DIW Wochenbericht 48 / 2023, S. 663-670
Elisabeth Liebau
get_appDownload (PDF 481 KB)
get_appGesamtausgabe/ Whole Issue (PDF 3.84 MB - barrierefrei / universal access)
„Dass Geflüchtete von Hilfs- zu Fachkrafttätigkeiten wechseln, zeigt ein Fachkräftepotenzial unter den Geflüchteten. Dieses sollten die Unternehmen nutzen; zum Beispiel könnten sie mit Modellen des berufsbegleitenden Berufsabschlusserwerbes auch bei im Hilfskraftsegment tätigen Geflüchteten werben, statt ausschließlich auf hochqualifizierten Zuzug aus dem Ausland zu setzen.“ Elisabeth Liebau
Die Bundesregierung will Geflüchtete noch schneller in Arbeit bringen – auch dies könnte mit zur Lösung des Arbeits- und Fachkräftemangels beitragen. Der Wochenbericht untersucht, wie Geflüchtete über die Zeit in den Arbeitsmarkt in Deutschland finden, in welcher beruflichen Position sie dort beschäftigt sind und welche Faktoren eine Fach- gegenüber einer Hilfskrafttätigkeit beeinflussen. Die Analyse zeigt: Die Erwerbsbeteiligung von Geflüchteten – vor allem im Hilfs- und Fachkrafttätigkeitsfeld – nahm von 2016 bis 2020 zu. Geflüchtete steigen zum einen über die Zeit zunehmend als Fachkräfte ein und wechseln zum anderen auch von Hilfs-zu Fachkrafttätigkeiten. So arbeiteten 2020 die meisten erwerbstätigen Geflüchteten als Fachkraft. Triebfedern für eine Platzierung als Fachkraft und einen Aufstieg in eine solche Position sind Qualifikationen, wie mitgebrachte Bildungsabschlüsse, der deutsche Spracherwerb und das Erlangen deutscher Bildungsabschlüsse. Schlüssel für eine gelungene Integration sind also die bekannten Faktoren. Das vielfältige Angebot an Sprachlernmöglichkeiten und beruflicher Aus- und Weiterbildung sollte daher aufrechterhalten und von den Geflüchteten effizient genutzt werden, denn es zahlt sich in Form höherer beruflicher Positionierung aus.
Geflüchtete in Deutschland sollen zukünftig schneller in Arbeit kommen. Dazu hat die aktuelle Bundesregierung beschlossen, dass das Arbeitsverbot für Asylbewerber*innen von neun auf sechs Monate verkürzt werden soll.Zu Details und Ausschlusskriterien vgl. Bundesministerium des Innern und für Heimat (2023): Bundesregierung beschließt Gesetzespaket zur Anpassung von Datenübermittlungsvorschriften im Ausländer- und Sozialrecht, erhebliche Straferhöhungen für Schleuser sowie eine erleichterte Arbeitsaufnahme von Asylsuchenden und Geduldeten. Pressemitteilung vom 1. November (online verfügbar, abgerufen am 6. November 2023. Dies gilt auch für alle anderen Online-Quellen dieses Berichts, sofern nicht anders vermerkt). Sie begründet dies unter anderem mit dem großen Arbeits- und Fachkräftebedarf in Deutschland.Claudia Kornmeier in den ARD Tagesthemen vom 1. November 2023 (online verfügbar). Dadurch stellt sich die Frage, wie Geflüchteten bisher der Einstieg in den Arbeitsmarkt gelungen ist und in welchen Positionen sie arbeiten. Der vorliegende Wochenbericht untersucht dies für Geflüchtete, die ab 2013 nach Deutschland gekommen sind, für die Jahre 2016 bis 2020. Mithilfe der Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP), darunter vor allem der IAB-BAMF-SOEP-Befragung von Geflüchteten,Als Datengrundlage dieses Berichts dient die Befragung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), des Forschungszentrums Migration, Integration und Asyl des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF-FZ) von Geflüchteten und des SOEP am DIW Berlin (online verfügbar). Das SOEP ist eine repräsentative, jährlich stattfindende Längsschnittbefragung von Haushalten in Deutschland. Die Berechnungen dieses Berichts basieren auf den SOEP-Befragungswellen von 2016 bis 2020 (SOEP v37). analysiert er auch, ob Geflüchtete beruflich aufsteigen und insbesondere von einer Hilfskraftstelle in eine Fachkraftstelle wechseln.
