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Lockert die Wohnsitzauflage, bessert die Bleibeperspektive

Blog Marcel Fratzscher vom 2. Januar 2024

Die Integration von Geflüchteten in den Arbeitsmarkt läuft besser als oft behauptet. Doch noch erschweren viele Restriktionen die Jobsuche. Die Regierung muss das ändern.

Der Umgang mit Geflüchteten wird sicher auch nächstes Jahr Streit entfachen. Es wird neue Forderungen von Politik oder Medien, die Zuwanderung zu begrenzen, Abschiebungen zu beschleunigen oder Leistungen für Geflüchtete zu kürzen, geben.

Doch der populistische Überbietungswettbewerb ist kontraproduktiv. Er löst keine der Herausforderungen und Probleme. Dabei sind die mehr als drei Millionen Schutzsuchenden in Deutschland eine riesige Chance, um einen Teil des Arbeitskräftemangels zu beheben.

Diese Kolumne erschien am 29. Dezember 2023 auf ZEIT ONLINE in der Reihe Fratzschers Verteilungsfragen.

Immer mehr Geflüchtete haben einen Job

Einer Studie des DIW Berlin zufolge ist die Erwerbstätigkeit unter Geflüchteten, die seit 2013 nach Deutschland gekommen sind, gestiegen. Im Jahr 2020 hatten bereits 55 Prozent der Männer einen Job, die Arbeitslosigkeit lag nur noch bei 20 Prozent. Unter Frauen ist die Erwerbstätigkeit deutlich geringer und die Arbeitslosigkeit lag noch immer bei 54 Prozent. Leider sind diese Zahlen nicht aktuell. Es deutet aber alles darauf hin, dass sich dieser positive Trend seit 2020 fortgesetzt hat.

Ein weiterer positiver Trend: Viele Geflüchtete haben es geschafft, aus Hilfstätigkeiten herauszukommen und höher qualifizierte und besser bezahlte Tätigkeiten als Fachkräfte aufzunehmen. Im Jahr 2020 war ein Drittel der geflüchteten Männer als Fachkraft tätig.

Die Grundlage für diese positive Entwicklung war die Qualifizierung, Weiterbildung und die Anerkennung von bestehenden Qualifikationen aus den Heimatländern, wie auch die guten Fortschritte mit den Sprachkenntnissen. Kommunen und vor allem Unternehmen haben dabei erhebliche Anstrengungen unternommen, um Ausbildungen flexibler zu gestalten und an die Bedürfnisse der Menschen anzupassen. Für die meisten Unternehmen hat sich das gelohnt, sie haben zusätzliche Fachkräfte gewonnen.

Die Wohnsitzauflage behindert Geflüchtete bei der Jobsuche

Eine zweite Studie zeigt, dass Geflüchtete in Regionen, in denen die Arbeitslosigkeit niedrig war, eher in ihrem erlernten Beruf arbeiten konnten. Eine um ein Prozent niedrigere Arbeitslosigkeit erhöht um sechs Prozent die Wahrscheinlichkeit, dass Geflüchtete hierzulande in ihrem vorherigen Beruf arbeiten. Wohnsitzauflagen erweisen sich somit häufig als kontraproduktiv, weil sie Schutzsuchende daran hindern, dorthin zu gehen, wo ihre Chancen am Arbeitsmarkt am besten sind. Die Politik sollte daher die Verteilung der Geflüchteten über den Königsteiner Schlüssel ändern und viel stärker auf wirtschaftliche Bedarfe ausrichten.

Aus den Bedingungen für ukrainische Geflüchtete lernen

In einer dritten Studie haben die Wissenschaftler die Erfahrungen der mittlerweile mehr als einen Million ukrainischer Geflüchteter untersucht. Schutzsuchende aus der Ukraine hatten es sehr viel leichter als die meisten Geflüchteten seit 2013, da sie automatisch einen Aufenthaltsstatus erhielten. Sie konnten somit arbeiten, hatten Zugang zu Bildungsangeboten und Anspruch auf mehr soziale Leistungen. Bereits ein Fünftel der ukrainischen Geflüchteten waren im Sommer 2023 beschäftigt und viele weitere hatten die Absicht oder Perspektive, in Kürze zu arbeiten.

Aussicht auf ein Bleiberecht muss sich verbessern

Gerade unter den ukrainischen Geflüchteten zeigt sich, wie wichtig eine klare Bleibeperspektive ist, um in Deutschland anzukommen und damit auch die Chancen auf einen Job deutlich zu erhöhen. Daher sollte die Bundesregierung dringend Reformen vornehmen und die Bleibeperspektiven für alle Schutzsuchenden in Deutschland verbessern. 

Wichtig dafür ist es, das seit Beginn des Jahres gültige Chancen-Aufenthaltsrecht auszuweiten. Bisher konnten dies lediglich knapp 33.000 Schutzsuchende nutzen. Nicht nur Geflüchteten, die länger als fünf Jahre in Deutschland leben, sollte ein temporäres Aufenthaltsrecht gewährt werden, sondern allen heute in Deutschland lebenden Schutzsuchenden. Dies würde sehr viel mehr Menschen in den Arbeitsmarkt bringen und somit einen Teil des Arbeitskräftemangels beheben. Es würde Kommunen entlasten, damit diese sich besser auf die verbleibenden Aufgaben der Integration konzentrieren können. Und es würde auch den Sozialstaat finanziell deutlich entlasten.

Die Chancen für den deutschen Arbeitsmarkt sehen und nutzen

Die Integration von Geflüchteten in den deutschen Arbeitsmarkt ist eine Erfolgsgeschichte. Dank der Bemühungen von Kommunen und Unternehmen und von so vielen Ehrenamtlichen konnten in den vergangenen zehn Jahren sehr viel mehr Geflüchtete arbeiten, als von Expert*innen erwartet wurde.

Die Herausforderung der Integration ist jedoch nach wie vor gigantisch. Anstelle einer populistischen Debatte über Abschiebungen und Grenzschließungen brauchen wir einen konstruktiven Diskurs über die Frage, wie Integration konkret umgesetzt werden kann. Es braucht ein Fordern, aber auch ein stärkeres Fördern durch eine Willkommenskultur, direkte Ansprache und klare Perspektiven für die Schutzsuchenden. Die Integration von Geflüchteten ist eine riesige Chance für Deutschland, wenn wir sie klug nutzen.

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