wollen und behaupten, dieser sei vor allem auf Entscheidungen von Frauen zurückzuführen. So zeigen wissenschaftliche Studien, dass ein großer Teil des Gender-Pay-Gaps von 19 Prozent durch drei Erklärungen zustande kommt: dass in Deutschland ungewöhnlich wenige Frauen in Führungspositionen sind, dass ungewöhnlich viele Frauen in Teilzeit arbeiten und dass Frauen vor allem in Branchen mit geringen Löhnen beschäftigt sind.
Bei einer ehrlichen Analyse brechen diese Erklärungen jedoch wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Frauen entscheiden sich nicht bewusst dafür, keine Führungsverantwortung im Beruf übernehmen zu wollen, sondern sie stoßen häufig an eine gläserne Decke in von Männern dominierten Führungsetagen. Die neue Mindestbeteiligung von Frauen in Vorständen bestimmter Unternehmen in Deutschland ist ein ganz kleiner Schritt, um diese Diskriminierung zu reduzieren – auch wenn das Gesetz so unambitioniert ist, dass es wenig direkt bewirken wird und es lange dauern dürfte, bis sich eine ausgewogenere Balance in den Führungsetagen einstellt.
Der zweite Erklärungsversuch für den Gender-Pay-Gap, wonach Frauen sehr viel häufiger in Teilzeit oder prekären Beschäftigungsverhältnissen wie Minijobs arbeiten, und dadurch eine hohe Lohnlücke entstehen kann, ist sicherlich richtig. Aber auch hier gilt, dass viele Frauen dies nicht freiwillig tun, sondern dass Staat und Gesellschaft ihnen so hohe Hürden in den Weg legen, dass viele letztlich keine andere Wahl haben. Qualität und Quantität der Betreuung von Kindern in Kitas und Schulen sind nach wie vor stark eingeschränkt und es sind meist die Mütter, auf die ein großer Teil der Sorge-, aber auch der Hausarbeit und der Pflege von Angehörigen entfällt. Eine andere neue Studie des DIW Berlin zeigt, dass sich dieses Ungleichgewicht in der Corona-Pandemie in einigen Familien nochmals verschärft hat.
Aber auch das Ehegattensplitting macht es vor allem für viele Frauen wenig attraktiv, mehr Stunden oder gar Vollzeit zu arbeiten. Hinzu kommt die Mitversicherung für Ehepartnerinnen bei der Sozialversicherung. Beides reduziert die Arbeitsstunden von Frauen in Deutschland massiv und trägt dadurch zu einer höheren Lohnlücke bei – wie auch zu einer Reihe anderer Probleme, etwa einer deutlich höheren Armutsquote unter Frauen und einer höheren Abhängigkeit.
Auch das dritte Argument, Frauen seien vor allem in schlecht bezahlten Branchen berufstätig, ist bei genauerem Hinsehen ein Scheinargument. Denn häufig zeigt sich, dass sich die Löhne gerade in solchen Branchen vergleichsweise schwach entwickeln, in denen Frauen über die Jahrzehnte vorgedrungen sind und einen hohen Anteil an den Beschäftigten ausmachen. In der Corona-Pandemie wird deutlich, dass vor allem Frauen in den systemrelevanten Berufen – in der Gesundheit, in der Pflege, in der Bildung oder verschiedenen Branchen der Grundversorgung – den größten Anteil der Berufstätigen ausmachen. Gleichzeitig erhalten systemrelevante Berufe im Durchschnitt geringere Stundenlöhne und weniger Anerkennung als nicht systemrelevante Berufe.
All dies zeigt, dass die fehlende Chancengleichheit und die starke Ungleichbehandlung auf dem Arbeitsmarkt nicht das Resultat freier Entscheidungen von Frauen sind, sondern von struktureller Diskriminierung und nicht selten von bewussten politischen Entscheidungen. Die gegenwärtige und die vergangenen Bundesregierungen haben viele wichtige Reformen in Bezug auf Bildung und Arbeitsmarkt auf den Weg gebracht, die Frauen mehr und gleichere Chancen eröffnen sollen. Dass dies jedoch bisher nur wenig gefruchtet hat, zeigt, wie weit der Weg zu einer wirklichen Chancengleichheit in Deutschland noch ist.
Themen: Arbeit und Beschäftigung , Familie , Gender , Ungleichheit