Zur Beschäftigung von Geflüchteten, die ab 2013 zugewandert sind, liegen bereits einige Studien vor. Demnach nahm die Erwerbsbeteiligung rasch zu: So stieg die Erwerbstätigenquote von drei Prozent nach maximal einem Jahr Aufenthalt auf 49 Prozent nach fünf Jahren Aufenthalt.Herbert Brücker, Yuliya Kosyakova und Eric Schuß (2020): Fünf Jahre seit der Fluchtmigration 2015: Integration in Arbeitsmarkt und Bildungssystem macht weitere Fortschritte. IAB-Kurzbericht 4/2020. Nürnberg: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (online verfügbar). Zwischen den Geschlechtern bestehen deutliche Unterschiede: Geflüchtete Frauen weisen nach drei und mehr Jahren Aufenthalt in Deutschland gegenüber geflüchteten Männern eine um mehr als 30 Prozentpunkte niedrigere Erwerbstätigenquote auf. Als treibende Kraft für die Geschlechterunterschiede haben sich insbesondere die ungleich verteilte Sorgearbeit und unterschiedlich mitgebrachte Qualifikationen und in Deutschland getätigte Bildungsinvestitionen herausgestellt.Yuliya Kosyakova et al. (2021): Arbeitsmarktintegration in Deutschland: Geflüchtete Frauen müssen viele Hindernisse überwinden. IAB-Kurzbericht 8/2021. Nürnberg: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (online verfügbar). Während in den ersten Aufenthaltsjahren die Nichterwerbstätigkeit und Kinderbetreuung (Mutterschutz und Elternzeit) bei geflüchteten Frauen dominant waren, nimmt über die Zeit auch bei ihnen die Arbeitsmarktbeteiligung in Form von Erwerbsbeteiligung und Arbeitssuche zu.Adriana Silva Cardozo (2023): Erwerbschancen geflüchteter Frauen in Deutschland verbessern sich trotz ungünstiger Ausgangslage. DIW Wochenbericht Nr. 19 (online verfügbar). Der Anteil an Erwerbstätigen steigt für beide Geschlechter nach wie vor deutlich und liegt nach sechs und mehr Jahren bei geflüchteten Männern bei 69 Prozent und bei geflüchteten Frauen bei 24 Prozent.Herbert Brücker et al. (2023): Entwicklung der Arbeitsmarktintegration seit Ankunft in Deutschland: Erwerbstätigkeit und Löhne von Geflüchteten steigen deutlich. IAB-Kurzbericht 13/2023. Nürnberg: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (online verfügbar).
Verglichen mit der beruflichen Position vor dem Zuzug findet in Deutschland zunächst ein Abstieg statt: Erwerbstätige Geflüchtete arbeiteten im Jahr 2018 in Deutschland wie vor ihrem Zuzug vor allem als Fachkraft (52 Prozent in Deutschland, 65 Prozent im Herkunftsland). Nahezu alle anderen beschäftigten Geflüchteten sind in Deutschland nur als Hilfskraft tätig (44 Prozent), wohingegen im Herkunftsland 20 Prozent in hochqualifizierter Tätigkeit beschäftigt waren.Brücker, Kosyakova und Schuß (2020), a.a.O. Geflüchtete arbeiten in Deutschland somit vor allem im Fach- und Hilfskraftsegment (um die 90 Prozent mit leicht größerem Anteil im Fachkraftsektor), höherwertige Beschäftigungen bilden die Ausnahme. Mit steigender Aufenthaltsdauer gelingt jedoch immer mehr Geflüchteten eine Beschäftigung in einer Fachkrafttätigkeit.Brücker et al. (2023), a.a.O.
Der kurze Abriss zum Forschungsstand zeigt, dass der Fokus bislang auf dem Eintritt in den Arbeitsmarkt lag und erst seit Kurzem ein Blick auf die Beschäftigung und berufliche Positionierung nach Aufenthaltsdauer geworfen wurde. Zudem geschah dies bisher eher beschreibend. Was daher für eine umfassende Betrachtung fehlt, ist der genaue Blick auf die Mobilität der Geflüchteten auf dem deutschen Arbeitsmarkt und die Beleuchtung der erklärenden Faktoren. Genau diesen Themen widmet sich der vorliegende Beitrag für die Jahre 2016 bis 2020 eingehend.
Zunächst soll der Frage nachgegangen werden, wie sich das Beschäftigungsmuster der Geflüchteten im erwerbsfähigen Alter (zwischen 18 und 65 Jahren) über die Zeit entwickelt hat. Ob und wie partizipieren Geflüchtete kurz nach der Zuwanderung nach Deutschland und im Verlauf ihres Aufenthalts in den Jahren 2016 bis 2020 am deutschen Arbeitsmarkt?
Eine Erwerbsbeteiligung liegt vor, wenn eine Person entweder erwerbstätig ist oder sich auf Arbeitssuche befindet, also arbeitslos gemeldet ist. Von 2016 bis 2020 nahm die Erwerbsbeteiligung sowohl für geflüchtete Männer als auch Frauen zu (Abbildung 1). Diese Ergebnisse spiegeln die Befunde des Migrationsmonitors der amtlichen Statistik wider und folgen im Wesentlichen der Entwicklung nach Aufenthaltsdauer.Statistik der Bundesagentur für Arbeit: Migrationsmonitor Deutschland und Länder (online verfügbar); Brücker et al. (2023), a.a.O. Unter geflüchteten Männern stieg hierbei der Erwerbstätigenanteil von 16 Prozent im Jahr 2016 mit abnehmender Dynamik bis auf 55 Prozent im Jahr 2020 an. Auf niedrigerem Niveau ist das gleiche Muster auch bei geflüchteten Frauen zu verzeichnen (von sechs auf 17 Prozent). Der Anteil an arbeitslos gemeldeten Geflüchteten stieg im Beobachtungszeitraum bis zum Jahr 2018/19 rasant für beide Geschlechter an und ging danach etwas zurück. Von beiden Geschlechtern nahmen etwa fünf Prozent der Geflüchteten jährlich an Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen teil. Bei geflüchteten Frauen spielte gegenüber geflüchteten Männern ähnlich wie in der Mehrheitsbevölkerung die Betreuung von Kindern als Hauptbeschäftigung eine deutlich größere Rolle. Der Anteil Nichterwerbstätiger (inklusive jener Geflüchteten, die sich in Elternzeit befinden) verringerte sich über den Betrachtungszeitraum für beide Geschlechter deutlich, für geflüchtete Männer von 80 auf 20 Prozent, für geflüchtete Frauen von 92 auf 54 Prozent.
Wird nun nicht nur die Erwerbsbeteiligung und Beschäftigung von Geflüchteten über die Zeit betrachtet, sondern untersucht, in welcher Tätigkeit konkret Fuß gefasst wird, fällt auf: Geflüchtete arbeiten vor allem als Hilfs- oder Fachkraft, Spezialist*innen-/Expert*innentätigkeiten bleiben die Ausnahme (Abbildung 2). Zwischen Hilfs- und Fachkrafttätigkeiten hat hierbei eine Verschiebung stattgefunden: Der Anteil jener, die in einer Fachkraftanstellung tätig sind, stieg über die Jahre kontinuierlich an, während der Anteil Beschäftigter in einer Hilfstätigkeit nach dem dritten Beobachtungsjahr stagnierte und zuletzt sank. So sind im Jahr 2020 rund 33 Prozent der geflüchteten Männer als Fachkraft beschäftigt und lediglich 18 Prozent als Hilfskraft. Bei geflüchteten Frauen zeigt sich ähnliches, nur auf geringerem Beschäftigungsniveau: Im Jahr 2020 waren zehn Prozent als Fachkraft tätig und fünf Prozent als Hilfskraft. Werden nur die erwerbstätigen Geflüchteten betrachtet, zeigt sich, dass gut 60 Prozent von ihnen als Fachkraft tätig sind und das gleichermaßen für beide Geschlechter.
Folgend soll geklärt werden, woraus sich die aufgezeigte Zunahme in Fachkrafttätigkeit über die Zeit genau speist. Sind vermehrt Geflüchtete direkt in eine höhere Position eingestiegen oder konnten auch Geflüchtete aus einer Hilfskrafttätigkeit in eine höhere Position aufsteigen?
Aus zwei theoretischen Erklärungsmechanismen lässt sich eine Vermutung ableiten. Erste These: Ein verzögerter Erwerbseintritt könnte auf mögliche Bildungsinvestitionen in den Spracherwerb der Landessprache und/oder das Nachholen fehlender/nicht anerkannter Bildungsabschlüsse zurückzuführen sein. Dies hätte zur Folge, dass mit längerer durchschnittlicher Aufenthaltsdauer die Qualifikation der Geflüchteten steigt und damit ihre Chance auf eine Einstiegsstelle auf dem Arbeitsmarkt mit einem höheren Anforderungsniveau.
Zweite These: Ein schneller Erwerbseintritt in den Hilfstätigkeitssektor könnte die freie Zeit für und das Interesse an weiteren Bildungsinvestitionen und Stellensuchanstrengungen verringern, was gegen einen Wechsel aus der Hilfskrafttätigkeit in eine höhere Position auf dem Arbeitsmarkt über die Zeit spricht. Die Regeln eines segmentierten Arbeitsmarktes sprechen darüber hinaus gegen einen leichten oder häufigen Wechsel in höher positionierte Stellen.Werner Sesselmeier und Gregor Blauermel (1998): Arbeitsmarkttheorien. Ein Überblick (2. überarbeitete Aufl.), Heidelberg. Nach den Segmentationsansätzen zerfällt der Arbeitsmarkt in relativ geschlossene Teilarbeitsmärkte, innerhalb derer unterschiedliche Weiterbildungs- und Aufstiegschancen und zwischen denen Mobilitätsbarrieren bestehen. Eine Beschäftigung im Hilfskraftsegment kann dem Jedermannsarbeitsmarkt zugeordnet werden, der zwar ohne große Qualifikationsanforderungen betreten werden kann, in dem aber ebenso keine internen Aufstiege noch Weiterqualifizierungen vorgesehen sind. Fehlende (weitere) Qualifikation und Mobilitätsbarrieren zwischen den Teilarbeitsmärkten hemmen den Aufstieg von darin arbeitenden Personen, zum Beispiel in den berufsfachlichen Teilarbeitsmarkt. Beide Thesen legen die Vermutung nahe, dass sich die Zunahme an Beschäftigung in Fachkraftpositionen bei Geflüchteten vor allem aus der höheren Erstpositionierung auf dem Arbeitsmarkt über die Zeit, also mit der Aufenthaltsdauer, und möglichen in der Zwischenzeit getätigten Bildungsinvestitionen speist.
Im Folgenden wird für Geflüchtete der potenzielle Wechsel in eine andere (höhere oder niedrigere) berufliche Stelle beziehungsweise das Verharren in derselben Position beschrieben. Sie werden dabei mit anderen im gleichen Zeitraum Zugewanderten sowie der restlichen Bevölkerung verglichen. Es werden dafür Personen untersucht, die in den fünf Beobachtungsjahren (2016 bis 2020) an mindestens drei SOEP-Befragungen teilgenommen haben. Die Analyse zeigt: Geflüchtete sind viel mobiler auf dem Arbeitsmarkt als andere im gleichen Zeitraum Zugewanderte und die hiesige Bevölkerung (Abbildung 3). Damit zeigen Geflüchtete auch nicht das übliche Muster – je höherwertiger die Positionierung, desto wahrscheinlicher der Verbleib in dieser Kategorie –, das sich sowohl bei anderen Zugewanderten als auch bei der restlichen Bevölkerung findet. Geflüchtete wechseln somit häufiger aus Fachkraft- oder Spezialist*innen-/Expert*innentätigkeiten wieder in Hilfstätigkeiten oder Arbeitslosigkeit.
Es besteht allerdings auch mehr Aufwärtsmobilitiät aus einer Hilfskrafttätigkeit, vor allem in eine Fachkrafttätigkeit. Dieser Aufstieg findet sich in den beiden anderen Gruppen seltener. Insgesamt scheint aufgrund von Fehlplatzierungen und einer fortwährenden Bildungsbeteiligung noch viel Bewegung bei Geflüchteten in den und auf dem Arbeitsmarkt zu herrschen.
Die beobachtete Zunahme der Beschäftigung in Fachkrafttätigkeit speist sich sowohl aus der höheren Erstpositionierung auf dem Arbeitsmarkt über die Zeit als auch durch Aufwärtsmobilität aus der Hilfskrafttätigkeit heraus. Die Analysen bestätigen somit These eins und widersprechen These zwei. Was bedingt nun die Platzierung in eine Fachkrafttätigkeit gegenüber einer Hilfskrafttätigkeit oder auch den beobachteten relativ häufigen Wechsel von einer Hilfskrafttätigkeit in eine Fachkrafttätigkeit?
Mithilfe von zwei multivariaten Modellen, die jeweils die Beschäftigung in einer Fachkraftstelle gegenüber einer Hilfskraftstelle als zu erklärende Größe betrachten, wird der Einfluss verschiedener Faktoren auf die beobachtete Positionierung auf dem Arbeitsmarkt untersucht. Im Speziellen wird der Rolle des rechtlichen Aufenthaltsstatus und im Ausland oder in Deutschland erworbener Bildungsqualifikationen unter Berücksichtigung von Geschlecht, Alter und Aufenthaltsdauer nachgegangen (Kasten).
Als Datengrundlage dient das SOEP (v37), darunter insbesondere die Teilstichproben der IAB-BAMF-SOEP-Befragung von Geflüchteten. Hierbei handelt es sich um ein Kooperationsprojekt des SOEP mit dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung und dem Forschungszentrum des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, das 2016 begonnen hat und seitdem im Jahresrhythmus des SOEP repräsentative Daten zu Geflüchteten erhebt.Herbert Brücker, Nina Rother und Joachim Schupp (2017; korrigierte Fassung 2018): IAB-BAMF-SOEP-Befragung von Geflüchteten 2016: Studiendesign, Feldergebnisse sowie Analysen zu schulischer wie beruflicher Qualifikation, Sprachkenntnissen sowie kognitiven Potenzialen. DIW Politikberatung kompakt 123 (online verfügbar). Die Analysepopulation ist auf 18 bis 65 Jahre alte Befragungspersonen beschränkt. Da sich das Interesse auf Geflüchtete richtet, die in den Jahren 2015 und 2016 in die Bundesrepublik gekommen sind, wird das Teilsample M6 (Auffrischungsstichprobe 2020) ausgeschlossen. Zusätzlich werden für Geflüchtete und aus Gründen der Vergleichbarkeit auch mit anderen Zugewanderten, nur Personen einbezogen, die nach 2013 zugezogen sind. Im vorliegenden Wochenbericht werden nur die Erhebungsjahre 2016 bis 2020 analysiert. Die zentral betrachteten Größen sind der Arbeitsmarktstatus und die Positionierung auf dem Arbeitsmarkt. Für letztere wird für jeden Beruf ein bestimmtes Anforderungsniveau spezifiziert.Bundesagentur für Arbeit (2011): Einführung in die Klassifikation der Berufe 2010 in die Arbeitsmarktstatistik (online verfügbar); Bundesagentur für Arbeit (2021): Klassifikation der Berufe 2010 – überarbeitete Fassung 2020, Band 1: Systematischer und alphabetischer Teil mit Erläuterungen (online verfügbar). Die Variable zum Arbeitsmarktstatus wurde nach diesen Vorgaben vom SOEP-Team generiert: SOEP Group (2022): SOEP-Core v37 – PGEN: Person-related status and generated variables. SOEP Survey Papers 1186: Series D. DIW Berlin (online verfügbar, abgerufen am 17. November 2023). Dies ermöglicht eine Unterscheidung zwischen Tätigkeiten von Hilfskräften, Fachkräften, Spezialist*innen und Expert*innen (Tabelle). Da die beiden letzten Kategorien in der Gruppe der Geflüchteten gering besetzt sind, werden sie zusammengefasst betrachtet.
Bezeichnung | Anforderungsniveau | Beschreibung |
---|---|---|
Hilfskraft | Helfer- und Anlerntätigkeiten | Einfache, wenig komplexe (Routine-)Tätigkeiten; kein formaler beruflicher Bildungsabschluss bzw. einjährige (geregelte) Berufsausbildung |
Fachkraft | Fachlich ausgerichtete Tätigkeiten | Fundierte Fachkenntnisse und Fertigkeiten, Abschluss einer zwei- bis dreijährigen Berufsausbildung oder vergleichbare Qualifikation |
Spezialist*in | Komplexe Spezialist*innentätigkeiten | Spezialkenntnissen und -fertigkeiten; gehobene Fach- und Führungsaufgaben; Meister- oder Technikerausbildung bzw. gleichwertiger Fachhochschul- oder Hochschulabschluss |
Expert*in | Hochkomplexe Tätigkeiten | Hohes Kenntnis- und Fertigkeitsniveau, Leitungs- und Führungsaufgaben, mindestens vierjährige Hochschulausbildung oder eine entsprechende Berufserfahrung |
Quelle: Bundesagentur für Arbeit.
Bei den Analysen zur Mobilität auf dem Arbeitsmarkt und den multivariaten Modellen wird die Analysepopulation darüber hinaus noch auf Personen beschränkt, die mindestens drei Jahre des fünfjährigen Beobachtungsfensters an der Befragung teilgenommen haben. Für das Positionierungsmodell wird ein random-effects logistisches Regressionsmodell (xtlogit, re) geschätzt und es werden marginale Effekte ausgewiesen. Für das Wechselmodell wird ein random-effects lineares Wahrscheinlichkeitsmodell (xtreg, re) geschätzt und es werden die Koeffizienten (= marginale Effekte) ausgewiesen.Es wurde auf das lineare Wahrscheinlichkeitsmodell zurückgegriffen, weil es die gleichen Befunde, was die Richtung und Signifikanz der Koeffizienten betrifft, ergibt und weil sich für das logit-Modell keine marginalen Koeffizienten berechnen ließen. Der Hausmann-Test unterstützt jeweils die Analyse mit Random-effects-Modellen. Im multivariaten Modell zur Positionierung auf dem Arbeitsmarkt wird als zu erklärende Größe die Position in Fachkraftstelle (= 1) versus in Hilfskraftstelle (= 0) analysiert. Ausgeschlossen sind Personen, für die nie eine Erwerbsbeteiligung im Hilfs- oder Fachkraftsegment im Beobachtungszeitraum beobachtet werden konnte, etwa Personen, die dauerhaft nicht erwerbstätig oder arbeitslos waren oder die direkt in das Segment der Spezialist*innen-/Expert*innentätigkeit eingestiegen sind. Im multivariaten Modell zum Positionswechsel aus der Hilfskraft- in eine Fachkrafttätigkeit wird ebenso als zu erklärende Größe die Position in Fachkraftstelle (= 1) versus in Hilfskraftstelle (= 0) analysiert. Ausgeschlossen sind zusätzlich Personen, für die nie eine Beschäftigung im Hilfskraftsegment oder für die zusätzlich ein Wechsel in das Segment der Spezialist*innen-/Expert*innentätigkeit beobachtet werden konnte. Es werden folglich Personen, die einen Wechsel aus der Hilfskrafttätigkeit in eine Fachkrafttätigkeit oder andersherum vollzogen haben, mit jenen verglichen, die nur eine Beschäftigung im Hilfskraftsegment aufweisen.
Mögliche Kritikpunkte an der Datengrundlage, wie ein selektiver Wegfall und eine fehlerhafte Messung von Positionswechseln, sollen hier kurz adressiert werden. Bei Panelbefragungen an sich und bei unter jüngst zugezogenen Geflüchteten im Besonderen ist ein hoher Wegfall von Personen über die Jahre zu verzeichnen.Vgl. die Methodenberichte zum Beispiel Simon Huber und Axel Glemser (2021): SOEP-Core – 2016: Report of Survey Methodology and Fieldwork for M3 und M4. SOEP Survey Papers 1049 (online verfügbar); Martin Rathje und Axel Glemser (2021): SOEP-Core – 2020: Report of Survey Methodology and Fieldwork. SOEP Survey Papers 1050 (online verfügbar). Es besteht die berechtigte Annahme, dass dieser Wegfall nicht zufällig, sondern selektiv erfolgt – besonders erfolgreiche oder motivierte Personen nehmen überhaupt und längerfristig an Befragungen teil – , was die Ergebnisse verzerren könnte. Gewichtete Daten tragen dem Phänomen des selektiven Ausfalls in den deskriptiven Analysen zumindest hinsichtlich beobachtbarer Faktoren Rechnung. Bei den multivariaten Analysen interessieren in erster Linie die Zusammenhänge der Größen untereinander, und es werden viele Faktoren berücksichtigt, die einen Teil der möglichen Selektion erklären können. Zuletzt könnten aufgrund fehlenden kulturellen Wissens und Sprachschwierigkeiten fehlerhafte Tätigkeitsbeschreibungen zur verzerrten Messung von Stellenwechseln gerade bei jüngst Geflüchteten führen. Aber gerade der übereinstimmende Vergleich mit der amtlichen Statistik und die stimmigen deskriptiven und multivariaten Befunde sprechen für die Güte der Daten.
Frauen desselben Alters und mit vergleichbarer Aufenthaltsdauer und Qualifikation sind im Vergleich zu Männern seltener im Fachkraftsegment beschäftigt (Abbildung 4). Ein vom Qualifikationsniveau passender beruflicher Bildungsabschluss (im Fall einer Fachkraft demnach eine abgeschlossene Berufsausbildung) aus dem Ausland hängt positiv mit der Beschäftigung im Fachkraftsegment zusammen. Ebenso korrelieren bereits erworbene Deutschkenntnisse, der Erwerb eines Sprachzertifikates mit dem Sprachlevel B oder der Besuch eines Berufssprachkurses positiv mit einer Fachkraftanstellung. Schließlich geht auch eine Bildungsqualifikation aus Deutschland positiv mit einer Fachkrafttätigkeit im Vergleich zu einer Hilfskrafttätigkeit einher.
Für den Rechtsstatus eines Geflüchteten wird kein signifikanter Effekt festgestellt. Die an den jeweiligen Rechtsstatus gebundenen Beschränkungen, die in den ersten Aufenthaltsmonaten wirksam sind und sich auf den Arbeitsmarktzugang beziehen, scheinen keinen Nachhall hinsichtlich der beruflichen Positionierung auf dem Arbeitsmarkt nach Jahren des Aufenthalts mehr zu haben.
Wird der Wechsel aus einer Hilfskraft- in eine Fachkrafttätigkeit betrachtet, so wechseln Frauen gegenüber Männern seltener ins Fachkraftsegment. Triebfedern für den Aufstieg sind insbesondere eine vorherige Fehlplatzierung, also wenn das vorhandene Qualifikationsniveau höher als für die ausgeübte Tätigkeit nötig ist, sowie der Erwerb deutscher Sprachkenntnisse und/oder eines deutschen Bildungsabschlusses. Wurden im Ausland mittlere und weiterführende allgemeinbildende Bildungsabschlüsse oder auch ein Berufsabschluss erworben, hängt das positiv mit dem Wechsel aus einer Hilfskrafttätigkeit in das Fachkräftesegment zusammen. Geflüchtete Hochschulabsolvent*innen wechseln hingegen seltener von einer Stelle als Hilfskraft in eine als Fachkraft. Vermutlich finanzieren diese Personen mit der Tätigkeit im Hilfskraftsegment ihr Leben, möglicherweise auch einen Anerkennungsprozess mit Nachqualifizierungsmaßnahme, um dann direkt im Spezialist*innen-/Expert*innensegment tätig werden zu können.
Die Befunde beider Modelle ergeben sehr ähnliche Einflussfaktoren, die die Tätigkeit in oder den Wechsel in den Fachkräftesektor bestimmen: Zum einen sind Kenntnisse der deutschen Sprache essenziell. Auch die Bereitschaft, diese im Rahmen zertifizierter Sprachkurse zu erwerben, geht positiv mit einer Beschäftigung im Fachkraftsektor einher, ist aber nicht signifikant mit einem Wechsel aus dem Hilfskraftsegment in diesen Sektor assoziiert. Zum anderen ist eine adäquate, mitgebrachte Qualifikation wichtig für die Teilnahme oder den Aufstieg in den Fachkraftbereich. Falls ein passender Abschluss nicht vorliegt, scheint vor allem der Erwerb eines deutschen Bildungsabschlusses die Chancen auf die Anstellung als Fachkraft deutlich zu erhöhen. Qualifikationspotenziale sind möglicherweise durch die Lebensbedingungen im Herkunftsland und eine frühe Flucht im Leben nicht ausgeschöpft worden, und die beschränkten Karriere- und Gehaltsaussichten als Hilfskraft motivieren möglicherweise zu weiteren Bildungsinvestitionen auch außerhalb des Erwerbslebens und zur Suche nach besser positionierten Stellen.
Geflüchtete sind motiviert, nach höher qualifizierten Stellen zu streben, und der Arbeitsmarkt scheint durchlässig genug zu sein, den Wechsel dahin zu ermöglichen, was These zwei widerspricht. Geflüchtete Hochschulabsolvent*innen scheinen die Hilfskrafttätigkeit zum reinen Broterwerb zu nutzen, zum Beispiel während sie dabei sind, alle Anforderungen für eine Spezialist*innen-/Expert*innentätigkeit zu erfüllen. Sie vermeiden daher wahrscheinlich bewusst den Aufstieg in den Fachkraftbereich. Indes gelingt es Frauen seltener, von einer Hilfs- in eine Fachkraftstelle zu wechseln.
Die Analysen zeigen zunächst erstmal eine sehr positive Entwicklung. Die Erwerbsbeteiligung von Geflüchteten nahm von 2016 bis 2020 zu, wie auch schon in der amtlichen Statistik und von anderen Forschenden beobachtet worden ist. Geflüchtete sind vor allem als Hilfskraft oder Fachkraft beschäftigt, wobei der Anteil der Beschäftigung als Fachkraft stärker über die Jahre zugenommen hat. So war in der letzten Befragung im Jahr 2020 dies das Hauptbetätigungsfeld der erwerbstätigen Geflüchteten. Dies liegt nicht nur an arbeitssuchenden Geflüchteten, die direkt als Fachkraft den Arbeitsmarkteinstieg schaffen, sondern auch an Geflüchteten, die aus einer Hilfskraftstelle in eine Fachkraftposition wechseln. Dies ist ein neuer Befund, der auch noch gegen bestimmte theoretische Erwartungen spricht. Triebfedern für eine höherwertige Platzierung und diesen Aufstieg sind Qualifikationen, genauer gesagt mitgebrachte Bildungsabschlüsse, der Spracherwerb und das Erlangen deutscher Bildungsabschlüsse. Das ist ein altbekannter Befund aus der Integrationsforschung, der für Geflüchtete wie auch allgemein für alle Zugewanderten gilt. Interessant ist hierbei auch, dass genau die gleichen Stellschrauben, wie unzureichende Sprachkenntnisse und Qualifikationen, mangelnde Qualifikationsnachweise und deren Vergleichbarkeit, als besondere Herausforderung auf Seiten der Unternehmen bei der Einstellung von Geflüchteten identifiziert worden sind.Alexander S. Kritikos, Maximilian Priem und Anne-Christin Winkler (2022): Unternehmen leisten einen wesentlichen Beitrag zur Integration Geflüchteter in Deutschland. DIW Wochenbericht Nr. 20 (online verfügbar).
Daran schließen sich Empfehlungen an die Politik und genauso Appelle an Geflüchtete an: Das große allgemeine und berufsspezifische Sprachlernangebot sollte als Teil der deutschen Integrationspolitik aufrechterhalten werden. Spracherwerb zahlt sich aus. Genauso richtet sich ein Appell an die Geflüchteten, diese Angebote effizient zu nutzen. Ebenso sollten die vielfältigen Qualifizierungsmöglichkeiten gerade für erwachsene Zugewanderte aufrechthalten werden und insbesondere auf die spezifischen Bedürfnisse von Geflüchteten zugeschnitten werden. So dürfen Arbeitgeber*innen und Ausbilder*innen nicht perfekt vorgebildete Arbeitskräfte und Auszubildende erwarten. Vielmehr sollten sie neben der reinen fachlichen Kompetenzvermittlung auch Sprachlernangebote und ein umfassendes Mentoring als lohnende Investition betrachten.Bekannt ist, dass insbesondere kleine Betriebe, vor allem im Gastgewerbe, sowie Betriebe, die Vorerfahrungen mit ausländischen Beschäftigten haben und über einen ungedeckten Personalbedarf verfügen, Geflüchtete beschäftigen. Andreas Hauptmann und Sekou Keita (2022): Betriebe mit ausländischen Beschäftigten stellen häufiger Geflüchtete ein. IAB-Kurzbericht 6/2022. Nürnberg: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (online verfügbar). Auch wenn Geflüchtete in ihr Herkunftsland zurückkehren, könnten sie dort mit den in Deutschland erworbenen Qualifikationen einen positiven Beitrag leisten. Wie gezeigt wurde, gibt es ein Fachkraftpotenzial bei Geflüchteten, die bisher als Hilfskraft arbeiten. Hier könnten Arbeitgeber*innen direkt, zum Beispiel mit Modellen des berufsbegleitenden Berufsabschlusserwerbes, bei den im Hilfskraftsegment Beschäftigten für eine Fachkraftanstellung werben und nicht ausschließlich auf hochqualifizierten Zuzug aus dem Ausland setzen.
Arbeitsmarktintegration, gerade auch die hier adressierte Mobilität auf dem Arbeitsmarkt selbst, ist ein langwieriger und sich ständig verändernder Prozess. Die bislang zur Verfügung stehenden Daten mit fünf Beobachtungsjahren sind für die Fragestellung eher kurz, noch von recht kleinen Fallzahlen insgesamt und potenziell von positiver Selektion geprägt. Dies schränkt die Verallgemeinerbarkeit der Befunde teilweise ein. Da die Mobilität von Geflüchteten auf dem Arbeitsmarkt bisher noch nicht wissenschaftlich untersucht wurde, kann der vorliegende Bericht einen ersten Eindruck vermitteln und weitere Forschende auf das Potenzial der Daten hinweisen. Gerade der Befund, dass geflüchtete Frauen – unter Berücksichtigung von bereits im Ausland erworbenen und in Deutschland erlangten Qualifikationen – so deutliche Nachteile bei der Platzierung im Fachkraftsegment gegenüber den geflüchteten Männern aufweisen, lädt ein, diesem Phänomen in weiterführenden Analysen nachzugehen.
Themen: Verteilung, Verkehr, Migration, Arbeit und Beschäftigung
JEL-Classification: J15;J61
Keywords: integration, refugees, labor market mobility
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2023-48-2
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/280718